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Versicherungsbeiträge: Berücksichtigung bei Berechnung der Arbeitslosenhilfe

SOZIALGERICHT DORTMUND

Az.: S 30 AL 427/02

Urteil vom 27.03.2003


In dem Rechtsstreit hat die 30. Kammer des Sozialgerichts Dortmund auf die mündliche Verhandlung vom 27.03.2003 in Siegen für Recht erkannt:

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2002 verurteilt, der Klägerin ab dem 31.05.2002 Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der tatsächlich angefallenen Versicherungsbeiträge zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Arbeitslosenhilfe ab dem 31.05.2002 streitig.

Die Beklagte gewährte der am … geborenen Klägerin im Rahmen eines Fortzahlungsantrages ab dem 31.05.2001 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 177,87 DM (90,94 Euro) wöchentlich. Ab dem 22.10.2001 nahm der Ehemann der Klägerin eine Beschäftigung auf; sein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen belief sich auf 2.631,71 DM (1.345,57 Euro). Da Berechnungen der Beklagten zu keinem Anrechnungsbetrag führten, wurde der Klägerin die Arbeitslosenhilfe auch weiterhin in voller Höhe gewährt.

Im April 2002 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe. Als Aufwendungen für Versicherungen gab sie als monatliche Beiträge für die Hausratversicherung 9,58 EUR, für die Lebensversicherungen 287,81 EUR, für die private Haftpflichtversicherung 5,99 EUR, für die KfZ-Versicherung 22,32 EUR und für die Rechtsschutzversicherung 22,56 EUR an.

Mit Bescheid vom 14.06.2002 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 31.05.2002 nur noch Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 29,26 EUR. Dabei wurde aus dem Einkommen des Ehemannes ein Betrag in Höhe von 61,11 EUR wöchentlich berücksichtigt. Die ungekürzte Arbeitslosenhilfe hätte wöchentlich 90,37 EUR betragen. Von den nachgewiesenen Aufwendungen für den privaten Versicherungsschutz in Höhe von monatlich 348,26 EUR berücksichtigte die Beklagte unter Heranziehung der Vorschrift des § 3 Abs. 2 Alhi-V 2002 monatlich lediglich 55,58 EUR (= 3 % des durchschnittlichen monatlichen Bruttoarbeitsentgelts des Ehemannes in Höhe von 1.852,83 EUR).

Den gegen den Bescheid vom 14.06.2002 fristgerecht eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2002 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 11.11.2002 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Obwohl sie als auch ihr Ehemann kranken-, renten- und pflegeversicherungspflichtig seien, sei bei der Berücksichtigung des Einkommens gemäß § 194 SGB III der tatsächlich aufgewendete Betrag an Versicherungsbeiträgen in Abzug zu bringen und nicht nur der Pauschbetrag.

Soweit § 3 Abs. 2 der Alhi-V für das Jahr 2002 eine Pauschalierung und damit einen Höchstbetrag festläge, sei die Arbeitslosenhilfeverordnung insoweit wegen Verstoßes gegen die Regelung in § 194 SGB III als höherrangiges Recht als unwirksam anzusehen. Im Rahmen der öffentlichen politischen Rentendiskussion seien die Arbeitnehmer aufgefordert worden, durch den Abschluss von Lebensversicherungsverträgen im verstärkten Maße eine Eigenvorsorge für den Rentenfall zu treffen. Unter diesen Voraussetzungen sei im Gegenzug die Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Berücksichtigung von Einkommen erforderlich. Im anderen Fall würde dies letztendlich dazu führen, dass während einer Beschäftigung eingegangene Lebensversicherungen bzw. Rentenverträge im Fall von Arbeitslosigkeit nicht weitergeführt werden könnten.

Darüber hinaus stelle die Regelung auch eine unzulässige Schlechterstellung der Versicherten in der gesetzlichen Sozialversicherung dar, weil Arbeitslose bzw. deren Partner, die nicht der gesetzlichen Sozialversicherung unterliegen würden, die tatsächlichen Aufwendungen absetzen könnten.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2002 zu verurteilen, ihr ab dem 31.05.2002 Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der tatsächlich angefallenen Versicherungsbeiträge zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Verwaltungsentscheidung für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtene Verwaltungsentscheidung beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Bescheid vom 14.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2002 ist rechtswidrig. Das anrechenbare Einkommen ist um die tatsächlich angefallenen Versicherungsbeiträge zu mindern.

Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat gemäß § 190 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) unter anderem, wer bedürftig ist. Bedürftig ist ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht (§ 193 Abs. 1 SGB III). Nach § 1 94 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ist zu berücksichtigendes Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder der Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, soweit es den Freibetrag übersteigt. Nach Satz 2 ist der Freibetrag ein Betrag in Höhe der Arbeitslosenhilfe, die dem Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder der Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, entspricht, mindestens aber in Höhe des Betrages, bis zu dem auf Erwerbsbezüge eines Alleinstehenden Einkommensteuer nicht festzusetzen wäre (§ 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes). Von dem Einkommen sind u.a. die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung sowie Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, abzusetzen (§ 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III).

Nach § 206 Nr. 4 SGB III wird das Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, ob und welche Pauschbeträge für die von dem Einkommen abzusetzenden Beträge zu berücksichtigen sind. Auf dieser Verordnungsermächtigung beruht die vorliegend anzuwendende Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV vom 13.12.2001, die am 01.01.2002 in Kraft getreten ist).

Als Pauschbetrag für die nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III vom Einkommen abzusetzenden Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, ist ein Betrag in Höhe von 3 % des Einkommens abzusetzen, wenn der Arbeitslose und sein Partner in der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtig sind, in den übrigen Fällen die tatsächlichen Aufwendungen (§ 3 Abs. 2 AlhiV).

Diese Vorschrift ist zur Überzeugung der Kammer rechtswidrig und mithin nicht anzuwenden. Der in der Verordnung angesetzte Pauschbetrag wird den Anforderungen des § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III nicht gerecht. Unter Zugrundelegung eines Pauschbetrages in Höhe von 3 % des Einkommens ist es in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht möglich, die vom Gesetz nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III absetzbaren Beiträge zu Versicherungen, die gesetzlich vorgeschrieben sind, in Abzug zu bringen und zugleich noch sämtliche Versicherungen abzudecken, die nach Grund und Höhe angemessen sind.

Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Festsetzung von Pauschbeträgen auch Raum lässt für eine Unterschreitung der tatsächlichen Prämienaufwendungen. Die Grenzen einer zulässigen Pauschalisierung sind jedoch überschritten, wenn hierdurch eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17.11.1 992 -1 BvL 8/87-). Des Weiteren setzt eine zulässige Pauschalierung voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (Bundesverfassungsgericht a.a.O.).

§ 3 Abs. 2 AlhiV wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Dies zeigt bereits der zu entscheidende Rechtsstreit. Danach wurde für die von der Klägerin geltend gemachten Versicherungen lediglich ein Pauschbetrag in Höhe von monatlich 55,58 EUR gewährt. Bereits für die Lebensversicherungen haben die Klägerin und ihr Ehemann einen monatlichen Betrag in Höhe von 287,81 EUR, der zuvor auch von der Beklagten anerkannt worden ist, aufzubringen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auf Grund der politischen Rentendiskussion die Arbeitnehmer angehalten worden sind, durch den Abschluss von Lebensversicherungsverträgen bzw. Rentenverträgen in verstärktem Maße eine Eigenvorsorge für den Rentenfall zu treffen. Die Pauschalierung im § 3 Abs. 2 AlhiV führt letztlich dazu, dass eine Vielzahl der während einer Beschäftigung eingegangenen Lebensversicherungen bzw. Rentenverträge im Fall von (längerer) Arbeitslosigkeit nicht weitergeführt werden können.

Zudem stellt die Vorschrift eine von der Ermächtigung nicht gedeckte Benachteiligung der Sozialversicherungspflichtigen Arbeitslosen dar. Der privat oder freiwillig Kranken- und Pflegeversicherte, aber gesetzlich Rentenversicherte, kann nach § 3 Abs. 2 AlhiV in größerem Umfang Versicherungsbeiträge geltend machen als der in allen Zweigen Versicherungspflichtige, ohne dass sich aus der Regelung eine Beschränkung auf die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung ergibt. Eine Benachteiligung der sozialversicherten Arbeitslosen und ihrer Partner gegenüber den sozialversicherungsfreien Personen ist im § 194 Abs. 2 Nr. 2 SGB III nicht vorgesehen und deshalb von der Ermächtigung des § 206 SGB III nicht gedeckt.

Mithin ist § 3 Abs. 2 AlhiV als rechtswidrig anzusehen. Da hinsichtlich der Rechtsverordnungen eine Verwerfungskompetenz der Gerichte besteht, ist die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Arbeitslosenhilfeverordnung nicht anzuwenden. Es verbleibt als anzuwendendes Recht § 194 Abs. 2 Satz 2 SGB III. Nach dieser Vorschrift sind die von der Klägerin geltend gemachten Versicherungsbeiträge als angemessen und daher in vollem Umfang von der Beklagten, wie bereits vor dem 01.01.2002 geschehen, bei der erneuten Berechnung der Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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