LG Hamburg – Az.: 306 S 1/17 – Urteil vom 17.11.2017
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 16.12.2016, Az. 911 C 228/16, abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 1.118,02 festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Zahlung von (weiterem) Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
Am 01.11.2013 kam es zu einem Verkehrsunfall auf dem M. Weg in H.. Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug Mercedes Benz A 170 zunächst das dortige P+R-Gelände und verließ es über einen abgesenkten Bordstein in den Wendehammer am Ende des M. Wegs. Dort kam zu einer Kollision mit dem von dem Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten LKW, der im Wendehammer rückwärts fuhr.
Vorprozessual regulierte die Beklagte zu 2) den Schaden der Klägerin auf der Basis einer Haftungsquote von 50 %, wobei sie die von einem Sachverständigen kalkulierten Netto-Reparaturkosten unter Verweis auf eine alternative Reparaturmöglichkeit kürzte.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagten zu 100 % für den Schaden haften würden. Das Amtsgericht hat der Klage auf der Basis dieser Haftungsquote im Wesentlichen stattgegeben. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Beklagte zu 1) beim Rückwärtsfahren gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen habe. Ein Verstoß der Klägerin gegen § 10 S. 1 StVO sei dagegen nicht feststellbar. Hiergegen wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten.
Die Beklagten beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Hamburg St.-Georg vom 16.12.2016 abzuändern und die Klage (vollständig) abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen sowie auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils (§ 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO).
II.
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Zahlung von weiterem Schadensersatz wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom 01.11.2013.

Bei der hier vorzunehmenden Abwägung der Betriebsgefahren und Verursachungsbeiträge gemäß § 17 StVG, bei der nur feststehende, d.h. entweder unstreitige oder bewiesene Tatsachen zugrunde zu legen sind, ist auf Seiten der Klägerin ein Verstoß gegen § 10 S. 1 StVO zu berücksichtigen. Denn im vorliegenden Fall hat sich der Unfall in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verlassen des Parkplatzbereiches über den abgesenkten Bordstein und dem Einfahren in den Wendehammer der Fahrbahn ereignet. Die Klägerin hätte sich hierbei so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Da es gleichwohl im Zusammenhang mit diesem Fahrmanöver zu einem Unfall gekommen ist, spricht ein Anschein für die Verletzung der besonderen Sorgfaltspflicht gemäß § 10 S. 1 StVO. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist das Einfahren in den Wendekreis auch ursächlich für den Verkehrsunfall gewesen. Denn die Klägerin hat hierdurch eine maßgebliche Ursache für den Unfall gesetzt. Soweit das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung ausführt, dass sich die Kollision ebenso ereignet hätte, wenn die Klägerin den Wendekreis über den M. Weg erreicht hätte, vermag die Kammer dieser Einschätzung nicht zu folgen. Eine derartige Feststellung kann hier nicht getroffen werden. Das folgt schon daraus, dass sich die Klägerin in diesem Fall im Sichtbereich des Beklagten zu 1) und im fließenden Verkehr befunden hätte.
Soweit das Amtsgericht darüber hinaus in dem angefochtenen Urteil einen Anschein für einen Verstoß des Beklagten zu 1) gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht gemäß § 9 Abs. 5 StVO zugrunde legt, verkennt es, dass diese Vorschrift primär die besondere Sorgfaltspflicht gegenüber dem fließenden Verkehr schützt (vgl. Hentschel, 43. Aufl., § 9 StVO Rz. 51). Die Klägerin befand sich hier jedoch gerade nicht im fließenden Verkehr. § 9 Abs. 5 StVO schützt nicht denjenigen, der unter Beachtung der besonderen Sorgfaltspflicht des § 10 S. 1 StVO in den fließenden Verkehr einfahren möchte.
Nach alldem kann die Klägerin dem Grunde nach keinesfalls mehr als die bereits vorprozessual erlangten 50 % ihres Schadens erstattet verlangen. Sie ist mit der Regulierung durch die Beklagte zu 2) vielmehr bereits äußerst „gut bedient“.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.