Hessisches Landessozialgericht
Az.: L 9 SO 40/05 ER
Urteil vom 22.02.2006
Vorinstanz: Sozialgericht Gießen, Az: S 18 SO 185/05 ER, Beschluss vom 07.11.2005
Entscheidung:
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 7. November 2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander im Verfahren L 9 SO 40/05 ER keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Versagung von einstweiligem Rechtsschutz ab 29. September 2005 zur Erlangung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Die 1934 geborene Antragstellerin beantragte – zusammen mit ihrem am 30. April 2003 verstorbenen Ehemann – am 10. Dezember 2002 bei dem Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Auf ihr Konto Nr. XXXXX bei der Sparkasse G. ging am 26. Juni 2003 eine Gutschrift der V.-Lebensversicherung AG, D., über 23.152,12 EUR ein. Der Antragsgegner lehnte durch Bescheid vom 14. Januar 2004 den GSiG-Antrag mangels Hilfebedürftigkeit ab. Die Antragstellerin erhob dagegen am 29. Januar 2004 Widerspruch mit der Begründung, sie habe das Barvermögen jetzt aufgebraucht. Auf ihr Sparkassenkonto ging sodann am 25. Juni 2004 eine Gutschrift der FSB Bank GmbH über 23.246,22 EUR ein. Die Antragstellerin hielt am 9. September 2004 ihren Widerspruch aufrecht und bekräftigte den Verbrauch ihrer Mittel. Sie erhob am 4. Januar 2005 bei dem Verwaltungsgericht G. (Geschäftsnummer XXXXX) Untätigkeitsklage wegen des ausstehenden Widerspruchsbescheides, welche durch Beschluss vom 15. Februar 2005 an das Sozialgericht Gießen verwiesen wurde. Dort machte sie geltend, sie habe keine Einkünfte – außer ihren zwei Renten – und auch kein Vermögen mehr; auch die FSB-Zahlung vom 25. Juni 2004 habe sie verlebt. Der Antragsgegner erteilte am 11. August 2005 den Widerspruchsbescheid, durch den der Widerspruch der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen wurde, weil mit Rücksicht auf Geldzuwendungen in der Vergangenheit von insgesamt 46.398,34 EUR weiter keine Hilfebedürftigkeit vorliege, nachdem ein Vermögensverbrauch lediglich in Höhe von insgesamt 16.824,61 EUR nachgewiesen sei. Die Antragstellerin führt die ursprüngliche Untätigkeitsklage seitdem als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Erlangung von GSiG-Leistungen ab ihrem „zweiten Antrag im September 2004“ (Schriftsatz vom 13. Oktober 2005, in: S 18 SO 185/05 ER) fort; das Klageverfahren dauert an (S 20 SO 19/05). Das Sozialgericht Gießen lehnte durch Beschluss vom 7. November 2005 das Prozesskostenhilfegesuch der Antragstellerin wegen fehlender Erfolgsaussicht ab, wogegen Beschwerde bei dem Hessischen Landessozialgericht anhängig ist (L 9 B 237/05 SO).
Die Antragstellerin beantragte am 1. Juli 2005 bei dem Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII); das Verwaltungsverfahren dauert an.
Die Klägerin hat am 29. September 2005 bei dem Sozialgericht Gießen SGB XII-Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt. Sie könne ihren notwendigen Lebensunterhalt derzeit aus eigenen Kräften und Mitteln nicht ausreichend beschaffen, weil sie lediglich 382,- EUR monatliche Renten habe und davon 372,78 EUR monatliche Miete plus 55,00 EUR monatliche Stromkostenvorauszahlungen aufbringen müsse; über Vermögen verfüge sie nicht mehr. Insbesondere verweist sie auf die Aufwendungen für Fahrtkosten plus Essen plus persönliche Einkäufe aus Anlass ihrer Besuche bei ihrer Tochter R. A. in K., bei der im April 2002 Brustkrebs festgestellt worden sei, der am 7. März 2003 erneut operiert und nachfolgend durch Chemotherapie behandelt worden sei. Die Besuche hätten im Zeitraum Juni 2003 bis Ende 2004 regelmäßig einmal in der Woche zumeist für vier Wochentage stattgefunden; allein die Fahrtkosten für 78 Besuche in 1 ½ Jahren hätten 4.492,80 EUR betragen, und für gemeinsames Essen (drei Mahlzeiten täglich) sowie sonstige Einkäufe während der Besuche seien insgesamt zwischen 31.200,- EUR und 46.800,- EUR (ca. 100,- bis 150,- EUR täglich) ausgegeben worden (Schreiben vom 10. Juni 2005, Anlage zur Antragsschrift). Hinzu komme der Lebensunterhalt an ihrem Wohnsitz. Geldzuwendungen an ihre Tochter hat sie verneint und darüber hinaus Geschenkrückforderung ausgeschlossen. Sie könne jetzt den Ausgang des Klageverfahrens wegen GSiG-Leistungen nicht mehr abwarten, weil die Wohnbau G. GmbH ihr Mietverhältnis am 21. September 2005 fristlos gekündigt habe. Zur Glaubhaftmachung ihrer Vermögenslosigkeit hat sie ihre eidesstattliche Versicherung vom 29. September 2005 sowie die Fotokopie der eidesstattlichen Versicherung ihrer Tochter R. A. vom 20. Juli 2005 vorgelegt.
Der Antragsgegner hat dagegen die Auffassung vertreten, es bedürfe keiner einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Wohl sei im Hinblick auf die fristlose Kündigung der Wohnung ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Indes fehle es an einem Anordnungsanspruch auf Übernahme von Mietschulden. Auf die (insgesamt rückständigen) Mietzahlungsverpflichtungen für August 2005 und September 2005 hätte sie aus ihrem Renteneinkommen zumindest Teilbeträge leisten können. Hauptsächlich bestünden indes massive Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Antragstellerin; ihr Vorbringen, sie habe Geldbeträge von über 46.000,- EUR insbesondere durch Besuche bei ihrer Tochter verlebt, sei nicht glaubhaft. Wenn sie denn ihrer Tochter einen entsprechend enormen Teilbetrag für Essensausgaben unentgeltlich zugewandt hätte, hätte sie als verarmte Schenkerin nunmehr gegen diese einen Rückforderungsanspruch. Im Übrigen sind die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Darlegungen an dem Umstand festgemacht worden, dass die Antragstellerin die FSB-Zahlung von 23.246,22 EUR im Juni 2004 fast ein ganzes Jahr lang verschwiegen habe und ihr Leistungsbegehren ohne Beachtung ihres jeweiligen Kontoguthabens in der Vergangenheit unverändert weiterverfolge.
Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 7. November 2005 den Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz abgelehnt. In den Gründen ist schwerpunktmäßig das Fehlen eines Anordnungsanspruchs auf Gewährung von Leistungen nach § 19 Abs. 2 SGB XII ausgeführt. Das Gericht sei von einer Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht überzeugt, sondern gehe vielmehr davon aus, dass diese nach Einnahmen in Höhe von 23.152,12 EUR am 26. Juni 2003 sowie von 23.246,22 EUR am 25. Juni 2004 weiterhin über einen den gesetzlichen Freibetrag übersteigenden Geldbetrag verfüge. Die Antragstellerin habe gegenüber dem Leistungsträger in der Vergangenheit den falschen Anschein der Hilfebedürftigkeit erweckt und ihre wahren Einkommens- und Vermögensverhältnisse erst eingeräumt, wenn es nicht mehr anders möglich gewesen sei, so zuletzt die FSB-Zahlung. Ihr Vortrag, den gesamten Geldbetrag im Wesentlichen durch Besuche ihrer Tochter in K. „verlebt“ zu haben, sei ohne einen einzigen Beleg, der Zeitraum der behaupteten Besuche wechselnd dargestellt.
Dagegen hat die Antragstellerin am 1. Dezember 2005 Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung lässt sie anwaltlich vortragen: Die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin sei nach den tatsächlichen Vermögensverhältnissen, nicht nach ihrem Verhalten im Verfahren zu beurteilen. Der Verbleib der Gelder ergebe sich aus den Kontoauszügen; ansonsten sei eben nicht jeder Ausgabenbeleg aufgehoben worden. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 21. Februar 2006 hat die Antragstellerin auf Fragen und Vorhalte persönlich und ausführlich zum Verbrauch ihres Vermögens vorgetragen: Von den 23.152,12 EUR der V Lebensversicherung (Gutschrift vom 26. Juni 2003) habe sie kurz darauf 7.000,- EUR für Renovierungsarbeiten etc. und 3.000,- EUR für Ostsee-Urlaub verbraucht. Von den 23.246,22 EUR der FSB Bank (Gutschrift vom 25. Juni 2004) habe sie alsbald folgende Beträge abgehoben: 10.000,- EUR am 28. Juni 2004, 3.000,- EUR am 1. Juli 2004 und 6.500, EUR am 13. August 2004. Die 10.000 Euro habe sie allmählich durch Shopping sowohl in der Stadt wie auch im Fernsehen verbraucht. Die 3.000 Euro habe sie abgehoben, als sie für einen Einkauf in der Stadt kein Geld mitgenommen hatte. Die Verwendung der 6.500 Euro könne sie heute kaum noch nachvollziehen. – Im Einzelnen wird auf die Niederschrift vom 21. Februar 2006 verwiesen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 7. November 2005 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlichem Umfang ab Antragseingang als Beihilfe, hilfsweise als Darlehen zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner vertritt dazu die Auffassung, die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Anordnung im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren seien nicht geklärt. Zu Lasten der Antragstellerin gehe, dass diese unbelegte, widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Angaben mache. Das Sozialgericht habe zu Recht massive Zweifel am Wahrheitsgehalt des Vortrags der Antragstellerin zu ihrer Hilfebedürftigkeit geäußert. Nach Prüfung der jetzt vorgelegten Kontoauszüge sei insbesondere der Verbleib der FSB-Zahlung vom 25. Juni 2004 über 23.246,22 EUR weiter ungeklärt. Insoweit seien drei größere Barabhebungen – zusätzlich zu kleineren Barabhebungen zwischen 300,- und 1.000,- EUR für den laufenden Lebensunterhalt – vom Konto der Antragstellerin bemerkenswert: 10.000,- EUR am 28. Juni 2004, 3.000,- EUR am 1. Juli 2004 und 6.500,- EUR am 13. August 2004. Auf weitere Unklarheiten ist hingewiesen worden. – Die Terminsbevollmächtigte des Antragsgegners hat im Erörterungstermin daran festgehalten, dass sie auch aufgrund der heutigen Erklärungen der Antragstellerin nicht von deren Hilfebedürftigkeit überzeugt sei.
Als geladene Zeugin ist die Tochter der Antragstellerin, Frau R. A., angehört worden. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf die Niederschrift vom 21. Februar 2006 verwiesen.
II.
Das Gericht kann nach § 155 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis mit den Beteiligten durch den bestellten Berichterstatter entscheiden; vorliegend haben beide Beteiligte ihr entsprechendes Einverständnis am 21. Februar 2006 erklärt.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft (§ 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz SGG ) und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 173 SGG), eingelegt.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 7. November 2005 ist nicht aufzuheben, weil er nicht rechtswidrig ist. Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Recht verneint. Die begehrte Anordnung hat auch im Beschwerdeverfahren nicht zu ergehen.
Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Satz 2). Neben dem Anordnungsgrund, das ist: der Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz nach herrschender Meinung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, Rdz. 26c zu § 86b) einen Anordnungsanspruch, das ist: einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System gegenseitiger Wechselbeziehung: Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund (wie vor, Rdz. 29). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, wenn die grundrechtlichen Belange des Antragstellers berührt sind, weil sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen müssen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05).
Alle Voraussetzungen des Einstweiligen Rechtsschutzes sind – unter Beachtung der Grundsätze der objektiven Beweislast – glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO – i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG); die richterliche Überzeugungsgewissheit in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordert insoweit eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit (Meyer-Ladewig u. a., a.a.O., Rdz. 16b). Sind Grundrechte tangiert, ist die Sach- und Rechtslage allerdings nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (Bundesverfassungsgericht, a.a.O.).
In dem vorliegenden Verfahren spricht nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand weder eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, noch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs zugunsten der Antragstellerin. Eine Notwendigkeit zur einstweiligen Regelung in Bezug auf das zwischen den Beteiligten streitige Rechtsverhältnis durch einstweilige Anordnung ist deshalb nach Gesamt-Würdigung aller Umstände nicht festzustellen.
Zum Anordnungsgrund: Die Antragstellerin hat als den sie bedrohenden wesentlichen Nachteil drohende Wohnungslosigkeit geltend gemacht. Wohnungslosigkeit ist eine existenzielle, im Recht des SGB XII anerkannte Notlage (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Die Bedrohung ist für die Antragstellerin auch aktuell und real, weil ihre Vermieterin, die Wohnbau G. GmbH, das mit ihr bestehende Mietverhältnis, die Wohnung im A.-Weg, A.-Stadt, mit Schreiben vom 21. September 2005 fristlos kündigte und die Antragstellerin zur Herausgabe der Wohnung bis 5. Oktober 2005 aufforderte. Seit dem 5. Oktober 2005 nutzt die Antragstellerin ihre Wohnung ohne mietvertragliche Grundlage und ist folglich grundsätzlich von Räumungsklage und Zwangsräumung der Wohnung bedroht. Die Vermieterin beabsichtigt allerdings im Hinblick auf die lange Dauer des Mietverhältnisses (41 Jahre) sowie das laufende Sozialgerichtsverfahren vorläufig keine solche Zuspitzung des Konflikts, sofern keine weiteren Mietrückstände auflaufen. Nach Ende des Eilverfahrens will sie sich wegen des – auch ratenweise – Ausgleichs der Mietrückstände erneut an die Antragstellerin wenden. Sollte diese dann keinen Zahlungsvorschlag unterbreiten, werde Räumungsklage erhoben werden (Wohnbau G. GmbH, Auskunft vom 17. Februar 2006). Demnach ist das aktuelle Entgegenkommen der Vermieterin zeitlich begrenzt und freibleibend. Andererseits ist ein Mieter nach § 568 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch berechtigt, den Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete bzw. Entschädigung zu befriedigen; es kann sich dazu auch eine öffentliche Stelle verpflichten. Besonderer Anlass für ein Eintreten des Grundsicherungsträgers bestünde nach § 34 Abs. 2 SGB XII, wenn bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum eingegangen ist. Bei weiter fortschreitendem Verfahren stünde der Antragstellerin dann ein Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 Zivilprozessordnung zu Gebote. Diese rechtlichen Gestaltungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten lassen es jedenfalls aufgrund der vorliegenden Fallkonstellation vertretbar erscheinen, den der Antragstellerin drohenden Nachteil derzeit noch nicht als irreversibel infolge weiteren Zeitablaufs zu werten: Die Antragstellerin hat ohne Hilfe des Antragsgegners die fälligen Mietzahlungen von zuletzt 372,78 EUR bis Juli 2005 und sodann weiter ab Oktober 2005 aus zwei Renten in Höhe von 188,96 EUR plus 198,45 EUR aufbringen können. In der Erörterungssitzung hat sie dem Gericht nicht plausibel machen können, welche Umstände sie zur Zahlung bzw. Nicht-Zahlung von Miete bestimmen oder befähigen. Die von ihr zum Ausdruck gebrachte Sorge, ob sie auch die Miete für den nächsten Monat werde bezahlen können, kombiniert mit ihrer Aussage, auf Dauer sei dies so kein Zustand, hat keine aktuelle Notlage plastisch werden lassen.
Zum Anordnungsanspruch: Ein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung von Grundsicherung nach dem SGB XII ist nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit zu erkennen. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist gemäß § 19 Abs. 2 SGB XII Personen zu leisten, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen oder Vermögen, beschaffen können. Die jetzt 71 Jahre alte Antragstellerin zählt zu dem von der vorgenannten Regelung erfassten Personenkreis. Sie hat nach derzeitigem Erkenntnisstand einen monatlichen Bedarf von 345,- EUR Regelsatz plus 322,- EUR angemessene Unterkunftskosten gleich 667,- EUR monatliche Bedarfssumme (vgl. die letzte Berechnung des Antragsgegners vom 7. Oktober 2004), der aus ihrem bekannten Einkommen nicht voll gedeckt ist: Sie bezieht gesetzliche Renten von der LVA Hessen (Altersrente) in Höhe von 188,03 EUR und von der Knappschaft in Höhe von 197,47 EUR (Witwenrente); Wohngeld von der Wohngeldstelle der Stadt G. bezog sie in Höhe von 163,00 EUR bis 31. Dezember 2004. Gleichwohl ist das Gericht nicht überzeugt, dass die Antragstellerin ihren Rest-Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann, – konkret: dass sie aktuell über kein Kapital- oder Sachwertvermögen mehr verfügt.
Leistungsträger dürfen existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen Mutmaßungen verweigern, die sich auf vergangene Umstände stützten, wenn diese über die gegenwärtige Lage eines Anspruchstellers keine eindeutigen Erkenntnisse ermöglichen (vgl. Bundesverfassungsgericht vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05). Die bei berechtigten Zweifeln einer Behörde an der Hilfebedürftigkeit eines Antragstellers an Stelle von bloßen Mutmaßungen gebotene umfassende behördliche Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen (§ 20 Abs. 1 und 2 SGB X) kann allerdings umso mehr auf die korrespondierende Mitwirkung des Antragstellers (§ 21 Abs. 2 SGB X) angewiesen sein, als die erforderlichen Informationen und Handlungen dessen Sphäre zuzuordnen sind. Derjenige, der eine Sozialleistung beantragt, hat – in den gesetzlichen Grenzen (vgl. 65 SGB X) – Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I); speziell Antragsteller nach dem SGB XII sind gehalten, die für den geltend gemachten Anspruch erforderlichen Tatsachen umfassend, vollständig und behördlich nachprüfbar vorzutragen (so schon zum Bundessozialhilfegesetz: Bundesverwaltungsgericht vom 2. Juni 1965 – 5 C 63.64; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen vom 20. Februar 1998 – 8 A 5181/95, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – LSG NRW – vom 10. März 2005 – L 1 B 39/04 AL ER). Indem die ermittelnde Behörde dem Antragsteller die Sachverhalte oder Fragen, an denen sie ihre Zweifel anknüpft, darlegt und ihn zur Vorlage konkret bezeichneter Beweismittel auffordert, ermöglicht sie ihm gerade auch eine Widerlegung behördlicher Mutmaßungen (Hessisches LSG vom 7. Dezember 2005 – L 7 AS 31/05 ER, L 7 AS 102/05 ER). Die Mitwirkungsobliegenheit des Antragstellers verengt sich allerdings auf die Vorlage widerspruchsfreier und lückenloser Nachweise in Form von Urkunden und ggf. das Angebot von Zeugenbeweis, wenn seine persönliche Glaubwürdigkeit verringert ist (LSG NRW vom 14. Juni 2005 – L 1 B 2/05 AS ER).
Im Fall der Antragstellerin begründen das ihr in der Vergangenheit zugeflossene Vermögen, die (versuchte) Verschleierung desselben gegenüber dem Antragsgegner sowie das Prozessverhalten in den Gerichtsverfahren berechtigte Zweifel an der geltend gemachten Hilfebedürftigkeit sowie nachfolgend eine erhöhte Nachweisobliegenheit der Antragstellerin.
Der Zufluss von Geldbeträgen in Höhe von insgesamt 46.398,43 EUR am 26. Juni 2003 sowie am 25. Juni 2004 auf das Sparkassenkonto der Antragstellerin ist unzweifelhaft. Als pflichtwidriges Verschweigen muss hauptsächlich gewertet werden, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner beide Zahlungseingänge nicht unverzüglich offenbarte, obschon sie seit dem 3. Dezember 2002 Grundsicherungsleistung begehrt und deshalb nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I alle Tatsachen anzugeben hatte und hat, die für die Leistung erheblich sind, insbesondere Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen hatte. Dementsprechend war die Antragstellerin mit der GSiG-Antragstellung vom 3. Dezember 2002 eine unterschriftliche Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen Angaben eingegangen. Gleichwohl sind ihre Angaben zum vollständigen Abfluss des genannten Geldbetrags seitdem teils unwahr, teils widersprüchlich, teils atypisch-lebensfremd, teils unschlüssig.
So ist der seitens der Antragstellerin behauptete Verbrauch von ca. 10.000,- EUR kurz nach dem 26. Juni 2003 nicht einmal durch Kontoauszug belegt und mit der Lebenserfahrung unvereinbar: 7.000,- EUR Renovierungskosten sind nicht darstellbar (schon gar nicht mit den Kosten von Glühbirnen und Leisten), wenn aufgrund von Eigenleistung (durch den Sohn der Antragstellerin) gar keine Arbeitskosten angefallen sind, wie erst auf Nachfrage eingeräumt wurde. 3.000,- EUR Urlaubskosten sind nicht belegt und überhöht, wenn die Reise an die Ostsee lediglich 1 Woche dauerte und die Unterbringung in Privatlogis erfolgte (und nach Angaben der Zeugin entgegen der Antragstellerin auch nicht teilweise in einem Hotel). Die allgemein behauptete Erfüllung von Schuldverpflichtungen aus der Vergangenheit ist nicht durch Vorlage von Rechnungen gestützt. Der von ihr behauptete allmähliche Verbrauch von ca. 10.000,- EUR ab dem 28. Juni 2004 steht – bei Vernachlässigung des kleinen Tagesverbrauchs – in Widerspruch zu den dann unnötigen zeitnah folgenden großen Konto-Barabhebungen am 1. Juli 2004 (3.000,- EUR) und am 13. August 2004 (6.500,- EUR): Die Begründung der Abhebung von 3.000,- EUR damit, dass die Mitnahme von Bargeld vergessen worden sei, und der Abhebung von 6.500,- EUR damit, dass (nicht dargelegte) Urlaubspläne bestanden hätten, welche dann nicht realisiert worden seien, führt unmittelbar zum Versteck dieser großen Bargeldsummen in der Teedose als erklärte Alternative zur unsicher empfundenen Scheckkarte. Hier kann solches Vorbringen bereits deshalb nicht als eine mögliche individuelle Abweichung vom Üblichen gewertet werden, weil die Antragstellerin bald danach am 9. September 2004 gegenüber dem Antragsgegner erklärte, von der ausgezahlten Lebensversicherung sei nichts mehr da, ohne bei diesem Anlass von der FSB-Zahlung am 25. Juni 2004 in Höhe von 23.246,22 EUR eine (verspätete) Mitteilung zu machen. Den angeblichen Verbrauch von 23.246,22 EUR in ca. 11 Wochen glaubhaft darzulegen, ist der Antragstellerin im Erörterungstermin nicht ansatzweise gelungen. Der Erklärung vom 9. September 2004 wird auch durch ihr eigenes späteres Vorbringen widersprochen, demzufolge sie bis Ende 2004 die Kosten von wöchentlichen Besuchsfahrten zu ihrer Tochter aus ihrem Vermögen aufgebracht habe. Ein Verbrauch von 23.246,22 EUR in 27 Wochen (25. Juni 2004 bis Ende 2004) ergäbe allerdings einen Wochenverbrauch von 861,- EUR statt der später von ihr behaupteten ca. 560,- EUR (Schriftsatz vom 10. Juni 2005: 4 Tage x durchschnittlich 125,- EUR Essenskosten plus ca. 60,- EUR Fahrtkosten). Lebensfremd ist die behauptete Aufwendung von 31.200,- EUR bis 46.800,- EUR (ca. 2.000,- EUR monatlich) für Essen von zwei Personen plus Einkauf persönlicher Sachen plus Fahrkosten (G. – K. – G.) in einem Zeitraum von 78 Wochen (bis Ende 2004) ohnedies. Die Zeugenanhörung hat dazu zwar Anlass, Häufigkeit und Dauer der Besuchsfahrten ihrer Mutter nach K: verständlich gemacht, nicht aber einen regelmäßigen unkontrollierten Kaufrausch – wie seitens der Antragstellerin als Kern ihrer Argumentation geltend gemacht – und auch kein quantitativ-qualitativ unmäßiges Essen. Ausgabenschätzungen hat die Zeugin abgelehnt, den Erhalt von Geldzuwendungen seitens ihrer Mutter verneint. – Nach alledem hat die Antragstellerin am 9. September 2004 ihre Mittellosigkeit wahrheitswidrig, weil in wesentlicher Hinsicht unvollständig erklärt; die Einlassung der Antragstellerin, sie habe dem Behördenmitarbeiter wohl nur den letzten Kontoauszug gezeigt und ihm nicht geraten, auch in den früheren Auszügen nachzusehen, entschuldigt sie nicht. Diese Wahrheitswidrigkeit ist die Grundlage für die Annahme überwiegender Wahrscheinlichkeit einer absichtsvoll verschleiernden Vermögensverschiebung vom Konto in die Teedose.
Der Zustand der Vermögensverschleierung seitens der Antragstellerin dauert seit dem 9. September 2004 an und macht – zusammen mit weiteren Indizien – den verdeckten Besitz von Rest-Vermögen aus ihrer Teedose noch im Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung überwiegend wahrscheinlich. So stellte sie erst zum 1. Juli 2005 den Sozialhilfeantrag nach dem ab 1. Januar 2005 im SGB XII normierten neuen Leistungsrecht und erklärte dies damit, dass sie im 1. Halbjahr 2005 – neben den beiden Renten – von der Rückerstattung von Miet-Nebenkosten und Stromvorauszahlungen, Schadensersatz nach Autounfall und Flohmarkteinnahmen gelebt habe. Eine solche atypische Lebenshaltung ist durch nichts belegt und mit der Lebenserfahrung umso weniger vereinbar, als sie im Grunde bis in die Gegenwart fortbestehen soll. Für den Zeitraum ab ihrem Prozesskostenhilfeantrag am 16. November 2005 hat die Antragstellerin Flohmarkteinnahmen als ihre Haupteinnahmequelle im Erörterungstermin bekräftigt, nachdem sie bis dahin als ausreichende Beschreibung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ansah: Sie „lebe zur Zeit von 00 nichts“ (Erklärung vom 16. November 2005). Die intensive persönliche Anhörung der Antragstellerin dazu im Erörterungstermin hat die Verhältnisse nicht geklärt: Die Rekonstruktion von Flohmarktterminen, verkauften Gegenständen und erzielten Einnahmen war mühsam, ohne Rechnungen oder Aufzeichnungen und stellte die Subsistenzgrundlage der Antragstellerin nach Art und Höhe nicht außer Zweifel; insbesondere die behauptete Darlehensnahme wurde von der Zeugin – bis auf 50,- EUR am 21. Februar 2006 – später verneint. Der Umgang der Antragstellerin mit der fraglichen Prozesskostenhilfe-Bedürftigkeit steht exemplarisch für ihr andauerndes taktisches Verhalten. Wie der in der Vergangenheit fragliche Vermögensverbrauch enden nunmehr auch die Angaben zur Einnahmesituation in nicht nachprüfbaren Sachverhaltsdarstellungen, was als Sachzusammenhang anzusehen ist.
Die Antragstellerin ist im Erörterungstermin nach intensiver Heranführung an die Belastungsgrenzen ihrer Einlassungen – trotz ihres erkennbaren Bedauerns über die eingetretene Situation – von ihrem taktisch angelegten Verhalten auch zuletzt nicht zurückgetreten. Sie hat die Chance einer Zurückgewinnung verlorener Glaubwürdigkeit mittels Bereinigung ihrer Verfahrensposition nicht genutzt. Nicht zuletzt kann das Gericht die Behauptung ihrer Mittellosigkeit ohne Nachweise nicht als glaubhaft werten. Die Forderung überprüfbarer Nachweise für den Verbleib jedenfalls der oben genannten großen Barabhebungen ist angesichts der Höhe der in Rede stehenden Geldbeträge einerseits und aufgrund ihrer Stellung im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren seit dem 10. Dezember 2002 adäquat. Die Antragstellerin wusste um die Bedeutung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse für den Leistungsanspruch, wie ihr Verschleierungsbemühen zeigt. Die vorgelegten Belege (14 Belege in: Blatt 80 – 94 GSiG-Akte, 13 Blatt fotokopierter Einzelnachweise in: Blatt 70 – 82 Gerichtsakte S 20 SO 19/05) sind nicht hinreichend aussagekräftig. Den hinsichtlich ihres Beweiswerts frei zu würdigenden eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerin vom 29. September 2005 sowie ihrer Tochter R. A. vom 20. Juli 2005 (lediglich Fotokopie) als Mittel der Glaubhaftmachung (§ 202 SGG i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO) wird konkret kein höherer Beweiswert beigemessen als den persönlichen Erklärungen der Genannten im Erörterungstermin.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 103 SGG.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.