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Verletzung Verkehrssicherungspflicht in Einkaufszentrum

OLG Zweibrücken – Az.: 1 U 209/20 – Urteil vom 26.01.2022

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 23.11.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Kaiserslautern, Az. 2 O 351/16, wird zurückgewiesen.

2. Die Berufungen der Beklagten und deren Streithelferin gegen das am 23.11.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Kaiserslautern, Az. 2 O 351/16, werden zurückgewiesen.

3. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern wird in Ziffer 3. des Tenors zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren, nicht mit den Klageanträgen zu 1. und zu 2. geltend gemachten materiellen und zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung objektiv nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, die ihr aus dem Unfall vom 26.01.2013 in ., Bereich Parkplatz des …, entstanden sind oder künftig entstehen, zu ersetzen, soweit etwaige Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben – dies in Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung – die Klägerin 64,2% und die Beklagte 35,8% zu tragen; von den Kosten der Nebenintervention in erster Instanz haben die Klägerin 64,2% und die Nebenintervenientin 35,8% zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 28,1% und die Beklagte 71,9% zu tragen; von den Kosten der Nebenintervention in zweiter Instanz haben die Klägerin 28,1% und die Nebenintervenientin 71,9% zu tragen.

5. Diese und die angefochtene Entscheidung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung aus dieser und aus der angefochtenen Entscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Verletzung Verkehrssicherungspflicht in Einkaufszentrum
(Symbolfoto: hxdbzxy/Shutterstock.com)

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung der Einstandspflicht für künftige Schäden aus einem Unfallereignis vom 26.01.2013.

Die Beklagte betreibt in ., …, ein Einkaufscenter. Die Klägerin tätigte dort am späten Nachmittag des Unfalltages mit ihrem Ehemann Einkäufe. Beim Verlassen des Pfalzcenters stürzte sie im Ein- und Ausgangsbereich des dortigen …-Marktes auf dem Weg in Richtung der Parkplätze. Die Klägerin wurde unmittelbar nach dem Sturz im … operativ behandelt und befand sich vom 26.01.2013 bis zum 19.02.2013 in stationärer Behandlung. Vom 27.10.2013 bis zum 13.11.2013 wurde sie stationär folgebehandelt. Sie wurde insgesamt dreimal am Ellenbogen operiert.

Mit Schreiben ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten vom 21.02.2013 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihre Eintrittspflicht für den Schadensfall bis zum 12.03.2013 zu erklären. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten wies mit Schreiben vom 28.03.2013 und vom 27.11.2013 eine Haftung zurück.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, im Eingangsbereich des … habe sich eine Abdeckung für ein Stromkabel befunden, das den dort stehenden Imbisswagen mit Strom versorgt habe. Die Gummiabdeckung habe sich an einer Stelle gelöst und nach oben gestanden, sodass sich eine Schlaufe gebildet habe. In diese Schlaufe sei sie hereingetreten und infolge dessen gestürzt. Aufgrund des Sturzes habe sie sich eine komplizierte Ellenbogenluxationsfraktur rechts mit Abriss des Olecranon und des Provessus coronoideus sowie eine Radiusköpfchenfraktur mit offenem Weichteilschaden S 52.01, S 52.02 zugezogen. Das Gelenk sei immens in der Bewegung einschränkt und derart schmerzhaft, dass sie täglich auf Schmerzmittel angewiesen sei. Sie leide seit dem Unfalltag täglich und sei an ihrer täglichen Bewegung erheblich eingeschränkt.

Sie sei im täglichen Leben sowie bei der Haushaltsführung auf Unterstützung anderer Personen angewiesen und befinde sich seit dem Unfalltag in ärztlicher Behandlung und Physiotherapie. Die Ausübung ihrer Tätigkeit als Küchenhilfe sowie die Haushaltsführung seien ihr aufgrund des Unfallereignisses nicht mehr möglich. Die Ellenbogenverletzung habe zu einer Behinderung ab dem 24.07.2014 in Höhe von 30 GdB und ab dem 30.11.2015 von 60 GdB geführt. Daher stehe ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 120.000 € zu. Im Rahmen der Heilbehandlung sei sie zur ambulanten Behandlung am 29.07.2013, 19.08.2013 und 09.12.2013 zum Klinikum … nach … hin- und zurückgefahren (jeweils 280 km). Am 27.10.2013 sei sie zur stationären Behandlung in das Klinikum nach … und am 12.11.2013 zurückgefahren (jeweils 140 km). Am 03.11.2013 habe sie ihr Ehemann besucht und sei demnach 280 km gefahren. Dafür habe sie einen Anspruch auf Ersatz der Fahrtkosten in Höhe von 0,25 € pro gefahrenem Kilometer. Weiterhin sei sie zu insgesamt 66 Krankengymnastikterminen gefahren, wofür ihr ebenfalls ein Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten zustehe. Ferner seien ihr Selbstbeteiligungskosten für Heilmittel in Höhe von 105,52 €, für Krankengymnastik in Höhe von 343,58 € und für ärztliche Atteste in Höhe von 56 € entstanden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld nebst 5%-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2013 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 402,82 € nebst 5%-Punkten Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 883,15 € nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche Schäden, die ihr aus dem Unfall vom 26.01.2013 in …, Bereich Parkplatz des …, entstanden sind oder künftig entstehen zu ersetzen, soweit sie nicht auf die Sozialversicherungsträger übergangen sind und übergehen.

Die Beklagte und die Streithelferin haben erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben erstinstanzlich vorgetragen, im Eingangsbereich habe sich kein Stromkabel befunden. Die Stromversorgung des Imbisswagens sei über einen hinter dem Imbisswagen stehenden Verteilerkasten mit Strom versorgt worden. Im streitgegenständlichen Bereich habe sich lediglich die Abdichtung einer Dehnungsfuge befunden. Am 28.01.2013 habe man festgestellt, dass sich diese an einer Stelle minimal gelöst habe. Hierbei habe sich aber keineswegs eine Öse oder Schlaufe ausgebildet. Dementsprechend sei die Klägerin auch nicht in eine Schlaufe hineingetreten und infolge dessen gestürzt. Die Klägerin sie vielmehr aus Unachtsamkeit gestürzt. Am Tag des Sturzes und am Vortag sei die streitgegenständliche Stelle mehrfach durch die Zeugen Lukas und Peschke überprüft worden. Dabei sei keine Gefahrenquelle festgestellt worden. Für die Klägerin habe auch Anlass bestanden, ihre allgemeine Sorgfaltspflicht zu erhöhen, da sich vom Eingangsbereich kommend nach rechts eine Baustelle befunden habe, auf die im Markt mit Hinweisschildern hingewiesen worden sei.

Die Streithelferin hat darüber hinaus vorgetragen, die Klägerin habe die Abdeckung aber jedenfalls deshalb erkennen müssen, weil sich diese sehr stark vom Bodenbelag unterschieden habe. Weiterhin fehle der Klägerin hinsichtlich des Feststellungsantrags ein Feststellungsinteresse, da sie nicht substantiiert vorgetragen habe, welche Zukunftsschäden entstehen könnten.

Der Vorderrichter hat die Klägerin informatorisch angehört und die Zeugen …, …, … und … vernommen sowie ein medizinisches Gutachten bei dem Sachverständigen Prof. Dr. … zu den Unfallfolgen eingeholt. Er hat sodann den Leistungsanträgen zu einem geringen Teil stattgegeben und die begehrte Feststellung wie beantragt getroffen.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Klägerin aufgrund der zum Teil hochstehenden Gummiabdeckung auf dem Weg vom Markt zum Parkplatz gestolpert und gestürzt sei. Die Gummiabdeckung habe insoweit eine Gefahrenquelle dargestellt. Diesbezüglich sei die Verkehrssicherung durch die Beklagte verletzt worden. Sie sei nicht nur gehalten gewesen, den betreffenden Bereich regelmäßig zu kontrollieren, sondern auch dazu, hochstehende Teile unverzüglich zu beseitigen. Ein Mitverschulden sei der Klägerin nicht anzulasten. Die unfallbedingten Verletzungen und Verletzungsfolgen rechtfertigten ein Schmerzensgeld (nur) in der ausgeurteilten Höhe. Sachschäden seien lediglich in Höhe von 100 € erstattungsfähig. Die geltend gemachten Fahrtkosten seien schon deshalb nur eingeschränkt erstattungsfähig, weil offengeblieben sei, warum die Heilbehandlung nicht wohnortnah durchgeführt worden sei. Weiterer Schaden sei nicht substantiiert dargelegt worden.

Hiergegen wenden sich die Parteien und die Streithelferin mit ihren Berufungen.

Die Klägerin macht geltend, insbesondere aufgrund der (noch) lange anhaltenden physischen wie psychischen Unfallfolgen sei ein deutlich höheres Schmerzensgeld geboten.

Sie beantragt, unter teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Beklagte bei deren vollständiger Kostenlast zu verurteilen, an sie weiteres Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 22.500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2016.

Die Beklagte und die Streithelferin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie beantragen ihrerseits, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Sie tragen hierzu vor, der Vorderrichter habe die Einlassungen der Klägerin und die Zeugenaussagen falsch gewürdigt. Es stehe lediglich fest, dass möglicherweise eine gefährliche Situation aufgrund der zum Teil hochstehenden Gummiabdeckung zwei Tage nach dem streitgegenständlichen Unfall vorgelegen habe, nicht aber, dass diese Situation bereits am Unfalltag bestanden habe. Am Unfalltag seien gerade keine Unregelmäßigkeiten festzustellen gewesen. Es sei nicht der positive Nachweis geführt worden, dass die Klägerin aufgrund der zum Teil wellig hochstehenden Gummiabdeckung gestolpert und gestürzt sei. Anscheinsgrundsätze seien insoweit nicht anzuwenden. Die Klägerin habe keine Erinnerungen an Einzelheiten zum Sturz, Zeugen hätten diesen selbst nicht gesehen. Im Übrigen habe die Klägerin vorgerichtlich anders als im Verfahren vorgetragen. Im Sturzbereich sei kein Stromkabel verlegt und dementsprechend auch nicht abgedeckt gewesen. Ohnehin sei von einem erheblichen Eigenverschulden der Klägerin auszugehen. Die hierauf bezogenen Mutmaßungen des Vorderrichters seien unzutreffend.

Die Klägerin beantragt, die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin zurückzuweisen.

Sie verteidigt im Hinblick auf die Verurteilung der Beklagten die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft hierzu ihren erstinstanzlich gehaltenen Vortrag zu deren Haftung dem Grunde nach.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin (zu I). und die Berufungen der Beklagten sowie ihrer Streithelferin (zu II.) bleiben erfolglos. Auf der Grundlage der fehlerfrei durchgeführten erstinstanzlichen Beweiserhebung und der nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung durch den Vorderrichter ist davon auszugehen, dass das Stolpern und der Sturz der Klägerin am 26.01.2013 im Eingangsbereich des … auf der schuldhaften Verletzung einer (nach-)vertraglichen Schutzpflicht (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) bzw. der vorwerfbaren Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) – der Inhalt und die Reichweite beider Pflichten entsprechen sich im Streitfall – von Mitarbeitern der Beklagten beruhte. Ein Mitverschulden ist der Klägerin insoweit nicht anzulasten. Dieser sind aus dem Unfall (nur) die erstinstanzlich zugesprochenen Ansprüche entstanden; ein über den Betrag von 17.500 € hinausgehendes Schmerzensgeld steht der Klägerin nicht zu. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch insoweit als zutreffend. Zu berichtigen sind allerdings – nach zwischenzeitlicher Korrektur des Streitwertes für das Verfahren in 1. Instanz – die erstinstanzliche Kostenentscheidung und der erstinstanzlich zu weit gefasste Tenor zur Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten (zu III.).

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I. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes, sie strebt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 22.500 € an; dies indes zu Unrecht.

1. Schmerzensgeld kommt eine doppelte Funktion zu. Es soll einerseits dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für Schäden nichtvermögensrechtlicher Natur bieten. Es soll andererseits dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (grundlegend BGH, Beschluss vom 06.07.1955, Az. GSZ 1/55, Juris). Die Ausgleichsfunktion hat in der Regel allerdings wesentlich größeres Gewicht als die Genugtuungsfunktion. Anders als beim Schadensersatz für Vermögensschäden sieht das Gesetz beim Ausgleich immaterieller Schäden nach § 253 Abs. 2 BGB keine starre Regelung, sondern eine „billige Entschädigung in Geld“ vor. Diese ist dementsprechend anhand aller in Betracht kommenden Umstände des Streitfalls zu bestimmen (eingehend BGH, Beschluss vom 16.09.2016, Az. VGS 1/16, Juris). Bei der Bemessung der Höhe eines dem Verletzten zustehenden Schmerzensgeldes kommt es maßgeblich auf die Schwere der erlittenen Verletzungen, das hierdurch bedingte Leiden, dessen Dauer und die subjektive Wahrnehmung der Beeinträchtigungen durch den Verletzten an (BGH, Urteil vom 12.05.1998, Az. VI ZR 182/97, Juris). Besondere Bedeutung kommt insbesondere bei einer dauerhaften Beeinträchtigung dem Lebensalter des Verletzten zu, da dies entscheidend dafür ist, wie konkret und lange sich die erlittene Beeinträchtigung auf das Leben des Geschädigten auswirkt. Das gilt umso mehr, als es sich nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes verbietet, absehbare künftige Verletzungsfolgen zur Grundlage eines Anspruchs auf weiteres Schmerzensgeld zu machen (BGH, Urteil vom 20.01.2015, Az. VI ZR 27/14, Juris).

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind gleichermaßen alle Umstände auf Schädigerseite zu berücksichtigen, namentlich das Ausmaß seines Verschuldens. Zu berücksichtigen sind zudem die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten (BGH, Beschluss vom 16.09.2016, Az. VGS 1/16, Juris). Findet der Verpflichtete Ersatz seiner Leistung durch einen Ausgleichsanspruch oder durch eine Haftpflichtversicherung, so ist dies bei der Beurteilung seiner wirtschaftlichen Lage von Bedeutung. Letztlich und vor allem muss sich die Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes in das Gesamtsystem der Schmerzensgeldjudikatur einfügen (BGH, Urteil vom 19.12.1969, Az. VI ZR 111/68, Juris). Gerade damit wird vermieden, dass es zu einer Taxierung des Schmerzensgeldes nach sozialen Klassen kommt (BGH, Beschluss vom 16.09.2016, Az. VGS 1/16, Juris).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist das erstinstanzlich ausgeurteilte Schmerzensgeld in Höhe von 17.500 € nicht zu beanstanden.

Die zum Unfallzeitpunkt knapp 54-jährige – und damit in der letzten Dekade des Berufslebens stehende – rechtshändige Klägerin hatte sich durch den Sturz eine zweitgradig offene Ellenbogengelenksfraktur rechts zugezogen, bei der es zu einer Gelenksluxation mit schweren knöchernen Verletzungen im Bereich des Olecranons, des Processus coronoideus sowie des Radiusköpfchens gekommen war. Die Erstversorgung durch Reposition und Ruhigstellung erfolgte im …; später erfolgte eine mehrmonatige Stabilisierung mit Platte und Schrauben sowie die Refixation des ulnaren Seitenbandes. Das Metall wurde Ende 2013 entfernt, hieran schlossen sich eine ausgiebige Arthrolyse des rechten Ellenbogengelenks und mehrmonatige intensive Rehabilitationsmaßnahmen an. Die Verletzungen sind nahezu ausgeheilt; bis Anfang 2019 kam es zu einer deutlichen funktionellen Besserung im Bereich des rechten Ellenbogengelenks. Der rechte Arm einschließlich des Ellenbogengelenks können genutzt werden und werden auch genutzt; dies erweist sich anhand der nur geringgradig (nämlich um einen Zentimeter) verschmächtigten Muskulatur des rechten Ober- und Unterarms im Vergleich zur linken Seite.

Die Klägerin muss auf Dauer mit einer 16cm langen Operationsnarbe leben. Der Sachverständige Prof. Dr. … hat zudem – auf der Grundlage seiner Untersuchung am 29.03.2019 und unter Berücksichtigung aller zur Akte gereichten Befunde der Vorbehandler – festgestellt, dass die grobe Kraft des rechten Ellenbogengelenks noch eingeschränkt ist, der rechte Ellenbogen weder voll gestreckt noch voll gebeugt werden kann, die Drehbeweglichkeit im rechten Ellenbogen aufgehoben ist und eine Druckschmerzempfindlichkeit besteht. Der bei der Klägerin bestehende Grad der Behinderung von 60 beruht aber ganz überwiegend auf einer vorbestehenden Schilddrüsenerkrankung und einer späteren Brustkrebserkrankung. Der Sachverständige hat den unfallbedingten Grad der Behinderung spätestens seit November 2015 mit 20 beziffert. Mehr als nur unerhebliche Einschränkungen der Klägerin bei der Haushaltsführung oder ihrer (vormals im Rahmen eines Minijobs ausgeübten) Erwerbstätigkeit als Küchenhilfe (mit über 6 Zeitstunden pro Tag) hat der Sachverständige nicht festzustellen vermocht. Die Klägerin selbst hat anlässlich ihrer Untersuchung durch den Sachverständigen angegeben, „wieder viel machen zu können“, auch koche sie täglich und verrichte Haushaltstätigkeiten; lediglich beim Staubsaugen benötige sie zum Teil fremde Hilfe. Wegen der Wetterfühligkeit des Ellenbogens nehme sie gelegentlich Schmerzmittel.

Die schwere Ellenbogenverletzung, der langwierige und komplizierte Heilungsverlauf und die bei der Klägerin zurückbleibenden Schäden rechtfertigen den erstinstanzlich ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag. Dieser fügt sich bereits im oberen Bereich der Judikatur zu vergleichbaren Verletzungen und Verletzungsfolgen ein (vgl. eingehend Slizyk, Schmerzensgeld 2022, 18. Aufl., S. 485 ff.; Hacks/Wellner/Häcker/Offenloch, Schmerzensgeldbeträge 2021, 39. Aufl., lfd. Nrn. 86 ff.). Der Senat nimmt insoweit konkret Bezug auf die Entscheidungen des OLG Dresden vom 10.12.2004 (Az. 1 U 1399/04, Juris), des OLG Saarbrücken vom 18.10.2011 (Az. 4 U 400/10, Juris), des OLG München vom 16.02.2012 (Az. 1 U 1030/11, Juris), des OLG Frankfurt vom 14.01.2019 (Az. 29 U 69/17, Juris) sowie des OLG Hamburg vom 08.11.2019 (Az. 1 U 155/18, Juris). Ein nicht nur zögerliches, sondern ungebührliches Regulierungsverhalten, das sich ggfl. schmerzensgelderhöhend auswirken könnte, vermag der Senat schon deshalb nicht zu erkennen, weil bereits die Haftung dem Grunde nach – dies nicht in schlechterdings nicht mehr nachvollziehbarer Weise – beklagtenseits in Abrede gestellt worden ist.

II. Die Berufungen der Beklagten und deren Streithelferin haben ebenfalls keinen Erfolg. Das Rechtsmittel der Streithelferin geht im Rechtsmittelantrag nicht über den der Beklagten hinaus, so dass es sich insoweit um ein einheitliches Rechtsmittel der Beklagten und der Streithelferin handelt, über das gleichermaßen zu entscheiden ist (BGH, Beschluss vom 24.01.2006, Az. VI ZB 49/05, Juris).

1. Der Vorderrichter ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin auf dem Gehweg zwischen dem …Markt im …. in … und den Parkplätzen an einer quer liegenden, allerdings z.T. wellig hochstehenden Abdeckung hängengeblieben und deshalb gestürzt ist.

a) Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung grundsätzlich die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn deren Richtigkeit oder Vollständigkeit zweifelhaft ist. Hierfür müssen konkrete Tatsachen sprechen; subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2017, Az. 1 U 31/16, Juris). Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel können sich vor allem aus dem Vortrag der Parteien und aus Verfahrens- sowie Rechtsanwendungsfehlern ergeben, die dem Gericht erster Instanz bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Derartige Fehler können sich insbesondere bei Beweisaufnahme und Beweiswürdigung ergeben. Namentlich muss die Beweiswürdigung des Vorderrichters vollständig und in sich widerspruchsfrei sein; sie darf auch nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen (zu diesen Anforderungen BGH, Urteil vom 12.03.2004, Az. V ZR 257/03, Juris).

Im Übrigen ist das Berufungsverfahren auch nach Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes 2002 eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit „richtigen“ Entscheidungsgrundlage besteht (Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 59 f.). Dabei können sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist eine erneute Tatsachenfeststellung geboten (BGH, Urteil vom 12.12.2019, Az. III ZR 198/18, Juris).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen sind Tatsachenfeststellung und Überzeugungsbildung des Vorderrichters nicht zu beanstanden. Bei der Beurteilung ist in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine unumstößliche Gewissheit, keinen naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweis oder eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für den Nachweis einer Behauptung fordert; die richterliche Überzeugung darf vielmehr auf einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit beruhen, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 01.10.2019, Az. VI ZR 164/18, Juris).

Unstreitig ist, dass die Klägerin am 26.01.2013 nach dem Verlassen des …-Marktes auf dem Gehweg zu den Parkplätzen gestürzt ist. Dies ist im Übrigen durch die Zeugen … und …bestätigt worden. Diese hatten zwar nicht beobachtet, weshalb die Klägerin gestürzt war; dass sie aber zu Fall gekommen war, haben beide Zeugen gesehen und übereinstimmend angegeben. Allein dieser Sturz vermag die schweren Verletzungen der Klägerin zu erklären, die unstreitig eingetreten waren und die Hinzuziehung eines Rettungswagens und die sofortige medizinische Behandlung der Klägerin erforderlich machten. Unstreitig ist auch, zudem durch die Zeugen …, … und … bestätigt, dass auf dem Weg zwischen …-Markt und dem Parkplatz quer zur Laufrichtung eine Abdeckung – ein breiterer dunkler Gummistreifen – lag. Im Bereich dieser Abdeckung ist die Klägerin gestürzt, wobei diese Abdeckung teilweise vom Untergrund abgelöst war und hoch stand. Der erstgenannte Umstand ist wiederum zwischen den Parteien unstreitig, der zweitgenannte Umstand im Grundsatz von der Beklagten (mit Schriftsatz vom 01.08.2016 (dort S. 2, 4. Absatz) zugestanden worden.

Dass es sich bei dem Hochstehenden nicht (nur) um einen kleinen Streifen gehandelt hatte, wie dies die Beklagte behauptet, vielmehr das Gummiband wellenförmig an mehreren Stellen im Bereich des Gehweges hoch stand, hat die Klägerin voll bewiesen. Der Zeuge … hat im Termin der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2019 bekundet, dass die Abdeckung wellig gewesen sei und zum Teil hochgestanden habe. Auf Vorhalt der vom Zeugen … am Tag nach dem Unfall angefertigten Bilder (Bl. 187, 188 d.A.) hat der Zeuge … bestätigt, dass sich die Lauffläche auch am Vortag zumindest in etwa so dargestellt hatte, wie dies die Bilder wiedergeben. Auch der Zeuge … hat dies indiziell bestätigt, wenngleich er auf die Stolperfalle erst später durch den Zeugen … – den er am Tag seiner Vernehmung im Gerichtssaal wiedererkannt hat – hingewiesen wurde und diese sodann in Augenschein genommen hatte. Die vom ihm am Tag nach dem Unfall angefertigten Bilder – Augenscheinsobjekte – geben Lage und Form der Abdeckung in eben der von den Zeugen geschilderten Art wieder. Dass diese am Folgetag angefertigt worden sind, nimmt den Bildern nicht den Beweiswert. Denn es sind keine nachvollziehbaren Umstände erkennbar, warum der abgebildete Zustand erst in der Nacht vom 26.01. auf den 27.01.2013 entstanden sein sollte. Ganz im Gegenteil ist gerichtsbekannt, dass derartige Ablösungen – je nach Materialart und Art des Aufbringens – über einen längeren Zeitraum hinweg entstehen und bestehen. Dagegen, dass erst die Klägerin eine Aufwölbung der Abdeckung verursacht hatte, spricht nicht nur der Umstand, dass ohne vorherigen Hochstand der Abdeckung deren Unterlaufen durch einen beschuhten Fuß kaum denkbar ist, sondern vor allem auch der Umstand, dass mindestens zwei – räumlich nicht direkt nebeneinander liegende – Aufwölbungen der Abdeckung bestanden. Diese beiden auseinanderliegenden Aufwölbungen hätten nicht gleichzeitig von der Klägerin verursacht werden können.

Nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass die Aussagen der Zeugen nicht glaubhaft sind, bestehen nicht. Das Kerngeschehen als solches haben die Zeugen übereinstimmend geschildert. Dass die Zeugen im Randbereich unterschiedliche Erinnerungen bzw. zu einigen Umständen keine Erinnerung hatten, entspricht praktisch dem Regelfall und ist im Streitfall (auch) dem Umstand geschuldet, dass die Zeugen erst rund 6 Jahre nach dem Unfall hierzu vernommen worden sind. Dass der Zeuge … den Unfalltag falsch datiert hat, ist ebenso ohne Bedeutung; dies vor allem auch deshalb, weil der Zeuge insoweit ausdrücklich relativierend angegeben hat, dass der 19.01.2013 nach seiner Erinnerung der Unfalltag gewesen sei. Soweit die Beklagte die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel zieht, ist zwar davon auszugehen, dass der Zeuge … der Ehemann der Klägerin ist; dies mindert indes nicht per se die Beweiskraft seiner Aussage. Ganz im Gegenteil hat der Zeuge von sich aus eingeräumt, den eigentlichen Sturz seiner Frau nicht gesehen zu haben. Hinsichtlich des Zeugen … steht fest, dass dieser zur Klägerin und deren Familie in keinerlei Beziehung steht, er vielmehr auf diese erstmals am Unfalltag getroffen ist. Ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens ist für den Zeugen nicht erkennbar.

Konkrete Umstände, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen wecken könnten, haben die Beklagte und ihre Streithelferin nicht zu benennen vermocht. Die Aussagen der Zeugen sind im Terminsprotokoll umfassend und widerspruchsfrei protokolliert worden, so dass auch der erstinstanzlich erfolgte Richterwechsel keinen Anlass zur nochmaligen Vernehmung der Zeugen gab, es vielmehr möglich war, deren Aussagen im Wege des Urkundsbeweises durch Auswertung des Terminsprotokolls zu verwerten (vgl. BGH, Urteil vom 09.01.1997, Az. III ZR 162/95, Juris). Das gilt umso mehr, als für die Parteien hinreichende Gelegenheit zur Äußerung zu den protokollierten Zeugenaussagen bestand und der letztlich entscheidende Vorderrichter mit Zustimmung der Parteien in das schriftliche Verfahren gewechselt ist. Auch im Berufungsverfahren waren die Zeugenvernehmungen nicht zu wiederholen; der Senat versteht und würdigt die protokollierten Zeugenaussagen nicht anders als der Vorderrichter (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2018, Az. II ZR 196/16, Juris).

Auch die informatorisch angehörte Klägerin hat angegeben, an der den Gehweg kreuzenden Abdeckung hängengeblieben, gestolpert und deshalb zu Fall gekommen zu sein. Die Angaben einer informatorisch nach § 141 ZPO angehörten Partei dürfen – und müssen im Streitfall – in die Überzeugungsbildung des Richters einfließen; ihnen könnte im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Behauptungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners gegeben werden (BGH, Beschluss vom 27.09.2017, Az. XII ZR 48/17, Juris). Insoweit ist zum einen ohne Bedeutung, ob das Gummiband ein den Gehweg kreuzendes Stromkabel abdecken oder aber eine Fuge im Boden (s. die beklagtenseits mit Schriftsatz vom 01.08.2016 vorgelegten Bilder, Bl. 61 f. d.A.) gegen eindringendes Wasser abdichten sollte. Maßgeblich kommt es in dem einen wie dem anderen Fall lediglich auf Art und Umfang des hochstehenden, in den Laufraum des Weges hineinragenden Materials an. Insoweit ist zum anderen ohne Bedeutung, dass die Klägerin Einzelheiten des Sturzes nicht bewusst wahrgenommen hatte, was angesichts des plötzlichen Geschehensablaufs, der erheblichen Verletzungen und der unmittelbar dem Sturz nachfolgenden notärztlichen Versorgung mit Verbringung in ein Krankenhaus bei lebensnaher Betrachtung auch nicht zu erwarten war. Eben dieser Umstand erklärt auch, warum die Klägerin sich vorgerichtlich gegenüber den behandelnden Ärzten dahingehend erklärt hatte, an einem Stromkabel hängengeblieben zu sein. Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2019 hat sie insoweit – höchst nachvollziehbar – erklärt, dass ihr im Nachhinein mitgeteilt worden sei, dass es sich um ein den Gehweg kreuzendes, durch ein Gummiband abgedecktes Stromkabel gehandelt haben soll. Diese Information hat die Klägerin schlicht übernommen und sich – mehr oder minder unbewusst – zu eigen gemacht. Ganz generell ist zu berücksichtigen, dass weder die Beklagte noch die Streithelferin eine andere plausible Sturzursache zu benennen vermochten; auch nach Aktenlage ist eine solche nicht ersichtlich.

Die gegenbeweislichen Zeugen … und … haben die Beweisführung der Klägerin nicht erschüttert. Der Zeuge … konnte zum Zustand der Fuge und deren Abdichtung/Abdeckung am Unfalltag keine Angaben machen. Der Zeuge … hat bestätigt, die auf den Bildern des Zeugen … ersichtliche Anhebung (Bl. 187 d.A.) am 28.01.2013 gesehen zu haben. Ob die auf den anderen Bildern (namentlich Bl. 188 d.A.) ersichtlichen weiteren Abhebungen ebenfalls am 28.01.2013 vorhanden waren, vermochte der Zeuge nicht zu erinnern. Die Abhebungen können – worauf der Senat bereits hingewiesen hat – nicht über Nacht entstanden sein. Schon deshalb besitzt die weitere Aussage des Zeugen …, im Rahmen seiner Frühschicht am 26.01.2013 keine Schadstellen der Gummiabdichtung im Unfallbereich wie bildlich dokumentiert erinnern zu können, keinen erheblichen Beweiswert. Fehl geht auch – worauf bereits hingewiesen worden ist – die Annahme der Streithelferin, die Aufwölbungen seien beim Hängenbleiben der Klägerin an der vormals flach aufliegenden Abdeckung entstanden.

Im Ergebnis kann deshalb dahinstehen, dass aufgrund der welligen, nicht unerheblich in dem Laufbereich des Gehweges hineinragenden Gummiabdeckung (zur Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch diesen Zustand s. sogleich im Anschluss) bereits ein Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin greift, dass es ohne die hochstehende Abdeckung nicht zu einem Unfall gekommen wäre, dass mithin diese ursächlich für das Schadensereignis geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2013, Az. III ZR 326/12, Juris).

2. Auf der Grundlage der vorgenannten Feststellungen – namentlich zum Zustand der Gummiabdichtung/-abdeckung wie bildlich am Tag nach dem Sturz dokumentiert – ist von einer Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten sowie von Verkehrssicherungspflichten von Mitarbeitern der Beklagten auszugehen, die zum Unfall und zur Verletzung der Klägerin führten.

a) Nach herkömmlicher Auffassung ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Allerdings muss nicht jeder abstrakten Gefahr begegnet werden; eine absolute Sicherheit kann und muss nicht gewährleistet werden. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich bei sachkundiger Betrachtung die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. In diesem Fall sind diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die ein umsichtiger, verständiger, gewissenhafter und in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (BGH, Urteil vom 20.09.1994, Az. VI ZR 162/93, Juris). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (BGH, Urteil vom 03.06.2008, Az. VI ZR 223/07, Juris).

Eingedenk dessen hat der Betreiber eines Ladengeschäftes dafür Sorge zu tragen, dass die Kunden keinen Gefahren ausgesetzt sind, denen sie bei Anwendung zumutbarer eigener Vorsicht nicht zuverlässig begegnen können. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich namentlich auch darauf, dass die Laufflächen der dem Publikumsverkehr gewidmeten Räume – im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen – während der Geschäftszeiten frei von Gefahren gehalten werden (OLG Koblenz, Urteil vom 17.06.2014, Az. 3 U 1447/13, Juris). Das betrifft im Grundsatz auch die zum Ladengeschäft gehörenden Parkflächen für Kundenfahrzeuge (BGH, Urteil vom 02.07.2019, Az. VI ZR 184/18, Juris), ebenso die Wege zwischen Parkplatz und Ladengeschäft (BGH, Urteil vom 22.09.1992, Az. VI ZR 4/92, Juris). Straßen- und Wegebenutzer müssen sich zwar grundsätzlich an die gegebenen Verhältnisse anpassen und diese so hinnehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten. Fußgänger müssen demnach mit typischen Gefahrenquellen rechnen und haben sich hierauf einstellen. Der Pflichtige hat aber diejenige Sicherheit zu schaffen und zu bieten, die man bei Berücksichtigung der jeweils gegebenen Verhältnisse allgemein erwarten darf und muss. Hinsichtlich der konkreten Anforderungen sind insbesondere die Art des Ladengeschäfts oder Einkaufsmarktes, die Witterungsverhältnisse und der in Betracht kommende Publikumsverkehr maßgeblich (Beschluss des Senats vom 17.05.2021, Az. 1 U 26/20; Beschluss des Senats vom 21.09.2017, Az. 1 U 31/17; Urteil des Senats vom 11.05.2011, Az. 1 U 16/08).

b) Gemessen an diesen Voraussetzungen ist von einer Verletzung der Verkehrssicherungspflichten durch Mitarbeiter der Beklagten auszugehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind im Regelfall plötzliche Niveauunterschiede des Bodenbelages bzw. Abbruchkanten im Bodenbelag von 2 bis 3 cm hinzunehmen (vgl. z.B. Beschluss vom 24.06.2019, Az. 1 U 132/19; Urteil vom 22.02.2017, Az. 1 U 87/16; Urteil vom 13.05.2015, Az. 1 U 196/14). Das entspricht der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamm, Urteil vom 17.06.2020, Az. 11 U 108/19; OLG Koblenz, Urteil vom 26.07.2018, Az. 1 U 149/18; OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.10.2014, Az. 4 U 168/13; jeweils Juris). Insoweit handelt es sich zwar nicht um eine starre und unverrückbare Grenze, sondern vielmehr um eine Richtgröße, die im Einzelfall anhand der besonderen Umstände des Streitfalls zu überprüfen und ggfl. anzupassen ist. Einerseits kann eine Haftung bereits bei geringeren Höhenunterschieden in Betracht kommen, so etwa bei Stolperstellen in Fußgängerzonen mit entsprechender Ablenkungswirkung für den Fußgängerverkehr. Andererseits kann auch bei größeren Höhendifferenzen die Annahme des Haftungsgrundes zu verneinen sein, namentlich bei einem Wechsel des Bodenbelags insbesondere an den Schnittstellen zwischen Innenbereichen und Außenbereichen.

Im Streitfall war auf dem Zugangsweg zum und vom …-Einkaufsmarkt nicht mit erheblichen Stolperfallen zu rechnen. Nach Aktenlage bestand am Unfalltag für die Laufkundschaft keine Veranlassung, in besonderer Weise auf die Wegverhältnisse zu achten. Warnschilder o.ä. waren nicht aufgestellt. Ausgehend von den Einlassungen des beklagtenseits benannten Zeugen …, demnach die Fugenabdeckung aus Gummi etwa 40 cm breit war, lässt sich den klägerseits vorgelegten Bildern mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass sich die beiden wellenförmigen Anhebungen weit über 3 cm über dem Betonboden abhoben. Die taschenförmigen Höhlen waren geradezu dafür prädestiniert, dass Fußgänger mit einem Fuß beim Voranschreiten hineingeraten und hängenbleiben. Die Beklagte wäre deshalb gehalten gewesen, die Unebenheiten unverzüglich nach deren Entstehung zu beseitigen, ggfl. (wie später auch geschehen) die Fugenabdichtung ganz zu entfernen, sollten Nachklebungen sich als unmöglich oder erfolglos darstellen. Dieser Sicherungspflicht hat sie nicht genügt; auch nicht in Form eines Kontrollgangs ihres Mitarbeiters … am Vormittag des Unfalltages, der sich ohnehin als nicht effektiv erwiesen hat (s. bereits eingangs). Soweit die Streithelferin die Entscheidung des OLG München vom 22.07.2011 (Az. 1 U 1647/11, Juris) in Bezug genommen hat, liegt der maßgebliche Unterschied zum Streitfall in dem Umstand, dass dort die Abdeckung an der Nahtstelle zwischen einem Innenbereich und einem Außenbereich lag; dort ist der Passant per se gehalten, in besonderer Weise auf den Übergang zu achten. Dies gilt indes gerade nicht auf an sich befestigten Wegen im Außenbereich.

c) Der Vorderrichter hat im Ergebnis zutreffend keine Mitverantwortlichkeit der Klägerin i.S.v. § 254 Abs. 1 BGB angenommen.

Dass die Klägerin die schadhaften Stellen der Gummiabdeckung vor ihrem Sturz erkannt hätte, haben die Beklagte und deren Streithelferin schon nicht behauptet. Der Klägerin kann dementsprechend nicht vorgeworfen werden, sehenden Auges ohne zwingende Notwendigkeit eine Gefahr eingegangen zu sein; was auch nicht zwangsläufig zu einer Enthaftung der Beklagten führen würde (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2013, Az. III ZR 326/12, Juris). Diese Entscheidung des BGH übersieht die Streithelferin bei ihrem Bezug auf das Urteil des OLG Frankfurt vom 20.11.2003 (Az. 4 U 52/03, Juris); ganz abgesehen davon, dass im dortigen Streitfall sich die Abdeckung gerade nicht z.T. wellenförmig nach oben in den Laufraum des Weges abhob.

Es kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und nach Aktenlage auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bei gebotener Aufmerksamkeit die Stolperfallen hätte erkennen und die entsprechenden Bereiche hätte vermeiden können. Zum Unfallzeitpunkt herrschte Publikumsverkehr, es war dunkel und es hatte zuvor geschneit. Wie sich insbesondere dem dritten, am Tag nach dem Unfall angefertigten Bild (Bl. 188 d.A.) entnehmen lässt, zeichnete sich die Gummiabdeckung – entgegen der Annahme des Vorderrichters – nach Lage und Farbe auch nicht signifikant von der Umgebung ab, ganz im Gegenteil war die Abdichtung kaum zu erkennen. Das erweist sich auch anhand der Einlassungen des Zeugen …. Dieser hat die Abdeckung als „dunkel“ bezeichnet, und zwar „grau, anthrazitfarben“. Eben diese Färbung weist auch nasser Beton auf, aus dem der Gehweg im Sturzbereich bestand (vgl. nochmals das Bild auf Bl. 188 d.A.). Eine besondere Warnung ging auch nicht von den Bauarbeiten im Bereich seitlich des Gehweges aus. Ganz unabhängig davon, dass diese keine erhöhte Gefährlichkeit des freigegebenen Weges selbst anzeigten, hat der Zeuge … bei seiner Anhörung bekundet, dass sich in dem Bereich, in dem sich der Sturz ereignet hatte, keine Baustelle befand.

Im Ergebnis vermag der Senat nicht zu erkennen, dass sich die Klägerin bei der Nutzung des Weges zwischen dem …-Einkaufsmarkt und den Kundenparkplätzen in unverantwortlicher Weise sorglos verhalten hätte.

3. Hinsichtlich der Höhe des erstinstanzlich zutreffend bemessenen Schmerzensgeldes nimmt der Senat Bezug auf das zu I. Ausgeführte. Den erstinstanzlich zugesprochenen Sachschaden in Höhe von 100 € greifen die Beklagte und ihre Streithelferin insoweit nicht an.

III. Hinsichtlich der erstinstanzlichen Feststellung waren durch den Senat allerdings Korrekturen vorzunehmen. Hinsichtlich der Sachschäden muss bereits aus dem Tenor ersichtlich werden, dass die Feststellung weder die positiv zugesprochenen noch die negativ mit dem Urteil aberkannten Schadenspositionen erfasst, die die Klägerin bereits beziffert hatte. Hinsichtlich immaterieller Schäden war klarzustellen, dass das zugesprochene Schmerzensgeld bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhersehbare künftige Unfallfolgen abdeckt; die Einstandspflicht kann nur für künftige immaterielle Schäden ausgeworfen werden und diese Feststellung muss sich beschränken auf solche Unfallfolgen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung objektiv nicht absehbar waren.

Die erstinstanzliche Kostenquote war ebenfalls zu korrigieren. Der Streitwert ist erstinstanzlich auf 124.548,30 € festgesetzt worden. Der Senat hat dies mit Beschluss vom 31.05.2021 (Verfahren zum Az. 1 W 13/21) auf 160.883,15 € geändert. Berücksichtigt worden ist dabei, dass die Klägerin ursprünglich ein Schmerzensgeld in Höhe von 120.000 € geltend gemacht hatte, weiter Sachschäden in Höhe von 883,15 €. In Bezug auf den Feststellungsantrag hat die Klägerin weitere Sachschäden (Haushaltsführungsschäden und Verdienstausfälle) in Höhe von 50.000 € behauptet. Die (Neu-)Festsetzung der Kostenlast folgt den jeweiligen Obsiegens- und Unterliegensanteilen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen hierfür (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Es liegt eine Einzelfallentscheidung vor und der Senat weicht nicht von obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

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