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Verkehrsunfall – Werkstattrisiko liegt beim Schädiger

AG Hildesheim – Az.: 19 C 99/18 – Urteil vom 28.02.2020

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.07.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger in Höhe von 79,37 € gegenüber …., freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 13 % und die Beklagte 87 %.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

1.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 250,00 € sowie auf Freistellung in Höhe von 79,37 € aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1, Nr. 1 VVG.

Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig, sodass lediglich über die Höhe der Schadensersatzforderung im Lichte des § 249 BGB zu entscheiden war.

Der Kläger hat gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Anspruch auf Freistellung bzgl. der restliche Reparaturkosten i. H. v. 79,37 €. Selbst wenn, wie von der Beklagten behauptet, einige der durchgeführten Reparaturmaßnahmen – die Reinigung des Unfallwagens und eine durchgeführte Probefahrt, – aus technischer Sicht zur Behebung des Unfallschadens nicht notwendig gewesen sein sollten, so sind sie gleichwohl gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Kläger zu ersetzen. Die Frage der Notwendigkeit der vom Beklagten gerügten Reparaturmaßnahmen kann daher im vorliegenden Fall dahinstehen.

Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte den zur Wiederherstellung „erforderlichen“ Geldbetrag verlangen. Erforderlich sind nur Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Auflage 2019, § 249 Rn. 12 m. w. N.).

Darunter fallen auch solche Maßnahmen, die sich objektiv und ex post betrachtet als nicht erforderlich herausstellen. Der Schädiger trägt hier das Prognoserisiko, indem er beispielsweise mit dem Mehraufwand belastet wird, den die von dem Geschädigten beauftragte Werkstatt ohne sein Verschulden infolge unwirtschaftlicher und unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 76), falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe i. S. v. § 278 BGB des Geschädigten. Da der Schädiger gem. § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur vielmehr in der Verantwortungssphäre des Schädigers. Würde der Schädiger die Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe in gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen. Hierbei sind auch die begrenzten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten in den Blick zu nehmen: Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welcher ansonsten einen Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde (AG Düsseldorf, Urteil vom 21.11.2014 – 37 C 11789/11 – BeckRS 2014, 23607, beck-online; BGH, Urteil vom 29. 10. 1974 – VI ZR 42/73 – NJW 1975, 160, beck-online).

Zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehören auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten, welche durch die Werkstatt ausgeführt wurden (LG Hamburg, Urteil vom 04. Juni 2013 – 302 O 92/11 –, Rn. 23, juris). Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, so dass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind (LG Hagen, Urteil vom 04.12.2009 – 8 O 97/09 -BeckRS 2010, 672, beck-online).

Der Kläger hat die Reparatur des streitgegenständlichen Fahrzeuges nach dem Unfall bei … in Auftrag gegeben. Es ist weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass der Klägerin bei dieser Vorgehensweise ein Auswahl- oder Ausführungsverschulden trifft. Nach der Übergabe des Fahrzeuges an die Reparaturwerkstatt war das Fahrzeug aus der Einwirkungssphäre des Klägers entlassen.

Die Rechnung selbst erscheint für einen wirtschaftlich denkenden Menschen plausibel.

Zudem handelt es sich bei den streitigen Mehrkosten um Aufwendungen in Höhe von 79,37 € bei einer Gesamtrechnung von 6.242,64 € brutto. Von daher liegen hier auch keine grob übersetzten Mehrkosten vor, welche der Beklagten nicht zuzurechnen wären. Die etwaigen Mehrkosten sind gering und stehen im Zusammenhang zum Unfallschaden, sodass die Beklagte sie dem Kläger zu ersetzen hat (vgl. AG Düsseldorf, Urteil vom 21.11.2014 – 37 C 11789/11 – a. a. O.).

2.

Verkehrsunfall - Werkstattrisiko liegt beim Schädiger
(Symbolfoto: Von Memory Stockphoto/Shutterstock.com)

Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger einen unfallbedingten merkantilen Minderwert des Fahrzeugs zu ersetzen, der nach freier tatrichterlicher Überzeugung (§ 287 ZPO) im Wege der Schätzung zu ermitteln war (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 26. Aufl. 2020, BGB § 249 Rn. 113).

Dessen Höhe schätzt das Gericht anhand der Ausführungen des Sachverständigen und abweichend von der Behauptung des Klägers auf einen Betrag von 250,00 €.

Beim merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht. Der Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist, dass auf dem Gebrauchtwagenmarkt Unfallfahrzeuge einen geringeren Preis erzielen als unfallfreie, weil verborgene technische Mängel nicht auszuschließen sind und das Risiko höherer Schadensanfälligkeit infolge nicht fachgerechter Reparatur besteht (NJW 2005, Seite 277m.w.N.)

Der Sachverständige Dipl. Ing. Tenzer hat in seinem Gutachten vom 23.09.2019 nachvollziehbar unter Zugrundelegung verschiedener entwickelter Hilfsmittel und Berechnungsmethoden die merkantile Wertminderung ermittelt.

Er hat auch für das Gericht überzeugend ausgeführt, weshalb die Zugrundelegung eines einzelnen Berechnungsmodells den merkantilen Minderwert nicht sachgerecht abbilden kann. Aufgrund der hohen Diskrepanz zwischen den einzelnen Berechnungsmethoden ist es sachgerecht ein arithmetisches Mittel zu bilden. Damit finden auch Berechnungsmodelle, die bestehende Vorschäden und die Marktgängigkeit des Fahrzeugs berücksichtigen, Eingang in die Bewertung, so dass eine belastbare Aussage zu einem am Markt zu erwartenden Mindererlös getroffen werden kann.

Nicht überzeugend war die seitens der Klägerin vorgelegte Schätzung aus dem vorgerichtlichen Sachverständigengutachten. Denn ohne Darlegung einer Marktrecherche- und analyse vermag der ermittelte Wiederbeschaffungswert von 8.800,00 € brutto nicht zu überzeugen. Im gerichtlich eingeholten Gutachten kommt der Sachverständige Dipl. Ing. … hingegen nachvollziehbar zu einer Angebotsspanne von 5.990,00 € bis 7.800,00 €.

Der Sachverständige hat auch als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger der IHK Hannover für Straßenverkehrsunfälle die zur Beantwortung der Beweisfragen erforderliche Sachkunde.

Der Zinsanspruch für die Hauptforderung folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

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