LG Dortmund – Az.: 25 O 445/19 – Urteil vom 29.01.2021
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 20.048,67 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten in erster Linie ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 15.000,00 EUR anlässlich eines Vorfalls vom 02.12.2016. Ferner begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere Schäden und macht Nebenforderungen geltend.
Am 02.12.2016 befand sich im Hauptbahnhof W1 wenige Meter entfernt vom Fuß einer Treppe eine Fehlstelle im Bodenbelag, die seit dem 15.11.2016 bei der L1 AG , der Betreiberin des Bahnhofs, bekannt war, da sie bei einer Begehung bemerkt wurde. Das Ausmaß der Fehlstelle ist zwischen den Parteien streitig.
Die Klägerin behauptet, sie sei am 02.12.2016 gegen 7.15/7.30 Uhr an der zuvor dargestellten Stelle gestürzt und habe sich hierbei erhebliche Verletzungen zugezogen, die dauerhafte Beeinträchtigungen mit sich gebracht hätten.
Der Sturz habe am Fuß der Treppe stattgefunden, die sie vom Ankunftsbahnsteig kommend herabgelaufen sei, um zur U-Bahn-Station zu gelangen. Kurz nach Ende der Treppe habe sich im Fußbodenbereich nahe der dort befindlichen Hinweistafeln auf einer Fläche von ca. 1-2 qm eine Fehlstelle befunden, die keine Verfliesung aufgewiesen habe. Aufgrund der fehlenden Fliesen habe sich eine Bodenunebenheit von mindestens 3 cm ergeben. Die Fehlstelle habe sie aufgrund des hohen Fahrgastaufkommens und des damit verbundenen Gedränges nicht erkennen können, sei gestolpert und zu Fall gekommen.
Sie habe sich hierbei eine komplizierte Humeruskopf-Fraktur der linken Schulter zugezogen und zudem Schmerzen an Knie und Händen erlitten.
Die Klägerin wurde – insoweit unstreitig – in der Folgezeit des angeblichen Vorfalls zunächst in der Notaufnahme des Klinikums W1 und sodann weiter in der Uniklinik W2 behandelt, wo auch eine Doppelplatten Osteosynthese vorgenommen wurde und wo die Klägerin sechs Tage stationär verblieb. Anschließend erfolgte eine ambulante Weiterbehandlung. In der Folgezeit ergaben sich Komplikationen, insbesondere eine Oberarmkopfnekrose (Absterben des Knochens vom Oberarmkopf) aufgrund derer im April 2018 eine Schultertotal-Endoprothese eingesetzt werden musste. Im Anschluss an eine stationäre Reha-Maßnahme im Sommer 2018 erfolgt seitdem 2-3x wöchentlich eine krankengymnastische und ergotherapeutische Behandlung.
Die Klägerin behauptet, ihre Verletzungen seien ursächlich auf den angeblichen Sturz zurückzuführen und die medizinischen Behandlungen seien hierauf beruhende medizinisch notwendige Heilbehandlungen. Aufgrund des angeblichen Schadensereignisses sei sie bis zum Renteneintritt Anfang 2019, also ca. zwei Jahre, dienstunfähig gewesen.
Sie behauptet ferner, dass dauerhaft schmerzhafte Bewegungseinschränkungen verblieben seien.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei passivlegitimiert. Unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 17.01.2020 (Az. X ZR 59/11) vertritt sie die Ansicht, dass die L1 AG Erfüllungsgehilfin der Beklagten sei. Hierzu vertritt sie mit nachgelassenem Schriftsatz vom 22.01.2021 die Ansicht, die Beklagte, nicht hingegen eine Tochtergesellschaft – wie die Beklagte meint – sei Vertragspartnerin der Klägerin geworden. Sie bestreitet in diesem Zusammenhang mit Nichtwissen, dass nicht die Beklagte, sondern ein Regionalgesellschaft oder ein andere Unternehmen Betreiberin des Schienennetzes ist. Jedenfalls hafte die Beklagte unter Anscheinsgesichtspunkten.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das freie Ermessen des Gerichts gestellt wird, mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.02.2017 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 48,67 EUR sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.029,35 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr zukünftige immaterielle und materielle Schäden, auf das Unfallereignis beruhen, zu ersetzen, soweit die Schadensersatzansprüche der Klägerin nicht auf Dritte oder Versorgungs- oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass sie bereits nicht passivlegitimiert sei. Sie sei nicht Betreiberin des Bahnhofs und ihr obliege an der fraglichen Örtlichkeit keine Verkehrssicherungspflicht. Es sei auch kein Vertragsverhältnis zwischen ihr und der Klägerin zustande gekommen, sodass die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht einschlägig sei. Das Vertragsverhältnis sei vielmehr mit der Betreiberin des Schienenverkehrs zustande gekommen, nicht aber mit der Beklagten. Die Beklagte habe auch in der vorgerichtlichen Korrespondenz darauf hingewiesen, dass sie lediglich im Auftrag der L1 AG tätig werde.
Ferner bestreitet die Beklagte das von der Klägerin behauptete Ausmaß der Schadstelle im Fliesenbelag, dass dort zum Zeitpunkt des angeblichen Schadensereignisses ein erhöhtes Fahrgastaufkommen geherrscht habe, sodass die Klägerin die Fehlstelle nicht habe sehen können, und bestreitet ferner den angeblichen Sturz mit Nichtwissen. Die Beklagte bestreitet ferner die Kausalität des angeblichen Schadensereignisses für die nachfolgenden medizinischen Behandlungen und körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin sowie ihre Beeinträchtigungen in ihrer Lebensführung. Das geforderte Schmerzensgeld sei zudem zu hoch angesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll vom 20.11.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nebst Nebenansprüchen gegen die Beklagte zu. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht unter dem Gesichtspunkt einer vertraglichen oder deliktischen Haftung der Beklagten aufgrund der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
I.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aufgrund einer Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht in Form einer Verkehrssicherungspflicht gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu.
Denn zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand kein Vertragsverhältnis, insbesondere ist die Beklagte nicht Vertragspartnerin des von der Klägerin durch den Kauf des Eisenbahntickets geschlossenen Beförderungsvertrages.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin mit nachgelassenem Schriftsatz vom 22.01.2021 zur Akte gereichten „Abonnement-Bestellschein“ (Anl. HLW 19) und den exemplarischen Übersendungsschreiben für darauf beruhende Fahrkarten (Anl. HLW 20).
Denn aus dem Abonnement-Bestellschein ergibt sich, dass Vertragspartner nicht die Beklagte ist, sondern vielmehr die L2 AG. Insoweit heißt auf dem Formular im Bereich oberhalb der Unterschriftszeile „Der Vertrag kommt für das Abonnement im Nahverkehr mit der L2 AG zustande. Die Bestellung und Abwicklung erfolgt durch die L3 GmbH .“ Aufgedruckt ist ferner ein Stempel der „L3 GmbH X-Zentrum W1“ und eine Unterschrift des Verkäufers.
Auf dieser Grundlage ergibt sich zweifellos, dass der Abonnementvertrag mit der Klägerin von der L3 GmbH namens der L2 AG geschlossen wurde. Gleiches gilt auch für die hierauf beruhenden Fahrkarten. Denn diese wurden ausweislich der Absenderzeile oberhalb des Adressfeldes ebenfalls von der „L3 GmbH “ versandt. Die Bezeichnung der Beklagten „L4 AG “ findet sich weder auf dem Abonnementformular, noch auf dem Übersendungsschreiben der Fahrkarten.
Allein aufgrund des Logos bzw. des Claims „L4“ lässt sich ein Vertragsschluss mit der Beklagen nicht herstellen, denn der Claim wird offensichtlich von verschiedenen Gesellschaften des Bahnkonzerns und in zahlreichen Zusammenhängen verwandt, ohne dass dieser eindeutig bzw. ausschließlich der Beklagten als Holding-Gesellschaft zuzuordnen wäre.
Vor diesem Hintergrund ist auch die von Klägerseite angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 17.01.2012 (Az. X ZR 59/11, NJW 2012, 1083) im Ergebnis nicht zielführend. Denn diese beruht auf einer prozessual anderen Situation. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall war nicht die hiesige Beklagte die beklagte Partei, sondern deren Tochtergesellschaft für den Nah- oder Fernverkehr (dies ist aus der vorliegenden anonymisierten Fassung der Entscheidung nicht genau ersichtlich) sowie ein durch die L1 AG mit dem Winterdienst beauftragtes Unternehmen. Aufgrund des durch den mit Ticketkauf entstandenen Beförderungsvertrages hat der Bundesgerichtshof in der dortigen Entscheidung eine Verkehrssicherungspflichtverletzung aufgrund einer Nebenpflichtverletzung der dortigen Beklagten zu 1) (Eisenbahnverkehrsunternehmen für den Nah- oder Fernverkehr) für denkbar gehalten. Dies würde bezogen auf den vorliegenden Rechtsstreit bedeuten, dass hiernach eine Nebenpflichtverletzung der L2 AG aufgrund einer dieser zuzurechnenden Verkehrssicherungspflichtverletzung der L1 AG denkbar wäre. Eine Haftung auch der Holdinggesellschaft, der hiesigen Beklagten, lässt sich jedoch der Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht entnehmen.
Eine (Mit-)Haftung der hiesigen Beklagten kommt auch nicht unter Anscheins- oder Rechtsscheinsgesichtspunkten aufgrund ihres Verhaltens im Zuge der vorgerichtlichen Anspruchsstellung durch die Klägerin in Betracht. Diese scheitert jedenfalls daran, dass die Beklagte auf das Anspruchsschreiben der Klägerin unmittelbar mit Schreiben vom 04.01.2017 (Anl. HLW 10) mitgeteilt hat, dass sie die Angelegenheit lediglich im Auftrag der L1 AG bearbeitet, woraus sich im Umkehrschluss ergibt, dass sie nicht im eigenen Namen tätig wird.
Auf die Frage, ob eine Verkehrssicherungspflichtverletzung seitens der L1 AG vorliegt, kommt es – da diese am hiesigen Rechtsstreit nicht beteiligt ist – nicht an.
II.
Ferner ist die Klage auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Haftung der Beklagten gem. § 823 Abs. 1 BGB begründet. Denn die Beklagte war – was zwischen den Parteien unstreitig ist – nicht Betreiberin des Bahnhofs; dies war vielmehr die L1 AG . Entsprechend traf die Beklagte unter diesem Gesichtspunkt keine Verkehrssicherungspflicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 BGB.
IV.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
V.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3ff. ZPO.
Klageantrag zu 1.: 15.000,00 EUR
Klageantrag zu 2.: 48,67 EUR (im Übrigen Nebenforderung)
Klageantrag zu 3.: 5.000,00 EUR