LANDGERICHT SCHWERIN
Az.: 6 S 34/10
Urteil vom 29.09.2010
In dem Rechtsstreit hat das Landgericht Schwerin, Zivilkammer 6, auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2010 für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Wismar vom 2. März 2010 samt dem ihm zu Grunde liegenden Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Amtsgericht Wismar zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Der Streitwert der Berufung wird auf 1.431,72 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger, Eigentümer eines Pkw, nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherung eines Mopedfahrers auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall vom 3. April 2009 in Anspruch.
Unfallhergang und Haftungsquote sind streitig.
Der Kläger behauptet, der Zeuge … als Fahrer des Mopeds habe den Pkw des Klägers bereits überholt und dabei den Pkw mit dem rechten Ellenbogen und Teilen seines Mopeds gestreift, noch bevor er (der Kläger) zum Abbiegen nach links angesetzt gehabt hatte. Dadurch sei an seinem Pkw ein lang gezogener Streifschaden entstanden.
Die Beklagte behauptet, der Kläger habe im Zeitpunkt der Kollision das Abbiegemanöver bereits eingeleitet gehabt und wirft ihm vor, seiner Rückschaupflicht nicht genügt zu haben.
Der Kläger geht von einer alleinigen Haftung der Beklagten aus, die Beklagte von einer Mithaftung des Klägers zu 1/3.
Es wurde ein privates Sachverständigengutachten der Dekra eingeholt, der Kläger ließ das Fahrzeug für 3.466,16 € (einschließlich Mietwagenkosten) reparieren. Gutachten und Rechnung sind nicht zu den Akten gelangt.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2009 rechnete die Beklagte den Schaden unter Berücksichtigung einer Wertminderung, der Sachverständigenkosten und der Reparaturrechnung des Autocenters Wismar GmbH von 3.466,16 € abzüglich einer 1/3 Mithaftung des Klägers ab und ermittelte so einen Zahlbetrag von 2.095,44 € (Anlage K 1). Ende Mai 2009 zahlte sie einen Betrag von 2.059,44 € per Scheck an den Kläger.
Nachdem der Kläger unter dem 8. Mai 2009 eine Zahlungsklage in Höhe von 3.491,16 € (3.466,16 € + 25 € Unfallpauschale) zuzüglich entsprechender vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, eingereicht hatte, hat er noch vor Zustellung der Klage diese in Höhe der von der Beklagten gezahlten 2.059,44 € zurückgenommen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger seine Schadenshöhe nicht hinreichend substantiiert dargelegt habe. Der Kläger habe trotz entsprechenden Hinweises des Gerichts die seiner streitigen Forderung zugrundeliegende Reparatur- und Mietwagenkostenrechnung nicht vorgelegt. Dabei sei unerheblich, ob allein der beklagten die Rechnung vorliege. Als Anspruchsteller habe er dem Gericht die zur Schlüssigkeitsprüfung erforderlichen Unterlagen vorzulegen.
Hiergegen richtet sicht die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Klagbegehren weiterverfolgt.
Er rügt erhebliche Verfahrensfehler. Spätestens seit Vorlage des Abrechnungsschreibens der Beklagten vom 15. Mai 2009, in dem die Beklagte u. a. die Rechnung des Autocenters Wismar GmbH mit einem Betrag von 3.466,16 € zur Grundlage ihrer Schadensabrechnung gemacht habe, sei die Schadenshöhe nicht mehr streitig gewesen.
Zudem sei das Urteil eine unzulässige Überraschungsentscheidung, weil er zur Schadenshöhe auch Sachverständigenbeweis angetreten habe, den das Amtsgericht ohne rechtlichen Hinweis übergangen habe.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.431,72 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 3.491,16 € vom 6. bis zum 27. Mai 2009 sowie auf 1.431,72 € seit dem 28. Mai 2009;
2. die Beklagte zu verurteilten, an den Kläger 359,50 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
sowie hilfsweise
die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Wismar zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet und führt gem. § 558 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils samt des zu Grunde liegenden Verfahrens zur Zurückverweisung.
Gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Das Amtsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es einen entscheidungserheblichen Teil des Klagvortrags zu Lasten des Klägers übergegangen und daher die Schlüssigkeit der Klage zu Unrecht verneint hat. Darin liegt ein erheblicher Verfahrensfehler (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 2007, II ZR 266/04, Rdn. 5; OLG München, Urteil vom 18. Dezember 2008, 19 U 5582/07, Rdn. 11; beides zitiert nach Juris).
Die Klage ist nicht unschlüssig. Zur Höhe der eingeklagten Schadensersatzforderung hat der Kläger hinreichend substantiiert vorgetragen. Zwar hat die Beklagte in der Klageerwiderung vom 14. Juli 2009 die eingeklagte Schadenssumme bestritten, weil der Kläger die Schadenssumme nicht unter Beweis gestellt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht hat die Beklagte zudem die inhaltliche Richtigkeit der Rechnung bestritten. Dieses Bestreiten der Beklagten ist jedoch im Hinblick auf ihr eigenes Abrechnungsschreiben vom 15. Mai 2009 (Anlage K 1), auf das sich der Kläger ausdrücklich berufen hat, unsubstantiiert und daher unbeachtlich gem. § 138 Abs. 2 ZPO. In ihrer Schadensabrechnung hat die Beklagte die streitgegenständliche Rechnung des Autocenters Wismar GmbH über 3.466,16 € in der Höhe unbeanstandet eingestellt und Abzüge lediglich wegen der angenommenen Mithaftung des Klägers vorgenommen. Zwar liegt darin noch kein Anerkenntnis des Rechnungsbetrages im Rechtssinne. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte nunmehr im Prozess genau diesen Rechnungsbetrag von 3.466,16 € sowie die inhaltliche Richtigkeit der Rechnung ohne nähere Begründung bestreitet. Die Beklagte muss dieses Bestreiten durch entsprechenden Tatsachenvortrag näher begründen. Das Amtsgericht hätte deshalb nicht den Kläger zur Substantiierung seiner Klagforderung, etwa durch Vorlage der Rechnung, auffordern dürfen. Es hätte vielmehr die Beklagte gem. § 139 Abs. 1 ZPO darauf hinweisen müssen, dass ihr pauschales Bestreiten des Rechnungsbetrages und der inhaltlichen Richtigkeit der Rechnung im Hinblick auf ihr eigenes Abrechnungsschreiben unsubstantiiert ist. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte dem Vortrag des Klägers, die Beklagte verfüge über die Rechnung, nicht entgegengetreten ist. Indem das Amtsgericht das Abrechnungsschreiben der Beklagten bei seiner rechtlichen Beurteilung überhaupt nicht berücksichtigt hat, hat es entscheidungserheblichen Klägervortrag übergangen und so den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
Aufgrund dieses wesentlichen Verfahrensfehlers ist eine umfangreiche bzw. aufwändige Beweisaufnahme im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz1 Nr. 1 ZPO erforderlich.
Zum streitigen Unfallhergang und dem streitigen Schadensbild sind jedenfalls die von der Klägerseite benannten Zeugen R… M… (Fahrer des unfallbedingten Mopeds) und J… W… zu vernehmen. Die Anhörung des Klägers als Fahrer des unfallbedingten Pkw nach § 141 ZPO erscheint zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung geboten. Ferner wird die Beklagte das ihr vorliegende Dekra-Gutachten mit den darin befindlichen Fotos zur Substantiierung ihres Bestreitens des Unfallhergangs als Privaturkunde in den Prozess einführen müssen. Es wird voraussichtlich ein verkehrstechnisches Sachverständigengutachten zur Schadensverursachung einzuholen sein. Damit sind die Grenzen einer einfachen Beweisaufnahme für das Berufungsgericht überschritten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in der ersten Instanz Feststellungen zum Unfallhergang gänzlich unterblieben sind und damit letztlich den Parteien eine Tatsacheninstanz genommen worden ist.
Den erforderlichen Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung, der auch als Hilfsantrag möglich ist (Heßler in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 538 Rdn. 56), hat der Kläger gestellt.
Wegen der erfolgten Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht, das erneut verhandeln und entscheiden muss, kann keine Kostenentscheidung getroffen werden. Die Entscheidung des Rechtsstreits, die vom Ausgang der Beweisaufnahme abhängen wird, ist derzeit offen. Der unterliegenden Partei werden dann auch die Kosten dieses Berufungsverfahrens aufzuerlegen sein.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts für die Berufung (Beschluss zu Nr. 3 des Tenors) beruht auf §§ 47, 48 Abs. 1 und Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG, §§ 3 ff. ZPO.