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Verkehrsunfall – Werkstattrisiko

LG Wuppertal – Az.: 9 S 90/17 – Urteil vom 05.10.2017

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 10.05.2017, Az. 33 C 57/16 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, den Kläger von der Zahlung restlicher Reparaturkosten in Höhe eines Betrags von 777,83 EUR freizustellen.

Die Beklagten werden ferner gesamtschuldnerisch verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 93,42 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Höhe des von den Beklagten dem Grund nach unstreitig vollumfänglich zu ersetzenden Schadens, welcher am klägerischen Fahrzeug Audi A6 mit dem amtlichen Kennzeichen XX entstanden ist, als die Beklagte zu 1) als Fahrerin des Pkw Ford Transit mit dem amtlichen Kennzeichen …, dessen Halter die Beklagte zu 2) ist und welches bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, beim Öffnen der Beifahrertür aus Unachtsamkeit mit dieser gegen den vorderen linken Kotflügel des klägerischen Fahrzeugs stieß. Der Kläger ließ den Schaden mittels Gutachten des Sachverständigen R schätzen (Gutachten, Bl. 7 ff d.A.) und den Pkw reparieren. Die Reparaturkosten in Höhe von 2.190,91 EUR brutto beglich der Kläger nicht (Rechnung, Bl. 18 d.A.). Vorgerichtlich zahlte die Beklagte zu 3) einen Betrag von 1.413,08 EUR.

Mit der Klage hat der Kläger in erster Instanz Freistellung von der Zahlung des Differenzbetrag in Höhe von 777,83 EUR sowie von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 147,56 EUR begehrt.

Das Amtsgericht hat nach Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. O die Beklagten – unter Klageabweisung im Übrigen – zur Freistellung von restlichen Reparaturkosten in Höhe von 107,58 EUR sowie von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 93,42 EUR verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, Verbringungskosten in Höhe von 107,58 EUR seien bei der Reparatur angefallen und aus diesem Grund zu ersetzen. Kosten in Höhe von 670,25 EUR für eine Beilackierung des vorderen Stoßfängers, der Parksensoren sowie der Einstiegstür vorne links seien indes keine i.S.v. § 249 BGB zur Schadensbehebung erforderlichen Kosten; diese hätten durch Anwendung des sog. Blendingverfahrens vermieden werden können; im Vergleich zu diesem kostengünstigeren Verfahren erziele die vom Kläger veranlasste aufwändigere Beilackierung keine besseren Ergebnisse.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen Freistellungsanspruch betreffend den Sachschaden in Höhe von 670,25 EUR weiter, klageerweiternd nebst Zinsen aus diesem Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2015. Gegen die Erwägungen des Amtsgerichts wendet er ein, es komme nicht darauf an, ob eine Beilackierung erforderlich gewesen sei oder nicht. Auch bei einer vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellten fehlenden Erforderlichkeit habe er einen schadensersatzrechtlichen Erstattungsanspruch gegen die Beklagten, da er sich auf das von ihm eingeholte (Privat-) Gutachten habe verlassen und einen entsprechenden Gutachtenauftrag habe erteilen dürfen. Das Werkstattrisiko gehe zu Lasten des Schädigers, wobei ihm kein Auswahlverschulden zur Last falle, welches von den Beklagten auch nicht geltend gemacht werde.

Dagegen wenden die Beklagten in der Sache ein, ihr könne eine nachträgliche Überprüfung eines Gutachtens und einer Reparaturkostenrechnung nicht verwehrt sein, da sie vor Entstehung der Reparaturkosten keinen Einfluss auf die Feststellungen und den erteilten Reparaturauftrag habe nehmen können und es letztlich nicht sein dürfe, dass ihr, der Beklagten, durch den Sachverständigen und die Werkstatt unnötige Reparaturkosten aufgebürdet werden könnten.

Im Übrigen wird von einer weiteren Sachverhaltsdarstellung gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache im Wesentlichen Erfolg und führt zur Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Freistellung von sämtlichen Kosten der durchgeführten Reparatur aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 StVG, 115 VVG, §§ 823, 249 BGB.

Verkehrsunfall - Werkstattrisiko
(Symbolfoto: Von Minerva Studio/Shutterstock.com)

Diese dem Kläger günstigere rechtliche Beurteilung ergibt sich aus dem sog. Werkstattrisiko, welches grundsätzlich der Unfallverursacher trägt und auf welches der Kläger seine Berufung zutreffend stützt. Danach sind auch solche Reparaturaufwendungen adäquat kausal durch das schädigende Ereignis verursacht und vom Schadensersatzpflichtigen zu tragen, welche der Unfallgeschädigte im Vertrauen auf die Sachkunde des Gutachters bzw. im Vertrauen auf die Werkstatt, auf deren Fachkunde und Ordnungsgemäßheit bei der Schadensbehebung und -abwicklung vornehmen lässt und welche ihm in Rechnung gestellt werden. Der Geschädigte darf sowohl auf die Sachkunde des Gutachters vertrauen, als auch darauf, dass die Werkstatt nur erforderliche Leistungen erbringt und nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht erbracht wurden. Ob ein Verschulden der Werkstatt darin liegt, dass sie überflüssige Arbeiten ausführt und in Rechnung stellt, oder ob sie betrügerisch nicht durchgeführte Arbeiten abrechnet, ist lediglich ein Unterschied im tatsächlichen Bereich, der die rechtliche Würdigung des Schadensersatzanspruchs zwischen Schädiger und Geschädigten nicht berührt (vgl. OLG Karlsruhe, 14 U 63/15, in juris 11, 16; LG Hamburg 302 O 92/11 in juris; OLG Stuttgart 4 U 131/03, in juris Rn 20, 24). Etwas anderes gilt nur dann, wenn den Unfallgeschädigten betreffend den Sachverständigen bzw. die Werkstatt ein Auswahlverschulden trifft, was hier im Ansatz schon nicht ersichtlich ist.

Denn nach der Rechtsprechung sind einem Geschädigten grundsätzlich diejenigen Aufwendungen nach § 249 Satz 2 BGB vom Schädiger abzunehmen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Bei der Prüfung, ob der Geschädigte sich in diesem Rahmen gehalten hat, ist allerdings Rücksicht auf seine spezielle Situation, also insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen; denn § 249 Satz 2 BGB stellt auf eine Restitution in Eigenregie des Geschädigten ab (BGHZ 115, 364-374, in juris Rn 13).

Zwar bedeutet diese subjektbezogene Schadensbetrachtung nicht, dass eine unangemessene Veranlassung von Kosten erst unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB zu prüfen wäre; die Schadensersatzpflicht besteht von vornherein nur insoweit, als sich die Aufwendungen im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft halten (BGH, a.a.O.). Dennoch ist bei der Frage, ob die vom Kläger in Auftrag gegebenen Lackierarbeiten ihrem Umfang nach erforderlich waren, nicht auf eine rein objektive Sicht abzustellen, wie vom Amtsgericht in der Sache angenommen. Es hat die Erforderlichkeit der durchgeführten Reparaturmaßnahmen im Umfang von 670,25 EUR verneint, weil mit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen die auftragsgemäß erfolgte Beilackierung des Frontstoßfängers mit Parksensoren sowie die Lackierung der Tür vorne links nicht erforderlich gewesen seien, zur Vermeidung von Farbtonabweichungen vielmehr eine Lackierung der Schadstelle selbst und eine Beilackierung innerhalb des Kotflügels ausgereicht hätten.

Nach der insofern vollkommen einheitlichen Rechtsprechung ist – wie hier – im Falle einer durchgeführten Reparatur aber nicht auf eine rein objektive Sicht, sondern auf die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten abzustellen. Solange dem Geschädigten nicht ausnahmsweise bezüglich des beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt ein Auswahlverschulden zur Last fällt, sind ihm die Kosten zu erstatten, welche er aufgrund des Gutachtens als notwendig ansehen durfte und von denen er nach erfolgter Reparatur aufgrund der gestellten Werkstattrechnung annehmen darf, dass er sie als Auftraggeber schuldet (BGHZ 63, 182, in juris Rn 10; betreffend das Prognoserisiko: BGHZ 115, 364 in juris Rn 15). Bei Zugrundelegung der subjektiven Erkenntnis- und Einflussmöglichkeit des Klägers stellen sich die von ihm in Auftrag gegebenen Reparaturmaßnahmen, da im Einklang mit dem zuvor eingeholten Privatgutachten stehend, als im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft und damit als erforderlich und ersatzfähig dar.

Eine andere rechtliche Würdigung hält die Kammer auch nicht vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass der Kläger den Beklagten, insbesondere der Beklagten zu 3), vor Beauftragung und Durchführung der Reparatur keine Gelegenheit gegeben hat, zum Privatgutachten und der Erforderlichkeit der darin aufgeführten Arbeiten Stellung zu nehmen. Der Unfall ereignete sich am 28.03.2015; am 30.03.2015 wurde das Fahrzeug in die Werkstatt verbracht, das Privatsachverständigengutachten datiert vom 02.04.2015, die Reparaturrechnung vom 16.04.2015. Mit Schreiben der Firma D GmbH vom 10.04.2015 ist der Beklagten zu 3) das Privatsachverständigengutachten übersandt worden mit der Bitte um Vorschusszahlung bis zum 16.04.2015. Die Beklagte zu 3) hatte mit Schreiben vom 28.05.2015 Stellung genommen und auf das Fehlen einer technischen Notwendigkeit eines Beilackierens von Stoßfänger, Parksensoren und Tür aufmerksam gemacht. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind sie jedoch nicht rechtlos gestellt. Denn sie können nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung vom Kläger die Abtretung dessen Ansprüche gegen die Werkstatt bzw. den Gutachter verlangen; insofern haben sie die gleiche Rechtstellung, als wenn sie die Reparatur in Auftrag gegeben hätten (LG Hamburg a.a.O; BGHZ 63, 182 in juris Rn 13). Es besteht auch kein Sachgrund, dem Schädiger das Werkstattrisiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm, dem Schädiger, die Beseitigung des Schadens nach § 249 S. 1 BGB überlassen würde; die dem Geschädigten durch § 249 Satz 2 BGB gewährte Ersetzungsbefugnis ist kein Korrelat für eine Überbürdung dieses Risikos auf ihn (BGHZ 63, 182 in juris Rn 10).

2.

Die Klageerweiterung betreffend den Zinsanspruch ist gem. § 533 ZPO unzulässig, weil der geltend gemachte Zinsanspruch nicht auf Tatsachen gestützt werden kann, welche die Kammer ihrer Entscheidung gem. § 529 ZPO zugrunde zu legen hat, und der Kläger den Zinsanspruch darüber hinaus auch schon im Ansatz nicht begründet hat. Ausweislich der Feststellungen im nicht angegriffenen Tatbestand des angefochtenen Urteils hatte der Kläger die Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 15.12.2015 zwar erfolglos zur Zahlung des Differenzbetrags mit einer Frist bis zum 28.12.2015 aufgefordert. Da der Kläger jedoch in der Hauptsache keinen Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrags an ihn geltend macht, mit welchem sich die Beklagten in Verzug befinden könnten, sondern einen Freistellungsanspruch, hätte es zur Anspruchsbegründung einer Darlegung von Umständen bedurft, aufgrund derer der Kläger der Werkstatt gegenüber zur Zahlung der geltend gemachten Zinsen verpflichtet wäre und er von den Beklagten Freistellung auch von einem solchen Zinsanspruch verlangen könnte.

3.

Die Klage war im Übrigen abzuweisen, weil der Kläger seinen Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten, soweit dieser durch das amtsgerichtliche Urteil abgewiesen worden ist, im Berufungsverfahren mangels eines diesbezüglichen Antrags nicht weiterverfolgt hat.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO), bestand nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Eine grundsätzliche Bedeutung ist nämlich nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung der Sache von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt, die über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (BGH, IV ZR 543/15, in juris).

Streitwert für das Berufungsverfahren: 670,25 EUR

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