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Verletzung elterliche Aufsichtspflicht – Schadensersatz

LG Berlin – Az.: 55 S 132/17 – Beschluss vom 05.06.2018

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 7.7.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Spandau – 7 C 24/17 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Gebührenstreitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.561,54 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes in tatsächlicher Hinsicht sowie der Anträge der Parteien wird nach Maßgabe der §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen. Da die Kammer die Revision nicht zugelassen hat, ist ein weiteres Rechtsmittel unzweifelhaft nicht gegeben. Der Berufungskläger kann die Nichtzulassung der Revision auch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs. 1 ZPO angreifen: Gemäß § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3147), ist § 544 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) bis einschließlich 30. Juni 2018 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nur zulässig ist, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 EUR übersteigt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger kann von den Beklagten keinen Ersatz für die Beseitigung der an dem PKW Peugeot mit dem polizeilichen Kennzeichen […] entstandenen Steinschlagschäden verlangen.

1.

Der Beklagte zu 2) ist nicht in seiner Eigenschaft als Aufsichtspflichtiger nach Maßgabe des § 832 BGB zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2) zum Tatzeitpunkt (18.8.2016, gegen 20:00 Uhr) die ihm gegenüber beiden Kindern obliegende Aufsichtspflichten erfüllt hat.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH – der die Kammer folgt – bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern oder Aufsichtspflichtigen in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist. Entscheidend ist nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat; entscheidend ist vielmehr, ob dies im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist (zum Vorstehenden: BGH v. 24.3.2009 – VI ZR 199/08, NJW 2009, 747, Tz. 8 mit weiteren Nachweisen).

b)

Verletzung elterliche Aufsichtspflicht - Schadensersatz
(Symbolfoto: Von Yuganov Konstantin/Shutterstock.com)

Aufgrund der glaubhaften Bekundungen der Zeugin steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte zu 2) der ihm gegenüber obliegenden Aufsichtspflicht – auch gegenüber dem zum Tatzeitpunkt erst fünfjährigen Kind N. – nachgekommen ist. Die Zeugin P. hat bekundet, zum Tatzeitpunkt bei dem Beklagten zu 2) gewohnt zu haben und in der Wohnung anwesend gewesen zu sein. Die Wohnung bestehe aus dem Wohnzimmer sowie dem Schlafzimmer, von dem aus man unmittelbar durch eine Außentür auf die Terrasse gelange. Von dem Schlafzimmer aus sei die Terrassenfläche unmittelbar einsehbar gewesen. Sie selbst habe sowohl die Beklagte zu 1) als auch ihren Spielgefährten N. dahingehend belehrt, dass das Spielen nur im unmittelbaren, zur Wohnung gehörenden Terrassenbereich erlaubt sei. Dort hätten die beiden Kinder zunächst Holzplatten mit Kreide bemalt, dann seien sie zwischen der Terrasse und dem Wohnzimmer hin und her gependelt. Sie habe sich mit dem Beklagten zu 2) überwiegend im Wohnzimmer aufgehalten und sie seien nur für einen kurzen Moment ins Schlafzimmer gegangen, um ein ernstes Gespräch in einer familiären Angelegenheit zu führen; dieses Gespräch hätten sie nicht vor den Kindern führen wollen. Die Kinder seien aber maximal 5 bis 10 Minuten unbeaufsichtigt gewesen.

Die Kammer hat keine durchgreifenden Anhaltspunkte, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin rechtfertigen könnten. Sie hat den Geschehensablauf schlüssig und frei von Widersprüchen wiedergegeben. Der Umstand allein, dass sich der Vorfall nach ihrer Erinnerung bereits gegen Mittag oder am frühen Nachmittag ereignet haben soll, er sich aber nach dem Vortrag des Klägers und nach den Feststellungen im Polizeibericht erst gegen ca. 20:00 Uhr ereignete, genügt nicht, um ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Die Zeugin konnte sich, nachdem ihr dieser Widerspruch vorgehalten wurde, jedenfalls noch daran erinnern, dass es zum maßgeblichen Zeitpunkt hell war. Diese Erinnerung stimmt mit dem übrigen Akteninhalt auch überein.

c)

Aufgrund seiner eigenen und der Anwesenheit der Zeugin P. in der Wohnung des Beklagten zu 2), der ausdrücklichen Belehrung der Kinder durch die Zeugin P. und aufgrund des Umstandes, dass beide Kinder sich wegen der räumlichen Begebenheiten der Wohnung und der vorgelagerten Terrasse in unmittelbarer Nähe des Beklagten zu 2) und der Zeugin P. bewegten, hat der Beklagten zu 2) seiner Aufsichtspflicht Genüge getan. Unerheblich ist, dass der Beklagten zu 2) sie nicht durchgängig im Blick hatte. Auch fünfjährige, erst Recht siebenjährige Kinder können eine gewisse Zeit ohne unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit und Aufsicht gelassen werden. Sie müssen nicht auf “Schritt und Tritt” beaufsichtigt werden (BGH v. 24.3.3009 – VI ZR 51/08, NJW 2009, 788, Tz. 14). Erforderlich aber auch ausreichend ist eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Abständen, wobei ein Kontrollabstand von 15 bis 30 Minuten genügt, um das Spiel von bisher unauffälligen fünfjährigen Kindern außerhalb der Wohnung bzw. des elterlichen Hauses zu überwachen (BGH v. 24.3.3009 – VI ZR 51/08, NJW 2009, 788, Tz. 14). Diese Kontrollabstände hat der Beklagte zu 2) nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugin P. eingehalten. An die Aufsichtspflicht des Beklagten zu 2) ist auch nicht deshalb ein strengerer Maßstab anzulegen, weil die Kinder sich nicht auf einem öffentlichen Spielplatz, sondern – wegen der fehlenden Brüstungen – auf einer zum Spielen an sich ungeeigneten Dachfläche aufgehalten haben. Durch diesen Umstand wird zwar das Verletzungsrisiko oder ggfs. sogar die Lebensgefahr für die Kinder selbst erhöht. Keine Erhöhung ergibt sich hierdurch aber für das Risiko, das von den Kindern für unbeteiligte Dritte ausgeht. Nach dem Grundgedanken des § 832 BGB soll aber nur dieses Risiko von den Eltern getragen werden, denen es eher zuzurechnen ist als einem unbeteiligten Dritten (vgl. OLG Düsseldorf v. 14.5.2014 – 19 U 32/13, NJW-RR 2014, 1496, Tz. 20).

2.

Die Beklagte zu 1) ist dem Kläger gegenüber ebenfalls nicht nach §§ 823 Abs. 1, 828 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Voraussetzung wäre, dass sie selbst durch den Wurf eines Steines unmittelbar den Schaden am PKW verursacht hätte. Hierfür ist der Kläger indes beweisfällig geblieben. Eine Haftung der Beklagten zu 1) kann auch nicht aus § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB hergeleitet werden. Die Vorschrift betrifft – ebenso wie § 830 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB – den Fall, dass nicht nur eine Person als Schädiger in Betracht kommt, sondern bei der Entstehung des Schadens mehrere Personen im Spiel sind. Voraussetzung für eine Haftung nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ist indes, dass jeder Beteiligte einen Haftungstatbestand verwirklicht haben muss, wobei abgesehen von der Kausalität alle Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen müssen (Eberl-Borges in Staudinger [2018] BGB § 830 Rn. 73). Soweit nach dem Haftungstatbestand erforderlich, muss das Verhalten rechtswidrig und schuldhaft sein (Palandt-Sprau, 76. Aufl. 2017, § 830 Rn. 7). Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ist somit, dass dem Kläger ein Ersatzanspruch gegen beide beteiligten Kinder zweifelsfrei zusteht und lediglich (wegen der nicht nachweisbaren Kausalität) unklar ist, gegen wen er sich richtet. Das bedeutet indes zugleich, dass bei jedem der beteiligten Minderjährigen die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung nach §§ 823 Abs. 1, 828 BGB gegeben sein müssen oder eine Billigkeitshaftung nach § 829 BGB in Betracht kommt.

Gegen den zum Tatzeitpunkt fünfjährigen N. stünde dem Kläger wegen der Regelung in §§ 827, 828 BGB ein Schadensersatzanspruch nicht zu; ein Fünfjähriger ist für sein Verhalten deliktsrechtlich nicht verantwortlich. Auch eine Billigkeitshaftung nach § 829 BGB kommt nicht in Betracht, zumal der Kläger zu einer solchen Haftung und den ihr zugrunde zu legenden Billigkeitserwägungen keinen Sachvortrag gehalten hat. Der Anwendungsbereich des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ist somit nicht eröffnet. Dies steht auch mit Sinn und Zweck dieser Vorschrift im Einklang. Sie soll den Beweisschwierigkeiten des Geschädigten Rechnung zu tragen (Eberl-Borges a.a.O., Rn. 76). Das Risiko, dass einer der Beteiligten schadensersatzrechtlich nicht belangt werden kann, soll dem Geschädigten durch § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB dagegen nicht abgenommen werden. Er hat dieses Risiko genauso hinzunehmen, wie wenn er durch einen deliktsunfähigen Alleintäter geschädigt worden wäre (Eberl-Borges, a.a.O., Rn. 83).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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