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Verspätung des für die Flugannullierung angebotenen Ersatzfluges – Ausgleichsleistung

AG Frankfurt,  Az.: 31 C 2494/15 (17), Urteil vom 14.10.2015

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger je zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Verspätung des für die Flugannullierung angebotenen Ersatzfluges - Ausgleichsleistung
Symbolfoto: Von Eugene Lu /Shutterstock.com

Die Kläger hatten für den … eine Luftbeförderung mit der Beklagten von Frankfurt am Main nach Singapur mit dem Flug … und Weiterflug von Singapur nach Sydney mit dem Flug … gebucht.

Der Flug … sollte um 22 Uhr (Ortszeit) starten und am … um 16:25 Uhr (Ortszeit) in Singapur ankommen. Der Weiterflug sollte um 20:15 Uhr (Ortszeit) beginnen mit Ankunft am … um 05:55 Uhr (Ortszeit).

Der Flug … wurden am … annulliert. Die Beklagte bot den Klägern eine Beförderung auf dem Flug Lufthansa … von Frankfurt am Main nach Singapur an, dessen planmäßiger Abflug am selben Tag 21:45 Uhr sein sollte bei Ankunft am Folgetag um 16:10 Uhr. Der Flug … wurde jedoch verspätet durchgeführt, so dass die Kläger schließlich mehr als 23 Stunden verspätet in Sydney eintrafen.

Die Beklagte wurde seitens der Kläger mit Schreiben eines Dienstleisters zur Zahlung von je 600 € Ausgleichszahlung aufgefordert.

Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 600 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Kläger haben jeweils keinen Anspruch auf Zahlung von 600 €.

a) Die Beklagte ist für die Nichtdurchführung des Fluges … am … aus der VO (EG) 261/2004 nicht zur Leistung einer Ausgleichszahlung verpflichtet.

Es liegt der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 1 lit. c sublit. iii VO (EG) 261/2004 vor. Die Kläger wurden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und sie erhielten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglichte, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

aa) Zwar war der Flug … um 21:45 Uhr, der den Klägern zur anderweitigen Beförderung angeboten wurde, seinerseits verspätet, so dass die Kläger schlussendlich doch mehr als 23 Stunden später am Endziel Sydney eintrafen.

Planmäßig hätte der Flug … allerdings 15 Minuten vor dem Flug … in Singapur ankommen sollen. Somit hatten die Kläger die Möglichkeit, ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Mehr war nach der VO (EG) 261/2004 nicht geschuldet. Nach dem Verordnungswortlaut reicht es aus, dass der Fluggast die Möglichkeit hat, das Endziel noch hinreichend rechtzeitig zu erreichen. Nicht gefordert wird, dass der Fluggast das Endziel auch tatsächlich mit keiner oder nur geringer Verspätung erreicht.

bb) Für eine engere Auslegung des Wortlauts, der in anderen Sprachfassungen der Verordnung gleichwohl identisch ist (vgl. etwa englisch „allowing“, spanisch „permita“), besteht kein sachlicher Grund. Weder ist dies nach den Erwägungsgründen veranlasst, die in Nr. 12 nur ansprechen, dass eine zumutbare anderweitige Beförderung angeboten werden soll, so dass die Fluggäste umdisponieren können; noch besteht hierfür zum Schutze der Interessen der Fluggäste ein praktisches Bedürfnis, denn mit der Annahme des Angebots zur anderweitigen Beförderung entsteht im Falle einer dann eintretenden weiteren Unregelmäßigkeit aus diesem Grund ein weiteres Haftungsverhältnis, aus dem das dann ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast verpflichtet ist.

Das kann dasselbe Unternehmen sein oder auch – wie hier – ein anderes. Der Fluggastrechte-Verordnung ist die Differenzierung zwischen verschiedenen Luftfahrtunternehmen, die zur selben Flugdurchführung in Beziehung stehen, immanent, wie sich aus Art. 2 lit. b VO (EG) 261/2004 ergibt. Der Fluggast hat nach der Umbuchung auf die anderweitige Beförderung eine dann insoweit bestätigte Buchung, mit deren Vorliegen der Anwendungsbereich für die Ausgleichszahlungspflicht des dann ausführenden Luftfahrtunternehmens eröffnet wird (Art. 3 Abs. 2 lit. a VO (EG) 261/2004). Er erlangt die gleichen Rechte, wie sie gegen das zunächst ausführende Luftfahrtunternehmen bestehen. Jeder einzelne Flug ist grundsätzlich geeignet, dem Anwendungsbereich der Fluggastrechte-Verordnung zu unterfallen, mag es auch eine Ersatzbeförderung sein (vgl. AG Frankfurt am Main RRa 2014, 47).

Das ist auch interessengerecht. Das ausführende Luftfahrtunternehmen, das sich – wie hier – der Umbuchung auf ein anderes Luftfahrtunternehmen bedient, um in Erfüllung der Vorgaben der Fluggastrechte-Verordnung Unannehmlichkeiten für den Fluggast zu vermeiden, hat keinen Einfluss auf die Durchführung der anderweitigen Beförderung. Es ist nicht ersichtlich, wieso für Unannehmlichkeiten ein Luftfahrtunternehmen haften sollte, das mit der Ausführung der dann fraglichen Beförderung nicht betraut war und daher regelmäßig gar keinen Einfluss nehmen konnte auf die Vermeidung der die Unregelmäßigkeit begründenden tatsächlichen Umstände, mithin also gar keine ursächlichen Handlungen oder Unterlassungen begangen hat.

Den Klägern ist zwar zuzustimmen, dass in bestimmten Fallkonstellationen eine Haftungslücke entsteht, nämlich wenn – anders als hier – das andere Luftfahrtunternehmen nicht ein solches der Gemeinschaft ist, und der betroffene Flug in einem Drittstaat beginnt. Das ist jedoch hinzunehmen. Der Fluggast hätte auch keinen Anspruch, wenn er von vornherein einen Flug mit dem Drittstaatunternehmen gebucht hätte. Der Umstand, dass er nur durch ein Drittstaatunternehmen befördert wird, weil ihm dies durch ein Unternehmen der Gemeinschaft angeboten wird, fußt auf der Tatsache, dass die Fluggastrechte-Verordnung es dem ausführenden Luftfahrtunternehmen ermöglicht, dem Haftungsfall des Art. 5 VO (EG) 261/2004 zu entgehen, indem es ein Angebot zur anderweitigen Beförderung unterbreitet. Der Verordnungsgeber stellt sich damit zufrieden, dass das Luftfahrtunternehmen zur Vermeidung beziehungsweise Reduzierung der Unannehmlichkeiten einer Flugunregelmäßigkeit eine Möglichkeit zur Alternativbeförderung organisiert. Das Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, die anderweitige Beförderung so anzubieten, dass auch sie dem Anwendungsbereich der VO (EG) 261/2004 unterfällt. Bei dem gewöhnlichen Lauf der Dinge kann das Luftfahrtunternehmen davon ausgehen, seine Fluggäste würden noch hinreichend rechtzeitig befördert. Der Fluggast ist dann im Rahmen des annullierten Flugs ausreichend behandelt worden. Wenn er nun zufällig auch im Rahmen der anderweitigen Beförderung einer Unregelmäßigkeit unterliegt, handelt es sich um einen neuen, gesondert zu prüfenden Haftungsfall mit dem Risiko, dass der Anwendungsbereich der Fluggastrechte-Verordnung nicht eröffnet ist.

cc) Das Gericht hat zur hier vorgenommenen Auslegung nicht den EuGH anzurufen, da es nicht letztinstanzlich entscheidet (Art. 267 AEUV).

b) Für die Verspätung des Fluges … ist die Beklagte nach dem Vorstehenden nicht passivlegitimiert.

Anspruchsverpflichtet aus Art. 6, Art. 7 VO (EG) 261/2004 analog ist das „ausführende Luftfahrtunternehmen“. Die Beklagte ist jedoch nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen des Fluges … gewesen. Das war vielmehr die Lufthansa.

aa) Ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nach Art. 2 lit. b VO (EG) 261/2004 ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt.

Aus der Differenzierung zwischen dem durchführenden Unternehmen und der Person, die eine Vertragsbeziehung zu dem Fluggast unterhält, geht hervor, dass der Anspruch nicht gegen das durch den Beförderungsvertrag verpflichtete Luftfahrtunternehmen zu richten ist, wenn dieses Unternehmen den Flug nicht selbst durchführt, sondern sich hierzu eines anderen Unternehmens bedient. Vielmehr ist das tatsächlich durchführende Unternehmen der richtige Anspruchsgegner (BGH NJW 2010, 1522). Entsprechendes gilt, wenn das tatsächlich durchführende Luftfahrtunternehmen wechselt und der Fluggast an der Durchführung eines ganz anderen Fluges teilnimmt.

Schon der Wortlaut der VO (EG) 261/2004 erlaubt und fordert danach eine eindeutige Auslegung dahingehend, dass es nur auf die tatsächliche Durchführung des Fluges ankommt.

bb) Auch die Systematik in der VO (EG) 261/2004 spricht klar gegen ein anderes Verständnis der Verordnung.

Die Verordnung sieht bei Flugunregelmäßigkeiten neben Ausgleichsleistungen auch die Unterstützungsleistungen nach Art. 8 und Art. 9 vor. Diese Unterstützungsleistungen umfassen unter anderem einen Rückflug zum ersten Abflugort oder eine anderweitige Beförderung zum Endziel sowie Mahlzeiten und Erfrischungen und die Hotelunterbringung einschließlich Transport. Für ein Luftfahrtunternehmen oder einen Reiseveranstalter, die für die Beförderung auf dem fraglichen Streckenabschnitt lediglich Vertragspartner sind, diese aber nicht tatsächlich erbringt, führt eine Auslegung, die nicht nur das tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen verpflichtet, zur teilweisen Unmöglichkeit der Erfüllung dieser Ansprüche (LG Köln BeckRS 2010, 00044).

cc) Schließlich mag auch noch Sinn und Zweck der Verordnung berücksichtigt werden.

Die Verordnung dient der Verstärkung des Schutzes der Fluggäste dadurch, dass ihnen Ausgleich für bei der Beförderung im Luftverkehr entstandene Schäden geleistet wird (EuGH EuZW 2009, 890 (892)). Es ist nun – wie oben – nicht ersichtlich, wieso für solche Schäden ein Luftfahrtunternehmen haften sollte, das mit der Ausführung der fraglichen Beförderung nicht betraut war und daher regelmäßig gar keinen Einfluss nehmen konnte auf die Vermeidung der die Unregelmäßigkeit begründenden tatsächlichen Umstände, mithin also gar keine schadensursächlichen Handlungen oder Unterlassungen begangen hat. Auch wenn das die Beförderung tatsächlich erbringende Unternehmen Erfüllungsgehilfe des Vertragspartners des Fluggastes beziehungsweise Erfüllungsgehilfe eines Erfüllungsgehilfen eines Reiseveranstalters war, hat im Flugverkehr aufgrund der komplexen technischen, logistischen und flugsicherheitsrelevanten Organisation eines Flugbetriebes der Vertragspartner des Erfüllungsgehilfen faktisch keine Einflussmöglichkeiten, um den Ablauf einer konkreten Flugbeförderung zu beeinflussen. Warum ihn dann die einschneidende Verpflichtung aus Art. 7 VO (EG) 261/2004, die einen pauschalisierten Schadensersatz darstellt und den Fluggast davon befreit, einen konkret messbaren Schaden darzulegen und zu beweisen, treffen sollte, vermag sich dem Gericht nicht zu erschließen.

Insbesondere ist eine allgemeine Haftungsherleitung über die Zurechnung des Verschuldens eines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB ausgeschlossen, denn in zahlreichen Fällen steht der Fluggast nicht in vertraglichen Beziehungen mit dem Luftfahrtunternehmen, sondern mit einem Dritten wie einem Reiseveranstalter. Das tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen mag dann in der Vertragsbeziehung zwischen Fluggast und Drittem der vertraglichen Verschuldenszurechnung unterliegen, nicht aber in dem vertraglosen Verhältnis zwischen Fluggast und Erfüllungsgehilfen des Dritten. Es müsste eine Differenzierung vorgenommen werden zwischen den Fluggästen, die einen Flug direkt bei einem Luftfahrtunternehmen gebucht haben, und den Fluggästen, die einen Anspruch auf Beförderung über den Vertrag mit einem Dritten erworben haben. Für solch eine Unterscheidung ist kein sachlicher Grund erkennbar.

dd) Der Fluggast erleidet hierdurch jedenfalls keinen Nachteil. Ihm bleibt das tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen aus der VO (EG) 261/2004 verpflichtet. Hinsichtlich seiner Vertragspartner bestehen zudem auch etwaige vertragliche Schadensersatz- und Minderungsansprüche fort (vgl. Art. 12 VO (EG) 261/2004).

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2. Ohne Hauptforderung bestehen auch keine Nebenforderungen.

II. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91Abs. 1 S. 1, § 100 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708Nr. 11, § 711 ZPO.

III. Streitwert: 1200 €.

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