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Verletzt bei Einsteigen in Reisebus – Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche

LG Magdeburg – Az.: 10 O 1273/11 – Urteil vom 20.09.2012

1. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, wobei hinsichtlich des Schadensersatzanspruches die Klägerin nur eine Quote von 50% beanspruchen kann.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund einer Verletzung geltend, die sie beim Einsteigen in einen Reisebus erlitten haben will.

Der Beklagte zu 1. betreibt ein Busreiseunternehmen, zu dem der Reisebus mit dem amtlichen Kennzeichen … gehört. Dieser Bus ist bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert. Vom 28.11. – 30.11.2010 unternahm die Klägerin mit ihrem Ehemann eine Reise in diesem Bus.

Auf der Rückreise am 30.11.2010 kam es in relativ kurzen Abständen zu einem Halt auf einem Parkplatz mit WC-Anlage kurz vor dem Autobahndreieck A14/A2. Kurze Zeit danach fand ein planmäßiger Halt an der Raststätte M an der Autobahn 2 statt, wo bei der Klägerin eine stark blutende Verletzung am Bein festgestellt wurde, die im folgenden stationär behandelt werden musste.

Die Klägerin behauptet, die Verletzung habe sie sich beim Einsteigen in den Bus auf dem Rastplatz mit WC-Anlage zugezogen. Sie habe über die hinteren der beiden Treppen den Bus betreten und sich an der Kante der Treppe die Verletzung zugezogen. Hinsichtlich der Einzelheiten der der Treppe und Kante wird auf die Abbildungen Bl. 42 – 45 d. A. Bezug genommen.

Die Klägerin macht nun mit ihrer Klage auch der Höhe nach umstrittene Schmerzensgeld- sowie Schadensersatzansprüche geltend.

Die Klägerin beantragt,

Verletzt bei Einsteigen in Reisebus - Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche
Symbolfoto: Von VGstockstudio /Shutterstock.com

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 6.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2011 zu zahlen.

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie Schadenersatz in Höhe von 513,18 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 603,93 € zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Verletzungen habe sich die Klägerin nicht beim Einsteigen in den Bus sondern irgendwo draußen im Bereich des Parkplatzes zugezogen. Eine Haftung der Beklagten wegen verschuldensunabhängiger Haftung aus Betriebsgefahr nach § 7 StVG scheide im Übrigen auch deswegen aus, weil das Einsteigen in den Bus kein Schaden sei, der beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sei. Dies gelte umso mehr, als dass beim Einsteigen der Klägerin nicht einmal der Motor des Busses gelaufen sei.

Die Kammer hat mit Beweisbeschluss vom 22.12.2011 (Bl. 56 d. A.) ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten über die Behauptung der Klägerin eingeholt, dass ihre Beinverletzung beim Einsteigen in den Bus entstanden sein soll. Am 17.04.2012, nicht wie irrtümlich angegeben 2014, hat die Rechtsmedizinerin Dr. med. J ihr Gutachten vorgelegt (Bl. 83f d. A.). Am 31.05.2012 (Bl. 123 d. A.) hat die Kammer die Sachverständige auf Antrag der Beklagten mündlich gehört.

Weiterhin wurden die Zeugen Bärbel und Hartmut N sowie der Ehemann der Klägerin Eckhart B zum Einsteigevorgang in den Bus vernommen. Am 19.07.2012 (Bl. 159 d. A.) wurde die Zeugin U hierzu ergänzend vernommen. Unter dem 26.06.2012 hat im Auftrag der Beklagten der Rechtsmediziner Prof. Dr. K ein Privatgutachten hinsichtlich der Verletzungen vorgelegt, das er mit Telefax vom 21.08.2012 noch einmal hinsichtlich eines Schreibversehens korrigiert hat (Bl. 185 d. A.).

Entscheidungsgründe

Die Beklagten haften der Klägerin nach den Vorschriften des § 7 Abs. 1 StVG, § 115 VVG als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Beklagte zu 1. haftet als Kraftfahrzeughalter, die Beklagte zu 2. als sein Pflichtversicherer.

I.

Die Gefährdungsnorm des § 7 Abs. 1 StVG ist anwendbar, da die Klägerin „beim Betrieb“ des Busses des Beklagten zu 1. verletzt wurde.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist dieses Haftungsmerkmal entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszudehnen. Erforderlich ist dafür ein naher örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang des Fahrzeuges. Im Übrigen genügt es jedoch, wenn sich eine von dem Fahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. Der Ein- und Aussteigevorgang gehört in diesem Sinne grundsätzlich schon zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges (Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 25.05.2009, 1 U 261/08, Rz. 86, zitiert nach Juris, mit weiteren Zitaten aus der Rechtsprechung).

Hier ist die Klägerin im Rahmen eines kurzen außerplanmäßigen Halts des Reisebusses auf einem Parkplatz aus- und wieder eingestiegen, weil einige Reisende dringend die Toilette aufsuchen mussten (so die Zeugin U, Bl. 159 d. A.). Damit ist klar geworden, dass hier auch ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges gegeben ist. Der Bus war nicht für längere Zeit abgestellt, ohne dass sich Passiere noch im Fahrzeug befunden haben und damit kein Zusammenhang mehr mit dem eigentlichen Betrieb bestand. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn der Bus ohne Insassen und Fahrer längere Zeit auf einem Parkplatz abgestellt worden wäre, weil beispielsweise sich die Insassen ein Museum anschauen (vgl. hierzu Entscheidung BGH vom 27.11.2007, VI ZR 210/06, zitiert nach Juris). In diesem Zusammenhang ist es daher auch nicht entscheidungsrelevant, ob der Motor des Fahrzeuges beim Einsteigen der Zeugin noch lief oder abgestellt gewesen ist, wie die Beklagten erstmalig im August 2012 (Bl. 168 d.A.) behaupten. Bereits aufgrund der Kürze der außerplanmäßigen Toiletten-Pause und der Tatsache, dass nicht alle Insassen aus dem Fahrzeug ausgestiegen waren (Zeugin U), ist der enge Zusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges zu bejahen.

Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 08.08.2012 zitierte BGH-Entscheidung NJW 75, 1886, passt bereits deswegen nicht, da es dort darum geht, dass sich ein Unfall beim Ingangsetzen der Betriebseinrichtung eines Sonderfahrzeuges ereignet hat, bei dem die Funktion der Betriebseinrichtung als Arbeitsmaschine im Vordergrund steht.

Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass sich die Klägerin die Verletzungen an der Kante der Stufe der Treppe des hinteren Eingangs des Busses zugezogen hat. Dies ergibt eine Gesamtschau der erhobenen Beweise. So hat die Zeugin N bekundet, dass die Klägerin beim Einsteigen in den Bus kurz gestoppt hat und auf ihre Nachfrage hin antwortete, dass sie sich gestoßen habe. Auch der Ehemann der Klägerin, der Zeuge B, hat bekundet, dass seine Frau beim Einsteigen kurz innehielt und etwas wie Aua sagte.

Die Rechtsmedizinerin Dr. J hat für die Kammer nachvollziehbar sowohl in ihrem schriftlichen Gutachten als auch in ihren mündlichen Erläuterungen dargelegt, dass das Stoßen an der Kante als Schadensursache für die Verletzung durchaus in Betracht kommt. Dem steht auch nicht das Privatgutachten des Rechtsmediziners Prof. Dr. K entgegen. Der Privatgutachter K hat in seinem Gutachten lediglich ausgeführt, dass er als Verletzung nicht ein Heben des Beines und Anstoßen sieht, sondern eher die Möglichkeit sieht, dass die Klägerin mit ihrem Bein abgerutscht ist und sich dabei verletzt hat. Damit kommen beide Rechtsmediziner zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung beim Einsteigevorgang in den Bus möglich ist; sei es, dass die Klägerin abgerutscht, sei es, dass sie sich beim Hochziehen an der Kante gestoßen hat. Für die Kammer ist aber in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, ob die Klägerin beim Einsteigen von der Stufe abgerutscht ist oder beim Hochziehen sich an der Kante das Bein verletzt hat. Entscheidend ist allein, dass die Verletzung beim Einsteigevorgang verursacht wurde. Im Übrigen hat auch der Sachverständige K hinsichtlich einer Verletzung der Klägerin auf dem Parkplatz dies lediglich als theoretische Möglichkeit beschrieben.

Das Verletzungsbild lässt sich demnach zwanglos mit den Schilderungen der Zeugen, den Feststellungen der Sachverständigen J und denen des Privatgutachters im Zusammenhang mit dem Einsteigevorgang erklären.

Soweit die Beklagten behauptet haben, die Klägerin habe sich irgendwo draußen auf dem Parkplatz die Verletzungen zugezogen, hat hierfür die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte erbracht. Keiner der Zeugen hat diesbezügliche Bekundungen getroffen. Auch die von Beklagtenseite hierzu benannte Zeugin U vermochte hierzu nichts zu sagen, da sie lediglich gesehen hat, dass die Klägerin den Bus verlassen hat. Hinsichtlich der Gefährlichkeit der Kante im Bus hat die Zeugin U, wenn auch als Zeugin vom Hören sagen bekundet, dass ihr Ehemann, der sich die Kante nach dem Vorfall angeschaut hat, dass es sehr scharfe Kanten seien.

II.

Demnach sind die Beklagten der Klägerin jedenfalls dem Grunde nach zum Ersatz dieses erwachsenen Schadens sowie zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet, § 11 StVG. Hinsichtlich des Schadensersatzes vermag die Kammer jedoch lediglich eine Haftung mit einer Quote von 50 % anerkennen, da ein Mitverschulden der Klägerin nach § 9 StVG, § 254 BGB zu berücksichtigen ist. Dieses Mitverschulden wäre dann auch bei der Höhe des Schmerzensgeldes, wenn auch nicht prozentual, zu berücksichtigen.

So hat der Ehemann der Klägerin als Zeuge ausgeführt, dass der Einstieg in den Bus durch die hintere Tür etwas schwierig ist. Die letzte Stufe des Busses fast 29 cm hoch, wie es sich aus dem Lichtbild Bl. 43 d. A., Anlage B2, ergibt. In einem derartigen Fall muss man als Benutzer der Treppe besondere Vorsicht walten lassen. Andererseits ergibt sich aus den Lichtbildern B3, Bl. 44 d. A., dass 2 Haltegriffe vorhanden sind. Wenn dann aber für den Benutzer eines Busses erkennbar relativ hohe Stufen in den Bus führen, muss der Benutzer entsprechende Sorgfalt walten lassen und besonders vorsichtig einsteigen. Schließlich haben sich auch auf dieser Reise keine anderen Benutzer der Treppe beim Einsteigen verletzt.

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Nach alldem war der Klägerin der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach zuzusprechen.

Ein Endurteil hat die Kammer noch nicht erlassen, da hinsichtlich der Schadenshöhe noch weitere Beweiserhebungen notwendig sind.

 

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