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Verkehrsunfall – Haushaltsführungsschaden und Unterhaltsrente

 LG Saarbrücken

Az: 5 O 17/11

Urteil vom 15.02.2012


I. Die Beklagte wird verurteilt:

1) an den Kläger für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.01.2012 Euro 13.780,91 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 02.08.2011 zu zahlen;

2) an den Kläger monatlich 1.060,07 Euro ab dem 01.02.2012 bis zum 25.05.2016 zu zahlen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den gesamten materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger entstanden ist durch den Tod seiner Mutter bei dem Straßenverkehrsunfall am …, soweit die dem Kläger daraus entstandenen und noch entstehenden Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Dies gilt auch für den Haushaltsführungsschaden des Klägers nach Vollendung seines 6. Lebensjahres.

III. Die Klage im Übrigen wird abgewiesen.

IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

VI. Der Streitwert wird festgesetzt auf Euro 52.022,59.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Todes seiner Mutter bei einem Verkehrsunfall am … auf der Landstraße … zwischen den Ortschaften … und … im Saarland.

Am … kam es auf der … zu einer Frontalkollision zwischen dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW VW Golf TDI, amtliches Kennzeichen …, der aus Richtung … kommend in Fahrtrichtung … fuhr und dem von der Mutter des Klägers gesteuerten PKW Peugeot 206 mit dem amtlichen Kennzeichen …, der in Gegenrichtung unterwegs war. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten VW Golf hatte die Fahrbahnmitte um mindestens 1,6 Meter überfahren. Die Kollision der beiden Fahrzeuge ereignete sich auf der Fahrbahnseite des Peugeot 206. Der Peugeot 206 kam kollisionsbedingt nach rechts von der Straße ab und blieb etwa 5 Meter neben der Straße auf dem Dach liegen. Die Fahrerin des Peugeot 206, die Mutter des Klägers, wurde durch den Unfall schwer verletzt und verstarb infolge ihrer Verletzungen.

Nach dem Ableben der Kindesmutter ist die alleinige elterliche Sorge für den am 25.05.2010 geborenen Kläger durch Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Saarbrücken vom 28.07.2010 (Bl. 112 d.A.) auf den Kindesvater … übertragen worden.

In der vorgerichtlichen Korrespondenz teilte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers durch Schreiben vom 20.08.2010 (Bl. 178 d.A.) mit, sie zahle an den Kläger als Schmerzensgeld und auf die übrigen Schadenspositionen vorerst einen Betrag von 10.000,– Euro. Die Zahlung erfolge mit Rückzahlungsvorbehalt und ohne Rechtsgrund, da die Beklagte noch keine Einsicht in die Polizeiakten habe nehmen können.

Durch Schreiben vom 13.09.2010 (Bl. 180 d.A.) teilte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, sie könne zur Abgeltung des Betreuungsschadens und des Haushaltsführungsschadens des Klägers für den Fall einer einvernehmlichen Einigung einen Entschädigungsbetrag von pauschal 1.200,– Euro monatlich bis zum Abschluss des 6. Lebensjahres gewähren.

Voraussetzung sei, dass keine konkreten Kosten für diese Schadenspositionen geltend gemacht würden, wie etwa die Einstellung einer Ersatzkraft, eine bezahlte Einschaltung von Verwandten oder eine auswärtige Unterbringung des Kindes.

Von diesem Betrag sei noch die Halbwaisenrente in Abzug zu bringen.

Darauf antwortete der Prozessbevollmächtigte des Klägers durch Schreiben vom 20.09.2010 (Bl. 107 d.A.), er stimme namens und im Auftrag seiner Mandanten der von der Beklagten vorgeschlagenen einvernehmlichen Einigung bezüglich eines monatlich pauschalen Entschädigungsbetrages von 1.200,– Euro abzüglich der noch zu ermittelnden Halbwaisenrente zu.

Ebenso werde den weiteren Bedingungen lt. Schreiben vom 13.09.2010 (keine Geltendmachung konkreter Kosten) zugestimmt.

Die Beklagte erwiderte durch Schreiben vom 21.09.2010 (Bl. 110 d.A.), sie bestätige die Vereinbarung, wonach zur Abgeltung des Betreuungs- und Haushaltsführungsschadens des Klägers monatlich bis zum Abschluss des 6. Lebensjahres ein Entschädigungsbetrag von pauschal 1.200,– Euro abzüglich der noch zu ermittelnden Halbwaisenrente gezahlt werde. Weitere konkrete Kosten für diese Schadenspositionen würden nicht geltend gemacht.

Nach dem gegenwärtigen Sachstand gehe die Beklagte hierbei von einer alleinigen Haftung ihres Versicherungsnehmers aus, sie müsse allerdings noch Einsicht in die angeforderte Ermittlungsakte nehmen („Unser Schreiben vom 20.08.2010“).

Durch Schreiben vom 15.10.2010 (Bl. 183 d.A.) teilte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, sie habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, sie müsse zur objektiven Klärung der Haftungsfrage noch Einsicht in das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen haben. Die Akten habe sie durch einen Anwalt bereits angefordert. Ihr Versicherungsnehmer gebe an, die Kindesmutter sei mit ihrem Kfz auf die Gegenfahrbahn gekommen. Ferner solle die Kindesmutter nach Presseangaben nicht angeschnallt gewesen sein. Es stelle sich deshalb die Frage, ob die Verletzungen mit Todesfolge vermieden worden wären, wenn die Fahrerin angeschnallt gewesen wäre. Zur Klärung dieser Fragen solle ein unfallanalytisches und medizinisches Gutachten eingeholt werden.

Die Beklagte bitte daher um Verständnis dafür, dass sie zur Objektivierung des Sachverhalts gehalten sei, die Ermittlungsakte einzusehen, bevor sie ein Haftungsanerkenntnis abgeben könne.

Der in dem polizeilichen Ermittlungsverfahren beauftragte Sachverständige …kam in seinem Gutachten vom 24. August 2010 (Bl. 139 ff d.A.) zu dem Ergebnis, sämtliche objektiven Anknüpfungstatsachen deuteten darauf hin, dass an dem unfallbeteiligten Peugeot 206 der Fahrersicherheitsgurt nicht ordnungsgemäß angelegt gewesen sei. Vielmehr deuteten die objektiven Spuren darauf hin, dass der Gurt hinter dem Rücken der Fahrerin verschlossen gewesen sei (Bl. 174 d.A.).

Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige … bestätigte dieses Ergebnis in seiner Stellungnahme vom 01. Dezember 2010 (Bl. 175 f d.A.).

Die Beklagte bezog sich in ihrem Schreiben vom 01.12.2010 (Bl. 17 d.A.) auf diese gutachterlichen Feststellungen und erklärte, sie gehe deshalb von einem Mitverschulden von mindestens 50 % aus.

In ihrem Schreiben vom 28.01.2011 (Bl. 20 d.A.) bewertete die Beklagte das von ihr angenommene Nichtanschnallen des Sicherheitsgurtes durch die Kindesmutter mit einem Mitverschuldensanteil von 40 %.

Dem Kläger ist zwischenzeitlich eine Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 139,93 Euro zugebilligt worden.

Die Beklagte hat auf den Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers hinsichtlich der künftigen Schadensersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 20.06.2010 auf die Einrede der Verjährung verzichtet.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei ihm für die Dauer seiner ersten sechs Lebensjahre zur Zahlung eines Haushaltsführungsschadens in Höhe von monatlich 1.200,– Euro abzüglich der ihm zurzeit in Höhe von 139,93 Euro gewährten Halbwaisenrente verpflichtet, auf Grund eines durch die Schreiben vom 13.09.2010 und vom 20.09.2010 abgeschlossenen Vergleichs.

Im Übrigen sei ihm die Beklagte zum Ersatz seines vollen materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet, ohne ihm ein Mitverschulden seiner verstorbenen Mutter entgegenhalten zu können.

Ein etwaiges Mitverschulden seiner Mutter trete wegen der gröbst möglichen Pflichtverletzung des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unfallgegners vollständig zurück.

Der Kläger behauptet, der Unfallgegner habe sich kurz vor dem Unfall so heftig mit seiner Beifahrerin beschäftigt, dass er auf die Gegenfahrbahn geraten und ohne abzubremsen frontal gegen das Fahrzeug der Kindesmutter gestoßen sei, so dass diese keine Chance zum Ausweichen gehabt habe.

Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW sei bereits wenige Sekunden vor dem streitgegenständlichen Unfall auf die linke Fahrbahn gekommen und hätte bereits vorher beinahe einen Unfall verursacht, weil er sich intensiv mit seiner Beifahrerin beschäftigt habe.

Der Versicherungsnehmer der Beklagten habe diesen ersten Beinaheunfall nicht weiter beachtet und sich erneut mit seiner Beifahrerin beschäftigt, sei dann erneut auf die Gegenfahrbahn geraten und dabei frontal mit dem Fahrzeug der Kindesmutter zusammengestoßen.

Der Kläger behauptet, seine Mutter sei zum Unfallzeitpunkt angeschnallt gewesen.

Er meint, selbst wenn seine Mutter nicht ordnungsgemäß angeschnallt gewesen wäre, würde der Mitverschuldenseinwand entfallen, weil seine Mutter den Kläger am 25.05.2010 mittels Kaiserschnitt zur Welt gebracht habe (Bl. 189 d.A.). Das Anlegen des Bauchgurtes sei deshalb immer noch mit erheblichen Schmerzen für die Kindesmutter verbunden gewesen.

Der Kläger bestreitet, dass seine Mutter, wäre sie angeschnallt gewesen, die schweren Verletzungen nicht erlitten hätte (Bl 188 d.A.). Denn durch das Anschnallen sei zwar der Oberkörper arretiert, nicht aber der Kopf, der immer noch hin und her geschleudert werden könne.

Der Kläger beantragt,

1) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.01.2012 Euro 13.780,91 Haushaltsführungsschaden nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

2) die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger monatlich Euro 1.200 Haushaltsführungsschaden abzüglich der Halbwaisenrente (zurzeit monatlich 139,93 Euro) ab dem 01.02.2012 bis zum 25.05.2016 zu zahlen;

3) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, über die anerkannte Haftungsquote hinaus den gesamten materiellen und immateriellen Schaden des Klägers (100 %) diesem oder etwaigen Dritten, auf die Ansprüche übergegangen sind oder noch übergehen werden, zu ersetzen. Dies gilt auch für den Haushaltsführungsschaden nach Vollendung des 6. Lebensjahres des Klägers.

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, zwischen den Parteien sei kein vorbehaltloser Vergleich über die Zahlung eines Haushaltsführungsschadens des Klägers zu Stande gekommen. Ihre Zahlungsbereitschaft habe stets unter dem Vorbehalt gestanden, dass nach Einsichtnahme in die amtlichen Ermittlungsakten die Haftungsquote bestimmt werden müsse.

Sie behauptet, ihr Sachbearbeiter … habe in mehreren Telefonaten mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mehrfach deutlich gemacht, dass über die Höhe des Anspruchs des Klägers endgültig erst entschieden werden könne, wenn die Beklagte Einsicht in die amtliche Ermittlungsakte habe nehmen können.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger müsse sich eine Mithaftungsquote seiner bei dem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Mutter in Höhe von 40 % anrechnen lassen.

Sie behauptet, die Mutter des Klägers sei zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls nicht ordnungsgemäß angeschnallt gewesen. Sie habe den Sicherheitsgurt herausgezogen, verdreht und entlang der Rückenlehne, hinter ihrem Rücken, in das Gurtschloss gesteckt, um den Warnton auszuschalten.

Sie habe sich bei dem Verkehrsunfall deshalb schwerste Kopfverletzungen zugezogen, weil sie bei dem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge und dem Überschlag ihres Fahrzeuges mit dem Kopf gegen das Fahrzeugdach bzw. gegen die Frontscheibe oder die A-Säule gestoßen sei. Wäre sie angeschnallt gewesen, hätte sie keine tödlichen Verletzungen erlitten.

Sie meint, die Mutter des Klägers sei auch nicht aus gesundheitlichen Gründen von der Gurtpflicht befreit gewesen.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Mitverschulden der Mutter des Klägers werde nicht vollständig durch die Pflichtverletzung ihres Versicherungsnehmers verdrängt.

Sie behauptet, der Fahrer des bei ihr haftpflichtversicherten PKW habe keine „sexuellen Handlungen“ während der Fahrt vorgenommen. Das Beklagtenfahrzeug sei auf die Gegenfahrbahn geraten. Die darüber hinausgehenden Behauptungen der Klägerseite würden bestritten. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges habe an den Unfall und die Sekunden davor keine Erinnerung.

Sie errechnet – ausgehend von einer 40 %-igen Mithaftung der verstorbenen Mutter des Klägers – einen Anspruch des Klägers auf Zahlung eines monatlichen Haushaltsführungsschadens in Höhe von 565,48 Euro.

Insgesamt stehe dem Kläger seit dem 20.06.2010 bis einschließlich August 2011 ein Haushaltsführungsschadensersatzanspruch in Höhe von 8.221,93 Euro zu. Darauf habe sie bereits 7.600,– Euro gezahlt. Unter Berücksichtigung weiterer Zahlungen der Beklagten in Höhe von 8.492,42 Euro für die Beerdigungskosten der Mutter des Klägers, wobei im Hinblick auf die Mithaftungsquote von 40 % eine Überzahlung in Höhe von 3.396,97 Euro gegeben sei, habe die Beklagte zum 31.08.2011 eine Überzahlung in Höhe von 2.775,04 Euro erbracht.

Das Gericht hat aufgrund seines Beweisbeschlusses vom 23.11.2011 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und …. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.01.2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe

1. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Sie war lediglich hinsichtlich des Feststellungsantrags (Antrag Nr. 3) zum Teil abzuweisen, da kein Feststellungsinteresse des Klägers (vgl. dazu § 256 Abs. 1 ZPO) besteht hinsichtlich der Ansprüche, die auf Sozialversicherungsverträger (vgl. dazu § 116 SGB X) oder auf sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

2. Die Beklagte ist dem Kläger als Haftpflichtversicherer des Unfallbeteiligten … gemäß §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 2, 249 Abs. 2 BGB 7, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zum Ersatze des Schadens verpflichtet, der ihm in Folge der Tötung seiner unterhaltspflichtigen Mutter durch den Verkehrsunfall am … auf der Landstraße L … zwischen den Ortschaften … und … im Saarland entstanden ist.

3. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht nicht im Streit. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Verkehrsunfall am … allein von dem Versicherungsnehmer der Beklagten schuldhaft verursacht worden ist, indem dieser mit seinem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW auf die Gegenfahrbahn geraten und dort mit dem von der Mutter des Klägers gesteuerten Pkw frontal zusammengestoßen ist.

4. Der Streit der Parteien bezieht sich ausschließlich auf die Haftungsquote der Beklagten, die sich mit der Behauptung, die Mutter des Klägers sei bei dem Zusammenstoß nicht angeschnallt gewesen, auf ein dem Kläger anzurechnendes Mitverschulden (§ 254 BGB) beruft.

5. Ob dieser Mitverschuldenseinwand der Beklagten – entsprechend der Auffassung des Klägers – bereits durch einen außergerichtlichen Vergleich der Parteien ausgeschlossen ist, kann für die Entscheidung dieses Rechtsstreites offen bleiben.

Des Weiteren kann dahinstehen, ob – wie die Beklagte behauptet – die Mutter des Klägers bei dem Verkehrsunfall nicht angeschnallt gewesen ist.

6. Jedenfalls wird ein eventuelles Mitverschulden der Mutter des Klägers durch das schuldhafte und grob verkehrswidrige Verhalten des Versicherungsnehmers der Beklagten vollständig verdrängt.

Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass dem Insassen eines Pkw, der den Sicherheitsgurt nicht anlegt, grundsätzlich ein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) an seinen infolge der Nichtanlegung des Gurtes erlittenen Unfallverletzungen zur Last fällt (vgl. BGH NJW 2001, 1485 -1486, juris Rn. 6; BGHZ 74, 25 ff.; BGHZ 30; 83, 71, 73; BGHZ 119, 268, 270; BGH VersR 1979, 532; BGH VersR 1981, 548, 549; BGH VersR 1983, 153). Dies gilt jedenfalls dann, wenn im konkreten Fall nicht – worauf der Kläger mit seinem Hinweis auf die Entbindung seiner Mutter durch Kaiserschnitt (Bl. 85 d.A.) abstellt – ausnahmsweise eine Gurtanlegepflicht nach § 21 a Abs. 1 StVO nicht aufgehoben war (vgl. BGHZ 119, 268, 272).

7. Die im Rahmen der Gewichtung des Mitverschuldens vorzunehmende Abwägung kann in besonderen Fallgestaltungen zu dem Ergebnis führen, dass einer der Beteiligten allein für den Schaden aufkommen muss (vgl. BGH NJW 1998, 1137-1138, juris Rn 8; OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 2001, 47-48; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 254 Rn. 109 f.).

Diese in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte Auslegung des § 254 BGB ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht nur dann angezeigt, wenn ein Beteiligter des Verkehrsunfalls infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig gewesen ist (in dem von dem Bundesgerichtshof am 20.01.1998 entschiedenen Fall (BGH a.a.O.) hatte der Fahrer eines der unfallbeteiligten Fahrzeuge eine Blutalkoholkonzentration von 1,83 Promille), sondern auch dann, wenn einem der beteiligten Fahrzeugführer ein sonstiges – gleich schwer wiegendes – Fehlverhalten vorzuwerfen ist.

8. Das Fehlverhalten des Versicherungsnehmers der Beklagten wiegt ebenso schwer wie das eines alkoholisierten Verkehrsteilnehmers.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass sich der Versicherungsnehmer der Beklagten vor dem Zusammenstoß mit dem Pkw der Mutter des Klägers wiederholt zu seiner Beifahrerin hinüber gebeugt hat, um diese zu küssen. Der Zeuge … hat bei seiner Vernehmung am 25.1.2012 glaubhaft bekundet, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten bereits bei Anhalten an einer auf rot geschalteten Ampel am Ortsausgang von … mit seiner Beifahrerin geschmust und diese geküsst hat. Dadurch sei dieser der Art von der Verkehrssituation abgelenkt gewesen, dass er nicht bemerkt habe, als die Ampel auf grün umgesprungen ist. Der hinter dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW anhaltende Zeuge … habe den Versicherungsnehmer der Beklagten erst durch Huben aufmerksam machen müssen. Als dieser dann losgefahren sei, habe er sich ein weiteres Mal zu seiner Beifahrerin hinübergebeugt, um diese zu küssen. Dadurch sei sein Fahrzeug nahezu vollständig auf die Gegenfahrbahn geraten, so dass ein entgegenkommender Van nur durch Ausweichen einem Zusammenstoß entgehen konnte.

Auch diese Gefahrensituation hat sich der Versicherungsnehmer der Beklagten nicht zur Warnung dienen lassen. Er hat vielmehr sein grob verkehrswidriges Verhalten fortgesetzt und hat sich bei einer Geschwindigkeit, die der Zeuge … mit etwa 60-70 km/h angegeben hat, erneut zu seiner Beifahrerin hinüber gebeugt, um diese zu küssen. Durch dieses erneute grob verkehrswidrige Verhalten ist er wiederum auf die Gegenfahrbahn geraten und dort frontal mit dem entgegenkommenden Pkw Peugeot 206 der Mutter des Klägers zusammengestoßen.

Wegen dieses grob schuldhaften Verhaltens ist der Versicherungsnehmer der Beklagten auch strafrechtlich verfolgt und durch das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken 29.11.2011 (Az. 24 Ls 62 Js 1276/10 (138/11)) einer fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr zur Bewährung verurteilt worden. Auch das Strafgericht ist zu der Erkenntnis gelangt, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten dem Straßenverkehr nicht die gebotene Aufmerksamkeit schenkte, sondern Zärtlichkeiten mit seiner damaligen Freundin austauschte und deshalb mit seinem Pkw auf die Gegenfahrbahn geraten ist.

Angesichts dieses – aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen … als nachgewiesen zu erachtenden (§ 286 ZPO) – grob schuldhaften Verhaltens des Versicherungsnehmers der Beklagten wird ein eventuelles Mitverschulden der Mutter des Klägers – unterstellt, sie sei tatsächlich nicht angeschnallt gewesen – vollständig verdrängt.

Dies hat zur Folge, dass die Beklagte dem Kläger kein Mitverschulden seiner bei dem Verkehrsunfall getöteten Mutter vorwerfen kann, so dass sie dem Kläger in vollem Umfang zum Schadensersatz verpflichtet ist.

9. Hinsichtlich der Höhe des vorliegend geltend gemachten Haushaltsschadens haben sich die Parteien vorgerichtlich geeinigt auf einen Betrag von monatlich 1200 € abzüglich der dem Kläger zustehenden Halbwaisenrente von derzeit 139,93 Euro monatlich, zahlbar bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres des Klägers. Folglich ist die Beklagte dem Kläger sowohl zur Zahlung des mit dem Klageantrag Nummer 1 geltend gemachten Zahlungsanspruches in Höhe von 13.780,91 € für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Januar 2012 (13 Monate) als auch zur künftigen Zahlung (Klageantrag Nummer 2) (vergleiche dazu §§ 257, 258 ZPO) der entsprechenden monatlichen Beträge (derzeit monatlich 1060,07 €) verpflichtet.

Der Feststellungsantrag (§ 256 Abs. 1 ZPO) des Klägers (Klageantrag Nr. 3), für den ein Feststellungsinteresse besteht, da in Folge des Einwandes der Beklagten die Mitverschuldensquote klärungsbedürftig war, ist insoweit begründet, als der Kläger die Feststellung eines eigenen Schadensersatzanspruches begehrt. Nicht begründet und deshalb abzuweisen war der Feststellungsantrag, soweit der Kläger die Feststellung von Schadensersatzansprüchen beantragt, die entweder bereits auf Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden. Es besteht kein Rechtsschutzbedürfnis dafür, dass der Kläger – als gewillkürter Prozessstandschafter – diese fremden Ansprüche im eigenen Namen geltend macht.

10. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging nach §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.

Der Streitwert wurde gemäß § 42 Abs. 1 u. Abs. 4 GKG in Höhe der Summe der Einzelstreitwerte (13.780,91 € + 25.441,68 € + 12.800,– € = 52.022,59 €) festgesetzt.

Von dem durch den Antrag Nr.2 eingeklagten Zukunftsschaden steht ebenso wie bei dem Feststellungsantrag Nr. 3 nur die von der Beklagten eingewandte Mitverschuldensquote von 40 % im Streit, so dass der Antrag Nr. 2 mit 25.441,68 € (1.060,07 €/mtl. * 60 Monate * 40%) und der Antrag Nr. 3 mit 12.800,– € ((500 € /mtl. * 60 Monate) + 10.000,– €) * 40 %)) * 80 %) zu bewerten sind.

 

 

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