LG München II – Az.: 10 O 5592/16 – Urteil vom 22.04.2020
1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 10.007,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.08.2013 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin 75 % des weiteren materiellen und immateriellen Schadens aus dem Unfall der Zedentin vom 21.01.2013 zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger übergeht oder übergegangen ist.
3. Die Beklagte zu 1.) wird weiter verurteilt, der Klägerin 1.100,51 € außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.01.2017 zu bezahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin haben die Klägerin zu 65 % und die Beklagte zu 1.) zu 35 % zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1.) haben die Klägerin zu 31 % und die Beklagte zu 1.) zu 69 % zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2.) hat die Klägerin zu tragen.
Im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Hinsichtlich des jeweiligen Vollstreckungsverhältnisses der Klägerin gegen die Beklagte zu 1.) und der Beklagten zu 2.) gegen die Klägerin ist es gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
7. Der Streitwert wird auf 25.355,86 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen die Räum- und Streupflicht aus abgetretenem Recht.
Die Zedentin behauptet, am 21.01.2013 im Gemeindebereich der Beklagte zu 1) an der Fahrradunterführung am S-Bahnhof Puchheim mit dem Fahrrad einen Unfall aufgrund unzureichender Verkehrssicherung erlitten zu haben. Unfall, Unfallhergang und -folgen sind streitig.
Die Beklagte zu 2) war von der Beklagten zu 1) beauftragt, im Bereich des S-Bahnhofs die Räum- und Streupflicht auszuüben. Der Inhalt der Vereinbarung ergibt sich aus der Anlage B1, auf welche verwiesen wird.
Bei der Zedentin handelt es sich um eine erfahre Fahrradfahrerin, welche die Strecke, auf der sich der Unfall zugetragen haben soll, mehrmals wöchentlich befährt.
Die Zedentin, die Zeugin …, trat mit Vereinbarung vom 11.02.2016 ihre Ansprüche im Zusammenhang mit einem von ihr am 21.01.2013 erlittenen Verkehrsunfall an die Klägerin ab. Für den Inhalt der Abtretungsvereinbarung wird auf die Anlage K1 verwiesen.
Mit Schreiben vom 25.07.2013 forderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Namen der Zedentin die Beklagte zu 1) zur Leistung auf. Dies wurde abgelehnt.
Im Bereich des S-Bahnhofs endet die Allingerstraße. An der dortigen Stelle gibt es einen Vorplatz, von dem eine Fußgänger– und Fahrradunterführung abgeht. Der Fußgängerweg und der Fahrradweg sind durch ein massives Gitter getrennt. Hierbei handelt es sich um eine öffentliche Straße.
Die Klägerin behauptet, die Zedentin habe sich am 21.1.2013 ins Fitnessstudio in der Boschstraße 7 in Puchheim begeben wollen. Sie sei gegen 10:50 Uhr an ihrem Wohnort in Eichenau losgefahren.
Sie habe hierbei ein Damenrad benutzt, welches mit neuwertigen Stollenreifen ausgestattet gewesen sei. Diese seien zur Benutzung auf verschneiten Straßen geeignet gewesen.
Seit dem 12.01.2013 sei es winterlich kalt mit Temperaturen unter 0° gewesen. In den Tagen vor dem Unfall hätten die Temperaturen im Mittel -5° bis -6° betragen. Im Zeitraum vom 16. bis 18.01.2013 habe der Schneefall zu einer ca. 10 cm hohen Schneedecke geführt. Auf Straßen und Wegen seien am 21.01.2013 noch Altschneereste vorhanden gewesen. In der Nacht vom 20. zum 21.01.2013 habe es ca. 2 cm geschneit. Am frühen Vormittag seien weitere 6-7 cm hinzugekommen. Der Schneefall habe an diesem Vormittag gegen 10:00 Uhr geendet. Dies sei etwa eine Stunde vor Fahrtantritt der Zedentin gewesen.
Die von der Zedentin bis zum S-Bahnhof Puchheim befahrene Strecke über den Ihleweg und die Allingerstraße seien geräumt, schnee- und eisfrei und gut befahrbar gewesen.
Unmittelbar vor dem Einfahren in die Fahrradunterführung habe die Zedentin bemerkt, dass der Fahrradweg insgesamt nicht geräumt gewesen sei. Es seien Spuren anderer Radfahrer sichtbar gewesen. Am Vorplatz habe die Zedentin zwei Lenkbewegungen ausführen müssen. Hierbei habe keine Gefahr bestanden, da der Neuschnee griffig war. Sie sei dennoch mit großer Vorsicht in Schrittgeschwindigkeit in die Unterführung eingefahren. Etwa 5 m nach der Einfahrt in die Unterführung sei ihr Fahrrad weggerutscht. Sie sei dabei auf die linke Schulter gestürzt.
Durch den Sturz habe sie sich einen Trümmerbruch am Oberarmknochenkopf zugezogen. Sie sei noch am selben Tag operiert worden. Für die genaue Beschreibung der Verletzungen und des Behandlungsverlaufs wird auf Seite 6 ff. der Klage verwiesen.
Nach der Operation habe sie sich vom 21. bis 29.01.2013 stationär im Krankenhaus befunden. Vom 29.01. bis 25.02.2013 sei sie auf die dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen gewesen. Im Anschluss an den Unfall sei sie 3 Monate lang arbeitsunfähig gewesen. Vom 29.04. bis 26.05.2013 habe sie eine stufenweise Wiedereingliederung durchgeführt. Erst seit dem 27.05.2013 sei sie wieder in Vollzeit beschäftigt gewesen.
Vom 30.01. bis 01.03.2013 habe sie aufgrund ärztlicher Verordnung 15 mal Krankengymnastik durchgeführt. Vom 4. bis 28.03.2013 habe sie sich in eine stationäre Reha-Maßnahmen begeben. Vom 9.04. bis 29.04.2013 habe sie dreimal pro Woche Termine zur Reha gehabt. Vom 3. Mai bis zum 27.05.2013 habe sie weitere 10 mal Krankengymnastik durchführen müssen. Infolge des Unfalls habe sie zweieinhalb Monate unter Schlafstörungen gelitten.
Die durch den Unfall verursachten Bewegungseinschränkungen im linken Schultergelenk hielten auch nach der Operation und der vorgenannten Maßnahmen weiter an. Sie habe durch den Unfall einen Dauerschaden erlitten. Es bestehe die Gefahr weiterer Einschränkungen. Insbesondere sei die Notwendigkeit weiterer Operationen wahrscheinlich. Es drohe ein teilweises Absterben des Oberarmknochens (Nekrose). Hinsichtlich der weiteren Unfallfolgen wird auf Seite 7 ff. der Klageschrift verwiesen.
Aufgrund andauernder Beschwerden habe sich die Zedentin im Januar 2016 erneut zur Krankengymnastik begeben. Sie habe 30 weitere Termine durchgeführt.
Zur Krankengymnastik habe sie Zuzahlungen leisten müssen, welche sich auf 471,80 € bei der einen Einrichtungen und auf zusätzliche 97,40 € bei der anderen Einrichtung belaufen hätten.
Aufgrund des Unfalls sei ihr ein Verdienstausfall entstanden. Im Zeitraum vom 4. bis 28. März habe sie lediglich ein Übergangsgeld bekommen, welches 68 % des vorherigen täglichen netto-Einkommens, also 53,89 € pro Tag, betragen habe. Ihr vorheriges Nettomieten-Einkommen habe 79,25 € pro Tag betragen. Es ergäbe sich eine Differenz von 25,36 € pro Tag. Nach 25 Tagen ergäbe sich eine Differenz von 634 €.
Im Zeitraum vom 29.03. bis 26.05.2013 habe sie Krankengeld in Höhe von 70 % des vorherigen Nettoverdienstes bezogen. Sie habe demnach 23,78 € pro Tag weniger erhalten. Hieraus ergebe sich ein Schaden von insgesamt 1.403,02 €.
Die Klägerin behauptet weiter, bei dem Unfallort handle es sich um eine verkehrswichtige Stelle. Die nächste Verbindung zu den Ortsteilen auf der anderen Seite der S-Bahn Gleise sei 2,5 km entfernt in Eichenau gelegen. Auch die Schulkinder, die in Puchheim Ort oder Eichenau wohnten und zum Gymnasium oder zur Realschule gingen, müssten die Unterführung täglich nutzen. Die Unterführung sei unfallträchtig.
Am Tag des Unfalls habe es schon mehrere Stürze gegeben. Der erste hiervon habe sich um 9:00 Uhr zugetragen.
Die Klägerin behauptet weiter, an der Unfallstelle hätten sich unter dem Neuschnee noch Altschneereste befunden. Diese seien glatt gewesen. Auf diesen sei die Zedentin dann ausgerutscht. Es sei insgesamt nicht ausreichend geräumt und gestreut gewesen. Insbesondere sei überhaupt nicht mit abstumpfende Material (Rollsplit) gestreut gewesen.
Die Beklagte zu 1 habe die Beklagte zu 2 nicht ausreichend überwacht.
Die Klägerin ist der Ansicht, es bestünde ein Verstoß gegen die Räum- und Streupflicht, da die als Schneereste nicht vollständig entfernt oder bestreut worden waren.
Die Klägerin beantragte zuletzt:
I. Die Beklagten werden gesamtverbindlich verurteilt, an die Klägerin Euro 15.355,86 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen. Die Beklagte zu 1 wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Betrag von Euro 14.925,65 seit 17.08.2013 bis Rechtsfähigkeit zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtverbindlich verpflichtet sind, der Klägerin den gesamten weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 31.01.2013 zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen.
III. Die Beklagte zu 1 wird weiter verurteilt, die außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten von Euro 1242,84 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu bezahlen.
Die Beklagten beantragten, Klageabweisung.
Die Beklagte zu 2 behauptet, im gesamten Zeitraum vor und nach dem behaupteten Unfall sei ausreichend geräumt und gestreut worden. Sie habe in der Zeit von 11 bis 13:00 Uhr den Bereich geräumt. Dementsprechend sei die Unfallstelle um 11:00 Uhr noch nicht geräumt gewesen. Das habe der Gesellschafter der Beklagten zu 2 … kurz nach dem Unfall getan. Er habe den Schnee geräumt und mit Streusalz und Split gestreut. Bereits am frühen Morgen des 21.01.2013 zwischen 4:00 und 6:00 Uhr sei dieser im Bereich der Unterführung gewesen. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe dort wenig Schnee gelegen. Es seien weniger als 5 cm gewesen. Es habe kein Eis und keine allgemeine winterliche Glätte gegeben.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass im Bereich der Fahrradunterführung überhaupt keine Räum- und Streupflicht bestanden habe. Für reine Radwege ergäbe sich aus Art. 51 BayStrWG und der entsprechenden Verordnung der Stadt Puchheim keine Räum- und Streupflicht. Ein genereller Anspruch auf Räumung reiner Radwege bestehe für Radfahrer nicht, weil diese auch die Straße benutzen dürften, wenn der Radweg nicht ausreichend geräumt sei.
Im Übrigen bestünde an dieser Stelle keine Räumpflicht, weil die Fahrradunterführung nicht ausreichend wichtig für den Verkehr sei.
Zudem bestehe eine Räumpflicht nur, wenn es sich um eine gefährliche Stelle handle. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
Die Anforderungen an die Räum- und Streupflicht auf Fahrradwegen orientiere sich an denjenigen für Fahrbahnen. Die Anforderungen an die Räum- und Streupflicht auf Fahrbahnen orientierten sich allerdings an der Nutzung durch Kraftfahrzeuge und nicht an der besonderen Sturzgefahr von Radfahrern.
Sofern überhaupt von einem Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht ausgegangen werden könne, sei der Anspruch aufgrund überwiegenden Verschuldens der Zedentin auf Null zu kürzen. Für die Zedentin seien die von ihr behaupteten Gegebenheiten offenkundig gewesen. Diese habe sie hinzunehmen. Sie habe mit der Rutschigkeit wegen des Schnees rechnen müssen. Sie habe damit rechnen müssen, dass sich unter der Schneeauflage Glatteis befinden könne. Es handele sich um eine bewusste Selbstgefährdung. Im Übrigen habe die Zedentin nach dem eigenen Vortrag gegen das Sichtfahrgebot verstoßen.
Die Beklagte zu 1 ist weiterhin der Ansicht, dass sie auch dem Grunde nach bereits keine Haftung treffen könne, weil sie ihre Verkehrssicherungspflicht wirksam auf die Beklagte zu 2 delegiert habe. Dies sei in jedem Fall zulässig. Sofern eine Überwachungspflicht bestanden habe, habe sie dieser genügt.
Die Beklagte zu 2 ist der Ansicht, dass sie im Falle eines Verstoßes gegen die Verkehrssicherungspflicht nicht hafte, weil sie dem beamtenrechtlichen Haftungsprivileg unterfalle. Bei der Durchführung der Räum- und Streupflicht auf öffentlichen Straßen handele es sich um eine öffentliche Aufgabe. Die Beklagte zu 2 sei deswegen als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne zu behandeln.
Für das weitere Vorbringen der Parteien wird auf die Schriftsätze und auf die Protokolle der Verhandlung vom 08.05.2017, vom 20.07.2017, vom 19.10.2017 und vom 13.06.2019 verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch informatorische Anhörung des Gesellschafters der Beklagten zu 2 … und der Vernehmung der Zedentin, der Zeugin …, in der Verhandlung vom 08.05.2017, durch Vernehmung der Zeugin … und … in der Verhandlung vom 20.07.2017 sowie durch Vernehmung der Zeugen … und… in der Verhandlung vom 19.10.2017. Zudem hat es Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen schriftlichen Gutachtens eines Sachverständigen durch Beweisbeschluss vom 11.04.2018, ergänzt durch Verfügung vom 12.06.2018, auf welche das radiologische Fachgutachten vom 04.09.2018 und das fachorthopädische-unfallchirurgische Gutachten vom 08.08.2018 ergingen.
Nach Neubesetzung des Einzelrichterreferats mit einer Proberichterin wurde der Rechtsstreit mit Beschluss vom 12.03.2019 auf den Einzelrichter übertragen. Der von dieser erlassene Beweisbeschluss vom 30.10.2019 wurde nach erneuter Neubesetzung mit Beschluss vom 21.01.2020 aufgehoben.
Die Klägerin hat die Klage über einen Betrag von 239,56 € in der Verhandlung vom 13.06.2019 zurückgenommen. Die Beklagtenvertreter erklärten ihr Einverständnis mit der teilweisen Klagerücknahme. (Blatt 228 der Akte)
Das Gericht hat Hinweise erteilt mit Verfügung vom 20.09.2017, Verfügung vom 29.01.2018 sowie in der Verhandlung vom 19.10.2017.
Die Parteien haben die Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt. Auf den daraufhin ergangenen Beschluss vom 05.02.2020 wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nur gegenüber der Beklagten zu 1 teilweise begründet.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Aufgrund des Streitwertes von 25.355,86 Euro ist das Landgericht München II nach § 1 ZPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 23 GVG sachlich zuständig.
Gemäß § 32 ZPO ist das Landgericht München II auch örtlich zuständig, da der Sturz in Puchheim stattfand und damit der Ort der unerlaubten Handlung dort ist.
2. Die Klägerin hat auch ein Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Für die Bejahung des Feststellungsinteresses nach § 256 ZPO genügt die bloße, auch nur entfernte Möglichkeit künftiger weiterer Folgeschäden (BGH NJW 1991, 2707; NJW 1998, 160; NJW 2001, 1431). Vorliegend ist der Feststellungsantrag nach seiner Formulierung nur auf zukünftige Vorfallsfolgen bezogen. Die Klägerin trägt vor, dass weitere Operationen und eine Verschlechterung des Zustandes erwartbar seien. Das reicht.
II. Die Klage ist nur teilweise begründet.
1. Ein Anspruch dem Grunde nach besteht nur gegen die Beklagte zu 1), weil die Beklagte zu 2) schon als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn von der Haftung befreit ist.
Aus Art. 34 S. 1 GG ergibt sich für die Beklagte zu 2) eine befreiende Haftungsübernahme durch den Staat. Eine eigene Haftung der Beklagten entfällt.
a) Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst verwiesen auf die Hinweise des Gerichts aus der Verfügung vom 20.09.2017 und aus der Verhandlung vom 19.10.2017 (Bl. 122 f. d.A.).
b) Die Klage stützt sich allein auf einen deliktischen Anspruch. Eine derartige Haftung der Beklagten zu 2) besteht nicht. Diese ist gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG ausgeschlossen, weil die Mitarbeiter der Beklagten zu 2) bzw. ihr Gesellschafter … in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt haben.
aa) Ist § 839 BGB anwendbar, verdrängt die Vorschrift als vorrangige Spezialregelung konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB. Im Rahmen der Haftung nach § 839 BGB tritt gem. Art. 34 S. 1 GG – im Wege der befreienden Haftungsübernahme – der Staat bzw. die jeweilige Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegner des Geschädigten an die Stelle dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat. Eine persönliche Haftung des Amtsträgers gegenüber dem Geschädigten scheidet aus, vgl. nur BGH NJW 2014, 3580.
bb) Zieht der Staat private Unternehmer zur Erfüllung ihm obliegender Aufgaben auf privatrechtlicher Grundlage heran, so hängt die Qualifikation der Tätigkeit des Unternehmers als hoheitlich oder nicht hoheitlich von dem Charakter der wahrgenommenen Aufgabe, der Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe und dem Grad der Einbindung des Unternehmers in den behördlichen Pflichtenkreis ab. Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. (BGH NJW 2014, 2577; 2578)
cc) Abzustellen ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient (BGH, Beschl. v. 1.08.2002, NJW 2002, 3172).
dd) Der Umstand, dass die Beauftragung der Beklagten zu 2) auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt ist, ist für die Beurteilung, ob der Beklagte als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn gehandelt hat, ohne Bedeutung (allg. A; vgl. nur OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. Juli 2010 – 4 U 949/10 -, Rn. 14 m.w.N.)
ee) Zunächst kommt es somit auf den hoheitlichen Charakter der Aufgabe als solche an.
Die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Räumung und Streuung der Gemeindestraßen als Teil der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich aus Art. 51 Abs. 1 BayStrWG. Diese Pflicht ist nach Art. 69 BayStrWG (bis 31.07.2017: Art. 72) eindeutig als hoheitliche Aufgabe definiert. Danach werden die sich aus Art. 51 ergebenden Aufgaben von den Bediensteten der damit befassten Körperschaften in Ausübung eines öffentlichen Amts wahrgenommen.
ff) Der Beklagten zu 2) stand auch kein derart großer Entscheidungsspielraum zur Verfügung, dass das Verhalten von der Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe getrennt zu sehen wäre. Der Beklagten zu 2) war ein konkreter Auftrag zur „Beseitigung von Eis und Schnee im Bereich der Fuß- und Radwegunterführung beim S-Bahnhof Puchheim“ erteilt worden. Für den genauen Inhalt wird auf Anlage B1 verweisen. Die von der Beklagten zu 2) hierfür zu erbringenden Leistungen sind im Auftrag detailliert beschrieben. Ein relevanter eigener Entscheidungsspielraum der Beklagten ist dabei nicht ersichtlich. Die Stellung der Beklagten war somit derjenigen eines Verwaltungshelfers angenähert.
Im Ergebnis machte die Beklagte zu 2) absolut nichts, was nicht die Erfüllung einer Verpflichtung aus Art. 51 Abs.1, 69 BayStrWG gewesen wäre.
gg) Die Beklagte zu 2) war weiterhin in die Organisation der Ausübung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zu 1) derart eingebunden, dass sie Arbeitsmittel der Beklagten zu 1) zur Verfügung gestellt bekam.
Nach den im weiteren Verlauf nicht bestrittenen Angaben des Gesellschafters der Beklagten zu 2) …. nutzte dieser zum Streuen Salz, welches ihm von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wurde. Dies bestätigte der Zeuge Frischmann (Bl. 119 d.A.). Zudem nutzte er nach eigenen Angaben einen „Kommunaltraktor“ (Bl. 75 d.A.), also wohl ein Gerät der Stadt.
hh) Ausgehend von den Kriterien des BGH (s.o.) dürfte kaum eine Tätigkeit denkbar sein, bei der der hoheitliche Charakter der Aufgabe stärker in den Vordergrund tritt: Denn die übertragene Tätigkeit und die von der Behörde zu erfüllenden hoheitliche Aufgabe waren deckungsgleich, wobei sie die Beklagte zu 2) auch noch organisatorisch und durch das zur Verfügung stellen von Mitteln einband.
2. Gegen die Beklagte zu 1) besteht dem Grunde nach ein Anspruch wegen eines Verstoßes gegen eine Verkehrssicherungspflicht.
a) Das Gericht ist im Sinne von § 286 ZPO davon überzeugt, dass die Zedentin, die Zeugin …, am 21.01.2013 gegen 11:00 Uhr im Anfangsbereich der Fahrradunterführung am S-Bahnhof Puchheim mit dem Fahrrad stürzte.
Das ergab sich aus der Einvernahme der Zedentin sowie der Zeugen … und …. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass weder die Zeugin … noch der Zeuge … den Unfall unmittelbar wahrgenommen haben. Sie konnten aber beide schildern, dass die Zedentin sich mit einer neuen Verletzung bei ihrem Fahrrad an der Fahrradunterführung befand.
Das Gericht hat weiter für die Glaubwürdigkeit berücksichtigt, dass die beiden Zeugen … ein eigenes unmittelbares Interesse am Ausgang des Prozesses hatten. Es bestanden dennoch keine Anhaltspunkte, an der inhaltlichen Richtigkeit ihrer Aussagen zu zweifeln.
b) Der Sturz ereignete sich nach der Überzeugung des Gerichts infolge festgefrorener Altschneereste, die sich unter einer Schicht aus Neuschnee befanden.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierzu zunächst verwiesen auf den Hinweis vom 29.1.2018 (Bl. 133/134 d.A.).
Dass am Tag des Unfalls am frühen Vormittag Schnee gefallen war, war zwischen den Parteien weitgehend unstreitig. Lediglich die Beklagte zu 1 hatte dies bestritten. Der Gesellschafter der Beklagten zu 2 … schilderte in Übereinstimmung mit den Zeugen … und … und … das Wetter am Vormittag des 21.01.2013.
Ob es darüber hinaus zu weiterem Schneefall in der Nacht vor dem Sturz oder am frühen Morgen gekommen ist, kann dahinstehen. Ebenso unerheblich war es, an welchem Tag genau es vor dem Sturz geschneit hatte.
Denn es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich unter dem Neuschnee einer ältere glatte Schicht aus nicht beseitigtem Material befand. Dabei ist es allgemein- und gerichtsbekannt, dass aufgrund bloßer Wahrnehmung des Aussehens und der Konsistenz sowie der Verschiebbarkeit eine Unterscheidung zwischen Neuschnee und darunter befindlichen Altschneeresten oder Glatteis möglich ist. Das ist auch nicht anders, wenn sich im Neuschnee bereits Spuren befinden, die zu einer Komprimierung des Neuschnees geführt haben. Auch in diesem Fall, jedenfalls wenn die Komprimierung nicht durch schweres Gerät wie Lastwägen oder Bagger durchgeführt wurde, bleibt der Neuschnee im Vergleich zum Untergrund verschiebbar. Zu einem harten, fest mit dem Untergrund verbundenen Belag kommt es erst nach einem Antauen oder längerer Zeit.
Genau einen derartigen festen glatten Belag, der sich unter dem Neuschnee befand, haben die Zedentin und die Zeugen … und … in Übereinstimmung geschildert. Die Angabe des Gesellschafters der Beklagten zu 2, wonach sich keine Altschneereste auf dem von ihm geräumten S-Bahnhof befänden, war als allgemeine Aussage nicht tauglich dazu, die Wahrnehmung der vorgenannten Zeugen in Zweifel zu ziehen. Unverkennbar wollte der Gesellschafter der Beklagten zu 2 hiermit ausdrücken, dass er seine Arbeit sorgfältig durchführt. Eine konkrete Wahrnehmung dazu, ob an der Unfallstelle am konkreten Unfalltag sich eine fest gefrorene Stelle befand, wurde damit nicht wiedergegeben.
c) Die Haftung der Beklagten zu 1 ergibt sich aus § 839 BGB, Art. 34 GG.
Die Beklagte zu 2 hat gegen die ihr aufgrund des Auftrags obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Für diesen Pflichtverstoß haftet nach § 34 GG die Beklagte zu 1.
aa) Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht daher nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGHZ 112, 74, 75 f; Senatsbeschluß vom 20. Oktober 1994 aaO).
(1) Bei Fahrradwegen ist nach der Rechtsprechung des BGH innerhalb der vorgenannten Abwägung zu berücksichtigen, dass Personen, die in den Sommermonaten oder auch sonst bei angenehmen Witterungsbedingungen längere Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen pflegen, bei unwirtlichen Wetterverhältnissen verstärkt auf öffentliche Verkehrsmittel oder das eigene Kraftfahrzeug ausweichen würden. Personen wiederum, die nur kurze Strecken zu bewältigen haben, würden wegen der bei Schnee- und Eisglätte bestehenden besonderen Sturzgefahr, die sich auch bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung der Räum- und Streupflicht durch den Sicherungspflichtigen nicht völlig ausschließen lässt, vielfach auf die Benutzung des Fahrrads verzichten und zu Fuß gehen. Unabhängig davon, dass das Radfahreraufkommen bei schlechtem Winterwetter ohnehin deutlich geringer sei, sei weiter zu bedenken, dass Radfahrer, sofern zwar nicht der Radweg, wohl aber die daneben oder in der Nähe verlaufende Fahrbahn geräumt oder gestreut ist, die Fahrbahn benutzen dürfen.
(2) Weiterer Ausgangspunkt ist Art. 51 Abs. 1 BayStrWG.
Dieser lautet:
„Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung haben die Gemeinden innerhalb der geschlossenen Ortslage nach ihrer Leistungsfähigkeit die öffentlichen Straßen zu beleuchten, zu reinigen, von Schnee zu räumen und alle gefährlichen Fahrbahnstellen, die Fußgängerüberwege und die Gehbahnen bei Glätte zu streuen, wenn das dringend erforderlich ist und nicht andere auf Grund sonstiger Rechtsvorschriften (insbesondere der Verkehrssicherungspflicht) hierzu verpflichtet sind. Dabei sollen vorrangig umweltfreundliche Streumittel verwendet werden. Die Verwendung von Streusalz und umweltschädlichen anderen Stoffen ist dabei auf das aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendige Maß zu beschränken.“
Während gefährliche Fahrbahnstellen, die Fußgängerüberwege und die Gehbahnen genannt sind, sind Radwege dort nicht extra aufgeführt.
(3) Damit ergibt sich, dass Radfahrer auf Radwegen, anders als Fußgänger auf Gehwegen und Fußgängerüberwegen, keinen generellen Anspruch auf das Bestreuen des ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrsraums haben. (OLG Oldenburg, Urteil vom 06. Dezember 2002 – 6 U 150/02 -, Rn. 11, juris; BGH, Urteil vom 09. Oktober 2003 – III ZR 8/03 -, Rn. 8, juris)
Die Anforderungen an die Räum- und Streupflicht bei reinen Radwegen entsprechen demnach denjenigen von Fahrbahnen für Kraftfahrzeuge, bzw. sind diese jedenfalls nicht höher (BGH a.a.O., Rn. 7).
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH sind im Bereich innerhalb geschlossener Ortschaften die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu räumen und zu bestreuen. (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94 -, Rn. 4, juris)
(4) Unerheblich bleibt es, ob sich darüber hinaus eine Beschränkung der Räumpflicht daraus ergeben kann, dass Fahrradfahrer zulässigerweise auf die Fahrbahn ausweichen dürfen, wie dies teilweise in der Literatur und der Rechtsprechung diskutiert wird. Denn dieses Argument greift hier nicht. Eine Ausweichmöglichkeit bestand hier nicht, da die Unterführung keine Fahrspur für Kraftfahrzeuge aufweist.
bb) Ausgehend von den vorgenannten Erwägungen bestand an der Unfallstelle eine Räum- und Streupflicht der Beklagten.
(1) Bei der Unterführung handelte es sich um eine Stelle von hoher Wichtigkeit im gemeindlichen Verkehr.
Das ergab sich schon daraus, dass dies die einzige Unterführung im zentralen Stadtbereich ist und die nächste Möglichkeit zum Überqueren der Gleise über 1 km entfernt ist. Dies ist gerichtsbekannt und ergibt sich außerdem problemlos bei der Benutzung allgemein zugänglicher (digitaler) Stadtpläne.
Zudem spielt die Möglichkeit des Wechsels von einer Gleisseite auf die andere eine Rolle bei der Benutzung der S-Bahn, da zur Fahrt in eine bestimmte Richtung die dafür jeweils notwendige Gleisseite erreicht werden muss.
(2) Die von der Zedentin genutzte Unterführung am S-Bahnhof Puchheim war auch gefährlich.
Gefährlich sind solche Stellen, an denen die Benutzer erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern müssen, weil gerade das bei Glatteis zum Schleudern und zu Unfällen führt. Derartige gefährliche Stellen innerhalb der Ortschaften sind scharfe Kurven, auffallende Verengungen, Gefällstrecken, Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen, Straßen an Wasserläufen, Abhängen usw. (BGH, Urteil vom 01. Oktober 1959 – III ZR 96/58 -, BGHZ 31, 73-77, Rn. 7)
Nach diesen Kriterien ergab sich die Gefährlichkeit aus mehreren Faktoren. Erstens wechselte dort der Fahrbahnbelag. Zudem ist für Fahrradfahrer, welche von einer der öffentlichen Straßen kommen, die zur Unterführung führen, zwingend die Richtung ändern. Dies gilt ebenso für die Zufahrt von der Allinger Straße – die die Zedentin nutzte – wie für eine Zufahrt von der Straße Am Grünen Markt. Zusätzlich wies die Unterführung ein leichtes Gefälle aus.
Auch der Zeuge Frischmann, der als Bauhofleiter der Beklagten zu 1) über besondere Ortskunde verfügt, schätzte den Bereich der streitgegenständlichen Unterführung als gefährlich ein, vgl. Protokoll vom 19.10.2017, S. 3 (Bl. 119 d.A.).
(3) Die generell an der Unfallstelle bestehende Räum- und Streupflicht wurde auch konkret zum Zeitpunkt des Sturzes der Zedentin verletzt.
Die Räum- und Streupflicht besteht nämlich (s.o.) nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Grundsätzlich muss sich der Straßenverkehr auch im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Aus diesem Grund kann nicht erwartet werden, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt sofort nach dem Eintritt winterlicher Glätte sofort alle Stellen bereits gesichert sind. Dem Verkehrspflichtigen ist eine gewisse Reaktionszeit zuzugestehen, die dazu führt, dass an sich sicherungspflichtige Stellen zu bestimmten Zeitpunkten nicht geräumt und bestreut sind.
Der Sicherungspflichtige hat aber im Rahmen der Möglichkeiten durch Schneeräumen und Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen zu beseitigen. (BGH, Urteil vom 05. Juli 1990 – III ZR 217/89 -, BGHZ 112, 74-86, Rn. 11)
Diese Pflicht wurde dadurch verletzt, dass zu einem nicht näher bekannten länger vor dem Sturz zurückliegenden Zeitpunkt nicht ausreichend bestreut worden war.
Demgegenüber kam es nicht darauf an, dass die Beklagte zu 2) vor dem Unfall noch nicht den Schneefall vom Vormittag beseitigt hatte. Eine Pflicht hierzu traf sie im Rahmen des Zumutbaren nämlich nicht.
cc) Hiervon ist das Gericht nach der Beweisaufnahme überzeugt.
(1) Das ergab sich zunächst daraus, dass die Zedentin gerade aufgrund vorhandener glatter, harter Altschneereste stürzte. (s.o.)
(2) Das ergab sich aber auch aus den Angaben des Gesellschafters der Beklagten zu 2 …. Dieser gab in der Verhandlung vom 08.05.2017, Bl. 76 d.A., an, entweder geräumt oder mit Salz gestreut zu haben oder beides. Dagegen hat er bereits nach eigenem Bekunden nicht mit abstumpfenden Mitteln bestreut. Hierzu wäre er aber verpflichtet gewesen.
Das ergibt sich auch aus Art 51 Abs. 1 S. 3 BayStrWG und der entsprechenden Verordnung der Beklagten zu 1 (Anlage B2.3, dort § 10 Abs. 1 S. 1 und 2)
Es ist darüberhinaus generell fraglich, ob ein Bestreuen mit Salz im Bereich des S-Bahnhofs zweckmäßig war. Insbesondere im Bereich des Fahrradweges wäre wohl die Benutzung von Sand sinnvoller gewesen. (vgl. Zeitler/Schmid, 29. EL März 2019, BayStrWG Art. 51 Rn. 51b)
d) Die Zedentin trägt allerdings zu 25 % ein Mitverschulden an der Entstehung des Unfalls und der daraus resultierenden Schäden.
aa) Ein Mitverschulden ergibt sich daraus, dass die Zedentin die Gefährlichkeit der Benutzung des Fahrrades an der Unfallstelle schon nach dem eigenen Vortrag erkannte und dennoch nicht davon Abstand genommen hat. Unstreitig war für sie erkennbar, dass der Bereich der Unterführung nach dem Schneefall des Vormittags noch nicht vollständig geräumt war.
bb) Ein darüber hinausgehendes Mitverschulden stand nicht zur Überzeugung des Gerichts fest.
cc) Die Darlegungs- und Beweislast für ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB trägt der Schädiger, vorliegend die Beklagten. Sofern sich aus der Beweisaufnahme oder dem unbestrittenen Sachvortrag Tatsachen ergeben, die ein Mitverschulden begründen, sind diese in der Rechtsanwendung von § 254 BGB vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen.
dd) Die Beklagten haben zunächst einmal keine weiteren Gesichtspunkte vorgetragen, die ein Mitverschulden der Zedentin begründen könnten, oder diese zumindest nicht unter Beweis gestellt.
So trägt die Beklagte zu 2 vor, dass es grob fahrlässig und eigengefährdend gewesen sei, bei den winterlichen Verhältnissen, wie sie von der Klägerin geschildert wurden, noch mit dem Rad zu fahren. Richtig hätte die Zedentin gehandelt, wenn sie nicht auf dem Radweg Radgefahren wäre, sondern stattdessen auf dem Gehweg zu Fuß gegangen wäre. (Klageerwiderung der Beklagten zu 2 vom 08.02.2017, dort Seite 11, Blatt 34 der Akten).
Die Beklagte zu 1 trägt vor, dass die Zedentin damit habe rechnen müssen, dass die Strecke aufgrund der behaupteten Schneeauflage rutschig sein könnte. Sie habe als Radfahrerin stets damit zu rechnen, dass sich unter einer Schneeauflage Glatteis befinden könne. Radfahrer müssten gegebenenfalls von ihrem Fahrrad absteigen und schieben. Es sei jedem Radfahrer bekannt, dass Fahrräder bei Schnee und Glatteisbildung rutschen könnten.
Sie habe den Sturz dadurch vermeiden können, dass sie vom Fahrrad absteigt und dieses schiebt oder gleich zu Fuß geht. (Klageerwiderung der Beklagten zu 1 vom 21 sind 2. 2017, dort Seite 8 f., Blatt 43 f. d.A.)
ee) Die Beklagte zu 1 trägt weiter vor, die Zedentin habe gegen das Sichtfahrgebot aus § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO verstoßen. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich an der angeblichen Gefahrenstelle kein weiterer Unfall ereignet habe.
ff) Die hier vorgetragenen Punkte waren entweder nicht dazu geeignet, ein Mitverschulden der Zedentin zu begründen oder wurden nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.
Im Einzelnen:
(1) Ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot aus § 3 Abs. 1 StVO konnte nicht nachgewiesen werden. Nach dem ursprünglichen Vortrag aus der Klage ergab sich zunächst ein Hinweis auf einen solchen. Die Klägerin trägt vor, dass die Zedentin mit Schrittgeschwindigkeit in die Unterführung eingefahren sei. Bevor sie ihr Fahrrad zum Stillstand bringen und absteigen konnte, sei sie gestürzt. (Klage Seite 5)
Hieraus ergab sich zunächst kein Rückschluss darauf, dass der Sturz sich deswegen ereignet hat, weil die Zedentin nicht vor dem Einfahren in die Unterführung hat bremsen können. Im weiteren Verlauf des schriftsätzlichen Vorbringens durch die Klagepartei wurde zudem nicht behauptet, dass die Zedentin die Absicht gehabt habe, ihr Fahrrad zum Stillstand zu bringen und abzusteigen.
Das ergab sich auch nicht aus den Angaben der Zedentin als Zeugin in der Verhandlung vom 08.05.2017. Vielmehr ergab sich daraus, dass die Zedentin die Absicht gehabt hat, mit dem Fahrrad die Unterführung zu durchfahren.
Insofern kam es bei der Entstehung des Sturzes überhaupt nicht darauf an, ob die Zedentin ein Hindernis oder den Schnee auf ihrem Fahrweg nicht rechtzeitig erkannt hätte.
(2) Ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB ergab sich nicht aus der Tatsache, dass die Zedentin bei winterlichen Straßenverhältnissen ihr Fahrrad benutzt hat. Hierin liegt kein Sorgfaltsverstoß.
Zentrales Tatbestandsmerkmal des § 254 Abs. 1 BGB ist das Verschulden des Geschädigten, welches bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat. Dabei handelt sich nach üblicher Terminologie um ein „Verschulden gegen sich selbst“, d.h. ein Außerachtlassen der eigenen Interessen, eine Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit. Die Sorgfaltsverletzung kann vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen. Voraussetzung ist daher grundsätzlich Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der (Selbst-)Schädigung. Es gilt der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab des § 276 BGB. (allg. A.; BeckOK BGB/Lorenz, 53. Ed. 1.2.2020, BGB § 254 Rn. 10)
Fahrlässigkeit ist in § 276 Abs. 2 BGB definiert. Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Dabei gilt, dass auch gefährliche Verhaltensweisen im Grundsatz erlaubt sind und dann nicht als fahrlässig anzusehen sind, wenn die hierfür notwendigen Handlungen zur Verringerung vermeidbarer Risiken eingehalten werden. Fahrlässigkeit liegt also nicht schon dann vor, wenn man ein Risiko auf sich nimmt. Weitere Voraussetzung ist, dass man die bei der Eingehung dieses Risikos gebotene Sorgfalt außer Acht lässt.
Eine weitere Grenze finden die Sorgfaltspflichten des einzelnen im Vertrauensgrundsatz. Nach diesem darf sich der Geschädigte grundsätzlich darauf verlassen, dass der Verkehrssicherungspflichtige seine Pflichten erfüllt.
Ein Mitverschulden kommt daher nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte erkannt hat oder bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt erkennen konnte, dass der Verkehrssicherungspflichtige die von ihm geschaffenen oder beherrschten Gefahren nicht hinreichend gegenüber anderen abgeschirmt hat. Außerdem muss es dem Geschädigten möglich gewesen sein, die Verwirklichung der erkannten oder erkennbaren Gefahren durch zumutbare Schutzmaßnahmen zu vermeiden. (BeckOGK/Looschelders, 1.3.2020, BGB § 254 Rn. 184)
Nachdem die Zedentin erkennen konnte und musste, dass die von ihr befahrene Fläche noch nicht geräumt war, traf sie ein Mitverschulden, s.o.
(3) Die Zedentin traf dagegen keine Pflicht, die generell erlaubte Fortbewegung mit dem Fahrrad zu unterlassen. Ebenso wenig besteht eine Pflicht, die Benutzung eines Kraftfahrzeugs bei schlechtem Wetter oder Dunkelheit zu unterlassen, nur weil dies gefährlich ist. Vielmehr wäre eine solche Pflicht unzumutbar. Die gebotene Sorgfalt findet ihre Grenze bei der Zumutbarkeit. Wer nämlich Unzumutbares unterlässt und daher die Verwirklichung der Gefahr nicht vermeidet, handelt nicht fahrlässig. (MüKoBGB/Grundmann, 8. Aufl. 2019, BGB § 276 Rn. 81)
Dagegen spricht auch nicht der Verweis der Beklagten zu 1) auf die Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 09. Oktober 2003 – III ZR 8/03 -, Rn. 8, juris und gleichlautend OLG Celle, Urteil vom 22. November 2000 – 9 U 104/00 -, Rn. 5, juris und andere.
Danach könne ein Radfahrer die Sturzgefahr zumutbarerweise dadurch mindern, dass er entweder vor glatten und gefährlichen Stellen vom Rad steigt und zu Fuß geht, oder aber dadurch, dass er dann erlaubtermaßen den Radweg verlässt und – ggf. – die gestreute bzw. geräumte Fahrbahn benutzt.
Dies kann zur Umschreibung der Sorgfaltsanforderungen im Rahmen von § 254 BGB nicht dienen.
(a) Erstens umreißen der BGH und die weiteren Gerichte mit diesen Sätzen den Umfang der Räum- und Streupflicht, s.o. c)aa).
Für die Bestimmung des Umfangs der Räum- und Streupflicht muss eine Abwägung stattfinden, bei der auch die Möglichkeiten des Sicherungspflichtigen zu berücksichtigen sind.
Das Ergebnis der Abwägung unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen ist aber lediglich:
„Bei Würdigung dieser gesamten Umstände würde der Sicherungspflichtige über Gebühr in Anspruch genommen, wenn ihm eine umfassende Räum- und Streupflicht bezüglich aller Radwege, selbst wenn diese sich nur auf die in geschlossener Ortslage befindlichen beschränken würde, auferlegt würde“ (BGH, a.a.O.).
Die in der Abwägung eingestellten Kriterien können aber nicht derart generalisiert werden können, dass sich hieraus Aussagen zu den Sorgfaltspflichten aus § 254 BGB ableiten ließen.
(b) Weiter handelt es sich bei den vorgenannten Entscheidungen auch immer um Auslegung der landesrechtlichen Sicherungspflichten, beispielsweise Art. 51 BayStrWG in welchen Fahrradwege keine explizite Erwähnung finden, s.o.
So ist einer der Ausgangspunkte der Abwägung zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht jeweils die sich aus dem Landesrecht ergebende Räumpflicht (z.B. § 52 NStrG in der Entscheidung des OLG Oldenburg, Urteil vom 06. Dezember 2002 – 6 U 150/02 -, Rn. 11 und in der darauf ergangenen Entscheidung des BGH, Urteil vom 09. Oktober 2003 – III ZR 8/03).
Insofern nimmt bereits die Gesetzgebung Rücksicht auf ein vermeintlich vermindertes Verkehrsaufkommen auf Radwegen im Winter und privilegiert demgegenüber den Fuß- und Kfz-Verkehr.
Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechung des BGH nicht unbedingt als „extrem radfahrerfeindlich“ anzusehen. (so aber Bachmeier/Müller/Rebler in: Straßen- und Straßenverkehrsrecht für Kommunen, 2017, S. 504) Denn in der Konsequenz verweist sie den Radverkehr zunächst „nur“ auf die Gehwege und Fahrbahnen (so auch Bachmeier/Müller/Rebler a.a.O.)
Sie ist dann nicht unbedingt radfahrerfeindlicher als das BayStrWG bzw. das NStrG.
(c) Anders wäre das eben nur, wenn man die Rechtsprechung des BGH entgegen dem hier bevorzugten Verständnis (s.o. (a)) auch darauf ausweiten würde, diese als Maßstab für die Anwendung von Bundesrecht, nämlich § 254 BGB, anzusehen.
Dafür besteht aber erstens kein Anlass, der sich aus den Entscheidungen selbst ergeben würde, s.o. (a). Zweitens würde dies allgemein anerkannten Grundsätzen zur Fahrlässigkeit widersprechen, s.o. (3).
Drittens würde hierin eine doppelte und zirkelschlüssige Benachteiligung des Radverkehrs liegen. Diese läge in der Begrenzung der Verkehrssicherungspflicht gegenüber Radfahrern einerseits und in einer angeblichen Pflicht zum Absteigen andererseits.
Viertens würde eine derartige Gesetzesauslegung dem erklärten Willen des Bundesgesetzgebers widersprechen. Allein dieser ist aber bei der Verkehrssicherungspflicht und der Anwendung von § 254 BGB zu berücksichtigen; in deren Umfang kann landesrechtlich nicht eingegriffen werden, vgl. Zeitler/Schmid, 29. EL März 2019, BayStrWG Art. 51 Rn. 51a.
Die strukturelle Benachteiligung des Radverkehrs in Art. 51 Abs. 1 BayStrWG muss deswegen bei der Auslegung von § 254 BGB unberücksichtigt bleiben.
Dem Willen des Bundesgesetzgebers ist demgegenüber nämlich eine Benachteiligung des Radverkehrs mittlerweile nicht mehr zu entnehmen. Vielmehr soll nach dessen Willen der Radverkehr gerade auch gegenüber dem Kraftfahrverkehr gestärkt werden, denn: „Der Radverkehr ist für die Verwirklichung eines modernen Mobilitätskonzepts und zur Umsetzung der Verkehrswende unabdingbar. Dabei spielt die Sicherheit der Rad Fahrenden eine entscheidende Rolle.“ (Bundesrat Drucksache 591/19; https://www.bundesrat.de/drs.html?id=591-19)
Das gilt zu jeder Jahreszeit.
(4) Ein Mitverschulden ergab sich auch nicht daraus, dass das Fahrrad der Zedentin zur Benutzung bei winterlichen Straßenverhältnissen ungeeignet gewesen wäre. Auch hier wäre es Sache der Beklagten gewesen, etwaige Tatsachen, die ein Mitverschulden begründen könnten, nachzuweisen. Beweis in diese Richtung wurde nicht angeboten. Im Gegenteil konnte sich das Gericht aufgrund der Vernehmung der Zedentin die Überzeugung davon machen, dass das Fahrrad der Zedentin zum Zeitpunkt des Unfalls mit neuwertigen Stollenreifen ausgestattet war. Insofern ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte darauf, dass die Zedentin nicht für den winterlichen Verkehr geeignetes Material benutzt hätte.
(5) Das Mitverschulden der Zedentin war allerdings auch nicht geringer als 25 % anzusehen.
Insbesondere stand nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich an der Unfallstelle am selben Tag mehrere Unfälle zugetragen hätten. Hierzu hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und …. Diese konnten jeweils die entsprechende Behauptung der Klägerin nicht bestätigen. Der entsprechende Vortrag war nicht erwiesen und somit im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge nicht zu berücksichtigen.
3. Der Anspruch steht der Klägerin lediglich in der ausgeurteilten Höhe zu. Dies ergibt sich aus einem Schmerzensgeld in Höhe von 8000 € sowie 75 % der eingeklagten materiellen Schäden.
a) Das Gericht hat vorliegend ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 € für angemessen erachtet.
aa) Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen der Geschädigten ab, soweit diese bereits eingetreten sind oder mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (OLG München, Urt. v. 01.07.2005 – 10 U 2544/05). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt. Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG München aaO).
Eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile gibt es nicht, da diese nicht in Geld messbar sind. Demgemäß spricht § 253 Abs.2 BGB von „billiger Entschädigung in Geld“. Es handelt sich dabei insoweit um eine dem Tatrichter eingeräumte Ermessensentscheidung.
Die in den Schmerzensgeldtabellen erfassten „Vergleichsfälle“ bilden daher nur „in der Regel den Ausgangspunkt für die tatrichterlichen Erwägungen zur Schmerzensgeldbemessung“ (BGH VersR 1970, 134). Sie sind nur im Rahmen des zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen zu berücksichtigen (BGH VersR 1961, 460) und stellen keine verbindlichen Präjudizien dar (BGH VersR 1970, 134). Deshalb können aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden (OLG München, Urt. v. 05.03.2004 – 10 U 4794/03 und v. 08.09.2006 – 10 U 3471/06).
Beim Schmerzensgeld stehen vor allem die schadensausgleichende Funktion und opferbezogene Merkmale wie Umfang und Dauer der Schmerzen, Entstellungen, Leiden und Eingriffe in das Leben des Opfers im Vordergrund. Zu berücksichtigen sind aber auch die Verhältnisse sowohl des Geschädigten als auch des Schädigers und dessen etwaige Absicherung durch eine Haftpflichtversicherung, der Grad des Verschuldens und die Umstände, die zum Schaden geführt haben (vgl. BGHZ 18, 149, 157 ff.). Der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes entspricht es, dass das Leben des Geschädigten dadurch in gewissem Umfang erleichtert werden soll. Bei einer mehr oder weniger weitgehenden Zerstörung der Persönlichkeit soll das Schmerzensgeld über die Möglichkeit des Zuteilwerdens von Annehmlichkeiten hinaus auch deren Verlust ausgleichen (vgl. Senat BGHZ 120, 1, 7 f.).
bb) Zur Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Gericht hinsichtlich der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes folgende Faktoren berücksichtigt:
Die Zedentin hat kausal durch den Unfall folgende Gesundheitseinschränkungen erlitten:
Durch den Sturz erlitt sie einen schwerwiegenden Bruch des linken Oberarmes welcher operativ versorgt wurde. Hierbei gelang die schwierige vollständige Einheilung des Knochens und richtige Positionierung des Oberarmkopfes im Schultergelenk nicht vollständig. Der große Oberarmhöcker heilte nicht vollständig ein, was zu einer Humeruskopfnekrose führte.
Die Zedentin erlitt eine dauerhafte Schädigung des linken Schultergelenks.
Neben Schmerzen im Bereich des linken Schultergelenkes hat sie eine Bewegungseinschränkungen sowie ein Kraftdefizit der linken Schulter und des linken Armes.
Eine wesentliche Verbesserung der Beweglichkeit und der Schmerzen ist im weiteren Verlauf nicht zu erwarten.
Weitere Operationen sind mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit notwendig, um zumindest die aktuelle Funktion der linken Schulter zu erhalten. Die Notwendigkeit der Implantation einer inversen Schultergelenks Endoprothese (künstliche Schulter) ist sehr hoch. Auch dadurch ist nicht von einer deutlichen Verbesserung der Beweglichkeit und der Kraft der linken Schulter auszugehen.
Diese Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Zedentin stehen als kausale unfallbedingte Folgen nach den für das Gericht durchgehend und vollumfänglich nachvollziehbaren Feststellungen und Ausführungen des Sachverständigen … in seinem schriftlichen Gutachten vom 08.08.2018 fest.
Besonders erschwerend fällt vorliegend ins Gewicht, dass es sich hierbei nach den Feststellungen des Sachverständigen … um einen Dauerzustand handelt und der Schaden irreparabel ist.
Die Zedentin hat somit aufgrund des streitgegenständlichen Sturzes Folgeschäden in Form von dauerhaften Funktionsbeeinträchtigungen davontragen und damit einhergehend jedenfalls eine gewisse Einschränkung ihrer allgemeinen Lebensqualität und beruflichen Leistungsfähigkeit.
Zu berücksichtigen im Rahmen der Ausgleichsfunktion war ferner der Umstand, dass die Zedentin aufgrund der unfallbedingten Verletzungen und Beschwerden drei Monate lang arbeitsunfähig war.
Ebenso war zu berücksichtigen, dass sie 8 Tage stationär im Krankenhaus war und weitere 24 Tage stationär zur Reha verbrachte.
Davon ist das Gericht aufgrund der Angaben der Zedentin in der Verhandlung vom 08.05.2017 und der vorgelegten Anlagen K12 bis K14 überzeugt.
Auch der Sachverständige …, dessen schlüssigen Ausführungen sich das Gericht auch insofern anschließt, hat in seinem Gutachten vom 08.08.2018 erläutert, dass aus fachmedizinischer Sicht die durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen und intensivierte Rehabilitationsnachsorgeleistung üblicher Praxis entspricht.
cc) Im Rahmen der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes hat sich das Gericht von folgenden Faktoren leiten lassen:
Die Beklagte zu 2 ist bei der Unfallverursachung lediglich einer Verkehrssicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Es lag nur Fahrlässigkeit in einem eher leichteren Maße vor. Dieses die verkehrsübliche Sorgfalt verletzende Verhalten der Beklagten zu 2 hat das Geschehen für die Geschädigte zwar aus dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos herausgerückt. Dieses relativ geringe Maß des Verschuldens war bei der Bemessung des Schmerzensgeldes mit zu berücksichtigen.
Andererseits war vorliegend auch zu berücksichtigen, dass die Zedentin ein nicht nur unerhebliches Mitverschulden an dem streitgegenständlichen Sturz traf, welches das Gericht mit einem Anteil von 25% bei der Schadensentstehung gewichtet hat.
dd) Unter Gewichtung all dieser Kriterien hält das Gericht vorliegend ein Gesamtschmerzensgeld in Höhe von 8.000,- EUR für angemessen
b) Es besteht weiterhin ein Anspruch auf Erstattung von 75 % des erlittenen Verdienstausfalls in Höhe von insgesamt 2037,02 €. Es ergibt sich ein Anspruch auf Verdienstausfall in Höhe von 1.527,76 €.
Dieser Betrag ergibt sich im einzelnen aus folgendem:
aa) Im Zeitraum vom 4. – 28. März erhielt sie lediglich ein Übergangsgeld, welches 68 % des vorherigen täglichen netto-Einkommens umfasste. Vor dem Unfall belief sich ihr Netto-Einkommen auf 79,25 € pro Tag. 68 % hiervon sind 53,89 €. Daraus ergibt sich eine Differenz von 25,36 € pro Tag.
Nach 25 Tagen betrug die Differenz und damit der Verdienstausfall in diesem Zeitraum 634 €.
bb) Im Zeitraum vom 29.03. bis 26.05.2013 bezog sie Krankengeld in Höhe von 70 % des vorherigen Nettoverdienstes, wiederum ausgehend von 79,25 € pro Tag.
Es ergibt sich ein Minderbetrag von 23,78 € pro Tag.
Nach 59 Tagen betrug die Differenz und damit der Verdienstausfall in diesem Zeitraum 1403,02 €.
cc) Von diesen Daten und Beträgen ist das Gericht aufgrund des Inhalts der Anlagen K 13 bis K 15 überzeugt.
dd) Aufgrund des Mitverschuldens der Geschädigten war jedoch ein entsprechender Abzug in Höhe von 25 % vorzunehmen.
c) Es stehen der Klägerin weiterhin 75 % der durch sie geleisteten Zuzahlungen gelten für die Physiotherapie und Krankengymnastik in Höhe von insgesamt 426,96 € zu.
aa) An das Therapie Zentrum … zahlte die Zedentin insgesamt 471,88 €.
bb) An die Praxis für Physiotherapie … zahlte die Zedentin insgesamt 97,40 €.
cc) Hiervon ist das Gericht aufgrund der vorgelegten Anlagen K 17 und K 18 überzeugt. Der Sachverständige … hat in seinem Gutachten vom 08.08.2018 auch nachvollziehbar dargelegt, dass die von der Zedentin durchgeführten entsprechenden Behandlungen medizinisch notwendig waren.
dd) Aufgrund des Mitverschuldens der Geschädigten war jedoch ein entsprechender Abzug in Höhe von 25 % vorzunehmen.
d) Weiter stehen der Klägerin 75% der Zuzahlung für die Schiene zu. Die Höhe des Schadens ergab sich aus der Anlage K 16.
e) Der Klägerin stehen Ansprüche im Bezug auf die Nebenforderungen nur teilweise zu.
aa) Die Klägerin kann entstandene außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten nur in der erforderlichen Höhe beanspruchen. Diese richtet sich nach dem materiell begründeten Streitwert in Höhe von 17.507,22 €, der sich aus dem Zahlungsanspruch in Höhe von 10.007,22 € und dem Feststellungsanspruch ergibt. Der Feststellungsanspruch war mit 10.000 € zu beziffern, wovon jedoch lediglich 75 % begründet waren.
bb) Der Klägerin stehen Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu nach §§ 288, 286 BGB. Die Voraussetzungen für einen vorherigen Zinsbeginn hat die Klägerin nicht dargelegt. Das bloße Senden eines anwaltlichen Schreibens genügt hierfür nicht. Weder wurde eine Mahnung nach § 286 Abs. 1 BGB vorgetragen noch ein Umstand, welcher eine Fristsetzung nach § 286 Abs. 2 BGB entbehrlich machen würde. Sofern unbestritten vorgetragen wurde, dass die Beklagte zu 1 eine Zahlung abgelehnt habe, war nicht erkennbar, wann dies geschehen war.
III. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus §§ 91, 92, 100, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Hierbei waren der Umfang des jeweiligen Unterliegens jeder Partei in den jeweiligen Prozessrechtsverhältnissen zu ermitteln und unter Anwendung der Baumbach’schen Formel zu bewerten.
Sofern die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat, ergab sich ihre Pflicht zur Kostentragung aus § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Der Feststellungsantrag wurde hierbei mit einem Streitwert von 10.000 € berücksichtigt.
Gegenüber der Beklagten zu 2 unterlag die Klägerin voll. Der Beklagten zu 2 waren somit keinerlei Kosten aufzuerlegen.
Im Verhältnis zur Beklagten zu 1 unterlag die Klägerin mit 7.848,64 €, während die Beklagte zu 1 in Höhe von 17.507,22 € unterlag.
IV. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
V. Der Streitwert ergibt sich aus einer Addition des Leistungs- und des Feststellungsantrags, § 5 ZPO. Den Wert des Feststellungsanspruchs setzt das Gericht ausgehend vom Vortrag der Klägerin auf 10.000,00 € fest gem. § 3 ZPO.
Es ergibt sich ein Gesamtstreitwert von 25.355,86 €.