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Verkehrsunfall – 130 % Prozentgrenze und 6 Monatsfrist

Landgericht Kiel

Az: 10 S 65/07

Urteil vom 03.04.2008

Vorinstanz: Amtsgericht Kiel, Az.: 110 C 92/07


In dem Berufungsverfahren hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Kiel auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2008 für Recht erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 22. Oktober 2007 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird für den Zeitraum bis zum 21. Februar 2008 auf 4.574,17 € festgesetzt und für die Zeit danach auf bis zu 700,00 €.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1. Anhängig ist die Hauptsache in der Berufungsinstanz noch hinsichtlich der Zinsen auf die Hauptforderung sowie hinsichtlich der Nebenforderung von 256,62 € vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen. Im Übrigen – d. h. hinsichtlich der Hauptforderung – haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die sog. Sechsmonatsfrist abgelaufen und die Hauptforderung durch die Beklagte beglichen worden ist.

2. Ob die Nebenforderungen bestehen und wie im Übrigen die Kosten zu verteilen sind, ist ausschließlich abhängig von der Frage, ob der Kläger erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz, namentlich nach Ablauf der sog. Sechsmonatsfrist, die den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden Reparaturkosten verlangen konnte.

a) Das Amtsgericht ist zunächst zutreffend und in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden Reparaturkosten – bis zur 130-%-Grenze – nur verlangt werden können, wenn ein Interesse an der Integrität gerade des konkreten Fahrzeuges besteht. Der BGH beschreibt dieses Interesse damit, dass der Eigentümer eines Kfz um dessen besondere Umstände weiß, etwa wie das Fahrzeug ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind (BGH, Urt. v. 27. November 2007, Az. VI ZR 56/07, Juris Rn. 6). Das Amtsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass dieses Integritätsinteresse im zu beurteilenden Einzelfall vorliegen und vom Geschädigten bewiesen werden muss.

b) Unrichtig ist die Entscheidung allerdings insoweit, als das Amtsgericht meint, alleine die Durchführung der Reparatur belege ein Integritätsinteresse des Geschädigten. Erforderlich ist vielmehr, dass der Geschädigte von der o. g. Vertrautheit mit den Besonderheiten des konkreten Fahrzeuges auch selbst tatsächlich weiter profitieren will und profitiert. Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte den Differenzbetrag deshalb nur verlangen, wenn „er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen“. Sein für den Zuschlag von bis zu 30 % ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringe der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt (BGH, Urt. v. 13. November 2007, Az. VI ZR 89/07, Juris Rn. 9). Mag es damit zwar für die Entstehung des Anspruchs auf den Differenzbetrag ausreichend sein, dass der Geschädigte im Zeitpunkt der Reparatur die Weiternutzungsabsicht hat (also ein rein subjektiver Umstand, näher dazu sogleich), so genügt die Reparatur alleine aber jedenfalls nicht für dessen Nachweis. Die gegenteilige Entscheidung des OLG Celle (Beschl. v. 22. Januar 2008, Az. 5 W 102/07) verkennt, dass sich alleine dem Umstand der Durchführung der Reparatur nicht entnehmen lässt, zu welchem Zwecke sie erfolgt, insbesondere nicht, ob sie nicht lediglich zum Zwecke der besseren Veräußerung (dann unstreitig kein beachtenswertes Integritätsinteresse) erfolgt.

c) Entgegen der Auffassung der Berufungsführerin folgt daraus aber nicht, dass der Anspruch auf den Differenzbetrag erst nach Ablauf der Sechsmonatsfrist fällig würde oder gar erst entstehen würde (so auch Schneider, JurisPR-VerkR 2/2008 Anm. 2 Buchst. D, ausdrücklich für die von der Berufungsführerin zitierte Entscheidung; anders demgegenüber – ohne Begründung – OLG Düsseldorf, Beschl. v. 3. März 2008, Az. I-1 W 6/08). Explizit hatte der BGH diese Frage soweit ersichtlich noch nicht zu entscheiden. Seiner Rechtsprechung lässt sich das Ergebnis aber entnehmen (so auch Elsner, Ju-risPR-VerkR 1/2007 Anm. 6 Buchst. C): Der Anspruch entsteht spätestens mit der Reparatur und ist auch sofort fällig, er lässt sich aber erst mit Ablauf der Sechsmonatsfrist nachweisen – weil erst dann das Integritätsinteresse belegt ist – und damit im Ergebnis auch erst dann realisieren (wie hier LG Kiel, Beschl. v. 5. Februar 2008, Az. 1 S 161/07).

(1) Das folgt zum einen schon aus der vom BGH gewählten Formulierung: Erforderlich ist danach materiellrechtlich nur, dass der Geschädigte „den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen“. Der Anspruch entsteht also mit der Wiederherstellung, wenn in diesem Zeitpunkt die Weiternutzungsabsicht besteht. Das weitere Erfordernis der Sechsmonatsfrist ändert hieran und auch an der Fälligkeit nichts. Es zielt ausschließlich auf den Nachweis der Weiternutzungsabsicht. Der Geschädigte bringe sein Integritätsinteresse im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt (BGH, Urt. v. 13. November 2007, Az. VI ZR 89/07, Juris Rn. 9). An anderer Stelle spricht der BGH sogar ausdrücklich davon, das Integritätsinteresse sei mangels Ablauf der Sechsmonatsfrist nicht „nachgewiesen“ (BGH, Urt. v. 27. November 2007, Az. VI ZR 56/07, Juris Rn. 9).

(2) Das Ergebnis folgt weiter daraus, dass der BGH in Fällen der Weiternutzung (bei Anerkennung eines Integritätsinteresses) den Wiederbeschaffungsaufwand ohne Abzug des Restwertes berechnet. Er begründet dies damit, dass „der Restwert, wenn und solange der Geschädigte ihn nicht realisiert“, lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten darstelle, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlagen dürfe (BGH, Urt. v. 23.05.2006, VI ZR 192/05, Juris Rn. 8). Auch hier lässt also ein späterer Verkauf das Integritätsinteresse ab diesem Zeitpunkt entfallen und entsteht nicht umgekehrt das Integritätsinteresse erst mit Fristablauf ohne Verkauf (so auch Elsner, JurisPR-VerkR 1/2007 Anm. 6 Buchst. C).

(3) Damit muss der Geschädigte i. E. also nicht den Ablauf der sechs Monate abwarten. Tut er dies, ist er „auf der sicheren Seite“, weil er sein Integritätsinteresse dadurch „im Regelfall“ (BGH a. a. O.) ohne weitere Beweismittel belegen kann. Er hat aber schon nach dem Ende der angemessenen Bearbeitungsfrist Anspruch auf die Reparaturkosten, die ihm bei Verzug auch verzinst werden müssen. Entsprechende Klagen sind begründet und, sollte während des Rechtsstreits Erledigung eintreten, sind die Prozesskosten nach § 91a ZPO dem Versicherer aufzuerlegen Der Versicherer seinerseits ist an diese Abrechnung nicht gebunden. Er kann überprüfen, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich insgesamt sechs Monate gehalten hat. Wenn nicht, kann er den über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden Betrag zurückfordern (Elsner, JurisPR-VerkR 1/2007 Anm. 6 Buchst. C). Ein Kostenrisiko bei Prozessen vor Ablauf der Sechsmonatsfrist tragen beide Seiten.

(4) Vorliegend ist die Sechsmonatsfrist noch vor Eintritt der Rechtskraft abgelaufen, so dass sich das Risiko auf Seite der Beklagten verwirklicht hat. Der Kläger hat durch die Weiternutzung über 6 Monate belegt, dass er die Reparatur seinerzeit in Weiternutzungsabsicht vorgenommen hat. Die vom Amtsgericht tenorierten Ansprüche standen dem Kläger von Anfang an zu, so dass die Entscheidung im Ergebnis zutreffend ist.

Die Berufung war – soweit noch anhängig – zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung erster Instanz hat Bestand. Soweit die Hauptsache jetzt übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, folgt die Kostentragungspflicht der Beklagten aus § 91a ZPO, da sie insoweit nach den vorstehenden Ausführungen unterlegen wäre. Die Kosten der Berufungsinstanz waren der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.

Nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat die Kammer die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Bei der streitentscheidenen Frage der rechtlichen Bedeutung der Sechsmonatsfrist handelt es sich um eine klärungsbedürftige Frage, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist (vgl. Gummer, in: Zöl-ler, § 543 Rn. 11, m. w. Nachw.).

Die Streitwertfestsetzung für den Zeitraum nach dem 21. Februar 2008 (übereinstimmende Erledigungserklärung) beruht auf § 43 Abs. 2 GKG (Zinsen auf Hauptforderung, vorgerichtliche Anwaltskosten und Zinsen hierauf).

 

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