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Versicherungsvertrag – notleidender: Nachbearbeitung

BGH

Az: VIII ZR 279/04

Urteil vom 25.05.2005


Leitsatz:

Art und Umfang der einem Versicherungsunternehmen gemäß § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB obliegenden Nachbearbeitung notleidender Versicherungsverträge bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Versicherungsunternehmen kann entweder eigene geeignete Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten (Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. November 1982 – I ZR 125/80, VersR 1983, 371; Urteil vom 12. November 1987 – I ZR 3/86, NJW-RR 1988, 546).


Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2005 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 1. September 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen. Die Klägerin ist ein Versicherungsunternehmen. Der Beklagte war von Dezember 1998 bis Januar 2000 für die Klägerin als Versicherungsvertreter tätig. Er erhielt für von ihm vermittelte Versicherungsverträge jeweils einen Vorschuß in Höhe von 80 % der Vermittlungsprovision; die restlichen 20 % behielt die Klägerin als sogenannte Stornoreserve ein. Die Klägerin verlangt die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen für insgesamt 18 Versicherungsverträge mit der Begründung, diese Vertragsverhältnisse seien nach Beendigung des Versicherungsvertretervertrages storniert worden, ohne daß die Prämienzahlungen die jeweils für das endgültige Entstehen des Provisionsanspruchs erforderliche Höhe erreicht hätten. Stornogefahrmitteilungen hatte sie dem Beklagten nach dessen Ausscheiden aus ihren Diensten nicht mehr zukommen lassen. Eigene Stornoabwehrmaßnahmen sind nach Darstellung der Klägerin erfolglos geblieben.

Insgesamt macht die Klägerin Rückzahlungsansprüche in Höhe von 2.699,96 ¤ geltend, die sie mit einem Guthaben des Beklagten in Höhe von 1.087,17 ¤ verrechnet. Die auf Zahlung des Differenzbetrages von 1.612,79 ¤ nebst Zinsen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin könne die an den Beklagten geleisteten Provisionsvorschüsse nicht zurückfordern, weil sie nicht dargelegt habe, daß die Stornierung der betreffenden Versicherungsverträge von ihr nicht zu vertreten sei. Auch nach Beendigung des Versicherungsvertretervertrages habe es ihr oblegen, dem Beklagten Stornogefahrmitteilungen zuzusenden, um ihm die Möglichkeit zu geben, die notleidenden Verträge selbst zu retten. Eine solche Verpflichtung bestehe jedenfalls dann, wenn eigene Stornobekämpfungsmaßnahmen des Versicherungsunternehmens – wie im vorliegenden Fall – erfolglos geblieben seien.

II.

Diese Beurteilung greift die Revision mit Erfolg an. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert das Provisionsrückzahlungsbegehren der Klägerin nicht daran, daß die Klägerin dem Beklagten nach der Beendigung des Versicherungsvertreterverhältnisses keine Stornogefahrmitteilungen mehr hat zukommen lassen.

1. Gemäß § 92 Abs. 4 HGB hat der Versicherungsvertreter – abweichend von § 87a Abs. 1 HGB – erst dann Anspruch auf Provision, wenn der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Versicherungsvertretervertrag berechnet. Nach der Vorschrift des § 87a Abs. 3 HGB, die auch für den Versicherungsvertreter gilt (BGH, Urteil vom 19. November 1982 – I ZR 125/80, VersR 1983, 371 unter I 2 a; Senatsurteil vom 21. März 2001 – VIII ZR 149/99, VersR 2001, 760 unter II 2 c; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene, § 92 Rdnr. 25 m.w.Nachw.), besteht allerdings auch dann Anspruch auf Provision, wenn feststeht, daß der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist; der Anspruch auf Provision entfällt im Falle der Nichtausführung aber, wenn und soweit diese auf Umständen beruht, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat (Senatsurteil vom 21. März 2001 aaO m.Nachw.).

2. Mit Rücksicht auf Besonderheiten, die sich aus der Natur des Versicherungsverhältnisses ergeben, ist anerkannt, daß das Versicherungsunternehmen im Regelfall nicht gehalten ist, im Klagewege gegen säumige Versicherungsnehmer vorzugehen, wenn außergerichtliche Maßnahmen erfolglos geblieben sind (von Hoyningen-Huene aaO, § 92 Rdnr. 31; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 92 Rdnr. 24; Bonvie, VersR 1986, 119, 121, je m.w.Nachw.). Die Nichtausführung (Stornierung) des Vertrages ist vielmehr schon dann von dem Versicherungsunternehmen nicht zu vertreten (§ 87a Abs. 3 Satz 2 HGB), wenn es notleidende Verträge in dem gebotenen Umfang „nachbearbeitet“ hat (BGH, Urteil vom 19. November 1982 aaO unter I 2 b; Urteil vom 12. November 1987 – I ZR 3/86, NJW-RR 1988, 546 unter II 1; vgl. auch Senatsurteil vom 21. März 2001 aaO; von Hoyningen-Huene aaO § 92 Rdnr. 28; Löwisch aaO § 92 Rdnr. 17, jew. m.w.Nachw.).

3. Ob zu den Maßnahmen, die das Versicherungsunternehmen hiernach zur Stornoabwehr zu ergreifen hat, in jedem Fall auch Stornogefahrmitteilungen an den Versicherungsvertreter zählen, wird in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum unterschiedlich beurteilt.

Für die Zeit bis zur Beendigung des Versicherungsvertreterverhältnisses werden solche Mitteilungen überwiegend für erforderlich gehalten (OLG Schleswig MDR 1984, 760; OLG Frankfurt am Main, VersR 1991, 1135; OLG Saarbrücken, VersR 2000, 1017, 1018 f.; Küstner in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Bd. 1, 3. Aufl., Rdnrn. 1230 ff.; von Hoyningen-Huene aaO § 92 Rdnr. 32; Brüggemann in Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., § 92 Rdnr. 16; Hopt, Handelsvertreterrecht, 3. Aufl., § 87a HGB Rdnr. 27). Umstritten ist demgegenüber, ob das Versicherungsunternehmen einem Versicherungsvertreter auch dann Stornogefahrmitteilungen zukommen lassen muß, wenn dieser inzwischen aus seinen Diensten ausgeschieden ist (so LG Mainz, NJW-RR 2000, 915, 916; wohl auch OLG Köln, NJW 1978, 327, 328; Löwisch aaO § 92 Rdnr. 21; von Hoyningen-Huene aaO § 92 Rdnr. 32; Hopt aaO § 87a Rdnr. 27; aA OLG Schleswig, OLG Frankfurt am Main, OLG Saarbrücken, jew. aaO; OLG Karlsruhe VersR 1984, 935, 936; Küstner aaO Rdnr. 1235 ff.; wohl auch Brüggemann aaO).

4. Nach der Rechtsprechung des seinerzeit für das Handelsvertreterrecht zuständigen I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs bestimmen sich Art und Umfang der dem Versicherungsunternehmen obliegenden Nachbearbeitung notleidender Versicherungsverträge nach den Umständen des Einzelfalls (BGH, Urteil vom 19. November 1982 aaO unter I 2 b; Urteil vom 12. November 1987 aaO unter II 1). Nach dieser Auffassung, die der erkennende Senat teilt, kann das Versicherungsunternehmen entweder eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen, die dann freilich nach Art und Umfang ausreichend sein müssen, was im Streitfall von ihm darzulegen und zu beweisen ist, oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten (BGH, Urteil vom 12. November 1987 aaO). Sind Stornogefahrmitteilungen somit nur eines von mehreren zur Stornoabwehr in Betracht kommenden Mitteln, unter denen das Versicherungsunternehmen die Wahl hat, und besteht demzufolge auch gegenüber einem noch in den Diensten des Versicherungsunternehmens stehenden Vertreter weder eine Pflicht noch auch nur eine Obliegenheit zu Stornogefahrmitteilungen, kann im Verhältnis zu einem – wie hier – aus den Diensten des Versicherers ausgeschiedenen Vertreter nichts anderes gelten.

III.

Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da das Berufungsgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Klägerin nach Art und Umfang ausreichende eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergriffen hat. Damit die hierzu fehlenden Feststellungen nachgeholt werden können, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

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