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Versuch des Aufhaltens eines wegrollendes Fahrzeugs – Schadensersatzpflicht

OLG Köln – Az.: I-6 U 234/18 – Urteil vom 05.07.2019

1. Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das am 23.11.2018 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 19 O 156/14 – werden zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der 1986 geborene Kläger nimmt die Beklagte aufgrund eines Unfallereignisses am 16.10.2011 in A auf Schadensersatz in Anspruch.

Zum Unfallzeitpunkt bewohnte der Kläger zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin, der Zeugin B, im Haus D 2c, A die Wohnung im Erdgeschoss.

Am Unfalltag war der Kläger zeitlich vor der Zeugin B nach Hause zurückgekehrt. Er hielt sich in der gemeinsamen Wohnung auf, als er gegen 20.30 Uhr bemerkte, dass die Zeugin B mit dem von ihr geführten PKW C, amtl. Kennzeichen XX-X-000, welcher zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten haftpflichtversichert war, nach Hause zurückkehrte. Der Kläger begab sich zur Wohnungstür, um die Zeugin B zu begrüßen. Er trug offene E sandalen (Lichtbilder Anlage BLD3, Bl. 93 d. A.). Die Zeugin B stieg aus dem Fahrzeug aus. Nachdem sich beide begrüßt hatten, sprachen sie darüber, ob das Fahrzeug an einer anderen Stelle geparkt werden solle. Während dieses Gesprächs bemerkte der Kläger, dass der PKW C sich in Bewegung setzte und rückwärts den Hang hinunterzurollen begann. Er lief sofort hinter das Fahrzeug und versuchte, es dadurch aufzuhalten, dass er mit seinen Händen gegen das Heck des Fahrzeugs drückte. Dies gelang ihm jedoch nicht. Er geriet ins Straucheln und wurde von dem Fahrzeuggewicht niedergedrückt, so dass er rücklings zu Fall kam und von dem PKW überrollt und über eine Strecke von etwa 20 m mitgeschleift wurde. Der PKW kam schließlich etwa 33 m vom ursprünglichen Abstellort entfernt in einem Gebüsch zum Stehen. Auf der Rückrollstrecke des Wagens verstärkt sich das Gefälle von ca. 2,5 % am Abstellort bis auf maximal 14,5 %. Zur Veranschaulichung der örtlichen Verhältnisse wird auf die Lichtbilder 1-6 auf Bl. 101 f. der Beiakten StA Köln 77 Js 1490/11 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung auch des Senats gewesen sind. Der Kläger lag eingeklemmt unter dem zum Stehen gekommenen PKW, bis Rettungskräfte eintrafen und ihn befreiten. Er erlitt einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Zudem erlitt er eine Oberschenkelfraktur, eine Rippenserienfraktur mit Pneumothorax sowie Verbrennungen und Ablederungen am Bauch.

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Beklagte hafte ihm als Haftpflichtversicherin des unfallgegnerischen Fahrzeugs zu 100 % auf Schadensersatz. Er hat behauptet, die Zeugin B habe das Fahrzeug nicht ausreichend gegen Wegrollen gesichert, insbesondere die Handbremse nicht angezogen und keinen Gang eingelegt.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,- EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 8.645,69 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen; die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum 05/14 bis 10/15 monatlich jeweils zum 1. Schadensersatz i. H. v. 734,28 EUR zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte dazu verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 16.10.2011 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Träger der Sozialkassen gesetzlich übergegangen sind.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, das Fahrzeug sei im Unfallzeitpunkt nicht mehr im Sinne des § 7 StVG „in Betrieb“ gewesen. Jedenfalls sei die Haftung der Beklagten aber aufgrund groben Eigenverschuldens des Klägers, hinter welchem die Betriebsgefahr des Fahrzeugs zurücktrete, ausgeschlossen.

Versuch des Aufhaltens eines wegrollendes Fahrzeugs - Schadensersatzpflicht
(Symbolfoto: Georgy Dzyura/Shutterstock.com)

Nach Vernehmung der Zeugin B hat das Landgericht im Rahmen eines Grundurteils in Bezug auf die bezifferten Zahlungsanträge festgestellt, dass die Klage dem Grunde nach in Höhe von 30% begründet sei. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte dazu verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 16.10.2011 nach einer Haftungsquote von 30% zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Träger der Sozialkassen gesetzlich übergegangen sind. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Die Klage sei zulässig. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils nach § 304 ZPO lägen vor. Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bestehe nicht, weil das Landgericht auch über den Feststellungsantrag entschieden habe.

Die Beklagte hafte für die Schäden aus dem Unfallereignis vom 16.10.2011 dem Grunde nach mit einer Haftungsquote von 30 % gemäß § 7 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 9 StVG, § 254 BGB.

Die Voraussetzungen der Haftung nach § 7 StVG seien erfüllt. Der Unfall sei „bei dem Betrieb“ des Fahrzeugs erfolgt, weil nicht von einem ordnungsgemäßen Abstellen auszugehen sei. Die weiteren Voraussetzungen lägen ebenfalls vor, was das Landgericht weiter ausführt.

Der Anspruch des Klägers sei jedoch gemäß § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB gemindert, weil der Kläger selbst maßgeblich durch den Versuch, den PKW aufzuhalten, zu dem Unfall beigetragen habe.

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr des PKW und der Annahme, dass die Zeugin B den PKW nicht hinreichend gegen Wegrollen gesichert habe, führe zu einer Haftung der Beklagten nach einer Quote von 30%. Auch dies legt das Landgericht im Einzelnen dar.

Gegen diese Entscheidung, auf die gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wenden sich beide Parteien mit ihrer jeweiligen Berufung, soweit die Entscheidung für sie ungünstig ist.

Der Kläger ist der Auffassung, das Landgericht habe zwar erkannt, dass die Entscheidung für den Kläger eine Augenblicksentscheidung gewesen sei und die Zeugin B das Fahrzeug nicht ausreichend gegen Wegrollen gesichert habe. Es sei aber nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das Landgericht eine Mithaftungsquote von 70% angenommen habe. Die Augenblicksentscheidung des Klägers und das Verschulden der Zeugin B seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Dem Kläger werde vorgeworfen, die objektiven Umstände nicht so gewertet zu haben, dass er sich von einem Eingriff habe abhalten lassen. Es sei auch nicht entscheidend, dass der Kläger die letzte Ursache für den Unfall selbst gesetzt habe.

Es müsse berücksichtigt werden, dass das Fehlverhalten der Fahrerin die Betriebsgefahr massiv erhöht habe. Das Verschulden des Klägers überwiege das Verschulden der Fahrerin vor diesem Hintergrund nicht.

Die Entscheidung des Klägers sei auch nachvollziehbar, weil es sich um einen kompakten Kleinwagen gehandelt und das Gefälle im oberen Bereich der Auffahrt lediglich 2.5% betragen habe, zumal der Kläger ein kräftiger junger Mann gewesen sei.

Die Beklagte wendet sich gegen das Urteil, weil eine Haftung insgesamt nicht angenommen werden könne. Das Fahrzeug habe sich nicht in Betrieb befunden, nachdem es auf einem privaten Grundstück abgestellt worden sei. Jedenfalls greife die Ausnahmevorschrift des § 8 Nr. 2 StVG, so dass eine Haftung der Beklagten aus § 7 StVG ausscheide.

Schließlich sei das Mitverschulden des Klägers als derart überragend zu bewerten, dass eine Haftung der Beklagten ausscheide. Dies legt die Beklagte im Einzelnen dar. In diesem Zusammenhang müsse auch berücksichtigt werden, dass die Beklagte das Nichtabsichern des PKW gegen Wegrollen unter Beweisantritt bestritten habe. Das Landgericht hätte prüfen müssen, ob ein technischer Defekt für das Wegrollen verantwortlich gewesen sei.

Es habe auch weder ein Grund- noch ein Teilurteil erlassen werden dürfen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 12.10.2018 – 19 O 156/14 – den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz aufgrund des Unfallereignisses vom 16.11.2011 dem Grunde nach zu 100% für gerechtfertigt zu erklären sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 16.10.2011 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Träger der Sozialkassen gesetzlich übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Köln zum Az. 19 O 156/14, verkündet am 23.11.2018, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Parteien verteidigen das angefochtene Urteil, soweit es für sie günstig ist, unter Wiederholung und Vertiefung ihres jeweiligen erstinstanzlichen Vortrages.

II.

Die zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten sind unbegründet.

Auf die Ausführungen der sorgfältig begründeten Entscheidung des Landgerichts kann zur Vermeidung von Wiederholungen im Wesentlichen Bezug genommen werden. So ist das Landgericht mit Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass das Grund- und Teilurteil zulässig ist (dazu II 1). Die Annahme des Landgerichts, dass die Beklagte zu einem Schadensersatz in Höhe von 30% des entstandenen Schadens verpflichtet ist, ist ebenfalls nicht zu beanstanden (dazu II 2), auch wenn eine Haftung der Beklagten nach § 7 StVG ausscheidet. Im Einzelnen gilt folgendes:

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1. Das Grund- und Teilurteil des Landgerichts ist zulässig.

Gemäß § 304 Abs. 1 ZPO kann das Gericht über den Grund vorab entschieden, wenn der Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist. So liegt der Fall hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruchs bezogen sowohl auf den Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, als auch auf den Anspruch auf materiellen Schadensersatz.

Soweit das Landgericht darüber hinaus durch (Teil-) Urteil über den Anspruch auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten entschieden hat, ist auch dies nicht zu beanstanden.

Denn nach der Rechtsprechung des BGH kann ein umfassendes Grundurteil dann nicht ergehen, wenn der Kläger mit einer Leistungsklage auf bezifferten Schadensersatz zugleich den Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz eines weitergehenden Schadens verbunden hat, weil über einen Feststellungsantrag nicht durch Grundurteil entschieden werden kann. In dieser Konstellation ist daher zugleich durch (Teil-)Endurteil über den Feststellungsantrag zu entscheiden. Anderenfalls besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2009 – XII ZR 77/06, NJW 2009, 2814; Elzer in BeckOK ZPO, 31. Edition, § 304 Rn. 14 mwN).

Da das Landgericht vorliegend über den bezifferten materiellen sowie immateriellen Schadensersatzanspruch durch Grundurteil und hinsichtlich des Feststellungsanspruchs durch Teilurteil entschieden hat, besteht – wie dargelegt – die Gefahr widersprechender Entscheidungen nicht, so dass das Teilurteil gemäß § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO zulässig gewesen ist.

Soweit die Beklagte rügt, das Landgericht habe die Voraussetzungen des § 300 ZPO nicht geprüft, folgt hieraus nichts anderes. Nach § 300 ZPO entscheidet das Gericht durch Endurteil, wenn der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist. Diese Voraussetzungen lagen vor, wie sich aus den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung im Zusammenhang mit dem Erlass des Grundurteils ergibt.

Soweit einzelne Ansprüche des Klägers auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sind, ist dies für den Erlass des Grundurteils unerheblich, weil die Frage, welche Ansprüche im Einzelnen begründet sind, im Rahmen des Anspruchsgrunds nicht geprüft werden müssen (vgl. im Ergebnis ebenso, wenn auch ohne Begründung: OLG Hamm, Urteil vom 24.08.2018 – 7 U 23/18, juris; OLG München, Urteil vom 28.09.2018 – 10 U 4206/17, juris).

2. Die Berufung des Klägers und der Beklagten haben keinen Erfolg. Zwar ergibt sich ein Anspruch nicht aus §§ 7, 18 StVG, so dass eine Haftung der Beklagten aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeugs ausscheidet. Der Anspruch ergibt sich aber aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 115 VVG und ist aufgrund des überwiegenden Mitverschuldens des Klägers auf den ausgeurteilten Satz reduziert.

a) Ein Anspruch nach §§ 7, 18 StVG in Verbindung mit § 115 VVG besteht nicht.

aa) Allerdings hat das Landgericht mit Recht angenommen, dass sich der Unfall „bei dem Betrieb“ eines Kfz ereignet hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist im Hinblick auf den Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ weit zu fassen. Es ist nach der neueren und erweiterten Rechtsprechung des BGH (vgl. zur Änderung und Erweiterung der Rechtsprechung Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 7 Rn. 7) erfüllt, wenn das Schadensgeschehen durch die von dem Kfz ausgehende Gefahr mitgeprägt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.1994 – VI ZR 107/94, NVZ 1995, 19), also noch ein Bezug zum Verkehr besteht (vgl. Walter in BeckOGK, Stand 01.07.2018, § 7 Rn. 94). Solange das Kfz bei der Abwicklung des Verkehrs noch eine Gefahr darstellt, ist es in Betrieb, auch wenn es bereits länger abgestellt ist. Dies gilt unabhängig von der Verkehrsfläche. Erst wenn das Kfz ordnungsgemäß außerhalb der für die Abwicklung des Verkehrs bedeutsamen Flächen abgestellt ist, endet der Betrieb (vgl. Walter in BeckOGK aaO, § 7 Rn. 94 sowie 94.4).

Diese Grundsätze hat das Landgericht zutreffend und ausführlich dargelegt und angenommen, der Betrieb habe nicht geendet, weil das Wegrollen in einem engen Zusammenhang mit dem Betrieb stehe und das Fahrzeug nach dem Betrieb nicht ordnungsgemäß gegen Wegrollen gesichert gewesen sei. Dem ist nichts hinzuzufügen.

bb) Die Haftung nach §§ 7, 18 StVG ist gemäß § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen.

Nach § 8 Nr. 2 StVG gelten die Vorschriften des § 7 StVG nicht, wenn der Verletzte u. a. bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. § 8 Nr. 2 StVG erfasst Personen, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zum Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit, auch wenn sie nur aus Gefälligkeit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind. Der Sinn und Zweck des gesetzlichen Haftungsausschlusses besteht darin, dass der erhöhte Schutz des Gesetzes demjenigen nicht zuteilwerden soll, der sich durch seine Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs freiwillig aussetzt. Als Ausnahmevorschrift ist die Bestimmung des § 8 Nr. 2 StVG eng auszulegen. Für die Anwendung des § 8 Nr. 2 StVG kommt es nicht auf die Art der Tätigkeit zur Zeit eines Schadensfalls an, sofern sie nur der Förderung des Betriebs des Kfz dient. Doch setzt die Tätigkeit bei dem Betrieb eines Kfz im Allgemeinen eine gewisse Dauer voraus, wie sie beispielsweise der Fahrer im Verkehr ausübt. Fehlt es an einer Dauerbeziehung, wie es bei gelegentlichen Hilfeleistungen an dem Betriebe unbeteiligter Personen der Fall ist, so kann eine den Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG herbeiführende Tätigkeit nach Sinn und Zweck des Gesetzes nur angenommen werden, wenn sie in einer so nahen und unmittelbaren Beziehung zu den Triebkräften des Kfz steht, dass der Tätige nach der Art seiner Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kfz-Betriebs mehr ausgesetzt ist als die Allgemeinheit (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2010 – VI ZR 286/9, NJW 2011, 292).

So liegt der Fall hier. Der Kläger hat sich den Triebkräften des PKW bewusst ausgesetzt, indem er sich hinter das rollende Fahrzeug gestellt hat, um es aufzuhalten. Damit stand er in einer nahen und unmittelbaren Beziehung zu den Triebkräften des Fahrzeugs. Die Allgemeinheit war diesen Kräften nicht in gleichem Maß ausgesetzt (vgl. OLG Thüringen, Urteil vom 04.02.1999 – 1 U 425/98, NZV 1999, 331).

b) Der Kläger hat aber nach § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG einen Anspruch gegen die Beklagte. Dieser ist aufgrund des erheblichen Mitverschuldens des Klägers um 70% zu kürzen.

aa) Ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB ist dem Grunde nach anzunehmen. Die Zeugin B hat den Körper und die Gesundheit des Klägers widerrechtlich fahrlässig verletzt, so dass diese im Grundsatz zur Erstattung des Schadens verpflichtet ist.

Dass eine Verletzung des Körpers und der Gesundheit des Klägers erfolgte, ist – auch wenn der Umfang streitig ist – im Grundsatz unstreitig. Diese wurde durch die Zeugin B fahrlässig verursacht. Die Zeugin hat, was das Landgericht zutreffend angenommen hat, den PKW abgestellt und ihn nicht hinreichend gegen ein Wegrollen gesichert. Dies ergibt sich aus den Feststellungen des Landgerichts, an die der Senat gebunden ist. Denn das Berufungsgericht hat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (vgl. BGH, Urteil vom 24.02.2015 – X ZR 31/13, GRUR 2015, 768 Rn. 25; BGH, Urteil vom 05.05.2015 – XI ZR 326/14, NJW-RR 2015, 1200; BGH, Beschluss vom 11.06.2015 – I ZR 217/14, NJW-RR 2015, 944, jeweils mwN). Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Senats an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich unter anderem aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2014 – VI ZR 394/13, NJW 2014, 2797, mwN). Zweifel im Sinne der Regelung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen aber auch schon dann vor, wenn aus der für den Senat maßgeblichen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Ist dies der Fall, obliegt dem Senat nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO die Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsbegründung (vgl. BGH, NJW 2014, 2797). Dabei handelt es sich bei der Berufungsinstanz um eine zweite, wenn auch eingeschränkte Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht. Die Prüfungskompetenz des Senats hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen ist nicht auf Verfahrensfehler und damit in dem Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt (vgl. BGH, Urteil vom 22.12.2015 – VI ZR 67/15, NJW 2016, 713).

Nach diesen Grundsätzen hat der Senat weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen Zweifel an der Tatsachenfeststellung des Landgerichts. Soweit die Beklagte im Rahmen der Berufung erneut bestreitet, dass die Zeugin den PKW nicht hinreichend gegen ein Wegrollen sicherte, bleibt dieses Bestreiten unter Berücksichtigung ihres gesamten Vortrags unsubstantiiert und daher unbeachtlich. Insbesondere sind – was das Landgericht zutreffend und überzeugend ausgeführt hat – keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass das Gutachten des Sachverständigen F, was dieser im Auftrag der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Strafverfahrens gegen die Zeugin erstellt hat, unzutreffend sein könnte. Auch wenn es sich nicht um ein gerichtliches Sachverständigengutachten im Sinne des ZPO handelt, so liegt doch durch die Vorlage des Gutachtens ein substantiierter Parteivortrag vor, den die Beklagte ebenfalls substantiiert hätte bestreiten müssen. Allein der Vortrag, es könne auch ein technischer Defekt vorgelegen haben, genügt diesen Voraussetzungen nicht, nachdem für einen solchen – auch nach dem im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstellten Gutachten – sämtliche Anhaltspunkte fehlen.

Das Nichtsichern des PKW ist kausal für den Schaden. Zwar kann der Zurechnungszusammenhang durch ein Dazwischentreten eines Dritten unterbrochen werden, so dass eine Haftung nicht besteht (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2010 – VI ZR 286/09, NJW 2011, 292). Ein solcher Ausschluss ist indes nicht anzunehmen, weil der Versuch, einen rollenden PKW aufzuhalten, jedenfalls keine vollkommen untypische Reaktion auf die Situation ist.

Die Verletzung erfolgte rechtswidrig.

bb) Der Anspruch besteht wegen eines weit überwiegenden Mitverschuldens des Klägers nicht in voller Höhe.

Bei der Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB sind alle in Betracht kommenden Umstände vollständig zu berücksichtigen. Es darf nur schuldhaftes Verhalten verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist außerdem in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Die unter diesem Gesichtspunkt vorzunehmende Abwägung kann nur bei besonderen Fallgestaltungen zu dem Ergebnis führen, dass einer der Beteiligten allein für den Schaden aufkommen muss. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten ist aber unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2015 – VI ZR 206/14, NJW-RR 2015, 1056).

Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben. Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Minderung des Anspruchs des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (vgl. BGH, NJW-RR 2015, 1056, mwN).

Diese Grundsätze hat das Landgericht angewandt und ist – auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine Haftung aufgrund der Betriebsgefahr ausscheidet – zu einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach in Höhe von 30% gelangt. Dabei ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass die bei der Beklagten versicherte Lebensgefährtin des Klägers die erste Ursache für den späteren Schaden setzte, indem sie das Fahrzeug abstellte, ohne es gegen ein Wegrollen zu sichern. Es kommt hinzu, dass das Fahrzeug auf einem Gefälle stand, was der Lebensgefährtin auch bewusst gewesen sein muss. Es ist aber – was das Landgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat – auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger bewusst dafür entschied, sich einem unkontrolliert rollenden Fahrzeug entgegen zu stellen, um es aufzuhalten. Dies geschah ohne Not, weil unstreitig allenfalls ein geringer Sachschaden dadurch drohte, dass das Fahrzeug in eine Hecke gerollt wäre. Die Entscheidung, sich gegen das Fahrzeug zu stellen, erfolgte bewusst, obwohl dem Kläger auch bekannt gewesen sein musste, dass er lediglich E sandalen trug.

Dass das Vorhaben des Klägers aussichtslos war, hätte der Kläger erkennen müssen, nachdem das Fahrzeug sich gerade aufgrund der Steigung in Bewegung gesetzt hatte.

Vor diesem Hintergrund führt auch die Tatsache, dass der Kläger sich spontan und ohne weiteres Nachdenken dafür entscheid einzugreifen, zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat verkennt nicht, dass eine objektiv falsche Reaktion auf ein Unfallgeschehen aus verständlicher Bestürzung dann kein Mitverschulden begründen kann, wenn ein Verkehrsteilnehmer in einer ohne sein Verschulden und für ihn nicht voraussehbaren Gefahrensituation keine Zeit zu ruhiger Überlegung hatte. Diese Erwägungen gelten auch für einen Dritten, der nach einem Unfallgeschehen Hilfe leistet (vgl. BGH, NZV 2010, 609, mwN). In der genannten Entscheidung hat der BGH ausgeführt, dass sich ein Unfallhelfer in einer Situation befinden könne, in dem das Ausmaß der Gefährdung und der Hilfebedürftigkeit der einzelnen Unfallbeteiligten und anderer Verkehrsteilnehmer nicht sogleich zutreffend erkannt werden könne. Dieses sei in der dortigen Situation (Erforderlichkeit des Aufstellens eines Warndreiecks) schwer zu beurteilen gewesen, was der BGH im Einzelnen darlegt.

So lag der Fall vorliegend aber nicht. Vielmehr musste sich aufgrund der Masse des PKWs, der Tatsache, dass sich dieser selbstständig in Bewegung gesetzt hatte, und der Kenntnis der Örtlichkeit (größer werdendes Gefälle) für den Kläger aufdrängen, dass ein Aufhalten des PKWs durch ein Dagegenstemmen von hinten ausgeschlossen war. Weiter war die Gefahr für ihn erkennbar aus den gleichen Gründen erheblich. Er musste daher – auch unter Berücksichtigung der spontanen Entscheidung – davon Abstand nehmen, zu versuchen, den PKW zu stoppen. Die Spontanität der Entscheidung ist vor diesem Hintergrund in der Abwägung zu berücksichtigen und führt aus den weiteren genannten Gründen zu der entsprechenden Haftungsverteilung, nicht jedoch zu einem völligen Anspruchsausschluss.

cc) Die Beklagte haftet für die Verletzung des § 823 Abs. 1 BGB gemäß § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

Nicht erheblich ist, dass der Unfall auf einem Privatgelände stattfand (vgl. OLG Köln, Urteil vom 06.04.2017 – 3 U 111/15, RuS 2018, 320). Auch die Tatsache, dass sich der Anspruch aus § 823 BGB und nicht aus §§ 7, 18 StVG ergibt, führt zu keinem anderen Ergebnis (vgl. Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke aaO, § 115 VVG Rn. 14.).

3. Eine Entscheidung über die Kosten – auch der Berufung – bleibt dem Schlussurteil vorbehalten. Da das Urteil keinen vollstreckbaren Inhalt hat, kommt eine vorläufige Vollstreckbarkeit nicht in Betracht.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist die Revision zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Vielmehr beruht die Entscheidung auf der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie den Feststellungen des Senats und einer Abwägung der Mitverschuldensbeiträge im Einzelfall.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 133.315,73 EUR (39.994,72 EUR für die Berufung der Beklagten und 93.321,01 EUR für die Berufung des Klägers) festgesetzt.

 

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