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Verletztenrente – ehrenamtliche Helfer

SOZIALGERICHT SPEYER

Az.: S 1 U 341/03

Urteil vom 18.05.2004

Nachinstanzen:

Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz, Az.: L 2 U 237/04, Urteil vom 23.05.2007

Bundessozialgerichts, Az.: B 2 U 215/07 B, Beschluss vom 11.09.2008


In dem Rechtsstreit hat die 1. Kammer des Sozialgerichts Speyer auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2004 für Recht erkannt:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 25.6.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.9.2003 wird aufgehoben.

2. Die Beigeladene zu 1 (BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege) wird verurteilt, den Unfall vom 15.9.2002 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Leistungen zu gewähren.

3. Die Beigeladene zu 1 hat dem Kläger und der Beigeladenen zu 2 die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Unfallfolgen und Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1965 geborene Kläger war bis zu dem Unfall, um dessen Folgen gestritten werden, hauptberuflich Busfahrer im Linienverkehr der Regionalbus Saar-Westpfalz GmbH in K…. In seiner Freizeit bzw. seinem Urlaub war er als Busfahrer auch für den Verein „Kinderhilfe ……….“ tätig. Dieser Verein sammelt Geld- und Sachspenden für die von der Atomkatastrophe in Tschernobyl betroffenen Menschen. Er führt Seminare, Kongresse und Vorträge unter Beteiligung von Experten und Betroffenen aus Weißrussland durch, vermittelt Kontakte für weißrussische und deutsche Wissenschaftler, Organisationen, Gruppen, Einrichtungen und staatliche Stellen, die insbesondere auf den Gebieten der Strahlenphysik, der Strahlenmedizin, der Therapie von Strahlenschäden, der Kerntechnik, der Energiepolitik, der Ökologie, der Sozialwissenschaften, der Landwirtschaft, der Nahrungsmittelherstellung und des Bauwissens tätig sind (§ 2 der Satzung des Vereins).

Seit mehreren Jahren organisierte der Verein Ferienaufenthalte weißrussischer Kinder und deren Eltern in der Pfalz. Für die Hilfstransporte und Austauschtreffen hatte sich der Verein einen LKW der Marke Mercedes mit Anhänger sowie einen Scania Sattelzug und für den Personentransport einen Omnibus gekauft. Der Kläger stellte sich schon seit mehreren Jahren für die Überführung der Kinder bzw. Eltern von Weißrussland nach Deutschland und wieder zurück zur Verfügung. Auch im Sommer 2002 wurde ein Personenaustausch durchgeführt. Am 8.8.2002 fuhr ein Bus in Leerfahrt nach Weißrussland (Entfernung etwa 1.700 Kilometer), fuhr am 10.8.2002 mit weißrussischen Kindern zurück in die Pfalz, wo diese bis zum 31.8.2002 bei deutschen Gasteltern blieben. Am 2.9.2002 trafen die Kinder wieder in Weißrussland ein. Am selben Tag fuhr der Bus mit weißrussischen Eltern zurück nach Deutschland, wo diese bis zum 11.9.2002 blieben. Am 11.9.2002 erfolgte der Rücktransport der weißrussischen Eltern. Auf der Rückfahrt nach Deutschland mit dem leeren Bus kam es am 15.2.2002 in Minsk/Weißrussland zu einem schweren Unfall. Der Bus wurde zu diesem Zeitpunkt von S… N…gefahren, der Kläger war Beifahrer. Infolge einer Unaufmerksamkeit übersah S… N… einen langsam vorausfahrenden oder stehenden LKW und fuhr auf diesen auf. Der Kläger wurde eingeklemmt und erlitt schwerste Verletzungen (Polytrauma). Es musste unter anderem sein linker Unterschenkel amputiert werden, ein rechter Fuß bleibt gelähmt, das rechte Ellenbogengelenk ist teilversteift worden. Der Kläger wurde zunächst in weißrussischen Krankenhäusern behandelt und dann nach Deutschland zurücktransportiert. Den Durchgangsarztbericht vom 29.9.2002 erstellten Ärzte der Universitätsklinik Homburg, wo der Kläger vom 17.9. bis 15.11.2002 stationär behandelt wurde.

Die Unfallkasse des Saarlandes übersandte den Durchgangsarztbericht im Oktober 2002 an die Beklagte. Diese übernahm vorläufig die Zuständigkeit, weil die zu diesem Verfahren Beigeladene BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege einen Unfallversicherungsschutz verneinte.

Durch Bescheid vom 25.6.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass keine Leistungen zu gewähren seien, weil kein Versicherungsschutz bestünde. Er sei weder Beschäftigter noch sogenannter Wie/Beschäftigter gewesen, weil der Schwerpunkt der Tätigkeit für den Verein im Ausland und nicht im Inland gelegen habe.

Dem widersprach der Kläger erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18.9.2003).

Dagegen hat der Kläger am 22.10.2003 Klage erhoben.

Er trägt vor: Er sei in den letzten zwei bis drei Jahren vor dem Unfall mindestens fünfmal für den Verein nach Weißrussland gefahren. Die Termine würden jeweils vom Verein vorgegeben. Pro Busfahrt seien zwei bis drei Fahrer eingesetzt. Diese Tätigkeit sei unentgeltlich, zum Teil würden Auslagen ersetzt. Er unterliege den Weisungen des Vereins wie ein Beschäftigter. Der Schwerpunkt der Tätigkeit habe in Deutschland gelegen, weil sämtliche organisatorische Maßnahmen von Deutschland aus getroffen worden seien. Wenn sich der Unfall in Deutschland ereignet hätte, hätte Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Ziffer 9 SGB VII bestanden, da er in der Wohlfahrtspflege tätig gewesen sei.

Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 25.6.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.9.2003 aufzuheben die die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zu verurteilen, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und ggf. Leistungen zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat die BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zum Verfahren beigeladen.

Sie beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Wenn sich der Unfall im Geltungsbereich des SGB VII ereignet hätte, bestünde ein Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Der Kläger habe vor der Entsendung nach Weißrussland in keinem Versicherungsverhältnis zu dem Verein gestanden (er sei auch kein Mitglied). Schwerpunkt seiner Tätigkeit für den Verein habe nicht in Deutschland gelegen. Das BSG verlange für die Ausstrahlung eine gesicherte Weiterbeschäftigung nach der Auslandsentsendung beim Arbeitgeber. Der Kläger sei kein Vereinsmitglied und habe auch sonst keine weiteren Tätigkeiten für den Verein ausgeübt. Er hätte eine Auslandsversicherung im Rahmen des § 140 Abs. 2 SGB VII abschließen müssen.

Die Kammer hat ferner die Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeuges, nämlich die Thuringia Generali Versicherung AG zum Verfahren beigeladen. Diese schließt sich dem Klageantrag an.

Sie trägt vor: Unstreitig dürfte sein, dass der Kläger jedenfalls für einen Unfall in Deutschland Versicherungsschutz gehabt hätte und zwar nach § 2 Abs. 1 Ziffer 9 SGB VII. Der Kläger sei nämlich in der Wohlfahrtspflege tätig gewesen, da er zum Wohle der Allgemeinheit und nicht zum eigenen finanziellen Vorteil Hilfe für notleidende Menschen geleistet habe. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Ziffer 9 SGB VII nicht vorgelegen hätten, bestünde Versicherungsschutz nach der Bestimmung des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, da der Kläger als Busfahrer für den Verein wie ein Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII tätig geworden sei. Die Voraussetzung für eine Ausstrahlung nach § 4 SGB IV lägen eindeutig vor. Typische Fälle, in denen die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung zeitlich begrenzt sei, seien z. B. Montage, Einweisungs- und sonstige Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung von Produktionsständen oder Gebäuden im Ausland durch deutsche Unternehmen, aber auch und eben erst recht, wenn es sich lediglich um in Deutschland organisierte und angeordnete Transportfahrten ins Ausland handele. Der Unfallversicherungsschutz erlische nicht dadurch, dass ein Kfz-Fahrer ausländische Straßen befahre und dabei verunglücke. Im Übrigen sei die Tätigkeit auch schon durch die vom Verein erteilten Weisungen begrenzt gewesen.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes komme es für die Ausstrahlung des Versicherungsschutzes nur darauf an, ob der Auslandsaufenthalt aufgrund der Eigenart der Beschäftigung (Hin- und Rückreise) im Voraus zeitlich begrenzt sei. Das sei hier eindeutig der Fall gewesen. Aber auch der Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers habe in Deutschland gelegen. Es komme nicht darauf an, wie viel Zeit jeweils im Ausland und im Inland verbracht werde. Bei Arbeiten z. B. auf einer ausländischen Baustelle, aber auch bei Kraftfahrern mit Fahrziel im Ausland könne der Versicherungsschutz nicht davon abhängen, wie lange die jeweils im Ausland verbrachte Arbeitszeit sei. Sie müsse nur jeweils zeitlich begrenzt und mit einer Rückkehr nach Deutschland verbunden sein. Zum anderen habe der rechtliche und auch der tatsächliche Schwerpunkt der Tätigkeit in Deutschland gelegen. Der Sitz des Vereins als Auftraggeber habe in Deutschland gelegen. Wohnsitz des Klägers sei Deutschland. Der Kläger sei deutscher Staatsangehöriger. Der unfallbeteiligte Bus sei in Deutschland zugelassen. Der verantwortliche Fahrer sei Deutscher und in Deutschland wohnhaft gewesen. Nach Rückkehr habe der Kläger dem Verein für weitere Fahrten zur Verfügung gestanden; er wäre auch wieder eingesetzt worden, wenn es nicht zu dem Unfall gekommen wäre. Ein Teil der Fahrtstrecke habe außerdem im Inland zurückgelegt werden müssen, im Übrigen sei die Fahrt durch mehrere Länder gegangen. Der Kläger habe den Weisungen des deutschen Vereins unterlegen. Er habe sich nach dessen Organisationen richten müssen. Der Verein habe auch ausgewählt, welcher Fahrer mit welchem Bus zum Einsatz komme.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozess- sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage hat Erfolg, da der Kläger einen nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII versicherten Unfall erlitten hat. Nicht die Beklagte, sondern die beigeladene Berufsgenossenschaft ist dafür zuständig und somit zu verurteilen, diesen Unfall als Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII anzuerkennen und dem Kläger Leistungen zu gewähren.

Eine Verurteilung der beigeladenen Berufsgenossenschaft ist gemäß § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz möglich.

Die Kammer konnte entscheiden, obwohl die Beigeladene zu 2 beim Sozialgericht München eine Klage gegen die beklagte Verwaltungs-BG anhängig gemacht hat. Die Beklagte weist zu Recht daraufhin, dass diese Klage vor dem Sozialgericht München zurzeit unzulässig ist. Denn es fehlt an der Prozessführungsbefugnis der beigeladenen Haftpflichtversicherung (Beigeladene zu 2). Diese kann als Kfz-Haftpflichtversicherer nach § 109 SGB VII nur statt, nicht anstelle des Berechtigten, hier des Klägers handeln. Da der Kläger den steitgegenständlichen Bescheid der Beklagten rechtzeitig angegriffen hat, ging die Befugnis des Kfz-Haftpflichtversicherers nach § 109 SGB VII verloren. Auch wenn die Klage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht erledigt sein sollte, so kann sie die Durchführung dieser Klage nicht blockieren.

Zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass der Kläger an sich eine von § 2 Abs. 1 Nr. 9 erfasste versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat, sieht man einmal davon ab, dass sich der Unfall im Ausland ereignete. Denn danach sind kraft Gesetzes auch gegen Unfälle versichert: Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind.

Das BSG definiert die Wohlfahrtspflege in ständiger Rechtsprechung als die planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit und nicht zwecks Erwerbs ausgeübte vorbeugende oder abhelfende unmittelbare Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Menschen, die über die bloße Selbsthilfe hinausgeht (Schmitt, Komm. zur Gesetzlichen Unfallversicherung, München 1998, § 2 Rn. 64, Kater-Leube, Komm. zum SGB VII, 1987, Seite 72 m.w.N.). Es kommt dabei in erster Linie auf die Zweckbestimmung an. Dies ergibt sich hier aus der Satzung des Vereins Kinderhilfe Shitkowitschi – Leben nach Tschernobyl e.V., wie er im Tatbestand zitiert wurde. Vom Wortlaut her komme es dabei nicht darauf an, wo die humanitären Zwecke verwirklicht werden, überwiegend im Inland oder auch im Ausland. Dies ist vielmehr eine Frage, die sich nach den allgemeinen Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) richtet. Der Begriff Wohlfahrtspflege umfasst sicher auch das Bemühen des Vereins, den strahlengeschädigten Kindern in Weißrussland zu helfen und sie zu fördern. Der Kläger war mit dieser Wohlfahrtspflege auch befasst, als er Kinder bzw. deren Eltern nach Deutschland und zurück transportierte.

Seine Hilfe geht über bloße Gefälligkeiten weit hinaus. Die Frage der Entlohnung spielt nur eine Rolle zur Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den beteiligten Berufsgenossenschaften. Weil der Kläger die Hilfe unentgeltlich leistet bzw. nur gegen eine Teilerstattung seiner Aufwendungen kommt keine Versicherung als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, sondern nur als Ehrenamtlicher nach Nr. 9 in Frage.

Versicherungsschutz bestand aber auch für die Fahrt außerhalb der Grenzen Deutschlands. § 2 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz verweist ausdrücklich auf die Regeln der Ein- und Ausstrahlung des 4. Buches des Sozialgesetzbuchs. Grundsätzlich gelten Vorschriften über die Versicherungspflicht, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs, also in Deutschland beschäftigt oder selbständig tätig sind (§ 3 Nr. 1 SGB IV). Nur soweit keine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit vorausgesetzt wird, ist Anknüpfungspunkt der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsbereich im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs. Anstelle des Begriffs Beschäftigung ist in § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII die unentgeltliche Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege zu verstehen und dieser gleichzusetzen.

Die Beklagte bestreitet nun, dass der Beschäftigungsort des Klägers noch im Bereich dieses Gesetzbuches, also in Deutschland lag, als er am 15.9.2002 in Minsk in Weißrussland verunglückte. Dagegen argumentiert der Kläger, dass er die Beschäftigung im Geltungsbereich dieses Gesetzes nicht dadurch verlor, dass er sich vorübergehend ins Ausland begab und dort Fahrten durchführte, die ihn aber immer wieder nach Deutschland zurückführten. Der Kläger beruft sich dabei auf die Vorschriften über die Ein- und Ausstrahlung bei abhängig Beschäftigten (§§ 4 und 5 SGB IV). Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist (Ausstrahlung, § 4 Abs. 1 SGB IV). Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in §§ 4 und 5 SGB IV der Tatsache Rechnung getragen, dass Beschäftigung immer auch wirtschaftliche Wertschöpfung bedeutet. Die Definition, was Beschäftigungsort im Einzelnen ist, erfordert also immer eine im Einzelfall schwierige wirtschaftliche Zurechnung von Handlungen abhängig Beschäftigter. Die Regeln über die Ausstrahlung und Einstrahlungen sollen einen Wechsel des sogenannten Sozialrechtstatuts vermeiden, falls ein Beschäftigter seine Arbeit außerhalb des Staates verrichtet, dessen Sozialrecht das berufene Statut ist. Er berücksichtigt die Tatsache, dass wirtschaftliche Wertschöpfung nicht an den Grenzen halt macht, sondern gerade Grenzen überschreitet. Beschäftigungsort ist deshalb nicht wesentlich Ort der Arbeitsleistung, sondern wesentlich der Ort, der dem Erfolg einer abhängigen Beschäftigung sozial und wirtschaftlich zuzurechnen ist.

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Insofern sind die Vorschriften über Ausstrahlung und Einstrahlungen nicht Durchbrechungen, sondern Bestätigungen des Anknüpfungspunktes Beschäftigungsort (Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, München 1994, Rn. 307). Wichtiges Indiz für die Zurechnung ist der Sitz des Arbeitgebers. Deshalb ist eine Tätigkeit, die im Ausland ausgeübt wird, als eine inländische Tätigkeit zu verstehen, wenn der Arbeitgeber seinen Sitz im Inland hat und der Arbeitnehmer gehalten ist, an diesen Ort immer wieder zurückzukehren. Deshalb hat das BSG

Beschäftigte der Stiftungen der deutschen politischen Parteien, die vorübergehend im Ausland tätig sein sollen, auch dann der deutschen Versicherungspflicht unterworfen, wenn ihre Entsendung länger als zwei Jahre währt (BSG Amtl. Sammlung Bd. 39, Seite 241). Dasselbe meint die Rechtsprechung, die bei einer Entsendung ins Ausland eine Weiterbeschäftigung nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 SGB IV für unverzichtbare Voraussetzungen für den Bestand des Versicherungsschutzes ansieht (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.10.2001, L 16 KR 157/00, BSG, Urteil vom 10.8.1999, B 2 U 30/98 R). Fehlt diese Anbindung an einen inländischen Arbeitgeber so läuft das Recht Gefahr, einseitig nicht im Inland Beschäftigte zu unterstützen und so auch die inländischen Sozialversicherungen über Gebühr zu belasten.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so muss man zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger auch bei dem Unfall in Weißrussland noch nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII versichert war. Denn er war für einen Verein tätig, der seinen Sitz in Deutschland hatte und hat. Dieser Verein entfaltet seine Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege auch im Wesentlichen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, nicht etwa auf dem Gebiet von Weißrussland. Er betreut die Kinder aus Tschernobyl nicht etwa in Weißrussland selbst, sondern holt sie und deren Eltern zu einem Erholungsurlaub oder zur ärztlichen Behandlung nach Deutschland. Sinn und Zweck dieser Hilfe ist es gerade, die in Deutschland vorhandenen Möglichkeiten eines wohlhabenden demokratischen Landes den strahlengeschädigten Kindern aus Tschernobyl zugute kommen zu lassen. Um die strahlengeschädigten Kinder nach Deutschland zu bringen, sind allerdings Überführungsfahrten nach Russland zwingend notwendig. Wie die Beigeladene zu 2 zu Recht ausführt, haben die Überführungsfahrten den Kläger auch über deutsches Gebiet und auch über die Gebiete anderer Länder als Weißrussland geführt. Der Kläger erhielt seine Weisungen nicht etwa aus Weißrussland, sondern ausschließlich aus Deutschland.

Er hätte sich wohl einer weißrussischen Organisation, ähnlich des Vereins Kinderhilfe Shitkowitschi –Leben nach Tschernobyl e.V. nicht so ohne weiteres anvertraut. Zusammengefasst war für die Kammer entscheidend, dass weder der Kläger bei seiner Hilfe für den Verein noch der Verein selbst den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen bzw. vereinlichen Aktivitäten im Ausland hatten. Nicht entscheidend ist, ob der Kläger im Anschluss an die Fahrt, bei der er verunglückte, noch einmal eine ähnliche Fahrt ausführen sollte oder wollte (so ähnlich Oberster Gerichtshof für Wien, Entscheidung vom 11. Januar 2001, Az.: 8 ObS 243/00 v).

Es kann aber auch nicht gegen ihn verwendet werden, wenn er dazu entschlossen gewesen wäre (Eine analoge Anwendung der Regeln über die Ein- und Ausstrahlung bei ehrenamtlicher Tätigkeit im Ausland befürwortet auch das LSG Rheinland-Pfalz, L 3 U 111/03).

Die Klage hat deshalb Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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