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Fahrerlaubnisentziehung bei Verkehrsunfallflucht – Schadenshöhe

OLG Hamm

Az: III-3 RVs 72/10, 3 RVs 72/10

Beschluss vom 30.09.2010


Das angefochtene Urteil wird im Maßregelausspruch aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Angeklagte.

Die Revisionsgebühr wird jedoch um 15 % ermäßigt. In diesem Umfang trägt auch die Staatskasse die der Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 21.04.2010 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,00 € verurteilt worden. Außerdem wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen, ihr Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von noch sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nach den Urteilsfeststellungen stieß die Angeklagte am Tattag mit dem von ihr geführten PKW rückwärts aus einer Einfahrt fahrend gegen den hinteren linken Kotflügel des PKW Ford des H. S.. Der Kotflügel wurde hierdurch beschädigt. Die Angeklagte entfernte sich mit ihrem Fahrzeug von der Unfallstelle, ohne zuvor die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, obwohl sie den Unfall bemerkt hatte. Nach dem von dem Amtsgericht herangezogenen Sachverständigengutachten belaufen sich die Reparaturkosten für das beschädigte Fahrzeug auf 2.647,40 € einschließlich Mehrwertsteuer, beträgt der Wiederbeschaffungswert 1.150,- € und hat das beschädigte Fahrzeug einen Restwert von 50,- €-

Den Maßregelausspruch hat das Amtsgericht u.a. wie folgt begründet:

„Nach Ansicht des Gerichts stellt § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB seinem Wortlaut nach auf den bedeutenden Schaden an fremden Sachen ab. Damit sind die üblichen Reparaturkosten gemeint. Nach Ansicht des Gerichts sind unter dem Begriff „Schaden“ auch dann die Reparaturkosten zu verstehen, wenn der Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert geringer ist als die Reparaturkosten. Im Gegensatz zu § 315 c StGB stellt § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auf den Begriff des Schadens ab und nicht wie in § 59 c StGB auf den Verkehrswert der gefährdeten Sache. Die Auslegung des Wortlauts und die Auslegung aus der Gesetzessystematik ergeben daher, dass „Schaden“ i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB den Wiederherstellungsaufwand bedeutet. Daher liegt nach Ansicht des Gerichts auch in diesem Fall ein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor. Eine Sperrfrist von noch sieben Monaten war unter Berücksichtigung der bisher verstrichenen Zeit seit Beschlussfassung angemessen.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

II.

Die Revision ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des Maßregelausspruches des angefochtenen Urteils. Im Übrigen erweist sich die Revision als unbegründet.

1. Die auf die erhobene Sachrüge vorzunehmende materiell-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils hat sowohl hinsichtlich des Schuldausspruches als auch in Bezug auf den Strafausspruch Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten nicht ergeben. Insoweit war daher die Revision entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

2. Die Entscheidung des Amtsgerichts über die Entziehung der Fahrerlaubnis der Angeklagten und die Einziehung des Führerscheins sowie die Anordnung einer Sperre von noch sieben Monaten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis halten dagegen einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Die getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme eines bedeutenden Schadens im i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB besteht die Vermutung der mangelnden Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges bei einem Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort , wie es hier der Angeklagten zur Last gelegt wird, nur dann, wenn bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht nur unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden ist, und der Täter von den Unfallfolgen bei der Tatbegehung wusste oder wissen konnte, d.h. sie vorwerfbar nicht kannte (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 69 Rdnr. 27). Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, bemisst sich nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteilt sich auf jedenfalls nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 12.05.2005 – 2 Ss 278/05 – BeckRS 2005, 06462 – m.w.N.; OLG Naumburg NZV 1996, 204; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.12.1995 – 2 Ss 366/95 – www.juris.de; König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 69 Rdnr. 17). Die Grenze, wann von einem erheblichen Sachschaden im vorgenannten Sinne auszugehen ist, ist derzeit bei etwa 1.300,- € anzusetzen (vgl. Urteil des Senats vom 13.12.2006 – 3 Ss 473/06 -; Fischer, a.a.O., § 142 Rdnr. 64; OLG Hamburg, Beschluss vom 08.03.2007 – 2 Ws 43/07 – BeckRS 2007, 11906; Himmelreich, Halm NStZ 2008, 382, 384 m.w.N.).

Schon weil von einem wirtschaftlichen Schadensbegriff auszugehen ist, können bei der Prüfung der Frage, ob die Höhe des eingetretenen Fremdschadens i. S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als bedeutend anzusehen ist, nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind. Dies folgt aber vor allem auch aus dem durch § 142 StGB geschützten Rechtsgut. Ausschließliche Zielrichtung dieser Vorschrift ist nach der ganz herrschenden Meinung die Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche sowie der Schutz vor unberechtigten Ansprüchen (Fischer a.a.O., § 142 Rdnr. 2). Zivilrechtlich gilt das an den Geschädigten gerichtete Gebot zu wirtschaftlich vernünftigem Verhalten. Es gebietet dem Geschädigten, den Schaden auf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner individuellen Lage, d. h. angesichts seiner Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie unter Berücksichtigung etwaiger gerade für ihn bestehender Schwierigkeiten, als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in bezug auf den beschädigten Bestandteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen (vgl. BGH NJW 1992, 305).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann hier bei der Prüfung der Frage, ob unfallbedingt ein bedeutender Schaden entstanden ist, nicht, wie durch das Amtsgericht geschehen, auf die sich aus dem Sachverständigengutachten ergebenden Reparaturkosten für geschädigte Fahrzeug abgestellt werden. Die in dem Sachverständigengutachten berechneten Reparaturkosten von 2.647,40 € einschließlich Mehrwertsteuer – bei dem Vergleich zwischen den von einem Sachverständigen kalkulierten Reparaturkosten und dem Wiederbeschaffungswert ist in der Regel von den Bruttoreparaturkosten auszugehen, vgl. BGH NJW 2009, 1340 – übersteigen hier nämlich den Wiederbeschaffungswert des geschädigten Fahrzeugs, der nach den Urteilsfeststellungen 1.150,00 € beträgt, um 130 %, so dass ein wirtschaftlicher Totalschaden gegeben ist. Bei einer solchen Fallgestaltung ist die Höhe des Ersatzanspruchs bei Abrechnung auf Gutachtenbasis auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes beschränkt (vgl. BGHZ 162, 170), so dass sich hier ein unfallbedingter Sachschaden lediglich in Höhe von 1.100,00 € ergibt. Dieser liegt deutlich unter der derzeit maßgeblichen Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i. S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 von 1.300,00 €, so dass die Voraussetzungen für eine auf die vorgenannte Vorschrift gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis hier nicht erfüllt sind.

Eine andere Beurteilung ergibt sich hier auch nicht unter Berücksichtigung des Integritätsinteresses des Geschädigten. Dem Geschädigten, der eine Reparatur nachweislich durchführt, können zwar die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten zuerkannt werden, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen Allerdings kann ein solcher Integritätszuschlag bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. BGHZ 162, 170). Hinzu kommt, dass der Integritätszuschlag von 30 % eine zumindest sechsmonatige Weiternutzung des Fahrzeugs voraussetzt (vgl. BGH Urteil vom 13.11.2007 – VI ZR 89/07 – BeckRS 2007, 19972). Im vorliegenden Fall übersteigen die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert aber um mehr als 130 %. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass nicht schon die Tatsache, dass ein beschädigtes Kraftfahrzeug überhaupt repariert wird, zur Folge hat, dass die dadurch verursachten Kosten bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert als „erforderlicher“ Betrag i. S. von § BGB § 249 S. 2 BGB anzusehen sind ; ein den Wiederbeschaffungswert übersteigender „Integritätszuschlag“ steht dem Geschädigten vielmehr nur dann zu, wenn die von ihm veranlasste Instand-setzung wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Reparaturkosten können also nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden. Anderenfalls würde ein Anreiz zu wirtschaftlich unsinnigen Reparaturen geschaffen, an deren Kosten sich der Schädiger zu beteiligen hätte, was zu einer dem Gebot der wirtschaftlichen Vernunft zuwiderlaufenden Aufblähung von Ersatz-leistungen bei der Schadensregulierung im Kraftfahrzeugbereich und zu einer vom Zweck des Schadensausgleichs nicht gebotenen Belastung des Schädigers führen würde (vgl. BGH NJW 1992, 305).

Die im vorliegenden Fall im Verhältnis zu der Ersatzbeschaffung um 130 % teurere Reparatur ist aber als wirtschaftlich sinnlos anzusehen. Selbst bei einer Reparatur des geschädigten Fahrzeugs stünde dem hier Geschädigten daher kein Anspruch auf Ersatz anteiliger Reparaturkosten bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert zu.

Mangels eines durch den Unfall verursachten bedeutenden Schadens konnte der Maßregelausspruch keinen Bestand und war daher aufzuheben. Da sich aus dem amtsgerichtlichen Urteil keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Höhe der verhängten Geldstrafe durch den Maßregelausspruch beeinflusst worden ist, also insoweit eine Wechselwirkung besteht, konnte die Aufhebung des angefochtenen Urteils auf den Maßregelausspruch beschränkt werden.

Der durch das Amtsgericht am 27.01.2010 ergangene Beschluss, mit dem der Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist, ist damit hinfällig (vgl. BGH Beschluss vom 25.02.2003 – 4 StR 515/02 -)

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO.

IV.

Die Entscheidung über eine Entschädigung für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis hat der Senat dem Amtsgericht überlassen.

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