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Fahrstreifenwechsel – Unfall – Haftungsquoten

OLG Celle

Az: 14 U 33/10

Urteil vom 30.06.2010


Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall vom 1. Juni 2008 auf der Bundesautobahn 2. Die Beklagte steuerte das Fahrzeug des Klägers, der als Beifahrer zusammen mit dem Zeugen Sch. ebenfalls an der Fahrt teilnahm. Im Bereich der Anschlussstelle Hannover/Herrenhausen kam es zu einem Verkehrsunfall. Die Autobahn hat dort drei Fahrspuren. Die Beklagte befuhr mit dem Pkw des Klägers die mittlere Fahrspur, auf der rechten Fahrspur befand sich ein Lkw, den die Beklagte überholte. Als sie nach Vorbeifahrt an dem Lkw auf die rechte Fahrspur einscherte, kam im selben Moment – jedenfalls nach der insoweit übereinstimmenden Darstellung der drei Fahrzeuginsassen im Pkw des Klägers – von rechts aus dem Bereich der Einfädelungsspur ein „blauer Pkw“ heran und fuhr auf die rechte Fahrspur. Um einer befürchteten Kollision zu entgehen, riss die Beklagte das Lenkrad herum, der Pkw des Klägers kam ins Schleudern, drehte sich und kollidierte mit der Leitplanke am Seitenstreifen. Der „blaue Pkw“ fuhr davon. Nähere Angaben – insbesondere zum Fahrzeugtyp und zum amtlichen Kennzeichen – dieses Pkw fehlen.

Der Kläger hatte für sein Fahrzeug noch Darlehensraten an die S. C. Bank AG zu entrichten. Das Auto stand im Sicherungseigentum dieser Bank. Der Kläger sieht sich Schadensersatzansprüchen seitens der Sicherungseigentümerin ausgesetzt und begehrt deshalb von der Beklagten den Ausgleich der unfallbedingt entstandenen Schäden in Höhe von 7.538,79 € durch Zahlung an die S. C. Bank AG.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt der Kläger seine Ansprüche ungemindert weiter. Die Beklagte beruft sich unter anderem auf einen stillschweigenden Haftungsausschluss.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

1. Vertragliche Ansprüche:

Dem Kläger steht kein Anspruch aus einem Leihvertrag zu. Es fehlt an dem entsprechenden Rechtsbindungswillen (vgl. schon BGH, Urteil vom 22. Juni 1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, juris-Rdnr. 14 f.).

Dass eine fehlende rechtliche Verpflichtung (wie bei einem Leihvertrag zur Überlassung des Pkw) einem Rechtsbindungswillen nicht unbedingt entgegenstehen muss (BGH a. a. O., juris-Rdnr. 13), ist hier ohne Belang, weil es entscheidend darauf ankommt, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden darstellt (so schon RG, JW 1915, 19; BGH a. a. O., juris-Rdnr. 14 f.). Nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien wollten sie gemeinsam nach Osnabrück fahren, um dort eine Wohnung zu besichtigen. Die Parteien waren damals miteinander befreundet. Das spricht – unabhängig davon, ob die Beklagte für den Kläger gefahren oder dieser auf Wunsch der Beklagten mitgekommen ist – für eine Gefälligkeitsfahrt außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs (vgl. BGH, a. a. O., Rdnr. 15).

2. Ansprüche aus Gefährdungshaftung nach dem StVG:

Unmittelbare Ansprüche aus dem StVG scheiden aus. Denn gemäß § 8 Nr. 2 StVG besteht ein Ausschluss der Gefährdungshaftung (§ 7 StVG), wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Verletzter im Sinne von § 8 Nr. 2 StVG ist dabei auch der Eigentümer einer beschädigten Sache (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 – VI ZR 378/90, VersR 1992, 437, juris-Rdnr. 16; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 8 StVG, Rdnr. 1). Tätig bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs ist derjenige, der sich durch seine Tätigkeit freiwillig den besonderen Gefahren des Betriebs des betroffenen Fahrzeugs aussetzt (Hentschel/König/Dauer a. a. O., Rdnr. 3 m. w. N.). Zu diesem Personenkreis gehört insbesondere der Beifahrer (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 8 StVG, Rdnr. 9 m. w. N.).

Damit kann dahinstehen, dass im Verhältnis zwischen Halter und Fahrer eines Kraftfahrzeugs – wie hier – § 18 StVG keine Anwendung findet (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker a. a. O., § 18 StVG, Rdnr. 14; Geigel/Kaufmann, Der Haftpflichtprozess, Kap. 25, Rdnr. 284 und 335).

3. Haftung aus Deliktsrecht/gem. § 823 BGB:

Der Ausschluss der Gefährdungshaftung nach dem StVG steht der verschuldensabhängigen Haftung aus den §§ 823 f. BGB nicht entgegen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker a. a. O., § 8 StVG, Rdnr. 1; § 16 StVG, Rdnr. 1; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 4 Rdnr. 34). Gleichwohl steht dem Kläger auch hier kein Schadensersatzanspruch zu. Das Landgericht hat eine auch nur einfache Fahrlässigkeit der Beklagten verneint. Die Kammer hat dabei allerdings nicht über § 823 Abs. 2 BGB den § 7 Abs. 5 StVO als Schutzgesetz gewürdigt, obwohl sich hier bei dem Fahrstreifenwechsel möglicherweise gerade die Gefahr verwirklicht hat, vor der § 7 Abs. 5 StVO schützen will (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 – VI ZR 185/04 -, VersR 2005, 1449, juris-Rdnr. 8 m. w. N.). Wenn die Beklagte gegen die Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO verstoßen hätte, würde gegen sie auch ein Anscheinsbeweis sprechen und damit eine deliktische Einstandspflicht begründet werden können (vgl. BGH a. a. O., juris-Rdnr. 9 m. w. N.). Ansonsten hätte der Kläger ein Verschulden der Beklagten nachzuweisen.

a) Der Senat verneint einen Anscheinsbeweis zum Nachteil der Beklagten:

Nach dem unstreitigen Vortrag beider Parteien ist die Beklagte unmittelbar vor dem Unfall vom mittleren Fahrstreifen der Autobahn auf den rechten gefahren, nachdem sie einen Lkw, der dort fuhr, überholt hatte (so auch die polizeiliche Unfallskizze und die Schilderung im Ermittlungsverfahren, Bl. 10 d. Beiakte). Allerdings gab es dann keine Kollision mit dem nachfolgenden Fahrzeug – also dem überholten Lkw – unmittelbar im Anschluss an den Fahrstreifenwechsel (in diesem Fall spräche allerdings ein Beweis des ersten Anscheins für die Missachtung der Sorgfaltspflicht nach § 7 Abs. 5 StVO durch die Beklagte – vgl. nur Hentschel/König/Dauer a. a. O., § 7 StVO, Rdnr. 17 a. E.). Die Beklagte kollidierte mit keinem anderen Pkw, sondern wich einem plötzlich von rechts hinten auftauchenden Pkw aus.

Nach den polizeilichen Feststellungen (Unfallskizze Bl. 49 d. A.) hätte die Beklagte den blauen Pkw auch durch einen zweiten Blick nach hinten unmittelbar vor dem Fahrstreifenwechsel nicht wahrnehmen können, weil er bei Beginn des Fahrstreifenwechsels durch den rechts fahrenden Lkw verdeckt war. Auf „unsichtbaren“ Verkehr konnte sich die Beklagte nicht einstellen. Auch wenn im Bereich einer Anschlussstelle und eines Beschleunigungsstreifens mit von rechts einfahrenden Pkw zu rechnen ist, muss der Verkehr auf dem durchgehenden Fahrstreifen, wo sich die Beklagte befand, nicht mit unvermitteltem Einfahren vom Seitenstreifen rechnen (vgl. Hentschel/König/Dauer a. a. O., § 18 StVO, Rdnr. 16), umso mehr, als der durchgehende Verkehr auf der Autobahn vor dem Einfahrenden Vorfahrt hat, weshalb der einfahrende Verkehr – hier also der unbekannte „blaue Pkw“ – wartepflichtig war und nur hätte einfahren dürfen, wenn er den durchgehenden Verkehr nicht gefährdet oder behindert hätte (Hentschel/König/Dauer a. a. O., Rdnr. 17).

Der Senat sieht deshalb den gesamten Vorgang nicht als typischen Geschehensablauf an, was jedoch die Annahme eines Anscheinsbeweises voraussetzte. Dass ein Pkw beim Einfahren auf die Autobahn von einem Lkw auf der rechten Fahrspur für den links neben dem Lkw fahrenden Verkehr verdeckt wird, mag regelmäßig vorkommen. Dass aber gerade in dem Moment, in dem der links einen Lkw überholende Pkw auf den rechten Fahrstreifen wechseln will, ein anderer Pkw vom Beschleunigungsstreifen nach links auf dieselbe Fahrspur der Autobahn einfährt, so dass die Fahrzeuge den selben Teil des (rechten) Fahrstreifens zeitgleich in Anspruch nehmen wollen, dürfte eher ungewöhnlich sein und jedenfalls nicht zu den typischen Gefahren des Fahrzeugverkehrs im Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel gehören.

b) Im Übrigen ist dem Kläger nicht der Nachweis eines zumindest fahrlässigen Verstoßes der Beklagten gegen ihre Pflichten als Fahrzeugführerin gelungen. Dass sie möglicherweise auch nur reflexartig von dem plötzlich (unstreitig) auf sie zufahrenden „blauen Pkw“ weglenkte und im Zuge dieses Vorgangs die Kontrolle über das Fahrzeug verlor, genügt noch nicht, einen Fahrlässigkeitsvorwurf zu begründen, um so mehr, als die eigentlichen Unfallumstände inkonkret geblieben und von den Parteien kaum nachvollziehbar geschildert worden sind (der Kläger hat vor dem Ausweichmanöver geschlafen und ist erst aufgewacht, als der Wagen ins Schleudern geriet).

4. Inwieweit ein stillschweigender Haftungsausschluss in Betracht kommt, kann damit letztlich offen bleiben. Der Senat lehnt ihn allerdings für Fälle wie diesen ab:

Ein stillschweigender Haftungsausschluss soll nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH nur in Frage kommen bei einem besonderen Interesse des Halters daran (BGH, Urteil vom 14. November 1978 – VI ZR 178/77 -, VersR 1979, 136, juris-Rdnr. 11). Welches besondere Interesse der Kläger an einem solchen Haftungsverzicht gehabt haben soll, ist nicht erkennbar. Als ungenügende Anhaltspunkte hat der BGH insoweit bloße Gefälligkeiten oder nahe Beziehungen zwischen den Beteiligten gewertet (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1965 – VI ZR 102/64 -, NJW 1966, 41). Ausreichende Anhaltspunkte, die einen Haftungsverzicht begründen könnten, liegen nicht vor. Dazu müsste davon ausgegangen werden können, dass die Beklagte, hätte sie die Risiken und Haftungsprobleme bedacht und angesprochen, eine solche Haftungsbeschränkung hätte verlangen und diese vom Kläger redlicherweise nicht hätte abgelehnt werden dürfen. Dies soll z.B. bei einem besonderen persönlichen Haftungsrisiko des Schädigers wegen fehlenden Versicherungsschutzes in Betracht kommen (vgl. OLG Hamm, VersR 2008, 1219, juris-Rdnr. 27). Insgesamt tendiert die Rechtsprechung aber dahin, einen Haftungsausschluss nur ausnahmsweise anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1978 a. a. O., juris-Rdnr. 11: „Immer sehr zurückhaltend … insbesondere wurde als Rechtfertigung nicht der Umstand anerkannt, dass die Mitnahme aus Gefälligkeit erfolgte“; OLG Koblenz, NZV 2005, 635; OLG München, DAR 1998, 17). Allerdings könnte man mit dem OLG München (a. a. O.) dann besondere Umstände annehmen, wenn die Beklagte tatsächlich auf Bitten des Klägers für diesen den Pkw geführt haben sollte. Dies hat sie so behauptet. Danach will sie den Kläger vor Fahrtantritt angesprochen haben, ob sie aus versicherungsrechtlichen Gründen das Fahrzeug des Klägers überhaupt fahren dürfe (die Beklagte ist Rechtspflegerin). Das ist auch durch die vom Zeugen Sch. dem äußeren Anschein nach unterschriebene Erklärung vom 2. Juni 2008 bestätigt worden. Gegen eine entsprechende Annahme spricht jedoch, dass der Zeuge Sch. zum Fahrtzweck gesagt hat, die Beklagte habe nach Osnabrück fahren wollen wegen ihres Studiums bzw. ihrer Arbeitsstelle, um sich dort eine Wohnung anzuschauen. Er sei nur mitgefahren, weil er von der Beklagten gefragt worden sei, „einfach nur so“. Warum der Kläger mitgefahren sei, wisse er nicht, aber der soll ihn gefragt haben, ob er mitkommen wolle. Die Darstellung der Beklagten wird hierdurch jedenfalls nicht bestätigt, umso mehr, als der Zeuge von seiner schriftlichen Erklärung vom 2. Juni 2008 nichts mehr hat wissen wollen.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die dazu erforderlichen Gründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

 

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