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Versicherungsvertrag – Arglistanfechtung und Klagefrist

Bundesgerichtshof

Az: IV ZR 31/06

Urteil vom 04.07.2007


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2007 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Dezember 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Versicherungsnehmerin einer zugunsten ihres Sohnes beim Beklagten gehaltenen Risiko-Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Sie begehrt wegen der behaupteten Berufsunfähigkeit des Versicherten sowohl aus eigenem Recht als auch hilfsweise aus abgetretenem Recht des Sohnes für die Vergangenheit bis zum 31. August 2004 rückständige Rentenleistungen und die Rückzahlung von Beiträgen, ferner für die Zeit ab dem 1. September 2004 bis längstens zum 1. September 2038 die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, bedingungsgemäße Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu erbringen.

Das vorgerichtliche Leistungsbegehren der Klägerin hatte der Beklagte mit Schreiben vom 15. Oktober 2002 abgelehnt und sich dabei allein auf die Anfechtung seiner Annahmeerklärung wegen arglistiger Täuschung gestützt, weil die Klägerin im Versicherungsantrag Gesundheitsfragen unvollständig beantwortet, nämlich eine frühere psychotherapeutische Behandlung des Sohnes verschwiegen habe. Die Leistungsablehnung enthielt eine Fristsetzung nach § 12 Abs. 3 VVG und eine Belehrung über die Folgen der Fristversäumung.

Anwaltlich vertreten durch ihre Streithelfer erhob die Klägerin gegen den Beklagten am 2. April 2003 zunächst lediglich eine Klage auf Feststellung, dass die Anfechtung unwirksam sei und der Versicherungsvertrag fortbestehe. Diesem Feststellungsbegehren wurde in zweiter Instanz stattgegeben. Das Berufungsurteil vom 13. Februar 2004 ist inzwischen rechtskräftig.

Mit Anwaltsschreiben vom 5. März 2004 ließ die Klägerin den Beklagten unter Hinweis auf das vorgenannte Berufungsurteil auffordern, die bereits beantragten Versicherungsleistungen nunmehr unverzüglich zu erbringen. Der Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 10. März 2004 erneut ab und berief sich diesmal unter anderem auf den Ablauf der schon im Oktober 2002 gesetzten Frist nach § 12 Abs. 3 VVG. Er bestreitet inzwischen auch, dass der Sohn der Klägerin berufsunfähig ist.

Im Oktober 2004 hat die Klägerin erneut Klage erhoben, die in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist und deren bereits eingangs beschriebenes Begehren sie mit der Revision weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach dessen Auffassung scheitert die Klage – auch hinsichtlich künftiger Versicherungsleistungen aus dem hier behaupteten Versicherungsfall – am Ablauf der bereits im Leistungsablehnungsschreiben vom 15. Oktober 2002 gesetzten Frist des § 12 Abs. 3 VVG. Diese sei hier ungeachtet einer rechtlich unzutreffenden Klausel der Versicherungsbedingungen, wonach die Frist nur durch eine Klageerhebung gewahrt werden könne, wirksam in Lauf gesetzt worden, weil jedenfalls die im Leistungsablehnungsschreiben enthaltene Belehrung den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe. Mit ihrer allein gegen die Wirksamkeit der Arglistanfechtung gerichteten Feststellungsklage habe die Klägerin die Frist des § 12 Abs. 3 VVG nicht gewahrt. Denn im Unterschied zu einer fristwahrenden Teilklage sei die im Vorprozess angestrebte Feststellung nicht Teil des nunmehr geltend gemachten Leistungsbegehrens gewesen. Im Übrigen sei es dem Beklagten weder aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten noch nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den Fristablauf zu berufen. Im Vorprozess habe die Klägerin nicht unmissverständlich deutlich gemacht, dass es ihr letztlich um die gerichtliche Durchsetzung ihres Leistungsbegehrens gegangen sei. Denn es seien dort gerade keine Leistungsansprüche gerichtlich geltend gemacht worden. Auch der von der Klägerin seinerzeit angegebene Streitwert habe darauf nicht hingedeutet.

Soweit die Klägerin ihr Begehren erstmals in zweiter Instanz auch auf die Abtretung der Rechte ihres Sohnes gestützt hat, ist die darin liegende Klageänderung nicht zugelassen worden.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Berufungsgericht angenommen hat, die Frist des § 12 Abs. 3 VVG sei versäumt worden.

1. Ob der Beklagte die Frist wirksam in Lauf gesetzt hat und die im Schreiben vom 15. Oktober 2002 erteilte Belehrung angesichts des irreführenden Inhalts der Versicherungsbedingungen über die zulässige Form der gerichtlichen Geltendmachung ausreichend war, bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls hat die Klägerin die Frist mit ihrer im Vorprozess erhobenen, gegen die Wirksamkeit der Arglistanfechtung gerichteten Feststellungsklage gewahrt.

2. § 12 Abs. 3 VVG soll dem Zweck dienen, dem Versicherer möglichst schnell Klarheit darüber zu verschaffen, ob eine von ihm erklärte Leistungsablehnung Bestand haben wird oder der Versicherungsnehmer sich dagegen zur Wehr setzen will. Insoweit soll sowohl das Interesse des Versicherers an zeitnaher Sachaufklärung der für den Versicherungsfall maßgeblichen Tatsachen wie auch am Überblick über den wahren Stand seines Vermögens geschützt werden (vgl. Römer in Römer/Langheid VVG 2. Aufl. § 12 Rdn. 32). Weil dem Versicherer damit ein Privileg eröffnet ist, das andere Schuldner nach der Rechtsordnung nicht haben (vgl. dazu Römer aaO), sieht die Rechtsprechung in § 12 Abs. 3 VVG seit langem eine allein im Interesse des Versicherers geschaffene Ausnahmevorschrift, die wegen dieses Ausnahmecharakters keiner ausdehnenden Auslegung zugänglich ist (BGH, Urteil vom 30. April 1981 – IVa ZR 92/80 – VersR 1981, 828 unter I 2). Ihr Zweck ist regelmäßig schon dann erfüllt, wenn der Versicherer aus einer Anrufung des Gerichts vor Fristablauf erkennen kann, dass der Versicherungsnehmer sich nicht mit der Leistungsablehnung abfinden, sondern auf seiner Forderung nach Versicherungsleistungen beharren will.

Der Senat hat es deshalb zur Fristwahrung ausreichen lassen, dass der Versicherungsnehmer erkennbar zunächst lediglich einen Teil seiner Forderung gerichtlich geltend macht. Dazu bedarf es nicht einmal einer ausdrücklichen Kennzeichnung des Klagebegehrens als Teilklage, sondern es genügt, wenn sich dies für den Versicherer aus den Gesamtumständen ergibt (vgl. zuletzt BGH, Urteile vom 19. September 2001 – IV ZR 224/00 – VersR 2001, 1497 unter II 3; 27. Juni 2001 – IV ZR 130/00 – VersR 2001, 1013 unter II 1; 13. Dezember 2000 – IV ZR 280/99 – VersR 2001, 326 unter II 1; Beschluss vom 22. September 2004 – IV ZR 274/03 – ZfS 2005, 82). Entscheidend ist demnach, was sich dem Versicherer aus dem prozessualen Vorgehen des Versicherungsnehmers hinsichtlich des abgelehnten Leistungsbegehrens erschließt.

3. Diese Grundsätze sind entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Zwar trifft es zu, dass die von der Klägerin im Vorprozess erreichte Feststellung der Unwirksamkeit der Arglistanfechtung keinen Leistungsausspruch enthält und damit – formal gesehen – auch keinen Teil der nunmehr geforderten Versicherungsleistungen bilden kann. Auf diese rein prozessuale Betrachtung kommt es aber nicht entscheidend an. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Beklagte – ebenso wie bei Erhebung einer Teilklage – aus der im Vorprozess erhobenen Feststellungsklage bereits ausreichend sicher erkennen konnte, dass sich die Klägerin nicht allein gegen die Wirksamkeit der Arglistanfechtung und die daraus folgende Nichtigkeit des Versicherungsvertrages, sondern letztlich auch gegen die Leistungsablehnung des Beklagten zur Wehr setzen wollte.

Das ergibt sich daraus, dass die schriftliche Leistungsablehnung hier allein auf die zugleich erklärte Arglistanfechtung gestützt war. Andere Gründe für eine Leistungsfreiheit des Beklagten waren danach für die Klägerin nicht ersichtlich. Wenn sie sich in dieser Situation innerhalb der ihr gesetzten Frist dazu entschloss, gerichtlich gegen die Wirksamkeit der Anfechtungserklärung vorzugehen, so war dies für den Beklagten bereits ein ausreichender Hinweis darauf, dass sie sich auch mit der Leistungsablehnung als Folge der Anfechtung nicht abfinden, also die Anfechtungswirkungen auch mit Blick auf ihr ursprüngliches Leistungsbegehren aus der Welt schaffen wollte. Zwar kann es im Einzelfall Sinn machen, dass ein Versicherungsnehmer lediglich sein Interesse am Fortbestehen des Versicherungsvertrages gerichtlich verfolgt und zugleich bereit ist, ein vom Versicherer abgelehntes Leistungsbegehren aufzugeben. Das wird man aber allenfalls dann annehmen können, wenn die Erfolgsaussichten des Leistungsbegehrens auch aus weiteren Gründen, vom Versicherer bereits geltend gemachten Gründen, fraglich erscheinen. Hängt hingegen die Leistungsablehnung des Versicherers nach dessen schriftlicher Erklärung allein von der Auseinandersetzung um den Bestand des Versicherungsvertrages ab, so kann der Versicherer aus einer auf den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses zielenden Feststellungsklage des Versicherungsnehmers ebenso wie aus einer Klage auf lediglich einen Teil der beanspruchten Versicherungsleistungen erkennen, dass der Versicherungsnehmer nicht nur auf dem Vertrag, sondern auch seiner Erfüllung, also auch auf seinem Leistungsanspruch beharrt. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – keine vernünftigen Gründe dafür erkennbar sind, weshalb der Versicherungsnehmer die Arglistanfechtung unter gleichzeitigem Verzicht auf sein Leistungsbegehren lediglich isoliert hätte bekämpfen wollen, und es stattdessen sehr nahe liegt, dass der Angriff auf die Anfechtung als rechtlichem Kern der Leistungsablehnung zugleich den Erhalt der Leistungsansprüche bezweckt.

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