LG Bielefeld – Az.: 6 O 111/15 – Urteil vom 29.09.2016
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.826,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.09.2014 auf einen Betrag von 1.382,77 EUR sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.07.2015 auf einen Betrag von 443,67 EUR zu zahlen,
2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 157,33 EUR (netto) freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu ¾ und der Beklagte zu ¼.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche wegen eines Verkehrsunfalls vom 05.07.2014 in F. geltend.
Der Kläger ist Halter und Fahrer des Kraftfahrzeugs Mazda 6 Limousine 2.0 CD Top Sport, amtliches Kennzeichen xx. Der Beklagte war zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls auf seinem Fahrrad unterwegs. Am 05.07.2014 befuhr der Kläger mit seinem Kraftfahrzeug in F. den T.weg, der außerhalb geschlossener Ortschaften liegt. Nach dem Durchfahren der Einmündung “ A.“ und eine geringe Strecke weiter kreuzte der Beklagte mit deinem Fahrrad von rechts aus einem ca. 2,1 m breiten kombinierten asphaltierten Weg in die ca. 4m breite Straße „T.weg“. Der asphaltierte Weg ist mit Wegweisern für Fahrräder ausgestattet. Etwa 100 m vor dem kreuzenden Fahrradweg ist auf dem T.weg das Gefahrzeichen 138 („Radfahrer kreuzen“) aufgestellt. Die Sicht vom Radweg auf den T.weg und umgekehrt ist durch Büsche und Bäume eingeschränkt. Es kam es zu einer Kollision zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Beklagten auf seinem Fahrrad. Der Beklagte wurde zunächst gegen die Frontscheibe und sodann auf das Dach des klägerischen Fahrzeugs geschleudert. Sodann wurde er durch den Bremsvorgang über die Motorhaube nach vorne geworfen und fiel in den mehrere Meter von der Kollisionsstelle befindlichen Graben. Das Fahrrad wurde rundum verbogen. Der Kläger hat den Beklagten daraufhin mit den weiteren im Fahrzeug befindlichen Insassen aus dem Graben geholt und ersthilfemäßig versorgt. Der Beklagte erlitt schwere Verletzungen. Am klägerischen Fahrzeug entstanden durch den Unfall Schäden im Frontbereich, an der Stoßstange vorne, am Kühlergrill, an der Motorhaube, an der Frontscheibe sowie im Bereich des Fahrzeugdaches. Ein Gutachten über die Reparaturkosten, welches vom Kläger bei einem Privatgutachter in Auftrag gegeben worden war, bewertete den Reparaturschaden mit 4.798,69 EUR. Das klägerische Fahrzeug wurde zwischenzeitlich repariert. Die Reparaturkosten beliefen sich tatsächlich auf 5.948,57 EUR brutto. Ferner sind dem Kläger Gutachterkosten für ein Privatgutachten in Höhe von 707,42 EUR brutto sowie Mietwagenkosten in Höhe von 624,75 EUR brutto und eine Unkostenpauschale in Höhe von 25 EUR entstanden. Der Kläger hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.08.2014 zur Zahlung der Reparaturkosten auf Gutachtenbasis in Höhe von 5.531,11 bis zum 02.09.2014 aufgefordert. Eine Zahlung seitens des Beklagten erfolgte nicht. Ferner macht der Kläger noch vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 760,87 EUR (brutto) im Wege der Freistellung geltend.
Der Kläger behauptet, er habe im Vorhinein wegen des Gefahrzeichens 138 entsprechend reagiert und habe seine Geschwindigkeit reduziert. Er sei mit außerordentlich langsamer Geschwindigkeit, allenfalls 40 km/h, gefahren. Der Beklagte hingegen sei mit erheblicher unverminderter Geschwindigkeit gefahren und habe keinerlei Reaktion auf das Fahrzeug des Klägers gezeigt. Dieser sei gänzlich ungebremst in den Kreuzungsbereich eingefahren. Er selbst habe hingegen eine Vollbremsung eingeleitet. Eine Bremsspur habe sein Wagen nicht gezeichnet. Bei dem vom Beklagten benutzen Fuß- und Radfahrerweg handele es sich um eine sogenannte Kleinbahntrasse. Der Kläger meint, der T.weg sei im Verhältnis zu diesem Weg vorfahrtsberechtigt.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.305,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2014 auf den Betrag von 5.531,11 EUR und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit auf den weiteren Betrag von 1.774,63 EUR zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von Rechtsanwaltsgebühren zugunsten des Rechtsanwalts Egon Penner, Detmold, freizustellen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die unfallaufnehmenden Polizeibeamten hätten eine Bremsspur von ca. 7,5 m Länge, welche ca. 8 m vor der kreuzenden Radweg begonnen habe, sowie eine ca. 8 cm lange Schlagmarke auf dem T.weg in Höhe des Radweges mit Tendenz zum rechten Fahrbahnrand aus Richtung Hiddenhausener Straße gesehen, festgestellt. Der Kläger sei mindestens 60 km/h gefahren. Der Beklagte habe hingegen seine Geschwindigkeit deutlich reduziert, als er sich der Kreuzung näherte, um auch etwaige von links kommende Fahrzeuge reagieren zu können und dabei nach links geschaut. Das klägerische Fahrzeug habe er aufgrund des Baumbewuchses nicht gesehen. Der Beklagte habe die Kreuzung für frei gehalten. Zudem meint er, es gelte vorliegend die Regelung „rechts-vor-links“, sodass er vorfahrtsberechtigt gewesen sei.
Die Klage wurde dem Beklagten am 14.07.2015 zugestellt.
Es wurde Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Gutachters Dipl.-Ing. S.. Wegen des Ergebnisses des Gutachtens wird auf das schriftliche Gutachten vom 26.02.2016 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Der Kläger hat die Beklagte aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1 StVO einen Anspruch auf Zahlung von 1.825,44 EUR sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 157,33 EUR (netto).
1. Der Beklagte hat durch sein Verhalten ein Schutzgesetz verletzt. Er hat gegen § 1 StVO verstoßen.
Er hätte seine Geschwindigkeit vor dem Einfahren in die Kreuzung bis zum Stillstand reduzieren müssen, um die Kreuzung einsehen zu können. Dies war durch den dichten Baumbewuchs beim Herannahen auch mit geringem Tempo nicht möglich. Der Beklagte ist aus dem Fahrradweg mit einer Geschwindigkeit von 8 km/h auf die Fahrbahn des kreuzenden Schlösschenwegs gefahren. Das steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Das Gericht folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen S. weil er von des zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgehend den Streitstoff vollständig behandelt hat und das Gutachten gedanklich nachvollziehbar und in sich stimmig begründet hat und es außerdem mit den Denkgesetzen vereinbar ist. Für den Beklagten war bei der von ihm befahrenden Straße unabhängig von der tatsächlichen Regelung wegen der deutlich geringeren Straßenbreite des Radfahrweges im Vergleich zum T.weg nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob es sich um bevorrechtigte Straße oder einen Feldweg im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO handelte. Der Radfahrer muss sich aber der Kreuzung oder Einmündung vorsichtig nähern und darauf gefasst sein, dass der von links kommende Benutzer der Durchgangsstraße die Vorfahrt missachten werde Er darf in die Kreuzung nur einfahren, wenn er dadurch den von links kommenden nicht gefährdet, muss aber nicht zurückstehen, wenn dieser so weit entfernt ist, dass er den Einbiegevorgang rechtzeitig bemerken und gefahrlos seine Geschwindigkeit ausreichend ermäßigen oder anhalten kann. Verletzt der von rechts Kommende diese Sorgfaltspflicht, so sind an einem entstehenden Unfall beide mitschuldig, der Vorfahrtberechtigte auf Grund § 1, der Wartepflichtige nach § 8 Abs. 1. (Burmann/Heß, StVO, 24. Aufl. 2016, § 8 Rn. 29a)
Nach § 1 StVO erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Wer am Verkehr teilnimmt hat sich demnach so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
2. Das Verhalten des Beklagten war auch ursächlich für die Kollision. Hätte der Beklagte angehalten und sich nach links orientiert, wäre es nicht zur Kollision gekommen. Laut Sachverständigengutachten wäre der Unfall insoweit für den Beklagten immer vermeidbar gewesen.
3. Der Beklagte handelte auch rechtswidrig.
4. Der Beklagte handelte auch fahrlässig im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB. Dadurch, dass er nicht beim Einfahren in den T.weg seine Geschwindigkeit so verringerte, dass er bei eventueller Missachtung seiner Vorfahrt und bei Unklarheit über die geltenden Vorfahrtsregelungen hätte anhalten können, ließ er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht.
5. Der Beklagte hat dem Kläger grundsätzlich den ihm aus der Kollision entstanden Schaden nach den §§ 249 ff. BGB zu ersetzen.
a.) aa.) Der Beklagte hat dem Kläger grundsätzlich die Reparaturkosten in Höhe von 5.948,00 EUR, Gutachterkosten in Höhe von 707,42 EUR, Mietwagenkosten in Höhe von 624,75 EUR sowie eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00, also insgesamt 7.305,74 EUR, zu erstatten. Ferner hat der Beklagte ihn von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 629,30 EUR (netto) freizustellen.
bb.) Auf den Betrag von 5.531,11 hat der Kläger grundsätzlich Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.09.2014 aus §§ 286, 288 BGB. Der Kläger hat den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 11.08.2014 zur Zahlung der Reparaturkosten auf Gutachtenbasis in Höhe von 4.798,69 EUR, der Gutachterkosten in Höhe von 707,42 EUR sowie der Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR unter Fristsetzung bis zum 02.09.2014 aufgefordert. Eine Zahlung seitens des Beklagten erfolgte nicht.
Auf den Betrag hat der Kläger grundsätzlich Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen aus §§ 288, 291 BGB auf den Betrag von 1.774,63 EUR seit dem 15.07.2014. Die Klage wurde dem Beklagten am 14.07.2014 zugestellt.
b.) Dem Kläger ist jedoch ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB in Höhe von ¾ anzurechnen. Ihm sind selbst Verstöße gegen die StVO vorzuwerfen. Demnach hat der Kläger nur Anspruch auf Zahlung bzw. Freistellung von den Klageforderungen in Höhe von ¼.
Er hat Anspruch auf Zahlung von 1.826,44 EUR sowie auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 157,33 EUR (netto). Auch die Beträge, auf die Zinsen fällig werden, sind dementsprechend um ¾ zu kürzen.
aa.) Der Kläger hat gegen die Vorfahrtsregelung des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen. Der Beklagte war vorfahrtsberechtigt, welcher von rechts in den T.weg kreuzte. Demnach gilt grundsätzlich die Regelung „rechts-vor-links“. Es liegt auch keine Ausnahme von dieser Regelung nach § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StVO vor. Denn bei der kreuzenden Straße handelt es sich nicht um einen „Feld- oder Waldweg“ im Sinne dieser Norm. Der asphaltierte Weg, den der Beklagte befuhr, ist als überörtlicher Radwanderweg verzeichnet. Ein Feld- oder Waldweg ist hingegen ein solcher, der land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken dient und keine überörtliche Bedeutung hat. Die Beurteilung, ob ein Feld- oder Waldweg vorliegt bemisst sich nicht nach der Verkehrsbedeutung, sondern nach dem äußeren Anschein. Bei einem geteerten Fuß- und Radweg, der zwei Ortschaftsteile miteinander verbindet, handelt es sich weder um einen Feld- oder Waldweg noch einen untergeordneten Weg, sondern um eine Straße, bei der die Rechts- vor-Links-Regelung des § 8 Abs. 1 StVO gilt. (OLG München, Urt. v. 03.03.2011, Az.: 24 U 384/10)
bb.) Zudem liegt ein Verstoß des Klägers gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 S. 3 StVO vor. Demnach darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Der Kläger ist zum Zeitpunkt der Einleitung des Bremsvorgangs mit einer Geschwindigkeit von 56 km/h gefahren. Das steht nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen S. zur Überzeugung des Gerichts fest. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem T.weg beträgt gemäß § 3 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 c) 100 km/h, weil die Straße außerhalb geschlossen Ortschaften liegt. Ca. 100 m vor dem kreuzenden Radwanderweg ist jedoch das Gefahrzeichen 138 („Radfahrer kreuzen“) aufgestellt. Gemäß § 40 Abs. 1, Abs. 6 StVO mahnen Gefahrzeichen zu erhöhter Aufmerksamkeit, insbesondere zur Verringerung der Geschwindigkeit im Hinblick auf eine Gefahrsituation.
Das Gefahrzeichen 138 fordert zu einer zurückhaltenden Fahrweise auf, ohne dass ein dem Zeichen entsprechendes konkretes Gefahrensignal erkennbar sein müsste. Es ist eine Fahrgeschwindigkeit zu wählen, wie sie bei innerörtlichen Verhältnissen, bei denen es auch zu unerwartetem Querverkehr durch Fußgänger kommen kann, geboten wäre. (OLG Hamm, Urt. v. 13.01.2009, Az.: I-9 U 70/08, 9 U 70/09)
Der Kläger hatte sich vorsorglich auf möglicherweise kreuzende Radfahrer einzurichten. Aus dem Gefahrzeichen, folgt noch kein generelles Gebot die Geschwindigkeit herabzusetzen, jedoch war der kreuzende Radweg so mit Büschen seitlich bewachsen, dass für den Kläger dieser auch schlecht einsehbar war. Er hätte seine Geschwindigkeit in solch einem Maße herabsetzen müssen, dass er im Hinblick auf möglicherweise kreuzende Radfahrer rechtzeitig hätte anhalten können. Dies war mit der Geschwindigkeit von 56 km/h nicht möglich. Bei einer Geschwindigkeit von 30-40 km/h hätte der Kläger die Kollision laut Gutachten des Sachverständigen S. immer vermeiden können.
Der Streitwert wird auf 7.305,74 EUR festgesetzt.