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Versicherungsvertrag – örtliche Zuständigkeit einer Klage

Landgericht Cottbus

Az: 5 S 78/10

Urteil vom 04.05.2011


In dem Rechtsstreit hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus auf die mündliche Verhandlung vom 06.04.2011 für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Senftenberg vom 29.10.2010 – 21 C 165/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung von Leistungen aus einem zwischen der …… Bank GmbH und ihr bestehenden „Restschuld-Gruppenversicherungsvertrag“, dem der Kläger im Rahmen der Finanzierung seines bei der ….. GmbH erworbenen Pkw als Versicherter beigetreten ist.

Wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, mit dem das Amtsgericht die Klage wegen Unzulässigkeit abgewiesen hat. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass es sich für örtlich unzuständig halte. Die vorrangig in Betracht kommende zuständigkeitsbegründende Norm des § 215 VVG sei ihrem Wortlaut nach nicht einschlägig, da als Versicherungsnehmer der Beklagten die ….. Bank GmbH und nicht der Kläger anzusehen sei, der nur Versicherter im Sinne des § 44 Abs. 1 VVG sei. Eine analoge Anwendung des § 215 VVG auf Klagen des Versicherten sei mangels Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke nicht angezeigt. Der Gesetzgeber habe anders als in dem zuvor in Kraft getretenen Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO nur den Wohnsitz des Versicherungsnehmers und nicht auch den des Versicherten aufgeführt. Hieraus sei zu schließen, dass ein umfassender Wohnsitzgerichtsstand nicht habe begründet werden sollen. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Senftenberg ergebe sich auch nicht aus Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO, da die Beklagte am Sitz ihrer deutschen Niederlassung in …… verklagt werden könne.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser sein erstinstanzliches Klagebegehren weiter verfolgt.

Der Kläger rügt, dass das Amtsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint habe. Diese ergebe sich aus § 215 Abs. 1 VVG, der nicht allein auf das Verhältnis des Versicherers bzw. Vermittlers zum Versicherungsnehmer Anwendung finde, sondern auch Klagen des bzw. gegen den Versicherten erfasse. Die Interessenlage des Versicherten bezogen auf eine wohnortnahe Klagemöglichkeit bzw. Inanspruchnahme sei mit derjenigen des Versicherungsnehmers vergleichbar, so dass § 215 Abs. 1 VVG entsprechend zur Anwendung gelangen müsse.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 29.10.2010 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Senftenberg – 21 C 165/10 – die Beklagte zu verurteilen,

a) an den Kläger 813,40 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 162,68 EUR seit dem 02.12.2009, 02.01.2010, 02.02.2010, 02.03.2010, 02.04.2010 zu zahlen sowie den Kläger von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 827,05 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 29.01.2010 freizustellen,

b) den Kläger bedingungsgemäß von monatlichen Darlehensraten ab Mai 2010 über 127,85 EUR, fällig jeweils zum 5. eines Monats, sowie monatlich zu erbringenden Versicherungszahlungen von 34,83 EUR (……), fällig jeweils zum 1. eines Monats, für die Dauer seiner gegenwärtigen, ununterbrochenen Arbeitslosigkeit gegenüber der ……..-Bank (Darlehens-Nr. …….), ……….., längstens bis einschließlich November 2011 freizustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt mit näheren Ausführungen die angefochtene Entscheidung.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht mit dem Verweis auf seine örtliche Unzuständigkeit abgewiesen. Insbesondere lässt sich eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Senftenberg nicht aus § 215 Abs. 1 VVG herleiten.

Nach wohl überwiegender Ansicht kann sich auch ein Versicherter, der nicht Versicherungsnehmer ist, auf diese Vorschrift berufen, wenn er Rechte aus dem Versicherungsvertrag geltend macht, da der sachliche Anwendungsbereich des § 215 Abs. 1 VVG eine Einschränkung hinsichtlich der berechtigten Personen nicht enthält und Versicherte ebenso schutzwürdig wie Versicherungsnehmer sind (vgl. etwa Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 267; Klimke, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 215 Rn. 17; unklar dagegen LG Halle [Saale], Beschluss vom 15.10.2010 – 5 O 406/10, […], das einerseits meint, dass § 215 VVG für Personen, die Ansprüche gegen den Versicherer geltend machen, ohne Versicherungsnehmer zu sein, nicht anwendbar sei [vgl. Rn. 4], an anderer Stelle [Rn. 14] allerdings unter Bezugnahme auf Klimke, in: Prölss/Martin, VVG, § 215 Rn. 21 f., darauf verweist, dass die Zuständigkeitsregelung des § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG „nur im Verhältnis zwischen Versichertem und Versicherer“ greife).

Für diese Ansicht spricht der Wortlaut der Norm, der eine entsprechende Einschränkung auf den Versicherungsnehmer nicht enthält. Ob ihr zu folgen ist, kann letztlich allerdings dahingestellt bleiben, da § 215 Abs. 1 VVG der Klage hier nicht zur Zulässigkeit verhilft. Denn selbst bei einer Anwendbarkeit des § 215 Abs. 1 VVG auf Klagen des Versicherten wäre eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Senftenberg nicht begründet. Anders als vom Kläger vertreten, wäre nach dem Gesetzeswortlaut bei einer Klage des Versicherten jedenfalls nicht dessen Wohnsitz, sondern der des Versicherungsnehmers maßgeblich (i. d. S. auch Looschelders/Heinig, a.a.O.). Die …… Bank GmbH hat als juristische Person keinen Wohnsitz – oder gewöhnlichen Aufenthalt -, sondern einen Geschäftssitz. Da sich dieser nicht im Amtsgerichtsbezirk Senftenberg befindet, kann die Frage nach der Anwendbarkeit des § 215 Abs. 1 VVG auf juristische Personen als Versicherungsnehmer ebenfalls unbeantwortet bleiben.

Soweit der Kläger dagegen meint, die Regelung des § 215 Abs. 1 VVG müsse wegen der vergleichbaren Interessenlage des Versicherungsnehmers und des Versicherten bezüglich einer wohnortnahen Klagemöglichkeit bzw. gerichtlichen Inanspruchnahme entsprechend für Klagen des bzw. gegen den Versicherten gelten, so dass auch bzw. im Rahmen des § 215 Abs. 1 Satz 2 VVG ausschließlich das Gericht örtlich zuständig sei, in dessen Bezirk der Versicherte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt habe (so auch Klimke, a.a.O., § 215 Rn. 18 m.w.N.), vermag die Kammer dieser Ansicht nicht zu folgen.

Voraussetzung für die analoge Anwendung des § 215 Abs. 1 VVG auf Verfahren des bzw. gegen den Versicherten ist nämlich nicht allein eine vergleichbare Interessenlage, sondern – worauf bereits das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat – auch das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Eine solche ist hier aus Sicht der Kammer nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Gesamtkodifikation des Versicherungsvertragsgesetzes eine Regelung getroffen, die allein auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers abstellt. Dass er dabei die Belange des Versicherten – trotz gleichzeitiger Normierung der §§ 43 ff. VVG – versehentlich unbeachtet gelassen hat und den Anwendungsbereich des § 215 Abs. 1 VVG auf den Versicherten erstreckt hätte, wenn er diesen im Blick gehabt hätte, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Nach der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 215 VVG die Auslegungsschwierigkeiten des bisherigen § 48 VVG a.F. beseitigen, der – so die Ausführungen in der BT-Drs. 16/3945, S. 117 – in der Vergangenheit zu Unklarheiten und Streitigkeiten geführt habe. Auf Grund der Unwägbarkeiten hielt es der Gesetzgeber für vorzugswürdig und ausreichend, dem Versicherungsnehmer das Recht einzuräumen, die Klage gegen den Versicherer, den Versicherungsvermittler oder Versicherungsberater an seinem Wohnsitz einzureichen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf § 29c ZPO, dessen Anwendbarkeit auf Versicherungsverträge nicht eindeutig sei, weil ein Widerrufs- und Rücktrittsrecht gem. § 312 Abs. 3 BGB nicht bestehe. Unabhängig davon sollte nach dem Willen des Gesetzgebers der Gerichtsstand des Wohnsitzes für Versicherungsnehmer über die Haustürgeschäfte hinaus und für Klagen gegen den Versicherungsnehmer ausschließlich gelten und durch diese Regelung „auch“ der prozessuale Rechtsschutz des Verbrauchers gestärkt werden. Ausgangspunkt der Überlegungen war mithin die empfundene Notwendigkeit einer neuen Kodifikation des § 48 VVG a.F. Diese führte zur Schaffung des § 215 VVG, der der – dem Verbraucherschutz dienenden – Regelung des § 29c ZPO nachempfunden wurde. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Vorteile einer wohnortnahen Klagemöglichkeit bzw. gerichtlichen Inanspruchnahme nur dem Versicherungsnehmer einzuräumen, muss vom Rechtsanwender akzeptiert werden. Aus Gründen des Verbraucherschutzes erscheint es durchaus überlegenswert, den Anwendungsbereich des § 215 Abs. 1 VVG auf Versicherte auszudehnen. Dies obliegt jedoch dem Gesetzgeber und nicht dem Gericht im Wege einer – mangels planwidriger Regelungslücke nicht begründbaren – Analogie.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO zugelassen. Die höchstrichterlich – soweit ersichtlich – bislang nicht entschiedene Frage, ob § 215 Abs. 1 VVG dem Versicherten die Möglichkeit der Klage an seinem Wohnort bietet, wird in der Rechtslehre und Kommentarliteratur zum Teil abweichend von der vom Amtsgericht und der Kammer vertretenen Auffassung beurteilt. Auch scheint die Rechtsprechung insoweit nicht einheitlich zu sein. Die Beklagte hat zwar in ihrer Berufungserwiderung auf eine Vielzahl zu ihren Gunsten ergangener Entscheidungen verwiesen. Nach ihrem Vorbringen stehen jedoch offenbar nicht alle Gerichte auf dem Standpunkt, dass § 215 Abs. 1 VVG auf Klagen des Versicherten keine Anwendung in dem vom Kläger vertretenen Umfang findet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 3.500,00 EUR festgesetzt.

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