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Verkehrsunfall – Verstoßes des Fußgängers gegen § 25 StVO

LG Bochum – Az.: 6 O 233/14 – Urteil vom 04.08.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen der Kläger zu 1.) 46 % und die Klägerin zu 2.) 54 %. Im Übrigen tragen die Kläger ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Am 04.01.2013 kam es gegen 17:01 Uhr in X zu einem Verkehrsunfall zwischen den Beteiligten. Der Beklagte zu 1.) fuhr den PKW Opel mit dem amtlichen Kennzeichen ###, welcher bei der Beklagten zu 2.) haftpflichtversichert ist, die F-straße in südwestlicher Richtung und erfasste die Kläger als Fußgänger beim Überqueren der Straße, wodurch diese schwer verletzt wurden.

Zum Unfallzeitpunkt herrschte bereits Dunkelheit und die Fahrbahn war nass. Die Kläger waren dunkel gekleidet. Lediglich die Klägerin trug eine hellbeige Hose und beige Schuhe, dazu einen schwarzen Parker und ging aus Beklagtensicht hinter dem Kläger.

Beide Kläger erlitten schwerste Verletzungen, es bestand Lebensgefahr.

Der Kläger erlitt u.a. schwerste Kopf- und Lungenverletzungen. Wegen der weiteren Verletzungen wird auf Bl. 6 ff. d. A. verwiesen.

Die Klägerin erlitt ebenfalls schwerste Kopf- und Lungenverletzungen, u.a. einen Lungenriss und einen doppelten Genickbruch. Wegen der weiteren Verletzungen wird auf Bl. 16 ff. d. A. verwiesen.

Die Kläger wurden zunächst auf der Intensivstation behandelt, der Kläger in der Zeit vom 04.01. – 06.02.13 und die Klägerin vom 04.01. – 19.01.13. Im Laufe der intensivmedizinischen Behandlung des Klägers traten noch eine Lungenentzündung und eine Harnwegsinfektion auf. Der Kläger erhielt insgesamt 16 Bluttransfusionen. Auch antibiotische Therapien wurden notwendig. Zudem wurde ein Luftröhrenschnitt nötig.

Im Anschluss erfolgte bei beiden die Verlegung auf die reguläre Station. Diese dauerte bis zum 20.02.2013.

Im Anschluss daran erfolgte die Verlegung in die stationäre Rehabehandlung in die N-Klinik in Bad P. Die Behandlungsdauer war vom 20.02.2013 bis zum 27.03.2013, wo auch eine neuropsychologische Behandlung wegen der unfallbedingten psychischen Situation erfolgte.

Die Klägerin erlitt bei anschließenden Operationen einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Ursache war eine sog. Kardiomyokardie. Die stationäre Behandlung diesbezüglich erfolgte bis zum 08.04.2013.

Durch Schwerbehindertenbescheid vom 18.07.2013 wurde bei der Klägerin eine Schwerbehinderung von 100 % mit dem Merkzeichen „G“ und „B“ festgestellt.

Ein gegen die Kläger geführtes Ermittlungsverfahren ist am 30.09.2013 gemäß § 170 II StPO eingestellt worden. Das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten zu 1.) ist gemäß § 153 StPO vor der Eröffnung des Hauptverfahrens ohne Auflagen eingestellt worden.

Die Kläger machen geltend, dass der Beklagte zu 1.) den Unfall überwiegend verschuldet habe. Er sei zu schnell gefahren, jedenfalls aber nicht mit angemessener Geschwindigkeit, da es dunkel und nass und die Straße kurvenreich gewesen sei. Bei angemessener Geschwindigkeit habe er die Kläger schon aus ca. 80 m Entfernung sehen müssen. Insoweit liege ein Verstoß des Beklagten zu 1.) gegen § 3 Abs. 1 StVO vor, der die Betriebsgefahr des Beklagten zu 1.) keineswegs zurücktreten lasse.

Beide Kläger würden unter Dauerschäden leiden. Nach der Entlassung sei in der ambulanten Unfallchirurgie des Uniklinikums C festgestellt worden, dass sich das linke Bein des Klägers unfallbedingt um 2,5 cm verkürzt habe. Der Kläger leide bis heute unter Bewegungsschmerzen, Schwellungen im Unterschenkel, Schulter und Nackenschmerzen und sei auf Kompressionsstrümpfe angewiesen. Am 17.07.2013 sei der Kläger gezwungen gewesen, sich aufgrund des durch das Unfallereignis erlittenen Karpaltunnelsyndroms einer weiteren Operation zu unterziehen.

Die Klägerin befinde sich bis heute in Psychotherapie und müsse mehrfach wöchentlich zur Reha. Auch eine weitere Operation sei nötig.

Beide Kläger litten unter schweren psychischen Beeinträchtigungen durch den Unfall, insbesondere unter Angstzuständen aufgrund der ungewissen eigenen Situation.

Der Kläger begehrt Ersatz von Sachschäden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 2/3 zu Lasten der Beklagten in Höhe von 5.052,66 EUR für beschädigte Kleidung, eine beschädigte Brille, Reparatur des Hörgerätes und für eine unfallbedingte Anschaffung eines Automatik-PKW. Zudem macht der Kläger in Höhe von 9.555,00 EUR Haushaltsführungskosten sowie eine Vorauszahlung für die Haushaltsführungskosten in Höhe von 195,00 EUR pro Monat geltend.

Die Klägerin begehrt Ersatz von Sachschäden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 2/3 zu Lasten der Beklagten in Höhe von 812,00 EUR für beschädigte Kleidung und eine beschädigte Brille. Zudem macht die Kläger in Höhe von 9.935,25 EUR Haushaltsführungskosten, Pflegekosten in Höhe von 1.638,00 EUR sowie eine Vorauszahlung für die Haushaltsführungskosten in Höhe von 195,00 EUR pro Monat geltend.

Insoweit werde das Gericht ersucht, die Beiträge im Rahmen des § 287 I ZPO zu schätzen.

Die Kläger sind zudem der Ansicht, dass für den Kläger ein Schmerzensgeld von mind. 75.000,00 EUR, mithin also 50.000,00 EUR bei Berücksichtigung der Haftungsquote und für die Klägerin von mindestens 90.000,00 EUR, mithin also 60.000,00 EUR bei Berücksichtigung der Haftungsquote angemessen seien.

Die Kläger beantragen,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 1.) ein angemessenes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.02.2014 zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 1.) 9.927,66 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.02.2014 sowie 4.680,00 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 04.06.2016 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.035,47 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.02.2014 zu zahlen,

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 1.) ab dem 01.06.2016 eine vierteljährlich vorauszahlbare monatliche Rente in Höhe von 195,00 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt, jeweils im Voraus zum 01.06., 01.09, 01.12., 01.03. eines jeden Jahres zu bezahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger zu 1.) sämtlichen zukünftigen materiellen sowie derzeit nicht absehbaren immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 04.01.2013 mit einer Haftungsquote von 2/3 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,

5. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2.) ein angemessenes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13.03.2014 zu zahlen,

6. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2.) 7.705,25 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13.03.2014 sowie 4.680,00 nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.06.2016 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.288,34 EUR zu zahlen,

7. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2.) ab dem 01.06.2016 eine vierteljährlich vorauszahlbare monatliche Rente in Höhe von 195,00 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt, jeweils im Voraus zum 01.06., 01.09, 01.12., 01.03. eines jeden Jahres zu bezahlen,

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8. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 2.) sämtlichen zukünftigen materiellen sowie derzeit nicht absehbaren immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 04.01.2013 mit einer Haftungsquote von 2/3 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten machen geltend, die Kläger treffe ein überwiegendes Verschulden an dem Unfall, das die Betriebsgefahr des Beklagten-Fahrzeug völlig verdränge. Die Kläger, die außerhalb eines gekennzeichneten Fußgängerüberweges die Fahrbahn querten, hätten besondere Vorsicht aufwenden müssen.

Die Kläger hätten das optisch und akustisch wahrnehmbare Fahrzeug des Beklagten zu 1.), dessen Fahrlicht eingeschaltet und das trotz des Kurvenverlaufs der Straße für die Kläger bei Betreten der Fahrbahn sichtbar gewesen sei, erkennen müssen. Insoweit läge ein grober Verstoß gegen § 25 StVO vor.

Der Unfall sei zudem in dem von dem Sachverständigen ermittelten Geschwindigkeitsbereich von 66-81 km/h nicht vermeidbar gewesen. Die Kläger hätten unverantwortlich die Fahrbahn betreten. Jedenfalls habe der Beklagte aber eine adäquate Vollbremsung durchgeführt.

Die Beklagten machen zudem geltend, dass die Schmerzensgelder zu hoch angesetzt seien. Maßgeblich für die Bemessung seien vor allem die Dauerfolgen, die nur eingeschränkt darlegt worden seien. Auch die weiteren Schadensersatzansprüche werden bestritten, insbesondere sei eine Haushaltsführungsrente unbegründet, weil insoweit unterstellt werde, dass bei den Klägern eine fortlaufend gleiche Leistungsfähigkeit vorliege, ohne den gewöhnlichen Alterungsprozess zu berücksichtigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung und Verwertung des Sachverständigengutachtens von Herrn Dipl.-Ing. V vom 17.05.2013 aus dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bochum zu dem Aktenzeichen 472 Js 1/13 gemäß § 411 a ZPO. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen (Bl. 38 ff. d. beigezogenen Ermittlungsakte) Bezug genommen. Weiter hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Herrn Dipl.-Ing. V vom 13.11.2015. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen (Bl. 198 ff. d. A.) Bezug genommen. Zudem hat das Gericht den Sachverständigen Dipl.-Ing. V in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Anhörung wird auf die Sitzungsprotokolle vom 30.10.2014 (Bl. 138 f. d. A.) und vom 14.07.2016 (Bl. 284 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Verkehrsunfall - Verstoßes des Fußgängers gegen § 25 StVO
(Symbolfoto: ambrozinio/Shutterstock.com)

Der Klägerseite stehen gegen die Beklagten keine Ansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG oder aus anderen Rechten zu.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten als Halter, Fahrer und Versicherer des auf der Beklagtenseite beteiligten Fahrzeuges für die eingeklagten materiellen und immateriellen Schäden ergibt sich zwar aus §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Denn diese Schäden sind bei dem Betrieb des Kraftfahrzeuges entstanden, § 7 Abs. 1 StVG.

Sie wurden auch nicht durch höhere Gewalt verursacht, § 7 Abs. 2 StVG. Denn es liegt kein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlungen dritter betriebsfremder Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis vor, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden konnte.

Offen bleiben kann indes die Feststellung, ob die Beklagten den Unabwendbarkeitsnachweis gemäß § 17 Abs. 3 StVG führen können oder nachweisen können, dass der Unfall nicht auf ein Verschulden des beklagten Fahrers zurückzuführen ist, § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 06.09.2012 – I-1 W 31/12).

Denn es liegt ein grob fahrlässiger Verstoß der Kläger gegen ihre Sorgfaltspflichten aus § 25 Abs. 3 StVO vor, der die Betriebsgefahr der Beklagten vollends zurücktreten lässt.

Im Verhältnis der Parteien zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein

geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Jedoch können im Rahmen dieser Abwägung zu Lasten einer Partei nur solche Umstände berücksichtigt werden, die als unfallursächlich feststehen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des Gerichts, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (§ 286 ZPO), fest, dass die Kläger die Fahrbahn überquert haben, ohne den Vorfahrt berechtigten Verkehr gewähren zu lassen.

Hierfür spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Ereignet sich ein Verkehrsunfall in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Überqueren der Fahrbahn durch einen Fußgänger, so streitet der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Fußgänger unter Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 25 Abs. 3 StVO ohne hinreichende Beachtung des Fahrzeugsverkehrs auf die Fahrbahn getreten ist (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil v. 13.04.2010 – 4 U 425/09 -). Diesen Anscheinsbeweis haben die Kläger nicht erschüttert. Sie haben keine Umstände dargelegt, die für eine atypische Verkehrsunfallsituation sprechen, noch dargelegt, dass der Beklagte bei Beginn der Überquerung noch nicht wahrgenommen werden konnte. Der Fahrzeugverkehr ist auf Fahrbahnen bevorrechtigt. Ihm ist durch den Fußgänger der Vorrang zu gewähren. Auch hat dieser beim Überqueren der Fahrbahn besondere Vorsicht zu wahren (vgl. BGH NJW 2000, 3069). Der Fußgänger muss auf den Verkehr achten und auf ihn Rücksicht nehmen (aaO.). Er muss darauf bedacht sein, nicht in die Fahrbahn eines sich nähernden Fahrzeugs zu geraten. Wenn ein Fußgänger sich nicht entsprechend einrichtet, handelt er in der Regel grob fahrlässig (Landgericht Schwerin, Urteil vom 14.12.2012 Az. 1 O 8/12).

Nach den Feststellungen des Gerichts ist davon auszugehen, dass sich die Kläger vor dem Betreten der Straße nicht im ausreichenden Maße davon überzeugt haben, dass sie den herannahenden fließenden Verkehr nicht behindern. Das Gericht folgt insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. V in seinen schriftlichen Gutachten vom 17.05.2013 und 13.11.2015 sowie den mündlichen Erläuterungen im Termin vom 14.07.2016.

Die Ausführungen des Sachverständigen sind in jeder Hinsicht schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend.

Demnach war das Licht des Fahrzeugs des Beklagten zum Unfallzeitpunkt eingeschaltet und das Fahrzeug des Beklagten daher für die Kläger sowohl bei einer angenommen Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten von 66 km/h als auch bei einer angenommenen Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten von 81 km/h bei Betreten der Fahrbahn optisch und akustisch erkennbar. Hätten Sie vor dem Betreten der Fahrbahn mit der gebotenen Sorgfalt nach links geschaut, hätten sie den herannahenden Beklagten erkennen müssen und durch Stehenbleiben den Unfall vermeiden können.

Auch die Voraussetzungen für ein Zurücktreten der Haftung der Kläger wegen dessen offener Erkennbarkeit oder einer überhöhten Geschwindigkeit des Unfallfahrzeugs sind nicht erfüllt.

Der Beklagte zu 1.) durfte auch darauf vertrauen, dass keine Fußgänger die Fahrbahn unachtsam betreten. Abwehrmaßnahmen muss der Beklagte erst ergreifen, wenn er ein Fehlverhalten eines Fußgängers bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen muss. Insgesamt ist festzuhalten, dass der Beklagte zu 1.) das Verhalten der Kläger auch bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht ohne weiteres erkennen konnte, da diese für ihn vor Einfahrt der Kurve nicht sichtbar waren. Bereits nach eigenen Angaben der Kläger waren diese dunkel gekleidet. Angesichts des Umstandes, dass zum Unfallzeitpunkt bereits Dunkelheit geherrscht hat, steht für das Gericht fest, dass die Kläger für den Beklagten zu 1.) vor dem Betreten der Fahrbahn nicht sichtbar gewesen waren. Erst als dieser die Kurve passierte und die Kläger die Fahrbahn unvermittelt überquerten, waren die Kläger für den Beklagten erkennbar.

Die Kläger haben daher in grob fahrlässiger Weise gegen ihre Pflichten als Fußgänger aus § 25 Abs. 3 StVO verstoßen.

In diesem Zusammenhang kann, wie bereits dargelegt, letztlich dahinstehen, ob sich der Beklagte zu 1.) wie ein Idealfahrer verhalten hat und der Unfall für Ihn ein unabwendbares Ereignis war. Denn nicht jeder vermeidbare Unfall beruht auf einem Sorgfaltsverstoß des Fahrers. Selbst wenn er sich nicht wie ein Idealfahrer verhalten hat, kann die lediglich einfache Betriebsgefahr hinter dem groben Verschulden eines Fußgängers zurücktreten. Das Verschulden der Kläger, hier in Form des grob fahrlässigen Verkehrsverstoßes überwiegt derart, dass die vom Beklagten zu 1.) ausgehende Ursache, seine einfache Betriebsgefahr, völlig zurücktritt.

Denn eine Geschwindigkeit, die die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Beklagten zu 1.) erhöht hätte, konnte das Gericht nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit feststellen.

Das Gericht folgt auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. V in seinen schriftlichen Gutachten vom 17.05.2013 und 13.11.2015 sowie den mündlichen Erläuterungen im Termin vom 14.07.2016.

Die Ausführungen des Sachverständigen sind in jeder Hinsicht schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend.

Demnach stellt die durch den Sachverständigen festgestellte Kratzspur den Kollisionsort dar. Insoweit konnte der Sachverständige in jeder Hinsicht schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend darlegen, dass die festgestellte Kratzspur nur verursacht werden konnte, wenn der Kläger zu 1.) den Regenschirm linksseitig getragen hat. Denn nur in diesem Fall, ist es angesichts der Kollision zwischen Pkw und Fußgänger mit Regenschirm sicher davon auszugehen, dass die festgestellte Kratzspur verursacht wurde. Auszuschließen ist daher, dass ein anderer Kollisionsort anzunehmen ist. Ausgehend davon errechnet sich bei einer angenommen Gehgeschwindigkeit der Kläger von rund 1,4 m/s, die einer durchschnittliche Geschwindigkeit für die Altersgruppe Frauen zwischen 60 und 65 Jahre entspricht, eine Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten von 66 km/h. Bei einer angenommen Gehgeschwindigkeit der Kläger von rund 1,0 m/s, die einer durchschnittliche Geschwindigkeit für die Altersgruppe Männer zwischen 75 und 80 Jahre entspricht, errechnet sich eine Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten von 81 km/h. Gefolgt wird bei diesen Berechnungen insbesondere auch der von dem Sachverständigen zugrunde gelegten Reaktionszeit von einer Sekunde. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend und schlüssig dargelegt hat, ist bei dem vorliegenden Unfall nicht die von dem 20. Verkehrsgerichtstag empfohlene Basisreaktionszeit von 0,6 s anzunehmen. Diese Basisreaktionszeit basiert auf Untersuchungen, bei denen die Probanden auf die Reaktion vorbereitet waren und daher insoweit schneller reagieren als in Alltagssituation. Dies ist aber nicht vergleichbar mit der vorliegenden Situation, wo der Beklagte im Dunkeln auf die Fahrbahn überquerende Fußgänger reagieren muss. Auch wenn in anderen Gutachten, insbesondere in den seitens der Kläger beauftragten Gutachtenbüro T, in vergleichbaren Fällen Reaktionszeiten von 1,2 – 1,5 s zugrunde gelegt werden, ist die hier angesetzte Reaktionszeit von 1,0 Sekunden nicht zu beanstanden.

Welche Gehgeschwindigkeit die Kläger hatten, vermochte das Gericht nicht feststellen. Zwar ist nach den Ausführungen des Sachverständigen, welchen das Gericht auch in diesem Punkt folgt, wegen des nicht gravierenden seitlichen Beulenversatzes von einer geringen Gehgeschwindigkeit der Kläger auszugehen. Berücksichtigt werden muss dabei aber, das der Beulenversatz es gerade nicht erlaube, die Geschwindigkeit genau einzugrenzen. Auch Studien oder Statistiken, die eine Durchschnittsgehgeschwindigkeit erkennen lassen, wenn zwei Personen eingehackt gemeinsam laufen, aber zu unterschiedlichen Altersgruppen gehören, wie die Kläger dies vorliegend taten, sind dem Sachverständigen nicht bekannt.

Insoweit konnte die Gehgeschwindigkeit der Kläger nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, sodass zur Überzeugung des Gerichts lediglich feststeht, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten entweder 66 km/h oder 81 km/h betrug. Den Klägern gelingt in diesem Zusammenhang damit jedoch nicht der Beweis, dass der Beklagte zu 1.) sicher zu schnell, mithin schneller als die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h, zum Unfallzeitpunkt gefahren ist.

Auch der Einwand der Kläger, dass aufgrund der festgestellten Bruchspinne von einer Kollisionsgeschwindigkeit von rund 60 km/h auszugehen sei, mit der Folge einer höheren Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten, überzeugt nicht. Das Gericht folgt auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. V in der mündlichen Erläuterung im Termin vom 14.07.2016.

Demnach ist die Entstehung der festgestellten Bruchspinne auch bei Geschwindigkeiten von rund 43 km/h bzw. 48 km/h möglich. Die Geschwindigkeiten basieren auf Unfallversuchen, die aus der Datenbank der CTS stammen. Diesbezüglich steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die von dem Sachverständigen ermittelte Kollisionsgeschwindigkeit von 57 km/h nicht zu beanstanden ist.

Der Beklagte zu 1.) brauchte seine Geschwindigkeit überdies nicht auf die stets bestehende Möglichkeit einzurichten, dass plötzlich Fußgänger unvorsichtig auf die Fahrbahn treten. Insoweit ergibt sich auch aus dem Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 StVO keine Pflichtverletzung des Beklagten zu 1.). Zwar darf nach § 3 Abs. 1 StVO grundsätzlich nur mit einer solchen Geschwindigkeit gefahren werden, dass vor Hindernissen auf der Fahrbahn angehalten werden kann. Dieses Sichtfahrgebot bezieht sich aber lediglich auf Hindernisse, die ein Kraftfahrer in der konkreten Situation in Rechnung stellen muss, es gilt dagegen nicht für Hindernisse die plötzlich von der Seite in die Fahrbahn gelangt (vgl. BGH NJW 1985, 1950). Letzteres war hier jedoch der Fall, denn die Kläger haben die Fahrbahn für den Beklagten zu 1.) unvermittelt überquert.

Angesichts des festgestellten groben Verstoßes der Kläger gegen die Sorgfaltspflichten aus § 25 Abs. 3 StVO tritt die einfache Betriebsgefahr des Beklagten dahinter vollends zurück.

Mangels bestehender Leistungsansprüche sind weder die Feststellungsanträge begründet, noch stehen den Klägern die geltend gemachten Nebenforderungen zu.

Insgesamt war daher die Klage abzuweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 100 Abs. 2, 709 S. 1 und 2 ZPO.

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