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Verletzung beim Stockkampf zweier minderjähriger Kinder

OLG München – Az.: 23 U 3830/12 – Urteil vom 22.11.2012

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 24.08.2012, Az. 23 O 269/12 aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.560,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2012 sowie weitere 461,13 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.10.2012 zu zahlen.

III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftig noch entstehenden materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, die aus dem Unfall vom 26.08.2011 resultieren, in Höhe von 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden.

IV. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

V. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 65 %, der Beklagte 35 %.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

VII. Die Revision wird nicht zugelassen.

Verletzung beim Stockkampf zweier minderjähriger Kinder
Symbolfoto: Von Lipatova Maryna /Shutterstock.com

Gründe

Das Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO begründet wie folgt.

I.

Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend, da der Beklagte den Kläger im Rahmen eines Stockkampfs verletzt hat.

Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er rügt, die Rechtsprechung des BGH zum Haftungsausschluss bei Kampfspielen und Wettkämpfen sei vorliegend nicht anwendbar. Der Kläger verfolgt daher seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Darüber hinaus beantragt er erstmals in zweiter Instanz, den Beklagten zur Zahlung von 962,71 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

1. Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 60,76 Euro sowie ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 Euro aus § 823 Abs. 1, § 249, § 253 Abs. 2 BGB zu.

1.1. Eine Körperverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB liegt vor.

1.2. Diese ist auch rechtswidrig, insbesondere fehlt es an einer rechtfertigenden Einwilligung. Die Verletzung der körperlichen Integrität wäre nur dann durch eine Einwilligung gerechtfertigt, wenn der Kläger mit der konkreten Verletzung einverstanden gewesen wäre (vgl. BGH NJW-RR 1995, S. 857, 858). Dies ist nicht ersichtlich und wird insbesondere auch vom Beklagten nicht behauptet.

1.3. Der Beklagte handelte auch fahrlässig. Maßgeblich ist, ob ein normal entwickelter Junge vergleichbaren Alters die Gefährlichkeit hätte voraussehen und danach hätte handeln können (Sprau in: Palandt, BGB, 71. Auflage 2012, § 828 Rz. 7, Grüneberg in: Palandt, a.a.O. § 276 Rz. 17). Bei einem zwölfjährigen Jungen ist ohne weiteres davon auszugehen, dass er die Gefährlichkeit des Spiels mit 1,5 m langen Holzstöcken erkennen und das Risiko erheblicher Verletzungen vorhersehen und danach handeln konnte.

Bereits eine Sorgfaltspflichtverletzung könnte aber schon dann ausscheiden, wenn die Verletzungen im sportlichen Wettkampf bei einem regelgerechten, dem Fairnessgebot entsprechenden Einsatz des Gegners entstanden sind (BGH NJW 2010, 537, 538; offengelassen von BGH NJW 2003, 2018, 2019 ob dies die Frage der Tatbestandsmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit betrifft). Grundlage hierfür ist aber, dass dem Spiel bestimmte, für jeden Teilnehmer verbindliche Regeln zugrunde liegen, die von vornherein feststehen, unter denen somit die Teilnehmer zum Spiel antreten und die insbesondere durch das Verbot von Fouls auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Spieler selbst ausgerichtet sind (BGH NJW-RR 1995, S. 857, 858 m.w.N). Solche feste Regeln lagen hier indes nicht vor. Einzige zwischen den Parteien vereinbarte „Regel“ war es, nicht auf den Kopf zu schlagen. Von einem geschlossenen Regelsystem, das schwerwiegende Verletzungen der Teilnehmer verhindern soll, kann damit nicht ausgegangen werden.

1.4. Auch ein konkludenter Haftungsverzicht des Klägers liegt nicht vor. Ein Haftungsverzicht setzt einen Verzichtswillen voraus. Ein solcher kann jedoch allenfalls angenommen werden, wenn die Beteiligten den Eintritt einer Verletzung wie diejenige, zu der es letztlich gekommen ist, ersichtlich in Erwägung gezogen haben (BGH NJW-RR 1995, S. 857, 858). Dass die beteiligten Kinder mit einer Kopfverletzung tatsächlich gerechnet haben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

1.5. Dass dem Beklagten nach § 828 Abs. 3 BGB die zur Erkenntnis der Verantwortung erforderliche Einsicht gefehlt hätte, ist nicht dargetan (vgl. Sprau in: Palandt, a.a.O., § 828 Rz. 6 dazu, dass die mangelnde Einsichtsfähigkeit vom Schädiger zu beweisen ist). Gerade umgekehrt hat der Beklagte selbst vorgetragen, beide Parteien seien sich der Gefährlichkeit des Spiels bewusst gewesen (Schriftsatz vom 29.02.2012, S. 4 vorletzter Absatz, Bl. 18 d.A.).

1.6. Eine Inanspruchnahme scheidet vorliegend auch nicht nach § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr oder der bewussten Risikoübernahme aus (vgl. dazu BGH NJW-RR 2006, 672, 674):

Treuwidrig handelt danach der Geschädigte, der versucht, auf einen anderen denjenigen Schaden abzuwälzen, den er bewusst in Kauf genommen hat, obschon er ebenso gut in die Lage hätte kommen können, in der sich der Schädiger befindet und sich dann aber ebenfalls dagegen gewehrt haben würde, Ersatz leisten zu müssen (BGH, NJW-RR 2006, 672, 674; BGH NJW 2003, S. 2018, 2019). Diese Fallgruppe ist nach Rechtsprechung des BGH aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, wie bei Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen oder anderen besonders gefährlichen Sportarten einschlägig. Allerdings reichen die Grundsätze über die sportlichen Kampfspiele hinaus und können auch bei Spielen Jugendlicher, bei denen es zu einem Körpereinsatz kommt, Anwendung finden (BGH NJW-RR 1995, S. 857, 858; BGH NJW-RR 2006, S. 672, 674). Jedoch kommt auch unter dem Aspekt von Treu und Glauben eine völlige Haftungsfreistellung nur in Betracht, wenn dem Spiel zumindest ein festes Regelwerk, das auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Spieler gerichtet ist, zugrunde liegt (BGH NJW-RR 1995, S. 857, 858; BGH NJW-RR 2006, S. 672, 674). Bereits daran fehlt es vorliegend, wie bereits aufgezeigt (s. oben Ziff. 1.3).

Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Inanspruchnahme auch dann nicht treuwidrig, wenn der Schädiger Versicherungsschutz genießt. In diesem Fall ist der Schädiger selbst keinem Haftungsrisiko ausgesetzt, seine Inanspruchnahme durch den Geschädigten verstößt nicht gegen § 242 BGB (BGH NJW 2008, 1591, 1592; BGH NJW 2010, S. 537, 538). Unstreitig besteht ein Haftpflichtversicherungsschutz des Beklagten. Nicht von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, dass es sich nicht um eine gesetzliche, sondern um eine private Haftpflichtversicherung handelt. Eine Differenzierung nach gesetzlicher oder privater Haftpflichtversicherung lässt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2003, S. 1591, 1592) nicht entnehmen. Der maßgebliche Aspekt, dass der Schädiger keinem unzumutbaren Haftungsrisiko ausgesetzt ist, weil die Versicherung für ihn einsteht, gilt bei privater wie bei gesetzlicher Haftpflichtversicherung in gleicher Weise.

1.7. Der Beklagte ist daher dem Kläger grundsätzlich gemäß §§ 249 ff BGB für den kausal verursachten Schaden ersatzpflichtig. Allerdings muss sich der Kläger ein Mitverschulden in Höhe von 50 % anrechnen lassen, so dass der Schadensersatzanspruch nur in Höhe von 60,76 Euro besteht.

In welchem Ausmaß eine Kürzung des Anspruchs vorzunehmen ist, bedarf einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Eine gänzliche Haftungsfreistellung kommt nur ausnahmsweise in Betracht (BGH NJW-RR 2006, S. 672, 674; BGH NJW-RR 1995, S. 857, 858). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass beide Kinder sich auf genau gleiche Weise an dem Spiel beteiligt haben. Die dem Kläger zugefügte Verletzung hätte ohne weiteres auch umgekehrt vom Kläger dem Beklagten beigebracht werden können. Kläger und Beklagter waren in etwa gleich alt, so dass weder der Kläger noch der Beklagte ein signifikant höheres Maß an Einsicht in die Gefährlichkeit des Spiels hatten. Dies rechtfertigt, einen Mitverschuldensanteil des Klägers von 50 % anzusetzen.

Dass der Kläger einen Eigenanteil an den Kosten der Krankenbehandlung von 121,52 Euro zahlen musste, ist unstreitig.

1.8. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB zu, allerdings nur in Höhe von 1.500 Euro. Das Schmerzensgeld ist unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzusetzen und muss in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen (Grüneberg in: Palandt, a.a.O., § 253 Rz. 15).

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger einen Schneidezahn verloren hat, eine prothetische Versorgung lebenslang notwendig sein wird, der Kläger nach dem Unfall zunächst sehr starke Schmerzen zu erleiden hatte und der Kläger im Tatzeitpunkt erst 13 Jahre alt war. Allerdings ist eine prothetische Versorgung durch Brücke oder Implantat möglich, so dass keine dauerhafte Entstellung zu befürchten ist. Außerdem hat der Beklagte nur fahrlässig gehandelt und war zum Tatzeitpunkt erst 12 Jahre alt. Darüber hinaus liegt dem Kläger, wie ausgeführt (s. oben Ziff. 1.7) ein erhebliches Mitverschulden zur Last.

Der Umstand, dass der Beklagte als 12 jähriges Kind mit gewisser Wahrscheinlichkeit selbst über keine nennenswerten finanziellen Mittel verfügt, bedarf keiner Berücksichtigung, da unstreitig eine Haftpflichtversicherung besteht (vgl. BGH NJW 1955, S. 1675, 1677).

Unter Abwägung sämtlicher Aspekte und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung in anderen Fällen der Beschädigung oder des Verlusts von Zähnen (OLG Köln, Urteil vom 17.05.2006, 19 U 37/06; OLG Hamm, Urteil vom 24.10.2006, 26 U 171/05; OLG Koblenz, Urteil vom 29.06.2010, 5 U 545/10; OLG Frankfurt, Urteil vom 20.11.2007, 3 U 91/06) erachtet der Senat ein Schmerzensgeld von 1.500 Euro als angemessen.

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2. Der zulässige Feststellungsantrag des Klägers ist teilweise begründet. Wie bereits oben Ziff. 1 ausgeführt, hat der Kläger gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Ersatz der gesamten, adäquat kausal durch den Unfall vom 26.08.2011 entstandenen materiellen Schäden, allerdings aufgrund des Mitverschuldens nur in Höhe von 50 %. Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld für noch entstehende, weitere immaterielle Schäden zu. Allerdings wird auch insoweit bei der Bemessung der Höhe das Mitverschulden des Klägers zu berücksichtigen sein.

3. Der Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 823 Abs. 1, 249 BGB. Auch insoweit handelt es sich um einen adäquat durch den Unfall verursachten Schaden. Der Kläger hat mit Vorlage der Anlage K 4 auch nachgewiesen, dass er aktivlegitimiert ist.

Allerdings besteht der Anspruch auf 1,5 Geschäftsgebühren nur aus einem Gegenstandswert von 3.560,76 Euro (60,76 Euro Schadensersatz, 1.500 Euro Schmerzensgeld, 2.000 Euro Feststellungsantrag), mithin in Höhe von 367,50 Euro netto. Zuzüglich der Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20 Euro netto ergibt sich ein Anspruch von 387,50 Euro netto bzw. 461,13 Euro brutto.

4. Der Zinsanspruch folgt aus § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche sind seit 18.01.2012 rechtshängig, der Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten seit 02.10.2012.

5. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen sind durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt.

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