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Verkehrsunfall – Verschulden des Abbiegenden bei einem Auffahrunfall

LG Köln – Az.: 18 O 39/18 – Urteil vom 11.09.2019

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 15.01.2017 in Rösrath ereignete.

Am Mittag des Unfalltages befuhr die Klägerin mit dem zum Unfallzeitpunkt von ihr gehaltenen Pkw Opel mit dem amtlichen Kennzeichen B (im Folgenden: „Klägerfahrzeug“ ) die Kölner M-Straße in Fahrtrichtung Köln. Vor dem Klägerfahrzeug fuhr der Beklagte zu 1 mit dem zum Unfallzeitpunkt von der Beklagten zu 2 gehaltenen und bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversicherten Pkw Renault mit dem amtlichen Kennzeichen H3 (im Folgenden: „Beklagtenfahrzeug“ ). In Höhe des Grundstücks mit der Hausnummer 7 verringerte das Beklagtenfahrzeug seine Geschwindigkeit, da der Beklagte zu 1 nach links in die dortige Grundstückseinfahrt abbiegen wollte. Sodann kam es zu einem Auffahren des Klägerfahrzeugs von hinten auf das Beklagtenfahrzeug, wobei die Einzelheiten des Unfallhergangs zwischen den Parteien umstritten sind.

Das Klägerfahrzeug wurde bei der Kollision beschädigt. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen T2 vom 19.01.2017 (Bl. 9 GA) – das von einem wirtschaftlichen Totalschaden ausging – betrug der Wiederbeschaffungswert des Klägerfahrzeugs zum Unfallzeitpunkt 8.500,00 EUR; der Restwert betrug ausweislich des Gutachtens 2.560,00 EUR. Die zur Beseitigung der unfallbedingten Sachschäden erforderlichen Nettoreparaturkosten betrugen ausweislich des Gutachtens 7.572,23 EUR. Für das Gutachten entstanden ausweislich der Rechnung vom 19.01.2017 (Bl. 31 GA) Kosten in Höhe von brutto 906,19 EUR.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25.01.2017 (Bl. 37 GA) forderte die Klägerin die Beklagte zu 3 unter Fristsetzung bis zum 08.02.2017 zur Zahlung von 6.872,19 EUR auf.

Nachdem die Beklagten vorgerichtlich keine Zahlungen geleistet haben verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf Erstattung

von Nettoreparaturkosten in Höhe von 7.572,23 EUR,

eines merkantilen Minderwerts in Höhe von 500,00 EUR,

von Sachverständigenkosten in Höhe von 906,19 EUR,

einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 175,00 EUR sowie

einer Auslagenpauschale in Höhe von 26,00 EUR

nebst vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nunmehr klageweise weiter.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, zum Unfallzeitpunkt Eigentümerin des Klägerfahrzeugs gewesen zu sein. Hierzu behauptet sie, das Klägerfahrzeug sei weder an einen Dritten sicherungsübereignet gewesen, noch habe es sich um ein Leasingfahrzeug gehandelt.

Die Klägerin behauptet zum Unfallhergang, der Beklagte zu 1 habe das Beklagtenfahrzeug – ohne zu blinken und ohne sich zur Fahrbahnmitte hin einzuordnen – plötzlich nahezu bis zum Stillstand abgebremst. Sie habe daher nicht mehr rechtzeitig reagieren können.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 9.179,42 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2018 zu zahlen;

2.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 EUR zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten zum Unfallhergang, der Beklagte zu 1 habe den linken Blinker betätigt und sich mit dem Beklagtenfahrzeug zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet. Zum Unfall sei es lediglich deswegen gekommen, weil die Klägerin nicht genügend Abstand eingehalten habe oder weil sie unaufmerksam gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des – versehentlich auf den 17.10.2018 datierten – Sitzungsprotokolls vom 29.08.2018 (Bl. 77 GA) Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis gemäß Beweisbeschlüssen vom 29.08.2018 (Bl. 79 R GA) und vom 31.10.2018 (Bl. 102 GA) erhoben. Ferner hat das Gericht die Klägerin sowie den Beklagten zu 1 persönlich zum Unfallhergang angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Inhalts der Parteianhörung wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 29.08.2018 (Bl. 77 GA) sowie auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen T3 vom 27.06.2019 (Bl. 127 GA) Bezug genommen.

Mit nach der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2018 bei Gericht eingereichtem Schriftsatz vom 11.10.2018 (Bl. 99 GA) hat die Klägerin erklärt, nunmehr auf Wiederbeschaffungsbasis abzurechnen und die Klage daher teilweise zurückzunehmen. Die Beklagten haben auf den ihnen zugestellten Schriftsatz keine Erklärung abgegeben.

Die Parteien haben mit Schriftsätzen vom 11.07.2019 (Bl. 154 GA) und vom 05.08.2019 (Bl. 160 GA) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Parteien konnte das Gericht nach § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Dabei war über die Klageanträge im ursprünglich gestellten Umfang zu entscheiden, da die Teilklagerücknahme mangels Zustimmung der Beklagten unwirksam ist (§ 269 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine Zustimmung kann mangels Hinweises auch nicht gemäß § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO fingiert werden.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Klägerin stehen gegenüber den Beklagten keine Schadensersatzansprüche aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15.01.2017 in Rösrath aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG, 249, 421, 823 BGB zu. Die Klägerin haftet für die unfallbedingten Schäden in Anwendung der Haftungsquotenregelung gemäß §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG bzw. – soweit Ansprüche aus § 823 BGB in Rede stehen – wegen weit überwiegenden Mitverschuldens gemäß § 254 BGB vielmehr in voller Höhe selbst.

1. Die Haftungsquotenregelung ist anwendbar, da sich der Unfall für keinen der Beteiligten als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG dargestellt hat. Hinsichtlich der Klägerin folgt dies aus dem Nachstehenden. Hinsichtlich des Beklagten zu 1 folgt dies daraus, dass jedenfalls nicht aufklärbar war, ob er den strengen Sorgfaltsanforderungen gemäß § 9 Abs. 5 StVO vollumfänglich genügt hat.

2. Die Klägerin haftet für die Unfallfolgen in voller Höhe selbst, da der Unfall weit überwiegend durch die Klägerin verursacht worden ist. Der Grad der Verkehrswidrigkeit ihres Verhaltens rechtfertigt es, auch die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs dahinter zurücktreten zu lassen.

Aufgrund eines gegen die Klägerin als auffahrende Unfallbeteiligte sprechenden Anscheinsbeweises steht fest, dass die Klägerin den Unfall allein schuldhaft verursacht hat. Die Klägerin hat diesen Anscheinsbeweis nicht zu entkräften vermocht. Namentlich hat sie nicht das Vorliegen von Tatsachen bewiesen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines vom typischen Fall – in dem Auffahrunfälle infolge Unaufmerksamkeit und/oder zu geringen Abstands verursacht werden – abweichenden Geschehensablaufs ergibt. Der Umstand allein, dass sie auf ein zwecks Einbiegens in ein Grundstück abbremsendes Fahrzeug aufgefahren ist, genügt zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. Juni 2015 – I-1 U 107/14 -, Rn. 39, juris).

Insbesondere hat die Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass der Beklagte zu 1 entgegen §§ 4 Abs. 1 Satz 2, 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO plötzlich stark abgebremst, er den Blinker nicht (rechtzeitig) betätigt oder er das Beklagtenfahrzeug nicht zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet hätte.

a) Eine Beweiserleichterung in Gestalt eines Anscheinsbeweises war der Klägerin nicht zuzubilligen. Fährt ein nachfolgendes Fahrzeug auf ein Fahrzeug auf, das im Begriff ist, nach links in ein Grundstück abzubiegen, lässt die Lebenserfahrung nicht den Schluss auf eine Pflichtverletzung des Abbiegenden zu. Zwar ist dieser nach § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO gehalten, seine Abbiegeabsicht rechtzeitig und deutlich anzukündigen und dabei auch den Blinker zu benutzen. Er muss sich auf der Fahrbahn nach links einordnen und erforderlichenfalls auch seine Geschwindigkeit behutsam verringern. Er ist überdies verpflichtet, den nachfolgenden Verkehr angemessen zu beobachten und notfalls auch den Abbiegevorgang vollständig zurückzustellen. Gleichwohl liegt es auf der Hand, dass auch bei Beachtung der aus § 9 Abs. 5 StVO folgenden hohen Sorgfaltspflichten eine Kollision allein deswegen erfolgen kann, weil der nachfolgende Verkehr alle deutlichen Anzeichen für das beabsichtigte Manöver schlicht übersieht oder allein deshalb auf den Abbiegenden auffährt, weil er seinen Pflichten aus § 4 Abs. 1 StVO (Einhaltung eines genügenden Abstands) nicht genügt. Auch gibt es keinen Anschein für die Unfallursächlichkeit einer Verletzung der vorstehend beschriebenen Pflichten des Abbiegers. Die Möglichkeiten des Abbiegers, auf den rückwärtigen Verkehr zu reagieren, sind tatsächlich sehr begrenzt. Wenn er vor dem Abbiegen (nahezu) zum Stehen gekommen ist, erscheint fraglich, wann er bei einem sich von hinten nähernden Fahrzeug das Bestehen einer Gefahr erkennen können soll und ob er bei dem Erkennen einer Gefahr überhaupt noch wirksam reagieren kann. Von einer typischerweise vorliegenden Verantwortung des Abbiegers für einen Auffahrunfall kann man daher auch aus diesem Grund nicht die Rede sein (so zutr. OLG Düsseldorf, aaO, Rn. 31 ff., juris).

b) Zunächst ist der Beweis nicht durch die Parteianhörung der Klägerin geführt. Das Gericht vermag keinen Grund zu erkennen, der Unfallschilderung der Klägerin gegenüber der Unfallschilderung des Beklagten zu 1 den Vorzug zu geben. Der Unfall kann sich vielmehr sowohl so ereignet haben, wie ihn die Klägerin geschildert hat (plötzliches Abbremsen ohne Blinken und Einordnen), als auch so, wie ihn der Beklagte zu 1 geschildert hat (normales Abbremsen mit rechtzeitigem Blinken und Einordnen). Soweit die Klägerin auf den Inhalt der Unfallmitteilung verweist, hat der Beklagte zu 1 im Termin anschaulich geschildert, wie es zu der dort gewählten Formulierung „Ich habe zu spät geblinkt“ gekommen ist, nämlich durch eine Suggestivfrage des aufnehmenden Polizeibeamten. Ein eigenständiger Beweiswert kommt dem Inhalt der Unfallmitteilung, die letztlich nur die Rechtsauffassung des aufnehmenden Polizeibeamten widerspiegelt, nicht zu.

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c) Auch ist der Beweis nicht durch die Vernehmung der Zeugin L geführt. Dabei kann das Gericht offenlassen, ob die Aussage der Zeugin uneingeschränkt glaubhaft ist. Eine nähere Würdigung der Aussage ist nicht veranlasst, da die Zeugin zum Unfallhergang selbst und zu den Fahrbewegungen der Fahrzeuge einschließlich der Intensität des Bremsens unmittelbar vor der Kollision keine Wahrnehmung geschildert hat und ihre Bekundungen zur Betätigung des Blinkers am Beklagtenfahrzeug jedenfalls nicht den zu beweisenden Klägervortrag stützen.

d) Schließlich ist der Beweis auch nicht durch das schriftliche Gutachten des Sachverständigen T3 geführt. Dieser ist als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle für die Erstattung von Gutachten der vorgelegten Art in besonderem Maße qualifiziert. Er ist nach eingehender Beschäftigung mit den Schadensbildern an beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen sowie den fahrphysikalischen Notwendigkeiten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unfallhergang – insbesondere das Brems- und Abbiegeverhalten des Beklagtenfahrzeugs – mangels ortsfester Spuren nicht rekonstruierbar sei.

3. Die Klägerin hat – wie sich aus dem Vorstehenden ergibt – auch nicht den vollen Beweis eines zumindest mitunfallursächlichen Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1 geführt. Wie bereits ausgeführt, rechtfertigt der Grad der Verkehrswidrigkeit ihres im Wege des Anscheinsbeweises bewiesenen Verhaltens es, auch die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurücktreten zu lassen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Der Streitwert für die Gerichtsgebühren wird auf 9.179,42 EUR festgesetzt.

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