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Verkehrsunfall – Vorfahrtsverletzung durch einen älteren Verkehrsteilnehmer

Unfall mit Pedelec: Erblasser trägt alleinige Haftung

In einem Rechtsstreit um Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld hat das Gericht die Klage der Erbinnen eines tödlich verunglückten Pedelec-Fahrers abgewiesen. Der Erblasser hatte bei einem Unfall mit einem Pkw schwere Verletzungen erlitten, die letztendlich zu seinem Tod führten. Die Klägerinnen forderten Schadensersatz auf der Grundlage einer 25%igen Haftung der Beklagten.

Direkt zum Urteil: Az.: I-9 U 157/21 springen.

Keine Verstöße der Beklagten

Das Gericht entschied, dass die Betriebsgefahr des Pkw vollständig hinter dem erheblichen Eigenverschulden des Erblassers zurückzutreten habe. Es wurden keine Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung seitens des Beklagten festgestellt. Der Beklagte hatte keine Chance, die Kollision zu vermeiden und durfte auf sein Vorfahrtsrecht vertrauen.

Grobe Verkehrsverstöße des Erblassers

Der Erblasser hatte mehrere grobe Verkehrsverstöße begangen, darunter das Missachten der Vorfahrtsregeln und das Befahren des Radwegs entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Diese Verstöße waren subjektiv nicht entschuldbar und führten zur vollständigen Haftung des Erblassers für den Unfall.

Keine Haftung für die Beklagten

Das Gericht wies die Klage der Erbinnen ab, da der Beklagte keine Verantwortung für den Unfall trug. Die Betriebsgefahr des Pkw trat vollständig hinter dem erheblichen Eigenverschulden des Erblassers zurück.

Keine Erfolgsaussichten für die Berufung

Die Berufung der Klägerinnen hat laut Senat keine Aussicht auf Erfolg. Eine Entscheidung durch Urteil ist nicht erforderlich, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dies erfordern.

Vertrauensgrundsatz und keine besondere Sorgfaltspflicht

Der Senat teilt die Rechtsauffassung des Landgerichts und sieht keine Verletzung des Straßenverkehrsrechts. Der Vertrauensgrundsatz ermöglicht es dem Vorfahrtsberechtigten darauf zu vertrauen, dass der Einbiegende sein Vorrecht beachten werde. Der Beklagte zu 1) musste keine besondere Rücksichtnahme aufgrund des Alters des Erblassers zeigen. Eine erhöhte Sorgfaltspflicht ist nur gegeben, wenn die Gefahr verkehrswidrigen Verhaltens vorhersehbar ist. Die vom Landgericht festgestellte grobe Fahrlässigkeit des Erblassers ist nachvollziehbar und die daraus gezogene Wertung, dass die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges zurückzutreten hat, ist nicht zu beanstanden.

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Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-9 U 157/21 – Beschluss vom 08.03.2022

Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 27.09.2021 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster ist nach dem einstimmigen Votum des Senats offensichtlich aussichtslos. Es ist daher beabsichtigt, diese durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

1.

Die Klägerinnen sind die Erbinnen des am 10.06.2019 verstorbenen Unfallbeteiligten A. Der am 07.01.1938 geborene Erblasser, mit dem die Klägerinnen in einem Haushalt lebten; befuhr am 09.03.2019 mit seinem Pedelec den baulich abgetrennten Radweg am Kreisverkehr C Straße/ D Straße/ E Straße/ F-straße in G entgegen der vorgegebenen Fahrtrichtung.

Der Beklagte zu 1) fuhr zum gleichen Zeitpunkt mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h auf der E Straße auf den Kreisverkehr zu. Aus seiner Sicht von rechts kommend fuhr der Erblasser mit seinem Pedelec nebst Anhänger und darauf befindlichen Einkäufen auf die Straße und querte die Fahrbahn des Beklagten zu 1) von rechts nach links, wobei es zur Kollision der beiden Fahrzeuge kam.

Der Erblasser stürzte bei dem Unfall und zog sich einen komplizierten mehrfachen Beckenbruch zu, der im Endeffekt für seinen Tod verantwortlich war. Die Klägerinnen begehren mit der Klage ein auf sie im Wege der Erbfolge übergegangenes Schmerzensgeld des Erblassers in Höhe von 5.000,00 Euro sowie ein eigenes Hinterbliebenengeld in Höhe von 3.000,00 bzw. 2.500,00 Euro, weiteren Schadensersatz in Höhe von 748,11 Euro und vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 958,19 Euro auf der Grundlage einer Haftung der Beklagten von 25 %.

Zur Begründung haben sie ausgeführt, der Erblasser habe sich bereits vollständig auf der Straße befunden, als er vom Beklagtenfahrzeug erfasst worden sei. Der Beklagte zu 1) habe die Kollision vermeiden können. Ihm habe gegenüber querenden Radfahrern eine erhöhte Sorgfaltspflicht oblegen.

Die Beklagten haben hingegen behauptet, der Beklagte zu 1) habe keine Chance gehabt, die Kollision zu vermeiden. Der Erblasser sei erst auf die Fahrbahn aufgefahren, als das Beklagtenfahrzeug sich bereits in unmittelbarer Nähe befunden habe. Der Beklagte zu 1) habe den Erblasser auch wegen der örtlichen Situation und Bebauung erst im letzten Moment wahrnehmen können.

2.

Das Landgericht hat den Zeugen H zum Unfallhergang angehört und ein verkehrsanalytisches Sachverständigengutachten eingeholt. Sodann hat es die Klage mit der angefochtenen Entscheidung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Ersatzpflicht der Beklagten sei zwar nicht nach den §§ 7 Abs. 2, 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, zumal letztgenannte Vorschrift auch gegenüber einem Radfahrer nicht anwendbar sei. Gemäß § 9 StVG finde allerdings die Vorschrift des § 254 BGB Anwendung mit der Folge, dass eine Haftungsabwägung nach den zu § 17 Abs. 1 StVG entwickelten Rechtsgrundsätzen stattzufinden habe. Dies führe dazu, dass die vom Fahrzeug des Beklagten zu 1) ausgehende Betriebsgefahr ausnahmsweise vollständig hinter dem erheblichen Eigenverschulden des Erblassers an der Kollision zurückzutreten habe. Im Rahmen der Abwägung sei auf Klägerseite als Verursachungsbeitrag ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 StVO, gegen § 10 StVO und gegen § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO zu berücksichtigen, da der Erblasser die Vorfahrt des Beklagten zu 1) nicht beachtet, die Sorgfaltspflichten beim Einfahren vom Radweg auf die Fahrbahn verletzt und schließlich den Radweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren habe.

Auf Beklagtenseite sei kein Verstoß gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung feststellbar. Insbesondere sei dem Beklagten zu 1) kein Verstoß gegen seine Pflichten aus den §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO anzulasten. Ein Verstoß gegen das verkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot, insbesondere in kritischen Fällen auf das Vorfahrtsrecht zu verzichten, käme vorliegend dann in Betracht, wenn der Beklagte zu 1) erkannt hätte, dass der Erblasser ihm die Vorfahrt nehmen würde und er dennoch auf sein Vorfahrtsrecht beharrt hätte. Das sei jedoch schon nicht vorgetragen. Auch Tatsachen, die einen Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO begründen könnten, seien nicht dargetan. Der besondere Schutz des § 3 Abs. 2a StVO greife nur ein, wenn der ältere Mensch sich in einer Verkehrssituation befinde, in der erfahrungsgemäß damit gerechnet werden müsse, dass er aufgrund seines Alters das Geschehen nicht mehr voll werde übersehen und meistern können. Dafür sei hier nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Die groben Verkehrsverstöße des Erblassers gingen hier auch mit einem subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt einher. Der Erblasser habe die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen, was vorliegend jedem verständigen Verkehrsteilnehmer hätte einleuchten müssen. So sei er blindlings, ohne auf den Kraftfahrzeugverkehr zu achten und ohne seine Absicht kenntlich zu machen, auf die E Straße gefahren. Dieser objektiv grobe Pflichtverstoß sei auch subjektiv schlechthin nicht entschuldbar. Der Beklagte zu 1) habe nicht damit rechnen müssen, dass aus der falschen Richtung Radfahrer nahen würden. Er durfte auch darauf vertrauen, dass sein Vorfahrtsrecht durch den Erblasser beachtet werde. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der Fahrradweg, den der Erblasser befahren habe, sich ausweislich der zur Akte gereichten Lichtbilder kurz vor dem Überweg über die Straße gabele, so dass entweder über die E Straße oder entlang der E Straße habe weitergefahren werden können. Selbst wenn der Beklagte zu 1) den Erblasser frühzeitig habe sehen können, habe er nicht damit rechnen müssen, dass dieser ihm das Vorfahrtsrecht nehme. Denn unstreitig habe der Erblasser mit der einen Hand das Fahrrad gelenkt und mit der anderen Hand die Einkäufe festgehalten, also auch kein Handzeichen machen können, aus dem der Beklagte zu 1) hätte ersehen können, dass der Erblasser seine Fahrbahn zu kreuzen beabsichtigt habe. Für den Beklagten zu 1) sei kurz vor dem Unfall nicht erkennbar gewesen, dass der Erblasser seine Fahrbahn kreuzen würde, umgekehrt jedoch ohne Weiteres für den Erblasser, dass er die Fahrbahn des Beklagten zu 1) kreuzen werde. Diesem Ergebnis stehe nicht entgegen, dass der Beklagte zu 1) möglicherweise den Unfall durch frühzeitiges Bremsen hätte vermeiden können. Dies sei nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht sicher feststellbar. Die Vermeidbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 1) hänge letztlich von der vom Erblasser gefahrenen Geschwindigkeit ab. Die mögliche Geschwindigkeit sei für das Pedelec mit 10 bis 15 km/h einzugrenzen. Bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h habe der Beklagte den Unfall nicht mehr durch rechtzeitiges Bremsen vermeiden können, während bei einer Geschwindigkeit des Erblassers um 10 km/h dies noch möglich gewesen wäre. Die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens stelle einen erheblichen Abwägungsfaktor dar, sei jedoch kein zwingendes Erfordernis für das vollständige Zurücktreten der einfachen Betriebsgefahr. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass das Beklagtenfahrzeug unstreitig und auch nach den Feststellungen des Sachverständigen mit einer geringen Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h und damit deutlich unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren sei.

3.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerinnen, mit der sie ihre Ausgangsanträge weiter verfolgen. Sie sind der Auffassung, das Landgericht habe verkannt, dass dem Beklagten zu 1) ein Verstoß gegen die ihm im Straßenverkehr einzuhaltenden Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten vorzuwerfen sei. Auch der vorschriftsmäßig Fahrende sei zur Unfallverhütung verpflichtet und dürfe nicht auf sein Recht pochen, sondern müsse seinerseits das Möglichste tun, eine Gefahr abzuwenden. Wie sich aus S. 6 des in erster Instanz eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Früh ergebe, sei der auf der rechten Seite gelegene Radweg bereits ca. 24 m vor dem Kreisverkehr für den Beklagten zu 1) einsehbar gewesen, so dass auch der von der rechten Seite herannahende Erblasser für den Beklagten zu 1) früh erkennbar gewesen sei. Bei Einhaltung der nach § 1 Abs. 2 StVO gebotenen Sorgfalt hätte sich der Beklagte zu 1) bereits vor dem Einfahren in den Kreisverkehr bzw. Überqueren des Fahrradstreifens auch durch einen Blick nach rechts dahingehend absichern müssen, dass Verkehrsteilnehmer nicht von rechts die Fahrbahn querten.

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Grundlegend hätten Autofahrer damit zu rechnen, dass Radfahrer die Radwege in falscher Richtung befahren. Derartige Verstöße im Kreisverkehr gerade durch Radfahrer und Fußgänger seien keine Seltenheit. Der Beklagte zu 1) habe in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, zunächst nur nach links geschaut zu haben und in dem Zeitpunkt, als er nach rechts geschaut habe, mit seinem Fahrzeug schon auf dem Radfahr- und Fußgängerüberweg gestanden zu haben. Hier sei es auch schon zur Kollision gekommen.

Ferner habe das Landgericht einen Verstoß des Beklagten zu 1) gegen das aus § 3 Abs. 1 Satz 2, 4 StVO folgende Sichtfahrgebot verkannt. Diese Vorschrift verlange, dass stets so gefahren werde, dass der Fahrzeugführer in der Lage sei, das Fahrzeug jederzeit innerhalb der sichtbaren Fahrstrecke anzuhalten. Das Sichtfahrgebot solle auch davor schützen, auf Hindernisse aufzufahren bzw. in solche hineinzufahren. Der Fahrzeugführer müsse stets auch vor unvermuteten Hindernissen anhalten können. Das Sichtfahrgebot habe erfordert, dass der Beklagte zu 1) seine Fahrweise so anpasse, dass er jederzeit auch vor einen Fahrradfahrer oder Fußgänger, der aus seiner Sicht von der rechten Seite auf die Fahrbahn trete oder fahre, hätte anhalten können. Dies gelte umso mehr, als der Erblasser, der von der rechten Seite gekommen sei, schon weit vor dem Zeitpunkt des Einfahrens des Beklagten zu 1) in den Kreisverkehr für diesen erkennbar gewesen sei. Es genüge nicht, weiter in den Kreisverkehr und auf den davor verlaufenden Radweg zu rollen, ohne sich zuvor mit Blick nach rechts zu versichern, dass kein Verkehrsteilnehmer die Fahrbahn überqueren würde.

Schließlich sei auch ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO anzunehmen. Der Erblasser sei zum Zeitpunkt des Unfalls 81 Jahre alt gewesen und gehöre damit zur Schutzgruppe älterer Menschen. Es handele sich auch vorliegend um eine Verkehrssituation, deren Bewältigung schon für sich genommen, damit umso mehr für ältere Menschen mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sei. Dies ergebe sich beim Befahren eines Kreisverkehrs aus der Vielzahl der Verkehrsteilnehmer, die von verschiedenen Richtungen aus den Kreisverkehr befahren bzw. in diesen einfahren. Demnach sei sowohl auf diejenigen zu achten, die in den Kreisverkehr einfahren wollen als auch auf diejenigen, die sich bereits im Kreisverkehr befänden und aus diesem ggf. herausfahren wollten, sowie auf Radfahrer und Fußgänger, die ggf. die Straße dem Kreisverkehr entlang überqueren wollten. Von dieser Verkehrssituation gehe ein erhebliches Überforderungspotenzial aus.

Hinzu komme, dass der Verstorbene erkennbar ein recht schwer beladenes E-Bike benutzt habe.

Unzutreffend sei ferner, dem Erblasser ein grob verkehrswidriges Verhalten vorzuwerfen. Allein der objektive Verstoß des Erblassers gegen die §§ 8, 10 und 2 StVO genüge gerade nicht. Es sei keine Seltenheit, dass ein am Kreisverkehr entlanglaufender Rad- und Fußweg von Radfahrern und Fußgängern entgegen der vorgeschriebenen Richtung benutzt werde. Da der Radweg auf weite Sicht einsehbar sei, gehe von dem Befahren des Radwegs in falscher Richtung auch keine besonders hohe Gefährlichkeit aus. Es stehe fest, dass der Erblasser das Fahrzeug nicht wahrgenommen habe und dem Beklagten zu 1) somit nicht bewusst die Vorfahrt genommen habe. Der Erblasser sei nur mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h gefahren, was gegen eine rücksichtslose Fahrweise spreche. Auch seien die besonderen Bewertungen des § 3 Abs. 2a StVO zu berücksichtigen. Es wäre widersprüchlich, den übrigen Verkehrsteilnehmern gegenüber älteren Menschen erhöhte Sorgfaltspflichten aufzubürden, die insbesondere auf das hohe Alter und die überfordernde Verkehrssituation abstellten, das Verhalten des alten Menschen dann aber als grob verkehrswidrig einzustufen. Das Verhalten des Erblassers habe sich allenfalls im Bereich der einfachen Fahrlässigkeit bewegt. Da dem Erblasser ein grob fahrlässiges Verhalten nicht angelastet werden könne, komme es für die Haftung der Beklagten auf die Vermeidbarkeit des Unfalls durch den Beklagten zu 1) an, die er gerade nicht habe beweisen können.

Wegen der weiteren Ausführungen wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerinnen hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats durch Urteil, insbesondere nicht aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch aus sonstigen Gründen nicht geboten erscheint, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO.

Der Senat ist an die vom Landgericht festgestellten Tatsachen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, da keinerlei Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine neue Feststellung gebieten. Die Berufung zeigt solche auch gar nicht auf. Sie beanstandet lediglich alleine die Rechtsauffassung des Landgerichts. Diese teilt der Senat nach eigener Sachprüfung in allen Punkten und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

1.

Soweit die Klägerinnen meinen, der Beklagte zu 1) habe gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, weil er nicht genügend auf von rechts nahenden Fußgänger- oder Radverkehr geachtet habe, so ist dem entgegenzuhalten, dass das Straßenverkehrsrecht vom allgemeinen Vertrauensgrundsatz beherrscht wird, der sich im Falle des Vorfahrtsrechtes dahingehend manifestiert, dass der sich im fließenden Verkehr bewegende Vorfahrtsberechtigte darauf vertrauen kann, dass der Einbiegende sein Vorrecht beachten werde, sofern nicht Anzeichen für eine bevorstehende Vorfahrtsverletzung sprechen (BGH NJW-RR 2012, 157, 158) und soweit er mit angepasster Geschwindigkeit fährt (s. König, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46.Aufl. 2021, § 8 STVO, Rz. 50 mit zahlreichen Nachweisen). Auch muss der Vorfahrtsberechtigte ohne Grund seine zulässige Fahrgeschwindigkeit nicht vermindern (BGH VersR 1977, 524). Der Beklagte zu 1) fuhr in Annäherung an den Kreisverkehr mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h, wie der Sachverständige festgestellt hat. Eine weitere Reduzierung seiner Geschwindigkeit und prophylaktische Beobachtung des Fahrverhaltens des auf dem Radweg befindlichen Erblassers war in dieser Situation keineswegs geboten. Die anders lautende Auffassung der Berufung würde das gesamte Verkehrsgeschehen zum Erliegen bringen.

2.

Eine noch stärker angepasste Fahrweise des Beklagten zu 1) war auch nicht im Hinblick darauf erforderlich, dass der Erblasser, wahrscheinlich auch für den Beklagten zu 1) erkennbar, im fortgeschrittenen Alter war und somit zur Gruppe der durch § 3 Abs. 2 StVO besonders geschützten Verkehrsteilnehmer gehörte. Voraussetzung einer besonderen Sorgfaltspflicht nach dieser Vorschrift ist es, dass die Person aufgrund äußerer Merkmale erkennbar einer der in der Vorschrift genannten „verkehrsschwachen“ Gruppen angehört und die Gefahr verkehrswidrigen Verhaltens vorhersehbar ist (König, a.a.O., § 3 StVO, Rz. 29b mit zahlreichen Nachweisen). Der besondere Schutz des § 3 Abs. 2a StVO greift ein, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wenn der ältere Mensch bzw. eine andere Person aus dem geschützten Personenkreis sich in einer Verkehrssituation befindet, in der erfahrungsgemäß damit gerechnet werden muss, dass er aufgrund seines Alters das Geschehen nicht mehr voll werde übersehen und meistern können, wobei es konkreter Anhaltspunkte für eine Verkehrsunsicherheit nicht bedarf. Für die Pflicht zu erhöhter Rücksichtnahme kommt es auf die konkrete Verkehrssituation an (BGH, NJW 1994, 2829). Nach dem Schutzzweck des § 3 Abs. 2 a StVO muss jedenfalls die Annäherung der geschützten Personen an die Fahrbahn bzw. die Gefahrensituation erkennbar sein. Der BGH hat daher hinsichtlich des Schutzes von Kindern nur dann von dem Kraftfahrer verlangt, besondere Vorkehrungen (z.B. Verringerung der Fahrtgeschwindigkeit oder Einnehmen der Bremsbereitschaft) zur Abwendung der Gefahr zu treffen, wenn ihr Verhalten oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigen, die zur Gefährdung führen können (vgl. BGH, NZV 2002, 365; Senat, Urteil vom 19.06.2012, 9 U 175/11 – juris). Befindet sich eine ältere Person in einer Lage, in der für sie nach der Lebenserfahrung aber keine Gefährdung zu erwarten ist, so braucht ein Kraftfahrer nicht allein schon wegen ihres höheren Alters ein Höchstmaß an Sorgfalt einzuhalten (BGH NJW 1994, 2829). Nicht jede im Blickfeld des Kraftfahrers erscheinende Person der in § 3 Abs. 2a StVO genannten Gruppen erfordert also in jedem Fall sofortige Verlangsamung, ohne das eine Gefahr für ein verkehrswidriges Verhalten voraussehbar ist.

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen hat das Landgericht zu Recht eine besondere Sorgfaltspflicht des Beklagten zu 1) aus der genannten Vorschrift verneint. In der Tat gehörte der Erblasser mit über 80 Jahren zu der besonders geschützten Gruppe. Der Senat geht auch davon aus, dass dies für den Beklagten zu 1) erkennbar gewesen ist. Dass aber darüber hinaus eine besondere Situation vorlag, die dem Beklagten zu 1) Anlass zur Sorge hätte geben müssen, dass der Erblasser in Gefahr geraten könnte, ist weder ersichtlich noch dargelegt. Allein der Umstand, dass der Erblasser in seinem Alter noch mit Pedelec und Anhänger unterwegs war, dürfte im Gegenteil dem unbefangenen Betrachter die Vermutung nahe legen, dass es sich bei der älteren Person um eine sehr rüstige und straßenverkehrstaugliche handelt.

Dass hier eine besonders gefährliche und für ältere Leute schwer handhabbare Verkehrssituation vorgelegen habe, vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Es mag wohl sein, dass in einem Kreisverkehr vielerlei Fahrvorgänge stattfinden und zu berücksichtigen sind. In der konkreten Situation ging es jedoch lediglich darum, dass der Erblasser das in wenigen Metern Entfernung befindliche Fahrzeug des Beklagten zu 1) und dessen Vorfahrtsrecht hätte erkennen müssen. Inwieweit ihn dies aufgrund seines Alters hätte überfordern sollen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Es erscheint allenfalls denkbar, dass der Erblasser, der ungebremst und sehenden Auges vor das Fahrzeug des Beklagten zu 1) gefahren ist, der – irrtümlichen – Meinung war, er habe gegenüber dem fließenden Verkehr auf der Straße die Vorfahrt, was zwar ein schwerwiegender, jedoch nicht erkennbar altersbedingter Irrtum wäre, den der Beklagte zu 1) keineswegs vorhersehen musste. Im Übrigen, d.h. ohne besondere Anhaltspunkte der oben geschilderten Art, gilt auch gegenüber älteren Menschen der Vertrauensgrundsatz und durfte sich der Beklagte zu 1) darauf verlassen, dass der Erblasser sein deutlich erkennbares vorfahrtsberechtigtes Auto sehen und die Vorfahrt respektieren werde. Insbesondere musste der Beklagte zu 1) sein ohnehin schon unbedenkliches Tempo nicht angesichts des Erblassers mit seinem Pedelec noch weiter herabsetzen (vgl. BayOLG, NJW 1982, 346).

3.

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich bereits, dass auch der Vorwurf der Berufung, der Beklagte zu 1) sei mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren, unberechtigt ist. Soweit die Klägerinnen besonders auf das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO rekurrieren, sei der Hinweis erlaubt, dass das Sichtfahrgebot grundsätzlich nur die Sicht vor dem Fahrzeug und ggf. noch einen angemessenen Seitenraum betrifft. Mit nachträglich von der Seite auftauchenden Hindernissen braucht der Fahrzeugführer in der Regel nicht zu rechnen (König a.a.O., § 3 StVO, Rz. 14 mit weiteren Nachweisen). Dies liegt auch auf der Hand, da schon nicht ersichtlich ist, welche Geschwindigkeit ein Fahrer mit Rücksicht auf plötzlich von der Seite in den Verkehr einfahrende Hindernisse fahren sollte. Das Fahren auf halbe Sicht würde in diesem Falle nichts nützen. Außerdem hat auch hier der Vertrauensgrundsatz Vorrang, jedenfalls angesichts der bereits sehr langsamen Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) und seines Vorfahrtsrechtes.

4.

Schließlich hat das Landgericht dem Erblasser auch zu Recht ein grobes Verschulden an der Entstehung des Unfalls mit Blick auf drei mehr oder weniger gravierende Verkehrsverstöße angelastet. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit in objektiver und subjektiver Hinsicht zutreffend ausgeführt und auf den Fall angewendet. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die entsprechenden Ausführungen Bezug. Danach liegt ein grobes Fehlverhalten in diesem Sinne ohne Weiteres vor, wenn ein wartepflichtiger Radfahrer blindlings und ohne Halt aus einem Feldweg auf eine Landstraße einbiegt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 04.07.2013, 4 U 65/12 – juris) oder ein Radfahrer versucht, gleichsam blindlings von dem rechts von der Fahrbahn verlaufenden Radweg über die gesamte Breite der stadtauswärts führenden Fahrspur einer Straße hinweg in die gegenüberliegende Zufahrt zu mehreren Häusern einzubiegen (Senat, Urteil vom 08.01.2016, 9 U 125/15 – Justiz online). Der vorliegende Fall ist den in den zitierten Entscheidungen zu beurteilenden Fällen in vielerlei Hinsicht ähnlich. Der Erblasser ist von der falschen Seite her, ohne sein Vorhaben anzuzeigen und ohne den Vorrang des Beklagten zu 1) zu beachten, und insbesondere ohne eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, vom Fahrradweg, man muss tatsächlich sagen: blindlings, über die Straße gefahren und hat somit die wesentliche Ursache des Unfalls gesetzt. Die daraus gezogene Wertung des Landgerichts, dass hinter diesem groben Verschulden die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges zurückzutreten hat, ist daher in keiner Weise zu beanstanden.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte zu 1) nicht nachgewiesen hat, dass der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen sei. Nicht nur der Idealfahrer, sondern auch der schuldlos in einen von der Gegenseite grob fahrlässig verursachten Unfall beratene hat für die Unfallfolgen nicht zu haften.

Die Klägerinnen erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Verkehrsrecht (insbesondere Straßenverkehrsordnung – StVO): Das Urteil betrifft einen Verkehrsunfall, bei dem der Erblasser als Pedelec-Fahrer gegen die Vorfahrtsregeln verstoßen und den Radweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befahren hat. Das Gericht entschied, dass die Betriebsgefahr des Pkw hinter dem erheblichen Eigenverschulden des Erblassers zurückzutreten habe und keine Verstöße gegen die StVO seitens des Beklagten festgestellt wurden. Der Beklagte hatte keine Chance, die Kollision zu vermeiden und durfte auf sein Vorfahrtsrecht vertrauen.
  2. Deliktsrecht (insbesondere Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche): Die Klägerinnen forderten Schadensersatz und Hinterbliebenengeld aufgrund der Verletzungen und des Todes des Erblassers. Das Gericht wies die Klage ab, da der Beklagte keine Verantwortung für den Unfall trug und die Betriebsgefahr des Pkw vollständig hinter dem erheblichen Eigenverschulden des Erblassers zurücktrat.
  3. Zivilprozessrecht (insbesondere Berufungsverfahren): Die Berufung der Klägerinnen wurde als aussichtslos angesehen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dies erfordern. Daher war eine Entscheidung durch Urteil nicht erforderlich.

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