LG Aachen – Az.: 11 O 406/17 – Urteil vom 15.06.2018
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts Aachen vom 27.01.2017 (Aktenzeichen: 11 O 406/17) wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Nachdem der Beklagten persönlich die vor dem Amtsgericht Aachen erhobene Klage am 16.01.2017 – mit Hinweis auf die sachliche Unzuständigkeit wegen der Höhe des Streitwerts – zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht am 27.01.2017 ein der Klage in vollem Umfang stattgebendes Versäumnisurteil erlassen und den Streitwert auf 4.234,09 Euro festgesetzt. Am 03.02.2017 ist bei Gericht ein Schriftsatz des Beklagtenvertreters mit Klageabweisungsantrag eingegangen, der mit bei Gericht am 07.02.2017 eingegangenem weiteren Schriftsatz begründet worden ist. Am 09.02.2017 ist die Zustellung des Versäumnisurteils durch die Geschäftsstelle des Amtsgerichts Aachen veranlasst und das Versäumnisurteil – mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung – am 10.02.2017 der Beklagten persönlich zugestellt worden.
Am 14.02.2017 hat das Amtsgericht Aachen Güte- und Verhandlungstermin bestimmt. Die Terminsladung ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 16.02.2017 zugestellt worden. Am 13.04.2017 hat das Amtsgericht den anberaumten Termin aus dienstlichen Gründen verlegt, am 18.05.2017 aufgehoben und unter dem 19.05.2017 einen Hinweis erteilt, der Termin sei aufgehoben worden, da das Verfahren durch das Versäumnisurteil vom 27.01.2017 bereits rechtskräftig abgeschlossen sei. Dieser Hinweis ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 23.05.2017 zugegangen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29.05.2017, bei Gericht eingegangen am 31.05.2017 hat die Beklagte (vorsorglich) beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Des Weiteren hat sie beantragt, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Aachen (Az. 115 C 510/16) vom 27.01.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die ferner beantragte vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil hat das Amtsgericht Aachen am 27.06.2017 positiv beschieden, da das Versäumnisurteil unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften ergangen sei.
Der Kläger ist dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Schriftsatz vom 22.06.2017 entgegengetreten. In der Folge ist die Sache vom Amtsgericht erneut terminiert worden, zunächst um die Zuständigkeitsfrage zu klären. Im Termin am 04.08.2017 haben die Parteien übereinstimmend angegeben, dass zunächst der Ausgang des Parallelverfahrens in der zweiten Instanz abgewartet werden soll. In dem Verfahren 104 C 16/16 hat dann der Kläger mit bei Gericht am 08.09.2017 eingegangen Schriftsatz – mit Zustimmung der Beklagten – die Klage zurückgenommen.
Auf Antrag des Klägers und im Einverständnis der Beklagten hat sodann am 08.11.2017 das Amtsgericht sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Aachen verwiesen.
Die Kammer hat den Antrag der Beklagten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist durch Beschluss vom 19.02.2018 unter dem hiesigen Aktenzeichen zurückgewiesen und auch der hiergegen eingelegten Beschwerde durch Beschluss vom 07.03.2018 nicht abgeholfen.
Das Oberlandesgericht Köln hat den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 19.02.2018 gem. Beschluss vom 11.04.2018 (Az. 16 W 17/18) abgeändert und das Landgericht angewiesen, das Verfahren fortzusetzen und über den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Aachen vom 27.01.2017 zu entscheiden.
Gem. Beschluss des Landgerichts Aachen vom 27.04.2018 haben die Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag binnen zwei Wochen erhalten.
II.
Der Einspruch war zu verwerfen, weil er nicht fristgerecht eingelegt worden ist.
Die Frist beträgt nach § 339 Abs. 1 ZPO zwei Wochen ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung.
Sie ist hier durch den am 31.05.2017 bei Gericht eingegangenen Einspruch nicht gewahrt, weil die angefochtene Entscheidung der Beklagten am 10.02.2017 persönlich zugestellt worden ist und die Beklagte hinsichtlich des Zeitpunktes der Übermittlung des Versäumnisurteils an ihre Prozessbevollmächtigten beweisfällig geblieben ist.
1.
Zwar können die Schriftsätze der Beklagten vom 03.02. und 07.02.2017 (Klageabweisungsantrag und Begründung des Klageabweisungsantrags) nicht als Einspruch ausgelegt werden. Ein Schriftsatz, der in Unkenntnis des gegen eine Partei ergangenen Versäumnisurteils eingereicht wird, kann nicht in einen Einspruch umgedeutet werden (Herget, in: Zöller, ZPO, Kommentar, 32. Aufl. 2018, § 340 Rn. 4 m.w.N.). Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen. Auch im Schriftsatz vom 29.05.2017, mit dem die Wiedereinsetzung beantragt worden ist, wurde nicht ausdrücklich „Einspruch“ gegen das Versäumnisurteil vom 27.01.2017 eingelegt. Das Wort „Einspruch“ ist aber nicht zwingend zu verwenden. Vielmehr genügt jeder Ausdruck, der erkennen lässt, dass die Partei das Versäumnisurteil nicht gegen sich gelten lassen will (Herget, a.a.O., § 340 Rn. 4 m.w.N.). Im Wege der Auslegung kann dem Schriftsatz vom 29.05.2017 eine entsprechende Erklärung entnommen werden.
2.
Der Einspruch erfolgte jedoch nicht fristgerecht i.S.d. § 339 Abs. 1 ZPO. Hiervon hat die Kammer aufgrund der gegebenen Beweislage auszugehen, weil die Beklagte bis zuletzt hinsichtlich des Zeitpunktes der Übermittlung des Versäumnisurteil an ihre Prozessbevollmächtigten beweisfällig geblieben ist.
a)
Zwar wurde das Versäumnisurteil der Beklagten zunächst nicht wirksam zugestellt. Zum Zeitpunkt der Ausführung der richterlichen Verfügung zur Zustellung des Versäumnisurteils, also am 09.02.2017, war bei Gericht bereits der Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 03.02.2017, mit dem diese sich bestellt haben, eingegangen. Infolgedessen war das Versäumnisurteil zwingend an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zuzustellen (Schultzky, in: Zöller, § 172, Rn. 8). Jedoch gilt ein Dokument, das – wie hier – unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist, § 189 ZPO. Das Versäumnisurteil vom 27.01.2017 war der Beklagten daher zu dem Zeitpunkt wirksam zugegangen, als es von der Beklagten ihren Prozessbevollmächtigten ausgehändigt worden ist.
Dieser Zeitpunkt ist vom Amts wegen im Freibeweisverfahren zu klären (vgl. BGH, Beschl. v. 30.10. 1997 – VII ZB 19/97, NJW 1998, 461; Toussaint, in: BeckOK, ZPO, 28. Aufl. 2018, § 341 Rn. 3, 3b). Es bedarf also grundsätzlich keines Beweisantrages und es besteht keine Beschränkung auf die Beweismittel der ZPO. Die Darlegungs- und Beweislast liegt jedoch bei der Beklagten als Rechtsmittelführerin (BGH, Urt. v. 05.12.1980 – I ZR 51/80; NJW 1981, 1673; Herget, a.a.O., § 341 Rn. 5). Glaubhaftmachung genügt nicht. Die Rechtzeitigkeit des Einspruchs muss vielmehr zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden (Prütting, in: Müko, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 341 Rn. 7). Eine Ausnahme dieser Beweislastverteilung gilt nur für nicht aufklärbare Umstände aus dem Bereich des Gerichts. Diese Ausnahme greift vorliegend nicht ein, da die Übergabe des Versäumnisurteils an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein Vorgang ist, der sich in deren Bereich abgespielt hat.
Die Beklagte ist bis zuletzt beweisfällig geblieben. Ihr Prozessbevollmächtigter hat nach den unwidersprochenen Ausführungen des Klägervertreters zunächst im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.08.2017 vor dem Amtsgericht Aachen eine klare Auskunft dazu verweigert, wann er Kenntnis von dem Versäumnisurteil erlangt hat. Soweit mit Schriftsatz vom 05.03.2018 behauptet wird, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei das Versäumnisurteil erst aufgrund des gerichtlichen Schreibens vom 19.05.2017 bekannt geworden, fehlt es bis heute an jeglichem Beweisantritt selbst außerhalb der üblichen Beweismittel. Das gilt, trotz des zwischenzeitlich ergangenen und die Darlegungs- bzw. Beweislast klarstellenden Beschlusses des Oberlandesgerichts Köln auch für den zuletzt zur Akte gelangten Schriftsatz vom 22.05.2018. Weil die Beklagte bis heute weder behauptet, noch ersichtlich ist, dass der Zeitpunkt der tatsächlichen Übermittlung des Versäumnisurteils auch nach dem 19.05.2017 intern nicht mehr nachvollzogen werden kann, ist die Kammer nicht zu der erforderlichen Überzeugung gelangt, dass die Frist des § 341 ZPO gewahrt wurde.
Es kann daher weiter dahinstehen, ob es nicht ohnehin der Beklagten zur Last fallen mag, wenn sie ihre Prozessbevollmächtigten von dem Erlass des Versäumnisurteils nicht rechtzeitig in Kenntnis setzt.
b)
Es ist auch nicht festzustellen, dass die Beklagte aus anderen Gründen ohne ihr Verschulden gehindert gewesen wäre, die Frist zur Einlegung des Einspruchs zu wahren. Insoweit kann die Beklagte sich insbesondere (mit Schriftsatz vom 22.05.2018) nicht (erneut) darauf berufen, dass sie bzw. ihre Prozessbevollmächtigten einem entschuldbaren Rechtsirrtum deshalb erlegen gewesen seien, weil das Amtsgericht nach Erlass des Versäumnisurteils und ohne dass ein Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vorlag, mit Verfügung vom 14.02.2017 Verhandlungstermin bestimmt hat. Insoweit werden die Ausführungen der Kammer im Beschluss vom 19.02.2018 zu dem hiesigen Aktenzeichen ausdrücklich aufrechterhalten. Ist eine Rechtslage zweifelhaft, muss ein Rechtsanwalt vorsorglich so handeln, wie es bei einer für seine Partei ungünstigen Entscheidung im Zweifel zur Wahrung ihrer Belange notwendig ist, gegebenenfalls also vorsorglich einen Rechtsbehelf einlegen (Greger, in Zöller, § 233 Rn. 23 Stichwort „Rechtsirrtum“). Auf Grund der durch das Amtsgericht Aachen am 14.02.2017 erfolgten Terminsbestimmung ist aber allenfalls eine in diesem Sinne zweifelhafte Rechtslage eingetreten. Die Beklagte und ihre Prozessbevollmächtigten durften aufgrund dessen insbesondere nicht darauf vertrauen, dass das Amtsgericht bereits die Schriftsätze vom 03. und 07.02.2017 als Einspruchsschriftsätze ausgelegt hatte. Denn die Terminsbestimmung war nicht „zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache“ erfolgt, wie es im Anschluss an einen zulässigen Einspruch der Fall hätte sein müssen (vgl. § 341a ZPO). Vielmehr wurde lediglich ein „Gütetermin und Verhandlungstermin“ festgesetzt. Dies enthob die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht der sorgfältigen Prüfung, was für ihre Mandantin zu veranlassen ist (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 20.04.2000 – 1 W 283/00, juris Rn. 23). Das gilt unabhängig von der Reaktion anderer am Prozess Beteiligter, deren Verhalten nicht von einer eigenen Würdigung des Geschehens zu befreien vermag.
3.
Der Beklagten kann auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Die Kammer geht aus den vorgenannten Gründen nicht davon aus, dass die Beklagte ohne ihr Verschulden im Sinne des § 233 ZPO verhindert war, die 2-wöchige Frist zur Einlegung eines Einspruchs gegen das Versäumnisurteil vom 27.01.2017 einzuhalten. Etwaige Mittel zur Glaubhaftmachung ihres Sachvortrags gem. § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beklagte bis zuletzt schuldig geblieben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO analog, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 3 ZPO.