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Punkteabbau – Tattatprinzip und Fahrerlaubnisentziehung

OVG NRW

Az: 16 B 547/13

Beschluss vom 17.06.2013


Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 26. April 2013 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis. Das gilt namentlich für den Einwand, die Eintragungen hinsichtlich der verkehrsrechtlichen Zuwiderhandlungen vom 8. Mai 2007, 24. September 2007 und 6. November 2007 mit insgesamt 7 Punkten im Verkehrszentralregister seien getilgt oder zu tilgen. Dieser Einwand führt nicht zur Annahme der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. Februar 2013. Vielmehr sind die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG erfüllt, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt insgesamt 19 Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen gewesen sind.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass einem Fahrerlaubnisinhaber, zu dessen Lasten sich im Verkehrszentralregister 18 (oder mehr) Punkte ergeben haben, die Fahrerlaubnis unabhängig von später – vor oder nach Erlass der Entziehungsverfügung – eintretenden Punktetilgungen zu entziehen ist.

Siehe BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 3 C 21.07 -, juris, Rn. 9 (= BVerwGE 132, 57).

Die unter Bezugnahme auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 24. Mai 2006 – 16 B 1093/05 -, juris (= NWVBl. 2007, 24) von der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 11. Juni 2013 vertretene Auffassung, für die Frage der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung sei entscheidend, ob die dem Antragsteller vorzuhaltenden Verkehrsverstöße zum Zeitpunkt der Zustellung des Entziehungsbescheids noch im Verkehrszentralregister enthalten gewesen seien, entspricht daher weder der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts noch der des Senats, der sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen hat.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 31. Juli 2009 – 16 B 862/09 – und vom 2. Oktober 2012 – 16 B 1116/12 -, juris, Rn. 3 ff.

Für die Beantwortung der Frage, wann sich 18 Punkte im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ergeben haben, kommt es auf den Tag der Begehung der letzten zum Erreichen dieser Punkteschwelle führenden Tat und nicht auf den Zeitpunkt deren rechtskräftiger Ahndung an. Dies folgt aus den weiteren Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. September 2008, – 3 C 3.07 -, juris, Rn. 13 (= BVerwGE 132, 48), und – 3 C 34.07 -, juris, Rn. 12, die unmittelbar zwar nur die Geltung des sog. Tattagprinzips bei der Anwendung von § 4 Abs. 4 StVG betreffen, gleichwohl jedoch Ausführungen enthalten, aus denen sich ableiten lässt, dass im Rahmen von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ebenfalls das Tattagprinzip zugrunde zu legen ist.

Eingehend hierzu OVG NRW, Beschluss vom 2. Oktober 2012 – 16 B 1116/12 -, a. a. O., Rn. 3 ff., unter Hinweis auf Bay. VGH, Beschluss vom 21. Juni 2010 – 11 CS 10.377 -, juris, Rn. 18 ff. (= ZfSch 2010, 597), und Urteil vom 19. Dezember 2011 – 11 B 11.1848 -, juris, Rn. 26 ff.; Sächs. OVG, Beschluss 25. Juni 2010 – 3 B 65/10 -, juris, Rn. 4 (= DAR 2010, 534); VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 – 10 S 2053/10 -, juris, Rn. 4 ff. (= DAR 2011, 166), und vom 10. Mai 2011 – 10 S 137/11 -, juris, Rn. 4 (= NJW 2011, 2456); Dauer, in: Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 4 StVG Rn. 24; ders, DAR 2009, 49.

Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Auffassung, bei der Anwendung des § 4 Abs. 4 StVG sei auf den Tattag abzustellen, wesentlich mit Sinn und Zweck der Regelungen über das Punktsystem begründet und dabei darauf verwiesen, dass ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Rechtskraft den Betroffenen dazu verleiten könne, offensichtlich aussichtslose Rechtmittel einzulegen, um den Eintritt der Rechtskraft hinauszuzögern und sich dadurch die Möglichkeit einer Punktereduzierung zu erhalten. Dieser Gedanke ist auf den hier maßgeblichen Zusammenhang ohne Weiteres übertragbar. Denn auch insoweit besteht die Gefahr, dass betroffene Fahrerlaubnisinhaber Rechtmittel aus rein taktischen Überlegungen einlegen, um die Rechtskraft der die Tat ahndenden Entscheidung hinauszuzögern und so in den Genuss der Tilgungsreife zu kommen.

Der Anwendbarkeit des Tattagprinzips im Rahmen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG steht schließlich nicht entgegen, dass den straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen, die nach § 4 Abs. 3 StVG gegenüber Mehrfachtätern zu ergreifen sind, nur rechtskräftig geahndete und erst insofern im Verkehrszentralregister eintragungsfähige Verkehrsverstöße zugrunde gelegt werden können.

Vgl. dazu näher BVerwG, Urteile vom 25. September 2008 – 3 C 3.07 -, a. a. O., Rn. 19 ff., und – 3 C 34.07 -, a. a. O., Rn. 17 ff.

Damit allein ist nichts darüber ausgesagt, welche Verkehrsverstöße bei der Ermittlung des von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG vorausgesetzten Punktestands zu berücksichtigen sind. Auch das Tattagprinzip verzichtet nämlich nicht auf die Rechtskraft der die jeweiligen Zuwiderhandlungen ahndenden Entscheidungen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. September 2008 – 3 C 3.07 -, a. a. O., Rn. 38, und – 3 C 34.07 -, a. a. O., Rn. 36.

Vielmehr ist nur nicht erforderlich, dass die Unanfechtbarkeit bereits zu dem nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG maßgeblichen Zeitpunkt eingetreten ist.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 7. Dezember 2010 – 10 S 2053/10 -, a. a. O., Rn. 5; siehe auch Dauer, DAR 2009, 49, der von einer Art schwebender Unwirksamkeit der zum Zeitpunkt der Tat entstandenen Punkte spricht, solange noch keine rechtskräftige Ahndung der Tat erfolgt ist; darauf bezugnehmend Bay. VGH, Urteil vom 19. Dezember 2011 – 11 B 11.1848 -, a. a. O., Rn. 36.

Da sämtliche in der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. Februar 2013 gelisteten Ordnungswidrigkeiten rechtkräftig sanktioniert worden sind, konnten sie hinreichende Grundlage für den Erlass der Entziehungsverfügung sein.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers waren auch die drei verkehrsrechtlichen Zuwiderhandlungen aus dem Jahr 2007 mangels Tilgung in die Berechnung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG einzubeziehen. Zutreffend ist allerdings, dass bis zum Erreichen von 18 Punkten eingetretene Punktetilgungen bei der Ermittlung des Punktestands zu berücksichtigen sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 3 C 21.07 -, a. a. O., Rn. 17.

Die Tilgung von Eintragungen bestimmt sich nach § 29 StVG. Die Tilgungsfrist beträgt zwei Jahre bei Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG), fünf Jahre u. a. bei Entscheidungen wegen Straftaten mit Ausnahme von Entscheidungen u. a. wegen Entscheidungen, in denen eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnet worden ist (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a StVG), und zehn Jahre in allen übrigen Fällen (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG). Sofern im Verkehrszentralregister – wie hier beginnend mit der Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 20. August 1999 – mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG über eine Person eingetragen sind, ist gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG die Tilgung einer Eintragung vorbehaltlich der Regelungen in § 29 Abs. 6 Satz 2 bis 6 StVG erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Dass dem Betroffenen nach Ende der Fahrerlaubnissperre eine Fahrerlaubnis erteilt worden ist, führt mangels gesetzlicher Grundlage nicht zur Tilgung von Voreintragungen.

Vgl. auch VG München, Beschluss vom 25. November 2008 – M 6a S 08.3025 -, juris, Rn. 36.

Allerdings werden Eintragung einer Entscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit – mit Ausnahme von Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG – spätestens nach Ablauf von fünf Jahren getilgt (§ 29 Abs. 6 Satz 4 StVG – absolute Tilgungsfrist); maßgebender Zeitpunkt für den Beginn der Tilgungsfrist ist der Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der Bußgeldentscheidung (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG).

Hiervon ausgehend ist die Verurteilung vom 24. Juli 2000 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit einer Tilgungsfrist von zehn Jahren, die hier nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG fünf Jahre nach Ergehen des Urteils zu laufen begonnen hat, maßgeblich dafür, dass insgesamt noch keine Tilgung eingetreten ist. Die Verkehrszuwiderhandlungen aus dem Jahr 2007, die am 1. März, 8. Mai und am 29. Mai 2008 rechtskräftig sanktioniert worden sind, sind deshalb bei der Ermittlung des Punktestands nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zu berücksichtigen. Auch war am 27. Juli 2012, dem für das Erreichen von 18 Punkten maßgeblichen Tattag, die fünfjährige Tilgungsfrist dieser Ordnungswidrigkeiten noch nicht abgelaufen. Das Beschwerdevorbringen, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis führende Punktestand von 18 oder mehr Punkten müsse noch „zum Zeitpunkt des Antrags“ vorgelegen haben, womit wohl der Aussetzungsantrag vom 2. April 2013 gemeint ist, geht daher ins Leere.

Schließlich spricht auch nichts Überzeugendes dafür, trotz der gesetzlichen Wertung des § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG, wonach Rechtsmittel u. a. gegen eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG keine aufschiebende Wirkung entfalten, und trotz der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 26. Februar 2013 die im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 VwGO) anzustellende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers zu treffen. Die von ihm dargestellten beruflichen Gesichtspunkte haben zwar Gewicht, vermögen sich aber nicht gegen das öffentliche Interesse durchzusetzen, die Sicherheit des Straßenverkehrs und hochwertige Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer wie Leib, Leben und Gesundheit vor den Gefahren zu schützen, die von beharrlichen Mehrfachtätern ausgehen, die trotz der gesetzlich vorgesehenen Hilfestellungen und Punktegutschriften eine Punktezahl wie der Antragsteller erreichen. Da die Wiedererlangung einer Fahrerlaubnis den Ablauf einer mindestens sechsmonatigen Wartefrist und darüber hinaus in der Regel eine positive medizinisch-psychologische Begutachtung erfordert, kann der Antragsteller jedenfalls dann in absehbarer Zeit mit einer Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit rechnen, wenn er die Überwindung der bisher bei ihm zutage getretenen Fehleinstellung zu den Erfordernissen einer verantwortungsbewussten Teilnahme am Straßenverkehr nachgewiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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