Ein Autofahrer kollidierte mit ungesicherten, flachen Schildständern auf der Straße – eine klare Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Generalunternehmer. Obwohl der Unfall während eines komplexen Abbiegevorgangs passierte, sah das Gericht den Geschädigten ohne jegliche Mitschuld.
Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Schadensersatz nach Unfall durch Baustellen-Hindernis: Wer haftet, wenn ungesicherte Schildständer zur Falle werden?
- Was genau war auf der Baustelle passiert?
- Welches rechtliche Prinzip steht im Zentrum des Konflikts?
- Warum gab das Gericht dem Autofahrer Recht?
- Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil für die Praxis ziehen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wer haftet, wenn ich durch ein Baustellen-Hindernis einen Unfall habe?
- Wann trage ich als Fahrer eine Mitschuld, wenn das Hindernis kaum sichtbar war?
- Wie weise ich nach, dass Baustellen-Material von einer bestimmten Firma stammt?
- Was tun, wenn die Baufirma meine Schadensersatz-Forderung ablehnt?
- Was müssen Baufirmen konkret tun, um ihrer Verkehrssicherungspflicht nachzukommen?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 11 O 128/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Hannover
- Datum: 26.04.2023
- Aktenzeichen: 11 O 128/22
- Verfahren: Schadensersatzklage
- Rechtsbereiche: Verkehrssicherungspflicht, Schadensersatzrecht
- Das Problem: Ein Autofahrer kollidierte auf einer Straße mit zwei ungesicherten Baustellenschildständern. Er forderte von der als Generalunternehmerin tätigen Baufirma Schadensersatz. Die Baufirma bestritt, dass die Hindernisse von ihrer Baustelle stammten.
- Die Rechtsfrage: War die Baufirma als Betreiberin der Baustelle für die ungesicherten Gegenstände auf der Fahrbahn verantwortlich?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht entschied, dass die Generalunternehmerin ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Die Baufirma konnte nicht beweisen, dass die Schildständer nicht von ihrer Baustelle stammten. Der Autofahrer musste den Unfall wegen der schlechten Sichtbarkeit nicht verschulden.
- Die Bedeutung: Bauunternehmen müssen alle Baustelleneinrichtungen sorgfältig sichern. Sie haften für Schäden, wenn sie eine Gefahr auf der Straße schaffen. Der Autofahrer muss bei schwer erkennbaren Hindernissen kein Mitverschulden tragen.
Schadensersatz nach Unfall durch Baustellen-Hindernis: Wer haftet, wenn ungesicherte Schildständer zur Falle werden?
Eine Baustelle am Straßenrand ist ein alltäglicher Anblick. Doch was passiert, wenn Teile dieser Baustelle zu unsichtbaren Hindernissen auf der Fahrbahn werden und einen Unfall verursachen? Ein Autofahrer kollidierte mit zwei schlecht erkennbaren Schildständern und sah sich mit einem erheblichen Schaden an seinem Fahrzeug konfrontiert.

Er war überzeugt, dass das verantwortliche Bauunternehmen für den Schaden aufkommen muss. Das Unternehmen hingegen wies jede Schuld von sich. In seinem Urteil vom 26. April 2023 (Az.: 11 O 128/22) musste das Landgericht Hannover eine grundlegende Frage der Verantwortung klären: Wie weit reicht die Sicherungspflicht eines Baustellenbetreibers, und wann kann sich ein Autofahrer darauf berufen, ein Hindernis schlichtweg nicht gesehen zu haben?
Was genau war auf der Baustelle passiert?
An einem Oktobertag im Jahr 2021 befuhr ein Mann mit seinem Auto die Straße, in der er wohnte. Die Gegend war von mehreren Baustellen geprägt. Plötzlich kam es zu einem Aufprall: Der Fahrer war über zwei auf der Fahrbahn liegende Schildständer gefahren. Sein Fahrzeug wurde dabei erheblich beschädigt. Für den Mann war die Sache klar: Die Schildständer stammten von der Baustelle einer Generalunternehmerin, die in unmittelbarer Nähe tätig war. Er argumentierte, die Ständer seien unzureichend gesichert gewesen und hätten deshalb auf die Straße gelangen können. Aufgrund ihrer flachen Bauweise, der grauen Farbe und der Verschmutzung mit Sand seien sie auf dem Asphalt kaum zu erkennen gewesen. Die Kollision sei für ihn daher unvermeidbar gewesen.
Der Autofahrer dokumentierte den Schaden, ließ ein Privatgutachten erstellen und bezifferte seine Forderung auf Reparaturkosten von über 4.200 €, die Gutachterkosten von rund 825 € sowie eine kleine Pauschale für seinen Aufwand. Der Weg vor Gericht gestaltete sich zunächst holprig. Der Fahrer verklagte erst das falsche Unternehmen und versäumte unentschuldigt einen Gerichtstermin, was zu einem Versäumnisurteil gegen ihn führte. Er legte jedoch fristgerecht Einspruch ein, erweiterte seine Klage auf die Generalunternehmerin, die er für die wahre Verantwortliche hielt, und nahm die ursprüngliche Klage zurück.
Die nun verklagte Generalunternehmerin bestritt die Verantwortung vehement. Sie behauptete, die Schildständer stammten nicht von ihrer Baustelle und verwies pauschal auf andere Bauarbeiten in der Umgebung. Zudem warf sie dem Fahrer vor, unaufmerksam gewesen zu sein und den Unfall selbst verschuldet zu haben.
Welches rechtliche Prinzip steht im Zentrum des Konflikts?
Den Kern dieses Falles bildet die sogenannte Verkehrssicherungspflicht. Dieses ungeschriebene, aber fest in der Rechtsprechung verankerte Prinzip leitet sich aus § 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ab. Es besagt: Wer eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, muss die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, dass Dritte dadurch zu Schaden kommen.
Übertragen auf diesen Fall bedeutet das: Ein Unternehmen, das eine Baustelle betreibt, schafft eine solche Gefahrenquelle. Es nutzt Materialien wie Schilder, Absperrungen und eben auch Schildständer. Aus dieser Tätigkeit erwächst die Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Gegenstände sicher gelagert und aufgestellt sind und nicht unkontrolliert in den öffentlichen Verkehrsraum gelangen. Verletzt das Unternehmen diese Pflicht, haftet es für die daraus entstehenden Schäden. Genau diese Pflichtverletzung warf der Autofahrer der Generalunternehmerin vor.
Warum gab das Gericht dem Autofahrer Recht?
Das Landgericht Hannover folgte nach eingehender Prüfung der Argumentation des Autofahrers und verurteilte die Generalunternehmerin zum Schadensersatz. Die richterliche Logik stützte sich auf drei entscheidende Überlegungen, die die Einwände des Unternehmens entkräfteten.
Die Herkunft der Schildständer: Warum eine pauschale Behauptung nicht ausreicht
Das zentrale Verteidigungsargument der Generalunternehmerin war das Bestreiten der Herkunft. Sie behauptete, die Schildständer könnten auch von einer der anderen Baustellen stammen. Das Gericht ließ diesen Einwand jedoch nicht gelten. Der Grund liegt in der prozessualen Darlegungs- und Beweislast. Wer sich vor Gericht verteidigt, kann nicht einfach nur pauschale Behauptungen in den Raum stellen. Er muss seine Einwände substantiieren, also mit konkreten Fakten untermauern.
Das Gericht hatte das Unternehmen bereits in einem früheren Hinweis aufgefordert, genau darzulegen, welche anderen Baustellen als Verursacher infrage kämen. Dieser Aufforderung kam die Generalunternehmerin nicht nach. Ihr Verweis auf „weitere Baustellen“ blieb vage und unsubstantiiert. Demgegenüber standen die glaubhaften Schilderungen und die vorgelegten Fotos des Autofahrers, die einen direkten Zusammenhang zu ihrer Baustelle nahelegten. Da das Bauunternehmen die von ihr geschaffene Gefahrenquelle nicht ausreichend widerlegen konnte, ging das Gericht davon aus, dass die Schildständer tatsächlich von ihrer Baustelle stammten und sie somit für die Sicherung verantwortlich war.
Die Frage des Mitverschuldens: War das Hindernis für den Fahrer erkennbar?
Der zweite entscheidende Punkt war die Frage, ob den Autofahrer ein Mitverschulden traf. Hätte er die Schildständer sehen und ihnen ausweichen müssen? Das Gericht verneinte dies und folgte der detaillierten Schilderung des Fahrers. Mehrere Faktoren spielten hier zusammen, die eine Erkennbarkeit des Hindernisses nahezu unmöglich machten.
Die Richter würdigten die konkrete Verkehrssituation: Der Fahrer musste an einer Einmündung abbiegen und dabei einem Radfahrer Vorrang gewähren. Gleichzeitig überfuhr er eine leichte Fahrbahnerhöhung, was den Blickwinkel seines Fahrzeugs veränderte. Hinzu kam die Beschaffenheit der Hindernisse selbst: Die Schildständer waren flach, grau und mit Sand verschmutzt, wodurch sie sich farblich kaum vom Straßenbelag abhoben. Die herrschenden Licht- und Schattenverhältnisse taten ihr Übriges. In dieser Konstellation, so das Gericht, war die Kollision auch für einen aufmerksamen Fahrer nicht vermeidbar. Der Vorwurf der Unaufmerksamkeit lief ins Leere.
Die Kollision mit dem zweiten Schildständer: Warum Weiterfahren kein Fehler war
Auch die Tatsache, dass der Fahrer nach dem ersten Aufprall noch mit einem zweiten Schildständer kollidierte, legte das Gericht nicht zu seinen Lasten aus. Die Richter erkannten an, dass ein abruptes Anhalten mitten in einem Einmündungsbereich eine erhebliche Gefahr für den nachfolgenden Verkehr dargestellt hätte. Der Fahrer hatte die Pflicht, sein Fahrzeug aus der Gefahrenzone zu bewegen. Da der zweite Ständer sich in unmittelbarer Nähe zum ersten befand, war die zweite Kollision eine direkte und nicht vorwerfbare Folge der Notsituation, die durch das erste, unvorhersehbare Ereignis geschaffen wurde.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil für die Praxis ziehen?
Dieses Urteil des Landgerichts Hannover verdeutlicht zwei zentrale Prinzipien, die weit über den konkreten Fall hinaus Bedeutung haben. Es geht um die Reichweite unternehmerischer Verantwortung und die detaillierte Bewertung von Unfallhergängen.
Erstens zeigt die Entscheidung, wie ernst die Gerichte die Verkehrssicherungspflicht nehmen. Wer eine Gefahrenquelle – wie eine Baustelle – betreibt, kann sich seiner Verantwortung nicht durch pauschale Ausreden entziehen. Das Urteil ist eine klare Botschaft an Unternehmen: Sichert eure Materialien und seid bereit, im Schadensfall konkret nachzuweisen, dass ihr nicht verantwortlich seid. Der bloße Hinweis auf andere mögliche Verursacher genügt nicht, um der Haftung zu entgehen. Die Verantwortung, die eigene Baustelle sicher zu organisieren und dies im Zweifel auch belegen zu können, wiegt schwer.
Zweitens macht der Fall deutlich, dass die Frage nach einem Mitverschulden keine pauschale, sondern eine höchst individuelle Prüfung der Umstände erfordert. Es gibt keine allgemeingültige Regel, die besagt, ein Hindernis auf der Straße müsse immer gesehen werden. Das Gericht hat hier die Perspektive des Fahrers eingenommen und alle relevanten Faktoren – vom Blickwinkel des Autos über die Farbe des Hindernisses bis zur Verkehrslage – in seine Bewertung einbezogen. Für Verkehrsteilnehmer bedeutet dies, dass eine detaillierte und plausible Rekonstruktion des Unfallhergangs entscheidend sein kann, um nachzuweisen, dass ein Unfall tatsächlich unvermeidbar war. Der Kontext ist alles.
Die Urteilslogik
Wer eine Gefahrenquelle schafft, trägt die unbedingte Verantwortung für deren Sicherheit im öffentlichen Verkehrsraum und muss im Schadensfall das Gegenteil beweisen.
- Substantiierung der Haftungsablehnung: Ein Unternehmen entbindet sich nicht von der Verkehrssicherungspflicht, indem es pauschal auf mögliche andere Verursacher hinweist; es muss seine Entlastung konkret mit Tatsachen beweisen.
- Kontext der Unvermeidbarkeit: Die Gerichte beurteilen die Frage des Mitverschuldens anhand der detaillierten Verkehrssituation, wobei schlechte Sichtverhältnisse und unauffällige Hindernisse die Unaufmerksamkeit des Fahrers ausschließen.
- Umfassende Sicherungspflicht: Der Betreiber einer Baustelle muss sicherstellen, dass flache und unauffällige Materialien wie Schildständer keinesfalls in den Straßenverkehr gelangen können, da diese sonst eine unkalkulierbare Gefahr darstellen.
Der Kontext des Geschehens bestimmt letztendlich, ob ein Schaden vermeidbar war oder die reine Folge einer fundamentalen Pflichtverletzung darstellt.
Benötigen Sie Hilfe?
Sind Sie nach einem Unfall wegen verletzter Verkehrssicherungspflicht geschädigt worden? Sichern Sie Ihre Ansprüche und fordern Sie eine rechtliche Ersteinschätzung an.
Experten Kommentar
Wer eine Gefahrenquelle schafft, kann sich nicht einfach wegducken, indem er pauschal auf andere Baustellen verweist. Das Landgericht Hannover hat hier klargestellt: Eine vage Behauptung, das Hindernis stamme woanders her, reicht nicht aus, um die Verkehrssicherungspflicht zu umgehen. Strategisch wichtig ist die konsequente Haltung des Gerichts, das die Generalunternehmerin zur detaillierten Widerlegung zwang. Für Autofahrer ist relevant, dass das Gericht die schlechte Sichtbarkeit der Ständer bei Ablenkung als unvermeidbare Falle anerkannte und somit das Mitverschulden ablehnte. Die Botschaft ist klar: Die Pflicht zur sicheren Baustellenorganisation wiegt schwer, und der Kontext des Unfalls zählt mehr als eine allgemeine Sorgfaltspflicht des Fahrers.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wer haftet, wenn ich durch ein Baustellen-Hindernis einen Unfall habe?
Haftbar ist primär das Bauunternehmen, das die Baustelle betreibt und dadurch eine Gefahrenquelle geschaffen hat. Die Haftung entsteht, wenn das Unternehmen seine gesetzliche Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Diese Pflicht verlangt, dass Materialien wie Schilder oder Absperrungen ordnungsgemäß gesichert werden, um Unfälle Dritter zu verhindern. Ist der Schaden nachweislich durch ungesicherte Materialien verursacht worden, liegt die Verantwortung beim Baustellenbetreiber, meist dem Generalunternehmer.
Die Regel: Jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, muss alle notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um Schäden zu vermeiden. Dieses Prinzip leitet sich aus § 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ab. Der Baustellenbetreiber muss im Streitfall beweisen, dass er alle zumutbaren Sicherungen vorgenommen hat, beispielsweise durch protokollierte Kontrollgänge. Ein bloßer, pauschaler Verweis auf „andere Baustellen in der Nähe“ entbindet das Unternehmen nicht von der Haftung und reicht vor Gericht nicht aus, da die Firma ihre Darlegungspflicht nicht erfüllt.
Konkret: Blockt das Bauunternehmen ab und bestreitet die Herkunft des Hindernisses, müssen Sie strategisch vorgehen. Sie müssen lediglich eine plausible Verbindung zwischen dem ungesicherten Material und der Baustelle herstellen. Entscheidend ist die Dokumentation der unmittelbaren räumlichen Nähe des Hindernisses zu identifizierbarem Material oder der Einrichtung der mutmaßlich verantwortlichen Firma. Ist dieser Zusammenhang plausibel, verlagert sich die Beweislast faktisch auf das Unternehmen.
Dokumentieren Sie den Unfallort umgehend mit Fotos, die nicht nur den Schaden, sondern auch die exakte Lage des Baustellen-Hindernisses festhalten, um Ihre Ansprüche zu sichern.
Wann trage ich als Fahrer eine Mitschuld, wenn das Hindernis kaum sichtbar war?
Ein Mitverschulden als Fahrer wird in der Regel abgelehnt, wenn das Gericht die Kollision als unvermeidbar einstuft. Die Baufirma kann Ihnen keine Unaufmerksamkeit vorwerfen, wenn das Hindernis eine extrem geringe visuelle Signatur aufwies. Entscheidend ist hierbei die juristische Prüfung der konkreten Verkehrssituation. Gerichte beurteilen, ob selbst ein aufmerksamer Fahrer den Aufprall hätte verhindern können.
Die gerichtliche Bewertung ist stets höchst individuell und nimmt die Perspektive des Fahrers ein. Hierbei werden alle relevanten Faktoren einbezogen. Dazu gehören notwendige Fahrmanöver, wie Abbiegen oder Vorrang gewähren, sowie eine mögliche Veränderung des Blickwinkels durch Fahrbahnerhöhungen. Eine Mitschuld entfällt oft, wenn eine erhebliche Tarnwirkung des Hindernisses vorlag. Graue, flache oder verschmutzte Materialien auf dunklem Asphalt sind bei ungünstigen Lichtverhältnissen nur schwer zu erkennen.
Nehmen wir an, Sie kollidieren nacheinander mit zwei Hindernissen. Die zweite Kollision gilt nicht automatisch als Fahrfehler. Wenn ein sofortiges Abbremsen an der Einmündung den nachfolgenden Verkehr erheblich gefährdet hätte, liegt keine pflichtwidrige Reaktion vor. Die Weiterfahrt zur Gefahrenzone hinaus wird in diesem Fall als zulässige Reaktion auf die Notsituation gewertet. Betonen Sie daher bei Ihrer Aussage die Ablenkung durch notwendige, vorschriftsmäßige Fahrmanöver.
Erstellen Sie umgehend eine detaillierte, protokollierte Skizze der Unfallstelle, die die exakten Licht- und Schattenverhältnisse sowie die Farbe des Hindernisses festhält.
Wie weise ich nach, dass Baustellen-Material von einer bestimmten Firma stammt?
Sie benötigen keinen hundertprozentigen Beweis, dass das Hindernis Eigentum der beklagten Firma war. Juristisch reicht es aus, eine plausible Verbindung zwischen dem Fundort des Materials und der nächstgelegenen Baustelle herzustellen. Das Gericht wird diesen Zusammenhang annehmen, wenn das Bauunternehmen dies nicht mit konkreten Fakten widerlegen kann. Ihre Beweisführung fokussiert sich primär auf die Verletzung der Sicherungspflicht durch die nächstgelegene, plausible Quelle.
Der Schlüssel liegt in der prozessualen Beweislastverteilung. Schiebt das Bauunternehmen die Verantwortung pauschal auf „andere Baustellen in der Nähe“, verletzt es seine sogenannte Substantiierungspflicht. Die Firma muss konkret darlegen und mit Fakten untermauern, welche Alternativen als Verursacher infrage kämen. Bleibt dieser Einwand vage und unsubstantiiert, stützt sich das Gericht auf Ihre glaubhaften Schilderungen und Fotos, die einen direkten Zusammenhang zur Baustelle nahelegen.
Ihre Strategie sollte sich daher auf die Nichterfüllung der Verkehrssicherungspflicht konzentrieren, nicht auf die Eigentumsrechte am Hindernis. Dokumentieren Sie die räumliche Nähe und die spezifische Art des Materials, das im Weg lag. Suchen Sie auf Fotos des Hindernisses nach spezifischen Logos, den verwendeten Farben oder eindeutigen Markierungen, die auf das beklagte Unternehmen hinweisen. Fotografieren Sie zusätzlich identisches, gelagertes Material auf dem Baugrundstück der Firma.
Konzentrieren Sie sich darauf, die Nichterfüllung der Sicherungspflicht der Baustelle durch detaillierte Fotos und Standortnachweise zu belegen.
Was tun, wenn die Baufirma meine Schadensersatz-Forderung ablehnt?
Wenn das Bauunternehmen die Schadensersatz-Forderung ablehnt, sollten Sie den Fall strategisch eskalieren und sofort alle Ansprüche wasserdicht belegen. Geben Sie nicht auf, sondern schaffen Sie die notwendige Grundlage für eine gerichtliche Durchsetzung. Zentral dafür ist die genaue Bezifferung des Schadens, die meist durch die Erstellung eines externen Gutachtens erfolgt.
Der wichtigste Schritt ist die Beauftragung eines unabhängigen Privatgutachtens. Dieses Gutachten belegt nicht nur die Reparaturkosten und eine mögliche Wertminderung des Fahrzeugs, sondern liefert auch die technischen Details der Schadensursache. Nur wenn die Forderung präzise beziffert ist – etwa über 4.200 Euro Schaden zuzüglich Gutachterkosten – kann sie erfolgreich gerichtlich geltend gemacht werden. Die Kosten für den Sachverständigen sind dabei Teil Ihrer Gesamtforderung.
Bevor Sie Klage erheben, prüfen Sie mithilfe juristischer Unterstützung sorgfältig, ob Sie den korrekten Adressaten verklagt haben, meist die Generalunternehmerin. Lassen Sie sich auch nicht durch Verfahrensfehler irritieren: Ein erlassenes Versäumnisurteil wegen eines verpassten Gerichtstermins ist kein Grund, aufzugeben. Legen Sie gegen ein solches Urteil stets fristgerecht Einspruch ein, um den Fall neu aufrollen zu lassen und die Klage auf die tatsächliche Verantwortliche auszuweiten.
Senden Sie die detaillierte Forderung, inklusive Reparatur- und Gutachterkosten sowie einer Pauschale für Ihren Aufwand, per Einschreiben an die identifizierte Generalunternehmerin und setzen Sie eine klare Frist zur Zahlung.
Was müssen Baufirmen konkret tun, um ihrer Verkehrssicherungspflicht nachzukommen?
Baufirmen müssen ihre Materialien nicht nur physisch gegen Verrutschen oder Wegrollen in den öffentlichen Verkehrsraum sichern. Entscheidend für eine Minimierung der Haftung ist die lückenlose Dokumentation aller Sicherungsmaßnahmen. Nur wenn Sie jederzeit nachweisen können, dass die Verkehrssicherungspflicht erfüllt wurde, können Sie Schadensersatzforderungen erfolgreich abwehren.
Die Sicherung muss gewährleisten, dass Materialien wie Absperrgitter oder Schildständer auch bei komplexen Verkehrs- oder Witterungslagen nicht unkontrolliert zur Gefahr werden. Es genügt nicht, sich auf das reine Gewicht der Gegenstände zu verlassen, um sie vor dem Zugriff Dritter oder Umwelteinflüssen zu schützen. Gerade in Bereichen mit hohem Verkehrsaufkommen müssen Sie die Baustelleneinrichtung fest verankern oder gegen unbeabsichtigtes Verrücken sichern, um das Risiko für Passanten und Verkehrsteilnehmer zu eliminieren.
Im Falle eines Unfalls liegt die Beweislast oft beim Bauunternehmen, das die Gefahrenquelle geschaffen hat. Verlassen Sie sich keinesfalls auf vage Behauptungen über „andere Baustellen“, denn diese genügen vor Gericht nicht. Eine erfolgreiche Verteidigung erfordert eine substantielle Darlegung, wie und wann die Pflichten erfüllt wurden. Führen Sie deshalb tägliche, protokollierte Kontrollgänge durch, die jede gesicherte Position mit einem Zeitstempel und Fotos belegen.
Definieren Sie einen festen Mitarbeiter, der mindestens einmal täglich einen umfassenden Sicherungs-Check der Baustelle durchführt und die Ergebnisse digital speichert.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Darlegungs- und Beweislast
Die Darlegungs- und Beweislast legt fest, welche Partei vor Gericht die notwendigen Tatsachen vortragen und beweisen muss, um entweder ihren Anspruch durchzusetzen oder eine Verteidigung erfolgreich zu begründen. Juristen nutzen dieses Prinzip, um faire Prozesse zu gewährleisten: Wer eine Forderung (wie Schadensersatz) erhebt, muss die juristischen Grundlagen für diesen Anspruch auch beweisen können.
Beispiel: Im vorliegenden Fall lag die Darlegungs- und Beweislast für die Herkunft der Schildständer zunächst beim Kläger, verlagerte sich jedoch faktisch auf die Generalunternehmerin, als diese ihre Sicherungspflicht nicht widerlegen konnte.
Mitverschulden
Ein Mitverschulden beschreibt die Situation, in der der Geschädigte durch sein eigenes Fehlverhalten zur Entstehung oder zur Höhe des Schadens beigetragen hat, was die Haftung des Schädigers gemäß § 254 BGB mindern oder sogar aufheben kann. Das Gesetz will dadurch verhindern, dass eine Partei für den Schaden allein aufkommen muss, obwohl auch die geschädigte Person die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat.
Beispiel: Die beklagte Generalunternehmerin versuchte nachzuweisen, dass den Autofahrer ein Mitverschulden traf, da er die flachen und verschmutzten Schildständer angeblich hätte sehen und ihnen hätte ausweichen müssen.
Substantiierungspflicht
Die Substantiierungspflicht verlangt von einer Prozesspartei, dass sie ihre Behauptungen oder Einwände nicht nur pauschal in den Raum stellt, sondern diese stets mit konkreten Details und belegbaren Fakten unterfüttert. Diese prozessuale Anforderung ist essenziell für einen effektiven Rechtsstreit, weil sie verhindert, dass Gerichte auf vage Vermutungen hin agieren müssen und die Gegenpartei sich wirksam verteidigen kann.
Beispiel: Das Landgericht Hannover lehnte das Verteidigungsvorbringen der Generalunternehmerin ab, da ihr pauschaler Verweis auf „andere Baustellen“ die gesetzliche Substantiierungspflicht klar verletzte.
Verkehrssicherungspflicht
Als Verkehrssicherungspflicht bezeichnen Juristen die allgemeine Verpflichtung, die jeden Betreiber einer Gefahrenquelle trifft, alle zumutbaren und notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Schäden Dritter im öffentlichen Raum zu verhindern. Dieses wichtige Prinzip ist in § 823 BGB verankert und soll sicherstellen, dass niemand durch Zustände gefährdet wird, die andere geschaffen oder unterhalten, weshalb Baustellenbetreiber für die sichere Organisation ihrer Materialien sorgen müssen.
Beispiel: Die Generalunternehmerin hatte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie es unterließ, die grauen Schildständer ausreichend gegen das unkontrollierte Verrutschen auf die viel befahrene Straße zu sichern.
Versäumnisurteil
Ein Versäumnisurteil ist ein gerichtlicher Beschluss, der ergeht, wenn eine Prozesspartei einen angesetzten Gerichtstermin unentschuldigt versäumt oder notwendige Schriftsätze nicht fristgerecht beim Gericht einreicht. Das Zivilprozessrecht nutzt dieses Instrument, um das Verfahren zu beschleunigen und zu verhindern, dass ein Rechtsstreit durch die schlichte Untätigkeit einer Partei unnötig verzögert wird.
Beispiel: Nachdem der Autofahrer zunächst unentschuldigt einen Gerichtstermin versäumt hatte, erließ das Gericht ein Versäumnisurteil gegen ihn, wogegen er jedoch umgehend fristgerecht Einspruch einlegte, um den Fall wieder aufzurollen.
Das vorliegende Urteil
Landgericht Hannover – Az.: 11 O 128/22 – Urteil vom 26.04.2023
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz





