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Verkehrsunfall: Gebührenrahmen von 0,75 angemessen? Einzelmeinung!

AMTSGERICHT HERNE

Az.: 5 C 349/04

Urteil vom 23.12.2004


In dem Rechtsstreit hat das Amtsgericht Herne im schriftlichen Verfahren nach Schriftsatznachlass bis zum 02.12.2004 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreites.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 115 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall auf der H… Straße in Herne vom 09.07.2004 zwischen dem Kläger mit seinem PKW … und der Beklagten zu 1) mit ihrem PKW …, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Der Kläger hatte verkehrsbedingt angehalten, hinter seinem Fahrzeug hielt ein LKW an, auf den die Beklagte zu 1) auffuhr. Hierbei schob sie den LKW auf den klägerischen Wagen auf, der dadurch beschädigt wurde.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Beklagten dem Kläger dem Grunde nach auf 100 %igen Schadensersatz haften. Streitig zwischen den Parteien ist die Position Rechtsanwaltskosten anlässlich der Schadenregulierung der Höhe nach.

Die Beklagte zu 1) hatte den Schaden rasch bei der Beklagten zu 2) gemeldet, die mit Schreiben vom 12.07.2004 – an den Kläger gerichtet – ihre grundsätzliche Eintrittspflicht bestätigte. Mit Schreiben vom darauf folgenden Tag meldeten sich die späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Beklagten zu 2) unter Beifügung eines Fragebogens für Anspruchsteller, die wiederum einen Tag später die Ansprüche des Klägers bezifferten. Die Beklagte zu 2) rechnete mit Schreiben vom 22.07.2004 den Schaden ab, wobei sie die Position Nutzungsausfallentschädigung nicht übernahm, da ein Fahrzeugausfall (Reparatur oder Neuanschaffung) nicht belegt war.

Unter dem 23.07.2004 ließ der Kläger seine Rechtsanwaltskosten abrechnen, und zwar nach § 14 RVG, wobei eine Rahmengebühr von 1,3 gefordert wurde unter Berücksichtigung eines Gegenstandswertes von 2.155,77 €, in Höhe von insgesamt 268,89 €.

Die Beklagte zu 2) übernahm jedoch nur eine Rahmengebühr von 0,8 und leistete 175,51 €.

Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Rahmengebühr von 1,3 angemessen sei, denn eine solche stelle im neuen RVG die übliche Mittelgebühr dar, die zu begleichen sei, wenn es sich um eine durchschnittliche Angelegenheit handele. Nachdem § 14 RVG mit der Gebührenziffer 2400 die alte Regelung des § 118 BRAGO, der unterschiedliche Gebührentatbestände enthalten habe, abgelöst habe, sei eine neue Definition dessen, was als Normalfall bezeichnet werde, vonnöten.

Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 93,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 11. August 2004 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, für die Bestimmung der Rahmengebühr komme es auf Umfang und Schwierigkeit an, und der konkrete Fall sei da eher unterdurchschnittlich schwierig und umfangreich gewesen. Die Regelgebühr könne allenfalls dann bei 1,3 liegen, wenn insgesamt ein überdurchschnittlich schwieriger und umfangreicher Fall vorgelegen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen weiteren Anspruch auf Leistung von Schadensersatz nach §§ 7 Abs. 1,18 Abs. 1 StVG, 3 Ziff. 1 PfIVG. Zwar haften die Beklagten dem Kläger dem Grunde nach auf vollständigen Schadensersatz, indessen haben die Beklagten bereits vorprozessual sämtliche berechtigten Ansprüche des Klägers ausgeglichen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist für die stattgefundene Schadenregulierung durch seine Rechtsanwälte nur ein Gebührenrahmen von 0,8 anzusetzen.

Das Gericht folgt insoweit den beiderseits geäußerten Auffassungen, wonach § 14 RVG die alte Regelung des § 118 BRAGO ersetzt hat.

Regelmäßig erhielten Rechtsanwälte für eine Schadenregulierung, wenn keine besonderen Umstände hinzugetreten waren (wie auch hier!), eine 7,5/10 Gebühr nach §118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO zuzüglich Auslagenersatz und Mehrwertsteuer.

Besondere Umstände konnten sich ergeben bei besonders schwierigen Fällen, bei denen auch schon mal der Ansatz einer höheren Gebühr berechtigt war oder dann, wenn es Besprechungen gab oder sogar eine Teilnahme an einer Beweisaufnahme. Letztere Tatbestände sind abgedeckt durch § 118 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BRAGO und begründeten jeweils eine zusätzliche Gebühr mit dem entsprechenden Gebührenansatz von regelmäßig 7,5/10 (oder gegebenenfalls auch höhere Ansätze, wenn die Schwierigkeit des Einzelfalles dies rechtfertigte).

Aus dem neuen § 14 RVG wird deutlich, dass der Gesetzgeber alle „alten“ Gebührentatbestände des § 118 Abs. 1 BRAGO abdecken wollte, und sei es aus Vereinfachungsgründen.

Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass ein Gebührenrahmen von 1,3 der Regelfall für die Schadenregulierung bei Verkehrsunfällen sein soll. Wenngleich das Gericht hin und wieder Zweifel an der Güte gesetzgeberischer Erzeugnisse hegt, unterteilt es immer noch gutgläubig, dass der Gesetzgeber in der Lage ist, seinen eindeutigen Willen auch zu kodifizieren. Aus einer fehlenden gesetzlichen Regelung insoweit ist aber hier der Schluss zu ziehen, dass der Gesetzgeber bewusst keine Regelfälle schaffen wollte. Vielmehr wollte er mit der Schaffung der Rahmengebühren allen an Gebühren und an den Streitigkeiten um die Gebühren beteiligten Personen eine gewisse Flexibilität an die Hand geben. Weil der Gesetzgeber eine „Regelgebühr“ gerade nicht in das Gesetz geschrieben hat, kommt es letztlich auf den Inhalt diverser Bundestagsdrucksachen und „amtlicher Begründungen“ nicht an.

Die rechtsprechende Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden, nicht an Bundestagsdrucksachen und „amtliche Begründungen“ und schon mal erst recht nicht an die Meinung des parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium der Justiz, Alfred Hartenbach, dessen Meinung für die Frage, was der Gesetzgeber gewollt hat, schon deswegen nur als seine Privatmeinung betrachtet werden muss, weil er sie in seiner Eigenschaft als Mitglied der Exekutive geäußert hat; soweit dem Gericht nicht tiefgreifende Änderungen des Grundgesetzes entgangen sind, gibt es in unserem Staat immer noch die Gewaltenteilung, die es der Exekutive verbietet, sich in die Angelegenheiten der Legislative (und Jurisdiktion) einzumischen.

Nicht gewollt haben kann der Gesetzgeber eine nahezu Verdoppelung der Gebühren für einfache und durchschnittliche Fälle (1,3 anstatt 0,75), er hätte es ansonsten in das Gesetz schreiben müssen. Vor dem Hintergrund, dass eine allgemeine Inflation wirtschaftlich mit einiger Berechtigung als sehr gefährlich angesehen wird und der Tatsache, dass sich erheblich erhöhte Rechtsanwaltsgebühren kosten- und preismäßig in der gesamten Volkswirtschaft bemerkbar machen – so auch bei den Bundes- und Länderfinanzhaushalten, was der EU (Stichwort Stabilitätsabkommen) nicht gefällt -, kann das Gericht hier einen solchen Willen auch im Wege der Auslegung nicht feststellen.

Wäre der konkrete Fall nach der BRAGO abzurechnen gewesen, hätte sich folgendes ergeben (für den angesetzten Streitwert):

7,5/10 Geschäftsgebühr 120,75 €

15 % Auslagenpauschale 18,11 €

Zwischensumme 138,86 €

16 % MwSt 22,21 €

Summe: 161,07 €

Verteuert hätte sich die Angelegenheit nur dann, wenn entweder der Fall sehr schwierig gewesen wäre oder aber wenn zusätzlich eine Besprechungsgebühr hätte angesetzt werden können (eine Beweisaufnahme entfällt).

Daraus ergibt sich aber, gerade weil der Gesetzgeber eine inflationäre Gebührenanhebung nicht gewollt hat, dass ein erhöhter Gebührenrahmen nur angemessen ist, wenn entweder der Fall schwieriger und/oder umfangreicher als üblich ist oder aber wenn zusätzliche Tätigkeiten (beispielsweise eine Besprechung oder Teilnahme an einer Beweisaufnahme) anfallen.

Beides liegt im konkreten Fall nicht vor.

Die Beklagte zu 2) hat, wohl auch weil die Beklagte zu 1) den Schaden so schnell gemeldet hat, innerhalb von knapp 2 Wochen nach Schadenseintritt vollständig reguliert und zuvor 3 Tage nach Schadenseintritt dem Kläger bereits die Regulierungsbereitschaft mitgeteilt. Letztlich hat es auch bei der durchgeführten Regulierung keinerlei Schwierigkeiten gegeben.

Die Tatsache, dass die Beklagte zu 2) sich weigerte, auch die Position Nutzungsausfallentschädigung zu übernehmen, begründet keinerlei zusätzliche Schwierigkeit, denn sie hat sich – für einen Juristen sofort ersichtlich – völlig zu Recht geweigert. Nutzungsausfallentschädigung fällt nicht „automatisch“ nach einem Verkehrsunfall an, sondern nur dann, wenn der Geschädigte auch einen Nutzungswillen hat(te), den er nur durch die Reparatur seines verunfallten Fahrzeuges oder die Neuanschaffung eines Ersatzfahrzeuges belegen kann.

Das Gericht ist auch angesichts von § 14 Abs. 2 RVG nicht gehindert, den vorliegenden Rechtsstreit ohne Einholung eines Gutachtens des Vorstands der Rechtsanwaltskammer zu entscheiden.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist ein solches einzuholen, wenn in einem Rechtsstreit die Höhe der Gebühren streitig ist.

Nachdem der Umgang mit Gesetzen und deren Auslegung die ureigenste Aufgabe eines Gerichtes ist, von der es sich auch nicht durch diverse Sachverständigengutachten befreien kann, und nachdem es die Gerichte sind, die nach dem Willen des Gründgesetzes die rechtsprechende Gewalt ausüben, muss jene Vorschrift einschränkend ausgelegt werden, um nicht contra unserer Verfassung die rechtsprechende Gewalt in Einzelfällen in die Hände des Vorstands der Rechtsanwaltskammer zu legen, ohne dass durch entsprechende Mehrheiten in der Legislative eine entsprechende Grundgesetzänderung beschlossen worden wäre.

Die Frage, ob ein Gebührenrahmen von 1,3 oder aber von 0,8 angemessen ist bzw. eine Mittelgebühr darstellt, ist eine Rechtsfrage, die das Gericht aus eigener Kenntnis lösen kann und muss, denn auch ein Vorstand der Rechtsanwaltskammer kann nur seine Meinung äußern, was die Mittelgebühr bzw. was der angemessene Gebührenrahmen sein soll.

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Es geht hier nämlich nicht um eine Frage, die nur ein ganz bestimmter Fachmann kraft seiner insoweit dem Gericht überlegenen Fachausbildung lösen kann wie beispielsweise die Ermittlung einer Grundstücksgrenze und ihres Verlaufes, wofür ein ausgebildeter Vermessungstechniker oder Vermessungsingenieur benötigt wird. Was so ganz genau der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 14 Abs. 2 RVG gewollt hat, ist dem Gericht nicht so ganz klar geworden, da aber das Gericht immer noch gutgläubig unterstellt, dass Gerichte vom Gesetzgeber nicht zum Verfassungsbruch verleitet werden sollen, muss diese Frage hier auch nicht abschließend geklärt werden, weil zumindest – wie erläutert – nicht damit gemeint sein kann, Teile der Rechtsprechung auf die Rechtsanwaltskammer zu verlagern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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