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Verkehrsunfall: Wartepflicht vorm Andreaskreuz

LG Saarbrücken, Az.: 9 O 356/12

Urteil vom 08.10.2013

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1) 379.624,38 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.10.2011 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 2) 49.019,59 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.622,74 Euro ab dem 27.08.2009 und aus 22.396,85 Euro ab dem 21.10.2009 zu zahlen.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1) vorgerichtliche Anwaltskosten von 1.660,60 Euro zu erstatten.

4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 2) vorgerichtliche Anwaltskosten von 699,90 Euro zu erstatten;

5. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägerinnen sämtliche Schäden zu ersetzen, die diesen durch das Schadensereignis vom 30.06.2009 in … entstanden sind oder entstehen werden.

6. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Verkehrsunfall: Wartepflicht vorm Andreaskreuz
Symbolfoto: NikD51/Bigstock

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 30.06.2009 um 7.38 Uhr in … zwischen einer Regionalbahn und einem Lastzug ereignet hat.

Die Regionalbahn … kollidierte an dem Bahnübergang …, der sich unmittelbar an der Zufahrt zum Werk der Fa. „…“ befindet, mit dem Sattelzug mit dem amtlichen niederländischen Kennzeichen …, dessen Tieflader sich bei der Kollision auf den Gleisen zwischen den geschlossenen Bahnschranken befand. Der Beklagte zu 2) war Fahrer des LKW´s, deren Halterin die Beklagte zu 1) war. Er wollte mit dem Lastzug auf das Werksgelände fahren, konnte jedoch nicht ungehindert durchfahren. Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig.

Der Klägerin zu 1) sind durch den Unfall Schäden in Höhe von 536.247,90 Euro entstanden (einschließlich 85,20 Euro Kosten für die Einsichtnahme in die Ermittlungsakte), auf die 155.445,42 Euro gezahlt wurden.

Der Klägerin zu 2) sind Schäden in Höhe von 70.027,98 Euro entstanden, die in Höhe von 21.008,39 Euro beglichen wurden.

Die Zahlung seitens der Beklagten erfolgte, weil diese von einem eigenen Haftungsanteil von 30 Prozent ausgehen.

Die Beklagten erklären die Aufrechnung gegenüber der Klägerin zu 1) in Höhe von 5.049,96 Euro. Bei dem Unfall wurde der PKW eines Herrn … beschädigt. Dieser nahm wegen des Fahrzeugschadens die … als seine Kaskoversicherung in Anspruch, welche bei der Beklagten zu 3) 5.150 Euro regressierte. Wegen weitergehender Schäden erhob Herr … Klage über 3.206,36 Euro. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich. Es wurden 2.064,24 Euro gezahlt. Der Aufrechnungsbetrag in Höhe von 5.049,96 Euro stellt 70 Prozent der insgesamt verauslagten 7.214,24 Euro (5.150 Euro + 2.064,24 Euro) dar.

Die gesamten Schadensbeträge sind zwischen den Parteien unstreitig. Die Parteien streiten lediglich über den genauen Unfallhergang und die dementsprechende Haftungsquote.

Die Kläger behaupten, der Beklagte zu 2) habe auf den Gleisen angehalten, da ein PKW vor dem Werkstor aus einem Parkplatz herausgefahren sei und der LKW-Fahrer den Ausparkvorgang des Zeugen … habe abwarten wollen. Es sei sogar davon auszugehen, dass der Beklagte zu 2) das Ausparken des PKW aktiv unterstützt habe, indem er sogar noch ein Stück zurückgesetzt habe, um dem PKW-Fahrer das Ausparken zu ermöglichen. Während der Sattelzug gestanden habe, habe sich die Bahnübergangssicherungsanlage eingeschaltet und die Halbschranken gesenkt. Der Beklagte zu 2) sei anschließend sogar noch aus seinem Führerhaus ausgestiegen. Die Standzeit auf dem Bahnübergang habe 1 Minute und 26 Sekunden angedauert. Der Triebwagenführer der Regionalbahn, der Zeuge …, habe unmittelbar nach Erkennen des Tiefladers auf den Schienen eine Schnellbremsung eingeleitet, die Kollision allerdings nicht mehr verhindern können. Der Zug habe mit 89 km/h die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eingehalten.

Die Kläger beantragen,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 379.624,38 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.10.2011 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 49.019,59 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.622,74 Euro ab dem 27.08.2009 und aus 22.396,85 Euro ab dem 21.10.2009 zu zahlen;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) vorgerichtliche Anwaltskosten von 1.660,60 Euro zu erstatten;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) vorgerichtliche Anwaltskosten von 699,90 Euro zu erstatten;

5. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägerinnen sämtliche Schäden zu ersetzen, die diesen durch das Schadensereignis vom 30.06.2009 in … entstanden sind oder entstehen werden.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 2) habe zunächst abgewartet bis ein anderer LKW am Werkstor abgefertigt und in das Werksgelände eingefahren sei. Sodann habe er sich versichert, dass das rote Warnlicht am Bahnübergang aus gewesen sei und sich kein Zug genähert habe. Als er mit der Zugmaschine das Bahngleis überquert gehabt habe, habe er den roten PKW gesehen, der von rechts kommend aus einem Parkplatz für Besucher auf der rechten Straßenseite langsam rückwärts auf die Straße gefahren sei. Der PKW-Fahrer, der Zeuge …, habe querstehend die Weiterfahrt des LKW blockiert. Der Beklagte zu 2) habe versucht, ihn durch Gestikulieren zum Freimachen der Fahrbahn aufzufordern. Im selben Augenblick habe er im Rückspiegel gesehen, dass sich die Schranken am Bahnübergang gesenkt haben. Der Zeuge … habe sodann die Fahrbahn frei gemacht, indem er rückwärts in eine gegenüberliegende Parkbucht gefahren sei. Der Beklagte zu 2) habe inzwischen das Pfeifen des herannahenden Zuges gehört und sei so schnell wie möglich angefahren. Da die Zugmaschine mit einem Automatikgetriebe ausgerüstet sei, habe es zwei bis drei Sekunden gedauert, bis der LKW Fahrt aufgenommen habe. Es sei dem Beklagten zu 2) vor dem Zusammenstoß lediglich gelungen, einige Meter vorwärts zu kommen.

Der Beklagte zu 2) habe weder den Zeugen … aktiv beim Ausparken unterstützt, noch sei er aus dem Führerhaus ausgestiegen. Es müsse auch bestritten werden, dass die Standzeit auf dem Bahnübergang 1 Minute und 26 Sekunden betragen habe.

Es müsse bestritten werden, dass der Zeitpunkt, als der Triebwagenführer reagiert habe, derjenige gewesen sei, in dem der auf den Gleisen stehende Trailer bei höchstmöglicher Sorgfalt erstmals erkennbar gewesen sei. Bei einer unterstellten Verzögerung von 1,5 m/sec² benötige der Triebwagen zur Unfallvermeidung eine Wegstrecke von rund 225 m, die betroffene Bahnstrecke verlaufe aber aus Sicht des Triebwagenführers über 500 m und mehr völlig geradeaus.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …, …, … und … gemäß der Beweisbeschlüsse vom 09.07.2013 und 16.09.2013.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 09.07.2013 und vom 16.09.2013 Bezug genommen.

Das Verfahren 62 Js 1894/09 von der StA Saarbrücken wurde beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Klage ist zulässig.

Es besteht auch ein besonderes Feststellungsinteresse hinsichtlich des Klageantrages zu 5).

Das Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs, der noch nicht abschließend mit der Leistungsklage geltend gemacht werden kann, ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der Anspruchsgegner seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede stellt und durch die Klageerhebung einer drohenden Verjährung entgegengewirkt werden soll. Geht es dabei um den Ersatz erst künftig befürchteten Schadens aufgrund einer nach Behauptung der Kläger bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung, so setzt das Feststellungsinteresse weiter die Möglichkeit dieses Schadenseintritts voraus; diese ist zu verneinen, wenn aus der Sicht der Kläger bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines derartigen Schadens wenigstens zu rechnen (BGHZ 116, 60 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99 -, zit. n. juris).

Vorliegend handelt es sich um einen komplexen Unfall größeren Ausmaßes mit mehreren Geschädigten. Es ist auch noch zumindest ein weiterer Rechtsstreit anhängig. Zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits geht es auch um die Haftungsquote zwischen den Hauptbeteiligten. Aus Sicht der Kläger ist daher berechtigterweise noch mit künftigen Schäden zumindest zu rechnen. Das besondere Feststellungsinteresse ist daher gegeben.

II.

Die Klägerin zu 1) hat einen weiteren Anspruch gegen die Beklagten in Höhe von 379.624,38 Euro aus §§ 7, 17 StVG.

Die Klägerin zu 2) hat einen weiteren Anspruch gegen die Beklagten in Höhe von 49.019,59 Euro ebenfalls aus §§ 7, 17 StVG.

Der Beklagte zu 2) hatte nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 StVO den absoluten Vorrang des Schienenverkehrs zu beachten und durfte nicht in der gewählten Form zunächst soweit vorfahren, dass er das Blinklicht nicht mehr erkennen konnte, und anschließend mehr als 10 Sekunden auf den Schienen warten, ohne die Schienen gegebenenfalls rückwärts wieder zu verlassen.

1.

a) Die Aussage des Zeugen … war für das Gericht aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Aussageverhaltens überzeugend. Die Aussage war in sich schlüssig und deckte sich mit den Angaben, die er am Unfalltag den Polizeibeamten gegenüber machte (vgl. Bl. 12 d.BA.). Sie korrespondierte auch weitestgehend mit der Darstellung des Beklagten zu 2) selbst.

Danach kann das Gericht positiv feststellen, dass zunächst ein anderer LKW am Werktor abgefertigt wurde. Er stand vor dem Fahrzeug des Zeugen … und blockierte diesen, so dass er zunächst nicht ausparken konnte. Der LKW der Beklagten hielt zu diesem Zeitpunkt vor den Schienen an. Als der erste LKW in das Werksgelände zumindest teilweise einfahren konnte, begann … mit dem langsamen Rückwärtsausfahren aus seiner Parklücke. Zugleich fuhr der Beklagte zu 2) mit seinem LKW an. Als Herr … teilweise aus der Parklücke ausgefahren war, sah er den LKW über den Bahngleisen stehen. Es gab einen Blickkontakt mit dem Beklagten zu 2). Herr … wollte eigentlich den LKW passieren lassen. Der Beklagte zu 2) machte allerdings Handbewegungen, die Herr … so deutete, dass er rausfahren solle. Der Beklagte zu 2) sah sich indes durch den Zeugen … am Durchfahren gehindert und wollte ihm signalisieren, dass er sich beeilen solle. Nach eigener Darstellung hat der Beklagte zu 2) ein warnendes Blinklicht nie gesehen. Herr … fuhr sodann rückwärts in eine gegenüberliegende Parklücke, um den LKW passieren zu lassen. Während des Umparkens schloss sich die Schranke. Der Beklagte zu 2) versuchte sodann, von den Gleisen zu fahren. Der LKW bewegte sich kurz rückwärts, möglicherweise aufgrund von Unebenheiten, um sodann ein kurzes Stück nach vorne zu fahren, bevor die Kollision mit dem Zug geschah.

b) Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2) aus dem LKW ausgestiegen war. Er selbst hat dies abgestritten. Der Zeuge … glaubte zwar noch gesehen zu haben, dass der Beklagte zu 2) wieder in sein Führerhaus gesprungen sei. Er war sich diesbezüglich allerdings nicht sicher, da er ihn nicht hat aussteigen sehen.

c) Das Gericht konnte bei der Feststellung des Sachverhaltes der Darstellung des Zeugen … nicht folgen. Nach seiner Darstellung wäre der Beklagte zu 2), nachdem er den LKW über dem Gleisbett abgestellt hatte, zu ihm gegangen, um die Papiere abzufertigen. Er habe sodann festgestellt, dass sich die Schranke schließe und dies dem Beklagten zu 2) gestikulierend mitgeteilt. Dieser sei zu dem LKW zurückgerannt, habe ihn aber nicht mehr rechtzeitig von den Schienen fahren können, sondern sei lediglich noch ein Stückchen vorgefahren. Diese Aussage des Zeugen … korrespondierte indes nicht mit seinen früheren Darstellungen. Während er in der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2013 aussagte, er sei bereits mit den Papieren des Beklagten zu 2) beschäftigt gewesen, hat er auf Befragen der Polizeibeamten unmittelbar nach dem Unfall nicht erwähnt, dass der Beklagte zu 2) bereits ausgestiegen gewesen sei (Bl. 14 d.BA.). Seinerzeit sagte er indes, dass der ausparkende PKW den LKW am Durchfahren gehindert habe. In der Zeugenvernehmung am 09.07.2013 bekundete er indes, er habe nicht gesehen, was mit dem roten PKW gewesen sei. In seiner polizeilichen Vernehmung am 28.07.2009 (Bl. 62 d.BA.) bekundete er, der Beklagte zu 2) sei nach dem Schließen der Schranke kurz aus dem Führerhaus ausgestiegen. In diesem Moment habe man das Hupen des Zuges gehört. Der Beklagte zu 2) sei sodann wieder in den LKW gesprungen und habe weiter nach vorne fahren wollen. Dies habe er aber nicht mehr geschafft, da er so in Panik gewesen sei, dass er den Gang nicht mehr habe einlegen können. Im Hinblick auf die Inkonstanz der Aussagen vermag das Gericht dem Zeugen … nicht zu folgen.

d) Nach der Darstellung des Zeugen …, der die Lokomotive geführt hat und dem das Gericht aufgrund des persönlichen Eindrucks und des Aussageverhaltens uneingeschränkt folgen kann, ist er mit dem Zug planmäßig in … abgefahren und hatte auf 80 km/h beschleunigt. Er bekam kein Notsignal, das Rotlicht hat ordnungsgemäß geblinkt, sogar noch nach dem Unfall. Als er den Anhänger auf dem Übergang hat stehen sehen, was wegen der tiefstehenden Sonne, der grauen Farbe und dem Umstand, dass zunächst kein Rad auf den Gleisen gestanden hat, sehr schwierig war, leitete er sofort eine Notbremsung ein, betätigte die Sandtaste, gab Signal und einen Dauerton.

e) Nach den Untersuchungen der Zeugin PK´in …, die diese in der mündlichen Verhandlung insbesondere auch anhand des Diagramms zum Geschwindigkeitsprofil (Bl. 41 d.BA.) erläuterte, hat der LKW zunächst 1 Minute und 26 Sekunden zwischen dem Gleis und der Lichtzeichenanlage bzw. Schranke gestanden. Dies war unter Berücksichtigung der Aussagen des … und des Beklagten zu 2) die Zeit, in der die Abfertigung des vorherigen LKW abgewartet wurde. Das Diagramm zeigt eine Uhrzeit 05:37:30 UTC-Zeit im LKW an. Es sind insoweit 2 Stunden hinzuzurechnen. Die Differenz zur Bahnzeit beträgt 7 Minuten und 16 Sekunden, die abgezogen werden müssen. Um 7:30:18 (Bahnzeit = 05:37:34 UTC) ist der LKW bis 7:30:31 insgesamt 11 Meter vorgefahren. Sodann begann das rote Licht am Bahnübergang zu blinken, was sich aus dem Abschlussbericht der Bundespolizei (Bl. 190 d.BA.) ergibt. Der LKW stoppte für 1 Sekunde und fuhr dann in den folgenden 4 Sekunden einen weiteren Meter vor und stoppte wieder. Es war zu diesem Zeitpunkt 7:30:36. Sodann erfolgte ein weiterer Stillstand von 19 Sekunden. Dies war unter Berücksichtigung der Aussagen des Zeugen … und des Beklagten zu 2) der Zeitraum, in dem der Zeuge … ausparkte und der Beklagte zu 2) aus diesem Grund nicht durchfahren konnte. Während der Stillstandsphase, nämlich nach 14 Sekunden, begannen sich die Schranken zu schließen, was ausweislich des Abschlussberichts der Bundespolizei (Bl. 190 d.BA.) einen Zeitraum von 6 Sekunden dauert. Eine Sekunde bevor die Schranke sich vollständig geschlossen hatte, nämlich um 7:30:55, fuhr der LKW wieder an, kam allerdings nur 9 Meter weit bis es nach etwa 8 Sekunden zur Kollision mit dem Zug kam. Dies korrespondiert mit der Aussage des Zeugen …, dass sich die Schranke geschlossen hatte, als dieser in der gegenüberliegenden Parklücke war, und der Aussage des Beklagten zu 2), dass die Schranken runtergingen, als der Zeuge … ausgeparkt hat. Nach dem vollständigen Schließen der Schranke dauert es bis zum Eintreffen des Zuges ungefähr 8 Sekunden nach dem Abschlussberichts der Bundespolizei (Bl. 190 d.BA.).

Konkret bedeutet dies, dass der LKW während der gesamten Rotlichtphase auf den Schienen stand. Noch vor dem Beginn des Schließens der Schranke stand der LKW mehr als 10 Sekunden über den Gleisen. Nach dem Schließen der Schranke gelang es dem Beklagten zu 2) nicht mehr rechtzeitig, mit dem Tieflader von den Schienen zu kommen.

2.

Der Unfall war nicht durch höhere Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG verursacht, so dass der Gesamtschaden zwischen den Beteiligten im Rahmen einer Abwägung nach § 17Abs. 1 und Abs. 2 StVG entsprechend ihrer jeweiligen Verursachungsanteile aufzuteilen ist. Der Haftungsanteil ergibt sich dabei aus einer Gesamtbetrachtung der aus § 7Abs. 1 StVG folgenden, grundsätzlich bestehenden Betriebsgefahr sowie aus gefahrerhöhenden Umständen. Dabei dürfen nur solche Verursachungsanteile berücksichtigt werden, welche unstreitig, zugestanden oder erwiesen sind, wobei jeweils die eine Seite für den Verursachungsanteil der anderen darlegungs- und beweispflichtig ist. Die Abwägung hängt im Einzelfall auch davon ab, wie sich die Betriebsgefahr der Bahn auswirkt.

a) Es kann dahinstehen, ob sich der Unfall als ein für die Klägerinnen unabwendbares Ereignis darstellt, da das Verschulden der Beklagten derart überwiegt, dass die Betriebsgefahr der Klägerinnen zurücktritt.

Es handelt sich bei dem Bahnübergang um einen Bahnübergang mit Andreaskreuz, Halbschranken und Lichtzeichenanlage.

Nach § 19 Abs. 4 StVO ist vor dem Andreaskreuz zu warten, wenn der Bahnübergang wegen des Straßenverkehrs nicht zügig und ohne Unterbrechung überquert werden kann. Der Beklagte zu 2) ist indes schon so weit vorgefahren, dass er das Andreaskreuz und die an dieser Stelle befindliche Lichtzeichenanlage nicht mehr sehen konnte, und hat 1 Minute und 26 Sekunden an dieser Stelle gewartet, bis der vor ihm befindliche LKW am Werkstor abgefertigt war. Auch ohne Zugankündigung dürfen Fahrzeugführer nicht auf dem Bahnübergang stehen bleiben. Der Beklagte zu 2) ist indes sogar noch während des Rotlichts mehr als 10 Sekunden auf den Gleisen stehen geblieben. Der Beklagte zu 2) hat im Rahmen der informatorischen Anhörung bekundet, dass er das Blinklicht überhaupt nicht mitbekommen hat. Dies ist angesichts der zeitlichen Darstellung durchaus nachvollziehbar, da der Beklagte zu 2) zu Beginn des Blinkens bereits angefahren und damit am Blinklicht vorbeigefahren war. Nach den Berechnungen der Zeugin PK´in … wartete der Beklagte zu 2) bereits 1 Minute und 26 Sekunden zwischen der Schranke und den Gleisen, so dass er bereits zu diesem Zeitpunkt das Blinklicht überhaupt nicht mehr hat erkennen können. Bevor sich die Schranke geschlossen hat, hat er sodann länger als 10 Sekunden sogar auf den Gleisen gestanden. Als er das Ausparken des PKW realisierte, wäre es seine Pflicht gewesen, schnellstmöglich den Bahnübergang zu räumen. Mangels Durchfahrmöglichkeit hätte er wieder rückwärts von den Gleisen fahren müssen. Der Beklagte zu 2) hat selbst nicht dargelegt, dass er überhaupt daran gedacht hat, entsprechend vorzugehen, oder ob er aus irgendwelchen Gründen daran gehindert war. Sein Bemühen lag darin, dem PKW-Fahrer zu signalisieren, dass er sich beeilen solle. Als sich die Schranken geschlossen haben, war Herr … bereits in die gegenüberliegende Parklücke eingefahren, so dass es insoweit sachgerecht war zu versuchen, den Bahnübergang nach vorne zu verlassen, was indes nicht mehr rechtzeitig geklappt hat.

Es konnte zwar nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu 2) bereits bei rotem Blinklicht auf die Gleise gefahren war, allerdings wartete er bereits 1 Minute und 26 Sekunden an einer Stelle, an der er das Blinklicht nicht mehr sehen konnte. Sinn und Zweck der Regelung des § 19 Abs. 4 StVG mit der Wartepflicht vor dem Andreaskreuz ist es, dass der Fahrzeugführer einerseits weit genug von den Gleisen entfernt steht, andererseits aber auch, dass er die optischen Warnsignale des ankommenden Zuges sehen kann.

Anschließend stand der Beklagte zu 2) länger als 10 Sekunden auf den Gleisen ohne geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die Gleise zügig zu verlassen.

Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte zu 2) durch sein Verhalten grob fahrlässig gehandelt (vgl. dazu OLG Köln VersR 1990, 670).

b) Eine erhöhte Betriebsgefahr der Bahn ist nicht zu erkennen. Den Klägerinnen kann kein Verschuldensvorwurf gemacht werden.

Eine erhöhte Betriebsgefahr wäre etwa bei versehentlich offener Schranke, fehlenden Schranken an unübersichtlichen oder gefährlichen Bahnübergängen oder zugeschneiten bzw. zugewachsenen Warn- oder Hinweisschildern gegeben. Es sind keinerlei derartige Aspekte ersichtlich.

Es sind auch keinerlei Anhaltspunkte für eine Störung im Betriebsablauf der Bahn erkennbar. Der Bahnübergang war ordnungsgemäß durch Lichtzeichen, akustische Warneinrichtung und Halbschranken gesichert. Da der Tieflader so niedrig war, wurde auch keine Störung beim Herablassen der Schranken angezeigt. Der Zug fuhr 89 km/h bei zugelassenen 100 km/h (vgl. den Abschlussbericht Bl. 188 d.BA.). Der Zeuge … hat unmittelbar bei Erkennen der Gefahr eine Notbremsung eingeleitet, die allerdings den Zusammenstoß nicht mehr vermeiden konnte.

Der Lokomotivführer ist auch nicht gehalten, seine Geschwindigkeit vorausschauend an alle denkbaren Störungen anzupassen. Vielmehr muss er erst dann eine sofortige Schnellbremsung oder Notbremsung einleiten, wenn er eine Gefahr erkennt, die durch eine derartige Maßnahme abgewendet werden muss. Der Lokführer muss noch nicht auf die bloße Annäherung eines LKW an einen Bahnübergang reagieren. Ebenso wenig darf von ihm die Einleitung eines – für die Zuginsassen auch gefährlichen – Schnellbremsmanövers schon dann verlangt werden, wenn sich der LKW zwar im Gleisbereich befindet, unter normalen Umständen aber zu erwarten ist, dass er ihn rechtzeitig wieder räumen werde. Erreicht ist der Alarmpunkt vielmehr erst in dem Augenblick, in dem für einen aufmerksamen Lokführer deutlich wird, dass die ernsthafte Gefahr andauernder Blockierung der Schienen besteht (OLG Frankfurt, Urteil vom 07. Februar 1986 – 25 U 64/84 -, juris, VersR 1988, 295). Der Führer einer Eisenbahn ist auch nicht verpflichtet bei Bahnübergängen auf Sicht zu fahren, vielmehr darf er grundsätzlich auf die Beachtung des Bahnvorrangs vertrauen und muss nur dann, wenn er ein Hindernis bzw. die Nichtbeachtung des Bahnvorrangs erkennt oder erkennen muss, reagieren und versuchen eine Kollision zu vermeiden (OLG Hamm, Urteil vom 23. Oktober 2006 – 13 U 2/06 -, juris).

Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze kann dem Zeugen … kein Verschuldensvorwurf gemacht werden.

Das Kollisionsereignis ist daher alleine auf die Tatsache zurückzuführen, dass der LKW den Bahnübergang sperrte. Der Beklagte zu 2) handelte grob fahrlässig dadurch, dass er zunächst an einer Stelle wartete, ohne Sichtkontakt zum Blinklicht zu haben, sodann mit seinem LKW auf die Schienen fuhr, ohne sich zu vergewissern, ob nicht zwischenzeitlich das Blinklicht angegangen ist, und schließlich länger als 10 Sekunden auf den Schienen wartete, ohne ein Fahrmanöver zu ergreifen, die Schienen zügig zu verlassen. Zugführer und Bahnpersonal haben demgegenüber alle ihnen möglichen und zumutbaren Sicherungsmaßnahmen ergriffen. Dadurch tritt die Betriebsgefahr des Zuges völlig zurück (vgl. OLG Celle, Urteil vom 18. Februar 1988 – 5 U 14/87 -, juris, NZV 1988, 22).

Die Beklagten sind somit vollumfänglich für die durch den Unfall entstandenen Schäden verantwortlich.

3.

Die Schadenshöhe ist unstreitig.

a) Die Beklagten schulden der Klägerin zu 1) daher die eingeklagten 379.624,38 Euro und der Beklagten zu 2) die eingeklagten 49.019,59 Euro.

Soweit die Beklagten rügen, die Kosten für die Akteneinsicht sei brutto geltend gemacht worden, ist dies unzutreffend. Ausweislich Seite 6 der Klageschrift werden 85,20 Euro geltend gemacht, was entsprechend der Rechnung vom 19.04.2012 (Anlage K13) den Nettobetrag darstellt.

b) Eine Aufrechnung kommt nicht in Betracht, da die Beklagten vollumfänglich für die durch den Unfall entstandenen Schäden einzustehen haben.

c) Hinsichtlich der Klägerin zu 1) ist Verzug zum 01.10.2011 eingetreten (vgl. Rechnung in der Anlage K7), hinsichtlich der Klägerin zu 2) wie eingeklagt zum 27.08.2009 bzw. zum 21.10.2009 (vgl. die Rechnungen in der Anlage K8, K9). Da die Beklagten über eine Quote reguliert haben, ist davon auszugehen, dass sie jeweils die Quote der jeweiligen Rechnungen getilgt haben, so dass die Klägerin zu 2) den Zinslauf auch dementsprechend geltend macht.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

III.

Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich auch die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten. Allerdings hat der Schuldner nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH NJW 2005, 1112; BGH NJW 2008, 1888 f.). Das ist bei der Beauftragung von Rechtsanwälten zur vorgerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs der Fall. Folglich sind auch die geltend gemachte 0,65-Geschäftsgebühr jeweils nach §§ 13, 14 RVG in Verbindung mit Nr. 2300 VV zuzüglich Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV) in Höhe von 20 Euro zu ersetzen.

IV.

Eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig und begründet, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt des Schadens wenigstens zu rechnen (OLG Saarbrücken, 5 U 56/10, Urteil vom 10.08.2011; BGH VersR 2007, 708). Es wurde bereits dargestellt, dass vorliegend ein besonderes Feststellungsinteresse besteht.

Weitere Anforderungen neben der Möglichkeit späterer Schäden, wie beispielsweise eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, dürfen nicht gestellt werden (OLG Saarbrücken, 5 U 56/10, Urteil vom 10.08.2011; BGH VersR 2001, 874; BGH VersR 2007, 708). Anderenfalls würde ein Bruch zur Rechtsprechung der Schadenseinheit entstehen, der es dem Geschädigten verwehrt, rechtzeitig die Verjährung für solche Schäden zu hemmen, die möglich sind, für die aber keine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Sie würden dann nämlich von der Schadenseinheit erfasst, die Verjährung liefe also, während eine verjährungsunterbrechende Feststellungsklage keinen Erfolg hätte (OLG Saarbrücken, 5 U 56/10, Urteil vom 10.08.2011).

Aus diesen Gründen kommt es darauf an, ob spätere Schäden ausgeschlossen werden können (OLG Saarbrücken, 5 U 56/10, Urteil vom 10.08.2011). Dies ist vorliegend aus den dargestellten Gründen nicht der Fall. Da die Beklagten den Klägerinnen in vollem Umfang für die Schäden haften, ist auch der Feststellungsantrag (Klageantrag zu 5) begründet.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wurde aus § 709 ZPO getroffen.

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