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Verkehrsunfall – fiktive Schadensberechnung und Schadensminderungspflicht

Oberlandesgericht Bremen

Az: 3 U 61/10

Urteil vom 07.02.2011


In dem Rechtsstreit hat der 3. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 24.01.2011 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 09.09.2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 15.07.2009 in Anspruch, bei dem sein Fahrzeug, ein Ford Mondeo, Erstzulassung 29.05.2006 mit einer Laufleistung zum Unfallszeitpunkt von 41.625 km, beschädigt wurde. Die Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherer steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten nur noch um die Frage, ob sich der Kläger im Rahmen der fiktiven Abrechnung seines Fahrzeugschadens auf die Kosten einer von der Beklagten benannten, nicht markengebundenen Reparaturwerkstatt verweisen lassen muss oder ob er auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens einer markengebundenen Vertragswerkstatt abrechnen kann.

Nachdem sich die Parteien in erster Instanz in einem Teilvergleich geeinigt hatten, hat das Landgericht die darüber hinausgehende Klage des Klägers bezüglich weiterer Reparaturkosten abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger lediglich Anspruch auf Erstattung fiktiver Reparaturkosten einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt habe. Eine entsprechende Verweisung der Beklagten sei im vorliegenden Fall für den Kläger nicht unzumutbar.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiter. Ausdrücklich greift der Kläger in der Berufung nur die Abweisung des Differenzbetrages der Reparaturkosten an. Er rügt eine fehlerhafte Abwägung des Landgerichts bei der Frage der Zumutbarkeit des Verweises auf eine nicht markengebundene Fachwerkstatt. Der Aspekt, dass der Kläger fiktiv abrechne, auf den das Landgericht abgestellt habe, habe nicht zu Lasten des Klägers gehen dürfen, denn auch in der Grundsatzentscheidung des BGH vom 20.10.2009 (BGH, NJW 2010, 606 ff. [BGH 20.10.2009 – VI ZR 53/09]) sei eine fiktive Abrechnung erfolgt. Dass das Fahrzeug des Klägers nur knapp über drei Jahre alt war, der einwandfreie und überdurchschnittliche Zustand des Fahrzeugs sowie die unterdurchschnittliche Laufleistung hätten daher bei der Abwägung zu dem Ergebnis führen müssen, dass der Verweis auf eine alternative Reparaturmöglichkeit vorliegend unzumutbar sei. Dieses Abwägungsergebnis werde durch weitere Aspekte gestützt: Der Kläger habe auch nach Ablauf der Garantie- und Gewährleistungsfrist den weiteren Weg in eine markengebundene Fachwerkstatt auf sich genommen, um Reparaturen und Wartung durchführen zu lassen. Auch dass das Fahrzeug tatsächlich erst am 06.11.2006 mit einem Kilometerstand von 6 gekauft worden sei – der Kläger es also weniger als drei Jahre gefahren habe- hätte bei der Abwägung zugunsten des Klägers berücksichtigt werden müssen. Die von der Beklagten angebotene Reparatur sei auch nicht gleichwertig. Dies werde durch Ergebnisse der Stiftung Warentest belegt. Der Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug kurz vor dem Unfall bei der Firma A. über den TÜV gebracht habe, führe zu keiner anderen Bewertung.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 2.080,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Verweis auf die neue Rechtsprechung des BGH. Ergänzend führt sie aus, dass die Berufung bereits unschlüssig sei hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 744,45 €, da der Differenzbetrag, den der Kläger mit der Berufung ausdrücklich weiterverfolge, sich aus den begehrten Bruttoreparaturkosten in Höhe von 7.476,44 € und den regulierten 6.140,79 € ergeben müsse, d.h. überhaupt nur 1.335,65 € schlüssig seien. In Rechtskraft erwachsen sei auch der erstinstanzlich gestellte Antrag auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten. Soweit hierzu in der Berufung neu vorgetragen werde, bestreitet die Beklagte den Vortrag und rügt Verspätung.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze (§ 540 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) Bezug genommen.

II. Die statthafte (§ 511 Abs. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 511 Abs. 2, 517, 519, 520 ZPO) Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte der geltend gemachte (weitere) Schadensersatzanspruch nicht zu, da der Kläger keinen Anspruch auf Leistung weiterer fiktiver Reparaturkosten hat.

Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, kann der Geschädigte vom Schädiger gemäß § 249 Abs. 2 S.1 BGB den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte (BGH, NJW 2010, 606 [BGH 20.10.2009 – VI ZR 53/09]). Der Geschädigte leistet im Reparaturfall dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, aaO.). Wählt der Geschädigte den vorbeschriebenen Weg der Schadensberechnung und genügt er damit bereits dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, so begründen besondere Umstände wie das Alter des Fahrzeugs oder seine Laufleistung keine weitere Darlegungslast des Geschädigten. Bereits in seinem Urteil vom 29.4.2003 (NJW 2003, 2086 ff., 2087 [BGH 29.04.2003 – VI ZR 398/02]) hat der BGH allerdings ausgeführt, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne Weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auf diese verweisen lassen muss. Rechnet der Geschädigte – konkret oder fiktiv – die Kosten der Instandsetzung als Schaden ab und weist er die Erforderlichkeit der Mittel durch eine Reparaturkostenrechnung oder durch ein ordnungsgemäßes Gutachten eines Sachverständigen nach, hat der Schädiger die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB ergibt (BGH, NJW 2003, 2086 ff., 2088 [BGH 29.04.2003 – VI ZR 398/02]).

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es dem Geschädigten im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB bei der (fiktiven) Schadensabrechnung zumutbar ist, sich auf eine kostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, war in der Literatur und instanzgerichtlichen Rechtsprechung zunächst umstritten. Mit seinem Grundsatzurteil vom 20.10.2009 (BGH, NJW 2010, 606 ff. [BGH 20.10.2009 – VI ZR 53/09]), hat der BGH eine differenzierte Betrachtungsweise für geboten erachtet, die sowohl dem Interesse des Geschädigten an einer Totalreparation als auch dem Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens angemessen Rechnung trägt (BGH, aaO.). Die Zumutbarkeit für den Geschädigten, sich auf eine kostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, setzt jedenfalls eine technische Gleichwertigkeit der Reparatur voraus. Will der Schädiger mithin den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädiger darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht (BGH, NJW 2010, 606 [BGH 20.10.2009 – VI ZR 53/09]; BGH, NJW 2010, 2118 ff., 2119; BGH, NJW 2010, 2725 ff., 2726 [BGH 22.06.2010 – VI ZR 337/09]; BGH, NJW 2010, 2727 [BGH 22.06.2010 – VI ZR 302/08]; BGH, NJW 2010, 2941 [BGH 13.07.2010 – VI ZR 259/09]). Dabei sind dem Vergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten zu Grunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des Haftpflichtversicherers des Schädigers verweisen lassen muss.

Steht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die Gleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigeren Preis fest, kann es für den Geschädigten gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht unzumutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werkstatt in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren. Bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmen der Schadensabrechnung auf eine alternative Reparaturmöglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Denn auch bei älteren Fahrzeugen kann die Frage Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, „scheckheftgepflegt“ oder gegebenenfalls nach einem Unfall repariert worden ist. Dabei besteht – wie entsprechende Hinweise in Verkaufsanzeigen belegen – bei einem großen Teil des Publikums, insbesondere wegen fehlender Überprüfungsmöglichkeiten, die Einschätzung, dass bei einer (regelmäßigen) Wartung und Reparatur eines Kraftfahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese ordnungsgemäß und fachgerecht erfolgt ist. Deshalb kann auch dieser Umstand es rechtfertigen, der Schadensabrechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde zu legen, obwohl der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer dem Geschädigten eine ohne Weiteres zugängliche, gleichwertige und günstigere Reparaturmöglichkeit aufzeigt. Dies kann etwa auch dann der Fall sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt, dass er sein Kraftfahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen oder – im Fall der konkreten Schadensberechnung – sein besonderes Interesse an einer solchen Reparatur durch die Reparaturrechnung belegt (BGH, NJW 2010, 606 [BGH 20.10.2009 – VI ZR 53/09]).

Zutreffend ist das Landgericht zunächst davon ausgegangen, dass die von der Beklagten angebotene alternative Reparaturmöglichkeit gleichwertig ist. Der pauschale Vortrag des Klägers in der Berufung, dass Vertragswerkstätten nach Angaben der Stiftung Warentest nicht gleichwertig seien, reicht insoweit nicht aus. Konkrete Anhaltspunkt dafür, dass die von der Beklagten benannte Werkstatt nicht gleichwertig ist, nennt der Kläger nicht. Hierzu wäre er jedoch angesichts des substantiierten Vortrags der Beklagten zur Gleichwertigkeit verpflichtet gewesen (vgl. BGH, NJW 2010, 2118). Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass es sich bei der von ihr benannten Fachwerkstatt um einen Meisterbetrieb für Karosserie- und Lackierarbeiten handelt, in dem seit 25 Jahren derartige Reparaturarbeiten ausgeführt werden. Es würden ausschließlich modernes Spezialwerkzeug und Originalteile verwendet sowie ein kostenloser Hol- und Bringservice angeboten. Die Werkstatt sei von der DEKRA zertifiziert und kontrolliert, und die Preise seien keine Sonderkonditionen der Beklagten, sondern für jedermann frei zugänglich. Angesichts dieses substantiierten Vortrags der Beklagten, reichen das pauschale Bestreiten des Klägers und der allgemeine Verweis auf die Stiftung Warentest nicht aus. Dass die Stiftung Warentest den von der Beklagten genannten Betrieb getestet habe, trägt der Kläger nicht vor.

Ferner ist das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass es dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, das Fahrzeug in der von der Beklagten benannten Werkstatt reparieren zu lassen und er daher auch nur diese fiktiven Reparaturkosten ersetzt verlangen kann.

Das Fahrzeug des Klägers ist älter als drei Jahre und fällt daher unter die vom BGH in der Grundsatzentscheidung vom 20.10.2009 (BGH, NJW 2010, 606 ff. [BGH 20.10.2009 – VI ZR 53/09]) genannte Frist. Sofern der Kläger meint, es sei vorliegend auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs und nicht auf die Erstzulassung abzustellen, kann dem nicht gefolgt werden. Der BGH in der oben genannten Entscheidung zur Begründung der Drei-Jahresfrist ausdrücklich auf etwaige Nachteile des Neuwagenkunden bei der Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten, einer Herstellergarantie und/oder Kulanzleistungen abgestellt. Vor dem Hintergrund, dass Gewährleistungsfristen und Werksgarantien in der Regel mit der Erstzulassung zu laufen beginnen, auch wenn es sich dabei um eine „Tageszulassung“ handelt, ist vorliegend auf diesen Zeitpunkt abzustellen. Eine solche Bestimmung über den Fristbeginn liegt auch deshalb nahe, da die Fahrzeuge nach der Erstzulassung aus dem vom Hersteller noch zu überblickenden und zu überwachenden Bereich ausscheiden (BGH, NJW 1999, 3267 ff., 3268 [BGH 15.07.1999 – I ZR 44/97]; OLG Koblenz, NJW 2009, 3519).

Zu Recht hat das Landgericht schließlich darauf verwiesen, dass der Kläger Arbeiten am Fahrzeug nach Ablauf der Garantiezeit und vor dem Unfall in der nicht markengebundenen Werkstatt A.. hat durchführen lassen. Aus der vom Kläger erstinstanzlich vorgelegten Rechnung ergibt sich, dass dort neben der Vorstellung zur Hauptuntersuchung auch kleinere Reparaturen durchgeführt wurden („Delle/Beule M. Lacksch. Beseiti.“). Der Kläger hat daher bereits nach eigenem Vortrag nicht konkret dargelegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen.

Soweit der Kläger in der Berufung Ausführungen zu vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten macht korrespondieren diese nicht mit einem Antrag in der Berufung, da insoweit ausschließlich Zahlung verlangt wird und diese ausdrücklich auf Reparaturkosten (Differenzbetrag zwischen den Reparaturkosten einer markengebundenen und einer freien Fachwerkstatt) gestützt wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.

 

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