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Verkehrsunfall – fiktive und konkrete Schadensabrechnung

Amtsgericht Medebach

Az: 3 C 329/08

Urteil vom 03.09.2009


In dem Rechtsstreit hat das Amtsgericht Medebach auf die mündliche Verhandlung vom 13.08.2009durch für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 919,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.08.2008 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Das Fahrzeug des Klägers wurde am 25.03.08 bei einem Verkehrsunfall in O, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners unstreitig haftet, beschädigt.

Der Sachverständige ermittelte einen Reparaturschaden von netto 4.837,66 €. Es handelt sich bei dem Schaden nicht um einen wirtschaftlichen Totalschaden.

Die Beklagte hat dem Kläger den Reparaturschaden auf Nettobasis nach dem Gutachten erstattet. Der Kläger hat das Fahrzeug jedoch nicht repariert, sondern sich am 11.04.08 ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis von netto 16.386,56 € zuzüglich Mehrwertsteuer, somit brutto 19.500,01 € erworben.

Der Kläger begehrt von der angefallenen Mehrwertsteuer in Höhe von 3.113,45 € für das Ersatzfahrzeug den Anteil der Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten, was einen Betrag von 919,16 € ausmacht.

Die Beklagte ist zur Erstattung der Mehrwertsteuer nicht bereit, weil sie der Auffassung ist, dass es sich um eine unzulässige Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung handele.

Der Kläger ist der Auffassung, dass es ihm freistehe, auf welche Art und Weise er den Schaden kompensiere. Er sei auch berechtigt, in Reparaturfällen ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen. Wenn dieses Ersatzfahrzeug, für das auch Mehrwertsteuer anfalle, teurer sei als der Reparaturschaden, sei sein Mehrwertsteueranspruch begrenzt auf die Mehrwertsteuer, die bei der Reparatur angefallen wäre.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Geschädigte bei einem Reparaturschaden, der kein wirtschaftlicher Totalschaden sei, kein Wahlrecht habe hinsichtlich der Frage, wie der Schaden abzurechnen sei. Wegen des Wirtschaftlichkeitsgebotes komme hier nur eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis in Betracht. Da der Kläger aber nicht repariert habe, sei keine Mehrwertsteuer angefallen. Auf die bei der Ersatzbeschaffung entstandene Umsatzsteuer komme es aber nicht an, weil der Kläger als Geschädigter auf dieser Basis gerade nicht abrechnen dürfe, da er versuche, unzulässigerweise die fiktive und konkrete Abrechnung zu kombinieren.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch auf die Mehrwertsteuer, die auf die Reparaturkosten angefallen wäre, wenn er das Fahrzeug repariert hätte.

Die Beklagte kann sich nicht auf die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB berufen, wonach die Mehrwertsteuer nur dann zu ersetzen ist, wenn sie tatsächlich angefallen ist.

Zwar ist es richtig, dass wegen der nicht durchgeführten Reparatur Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten nicht angefallen ist. Die streitige Frage ist hier nur die, ob der Kläger die für die Ersatzbeschaffung angefallenen Mehrwertsteuer in der Höhe verlangen kann, wie sie auf die Reparaturkosten entfällt. Diese Frage wird vom Gericht bejaht.

Die hier streitige Frage ist vom BGH noch nicht entschieden worden. Die vorgelegten Entscheidungen und Abhandlungen, die von der Beklagten vorgelegt werden, stellen darauf ab, dass eine Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung unzulässig sei. Wenn dieser Grundsatz uneingeschränkt richtig ist, wäre die Klage abzuweisen.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof diesen Grundsatz so deutlich nicht formuliert. In der Entscheidung vom 30.05.2006 (Versicherungsrecht 2006, 1088 = NJW 2006 2320) hat der BGH lediglich erklärt, dass eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung „insoweit“ unzulässig sei. In diesem Fall hatte der Geschädigte einen Totalschaden erlitten und erhielt den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert. Der Geschädigte erwarb dann ein Gebrauchtfahrzeug desselben Typs zu einem geringeren Preis und verlangte zuzüglich zum Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert noch die Kosten der Fahrzeugbeschaffung (Telefon, Internet und Überführungskosten). Hier hat der BGH ausgeführt, dass der Geschädigte die für ihn günstigere Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung auf Grundlage des Sachverständigengutachtens gewählt habe. An dieser Schadensabrechnung müsse er sich jedenfalls dann festhalten lassen, wenn die konkreten Kosten der Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der geltend gemachten Nebenkosten den im Wege der fiktiven Schadensabrechnung erhaltenen Betrages nicht übersteigen. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung sei insoweit unzulässig. In der selben Entscheidung hat der BGH erklärt, dass keine unzulässige Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung vorliege, wenn der Geschädigte den Fahrzeugschaden fiktiv auf Gutachtenbasis abrechne, den Restwert aber nur in der konkret erzielten Höhe ansetze, wo hingegen der Sachverständige einen höheren Restwert ermittelt hatte. Er führt dazu aus, dass die Behauptung des Geschädigten zur Höhe des erzielbaren Restwertes als Grundlage für eine gem. § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung diene.

Für die Auffassung der Beklagten spricht sich Lemke in einer Anmerkung zu der eben zitierten BGH-Entscheidung in r+s 2006 Seite 474 aus. Greiner („Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Fahrzeugschaden seit dem zweiten Schadenrechtsänderungsgesetz“ in ZfS 2006, 63 ff.) scheint ebenfalls diese Meinung vertreten zu wollen, weist aber darauf hin, dass es dazu bisher keine Entscheidung des BGH gibt. Soweit er bezüglich der Umsatzsteuer auf zwei BGH-Entscheidungen Bezug nimmt, ergibt sich aus diesen Entscheidungen jedoch nichts dafür, dass die hier vom Kläger angestrebte Erstattung der Mehrwertsteuer nicht zulässig sein sollte.

Pamer, (Die Mehrwertsteuer beim Fahrzeugschaden), berechnet auf Seite 82 bis 84 den Schaden so wie der Kläger. Er billigt dem Geschädigten, der ein Ersatzfahrzeug erwirbt, das teurer ist als die ermittelten Reparaturkosten, die Mehrwertsteuer in Höhe der Mehrwertsteuer zu, die für die Reparaturkosten angefallen wäre.

Bei einem Schaden eines Kfz kann der Geschädigte auf zweierleiweise die ihm zustehende Naturalrestitution erreichen. Er kann die Kosten für die Reparatur oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeuges verlangen, wobei der Geschädigte grundsätzlich die Art zu wählen hat, die den geringsten Aufwand erfordert. Die Einbuße des Geschädigten an dem Erhalt seines Vermögens in dessen gegenständlicher Zusammensetzung soll nicht größer sein als das, was er aufwenden muss, um sein Vermögen auch hinsichtlich des beschädigten Bestandteils in zumutbarer Weise in einem dem früheren wirtschaftlich gleichwertigen Zustand zu versetzen. Das Gebot zur wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch vom Geschädigten nicht, zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Das Wahlrecht des Geschädigten findet seine Grenze außerdem an dem Verbot, sich durch den Schadensersatz zu bereichern (BGH, Versicherungsrecht 2005, 663 = NJW 2005 1108).

Wenn der Geschädigte das Fahrzeug nicht reparieren lassen möchte, ist er berechtigt, auf fiktiver Reparaturkostenbasis abzurechnen. Wenn er das Fahrzeug aber nicht mehr fahren möchte, sondern sich ein anderes, teureres Fahrzeug anschafft, bei dem auch Mehrwertsteuer anfällt, dann ist sein Vermögen geringer als es früher war, wenn man ihm nicht die Mehrwertsteuer, die beim Erwerb des Ersatzfahrzeuges angefallen ist, in der Höhe zubilligt, die auch für die Reparaturkosten angefallen wäre.

Der Kläger kann nach Auffassung des Gerichts nicht darauf verwiesen werden, das Fahrzeug tatsächlich reparieren zu lassen, um die gesamten Reparaturkosten einschließlich Mehrwertsteuer zu erhalten und dann erst das Fahrzeug zu verkaufen, wenn er sich ein anderes Fahrzeug anschaffen will. Es ist nicht ersichtlich, warum insoweit nicht eine Kombination von den fiktiven Reparaturkosten mit der konkret angefallenen Mehrwertsteuer für ein Ersatzfahrzeug zulässig sein soll, wobei natürlich die Höhe der Mehrwertsteuer auf die Mehrwertsteuer beschränkt ist, die für die Reparaturkosten anfallen würden.

Der Geschädigte ist dadurch nicht bereichert und der Geschädigte hat auch keinen Nachteil. Die Haftpflichtversicherungen, die vor der Änderung des § 249 BGB auch die Mehrwertsteuer bezahlen mussten, wenn sie nicht angefallen waren, haben durch die Rechtsänderung bereits eine erhebliche Einsparung erfahren. Er ist kein Grund ersichtlich, warum in dem hier vorliegenden Fall der Geschädigte dem Schädiger die Mehrwertsteuer nicht ersetzen soll, wenn sie bei einem Erwerb des Fahrzeuges konkret angefallen ist.

Soweit der Beklagten-Vertr. in der mündlichen Verhandlung noch darauf hingewiesen hat, dass da Missbrauch möglich wäre, nämlich wenn der Geschädigte die fiktiven Netto-Reparaturkosten verlange, das Fahrzeug in Eigenregie günstiger repariere und dann verkaufe und anschließend ein Ersatzfahrzeug anschaffe und nunmehr die konkret angefallenen Mehrwertsteuer für das Ersatzfahrzeug in Höhe der Mehrwertsteuer verlange, die für die Reparaturkosten angefallen wären, so wäre dies ein Fall, wo sich der Geschädigte bereichern würde und wäre unzulässig. Wenn eine längere Zeitspanne zwischen dem Unfallereignis und dem Erwerb des Ersatzfahrzeuges vorliegt, kann ein solcher Missbrauch, bzw. eine Bereicherung vorliegen. Die Versicherer, bzw. der Schädiger könnte dann vom Geschädigten verlangen, dass er nachweist, dass er das Fahrzeug unrepariert veräußert hat, um einen solchen Missbrauch auszuschließen. Die Missbrauchsmöglichkeit als solche rechtfertigt jedoch nicht, eine ansonsten zulässige Verfahrensweise generell für unzulässig zu halten.

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus Verzug.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

 

 

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