Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 C 270/22 ➔
Übersicht:
- ✔ Kurz und knapp
- Vertragsanfechtung nach Inhaltsirrtum bei Cold-Call-Vertrag
- ✔ Der Fall vor dem Amtsgericht Lörrach
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen: Anfechtung von Verträgen bei Telefonverkäufen
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⬇ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Lörrach
✔ Kurz und knapp
- Fernmündlicher Vertragsschluss kann wirksam zustande kommen, wenn Essentialia Negotii (wesentliche Vertragsinhalte) geklärt sind.
- Audiomitschnitt des Telefonats ist als Beweis verwertbar, wenn Zustimmung des Gesprächspartners eingeholt wurde.
- Wirksamkeit der Anfechtung liegt vor, wenn Inhaltsirrtum kausal für Vertragsschluss war und unverzüglich nach Kenntnisnahme angefochten wurde.
- Bei Cold Calls ist Inhaltsirrtum über Vertragspartner häufig, da Gesprächssituation überrumpelt und Konzentration erschwert.
- Keine gesetzlichen Ansprüche der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung, da kein Vortrag zur Bereicherung erfolgte.
- Kosten der Klägerin gemäß § 91 ZPO, da sie im Rechtsstreit unterlegen ist.
Vertragsanfechtung nach Inhaltsirrtum bei Cold-Call-Vertrag
Vertragsabschlüsse am Telefon bergen oft rechtliche Fallstricke. Insbesondere bei sogenannten „Cold Calls“, also unerbetenen Verkaufsanrufen, kann es leicht zu Missverständnissen kommen. In solchen Situationen fühlen sich Verbraucher häufig überrumpelt und verstehen nicht immer genau, welcher Vertrag eigentlich zustande kommt. Dies kann dazu führen, dass Verbraucher unwissentlich Verträge abschließen, die sie so nie gewollt hätten.
Glücklicherweise sieht das Gesetz in solchen Fällen die Möglichkeit der Vertragsanfechtung vor. Entscheidend ist dabei, ob tatsächlich ein Irrtum über wesentliche Vertragsinhalte vorlag und ob dieser Irrtum für den Vertragsschluss ursächlich war. Das Gericht muss dann im Einzelfall sorgfältig prüfen, ob die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung erfüllt sind.
Im Folgenden wird ein aktuelles Gerichtsurteil zu diesem Thema vorgestellt und analysiert, um Klarheit über die rechtliche Bewertung solcher Fälle zu schaffen.
Lassen Sie sich rechtlich beraten
Fühlen Sie sich durch einen Cold-Call-Anruf überrumpelt und sind unsicher über die rechtliche Gültigkeit eines abgeschlossenen Vertrags? Unsere Experten stehen Ihnen zur Seite, um Ihre Situation zu klären und Ihnen den besten rechtlichen Weg aufzuzeigen. Fordern Sie jetzt eine unverbindliche Ersteinschätzung an und treffen Sie eine informierte Entscheidung, um Ihre rechtlichen Herausforderungen effektiv zu bewältigen.
✔ Der Fall vor dem Amtsgericht Lörrach
Vertragsstreit um Weboptimierung durch Cold-Call-Anruf
Im vorliegenden Fall geht es um einen Streit über die Vergütung aus einem Vertrag zur Optimierung der Webpräsenz. Die Klägerin, ein Unternehmen, das Dienstleistungen zur Optimierung von Online-Präsenzen anbietet, kontaktierte die Beklagte am 12. April 2021 telefonisch. Während dieses Cold-Call-Anrufs wurde über die Verbesserung der Online-Präsenz gesprochen. Der Geschäftsführer der Beklagten stimmte in einem anschließenden Gespräch den Vertragskonditionen zu, die dann auch auf einer Audiodatei festgehalten wurden.
Nachdem die Beklagte eine Rechnung erhalten hatte, wandte sie sich an ihren Anwalt, der am 21. April 2021 die Akte übernahm. Am 29. April 2021 erklärte der Anwalt der Beklagten die Anfechtung des Vertrags gegenüber der Klägerin. Die Klägerin argumentierte, dass der Vertrag wirksam zustande gekommen sei und die vereinbarte Vergütung geschuldet werde. Die Beklagte hingegen behauptete, dass der Vertrag sittenwidrig sei, da die erbrachte Leistung für sie wertlos sei und ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestünde. Zudem erklärte die Beklagte, dass sie einem Irrtum über den Vertragspartner unterlegen sei und daher den Vertrag wirksam angefochten habe.
Entscheidung des Amtsgerichts Lörrach
Das Amtsgericht Lörrach wies die Klage der Klägerin ab und entschied, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Der Vertrag wurde wirksam aufgrund eines Inhaltsirrtums angefochten. Zwischen den Parteien kam ein Vertrag zustande, was sich aus der Audioaufzeichnung ergab. Die Beklagte stimmte den Vertragskonditionen fernmündlich zu, was nach § 147 Abs. 1 S. 2 BGB zulässig ist.
Die Beklagte konnte erfolgreich darlegen, dass sie einem Inhaltsirrtum unterlegen war. Der Geschäftsführer der Beklagten ging davon aus, dass er einen Vertrag mit einem anderen Unternehmen abschließt, mit dem bereits eine Geschäftsbeziehung bestand. Diese Annahme beruhte auf den typischen Überrumpelungseffekten eines Cold-Call-Anrufs. Der Irrtum des Geschäftsführers wurde als glaubhaft und nachvollziehbar eingestuft. Zudem handelte die Beklagte unverzüglich nach Kenntnis des Irrtums und erklärte die Anfechtung rechtzeitig nach § 121 BGB.
Verwertbarkeit der Audioaufzeichnung
Ein zentraler Punkt in diesem Fall war die Verwertbarkeit der Audioaufzeichnung des Vertragsgesprächs. Das Gericht befand, dass die Aufzeichnung zulässig sei, da der Geschäftsführer der Beklagten der Aufnahme zugestimmt hatte. Die Aufzeichnung diente ausschließlich dem Vertragsschluss und beschränkte die Rechte der Beklagten nicht unzumutbar. Auch wenn die Beklagte argumentierte, dass die Aufzeichnung die Gesprächssituation verkürzt darstelle, erkannte das Gericht keinen Verstoß gegen ihre Rechte. Die Audioaufzeichnung enthielt alle wesentlichen Vertragsbestandteile, sodass keine Zweifel am Zustandekommen des Vertrags bestanden.
Gesetzliche Ansprüche der Klägerin
Die Klägerin konnte auch keine Ansprüche aus gesetzlichen Tatbeständen geltend machen. Für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670, 683, 677 BGB) oder ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 BGB) hätte die Klägerin konkret darlegen müssen, welche Aufwendungen sie hatte und inwiefern die Beklagte dadurch bereichert wurde. Da die Klägerin keine konkreten Erfolge der Weboptimierung nachweisen konnte und die Leistung möglicherweise wertlos war, blieb ihr auch dieser Weg versperrt.
Kostenentscheidung und vorläufige Vollstreckbarkeit
Das Gericht entschied, dass die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe, da sie unterlegen war. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhte auf § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO. Die Klägerin konnte die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistete.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Die Entscheidung zeigt, dass auch bei fernmündlichem Vertragsschluss die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums möglich ist, wenn der Irrtum auf den Überrumpelungseffekten eines Cold-Call-Anrufs beruht. Audioaufzeichnungen können als Beweismittel dienen, begründen aber keine gesetzlichen Ansprüche, wenn der Vertrag wirksam angefochten wurde. Unternehmen müssen bei telefonischer Akquise sorgfältig vorgehen und mit der Anfechtbarkeit rechnen, wenn der Kunde über die Identität des Vertragspartners getäuscht wurde.
✔ FAQ – Häufige Fragen: Anfechtung von Verträgen bei Telefonverkäufen
Wann können Verträge, die am Telefon geschlossen wurden, angefochten werden?
Verträge, die am Telefon geschlossen wurden, können unter bestimmten Umständen angefochten werden. Die Anfechtung eines Vertrags ist ein rechtliches Mittel, das es ermöglicht, einen Vertrag rückwirkend für nichtig zu erklären. Dies kann insbesondere dann relevant sein, wenn Verträge unter irreführenden Umständen oder durch Täuschung zustande gekommen sind. Im Folgenden werden die gängigsten Gründe für eine Anfechtung solcher Verträge erläutert.
Inhaltsirrtum
Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn eine Person bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war. Das bedeutet, dass der Erklärende zwar eine Erklärung abgibt, aber einen falschen Eindruck von der Bedeutung oder den Folgen dieser Erklärung hat. Bei Telefonverträgen könnte ein Inhaltsirrtum beispielsweise dann vorliegen, wenn der Angerufene irrtümlich annimmt, es handle sich um eine unverbindliche Information oder ein kostenloses Angebot, während tatsächlich ein kostenpflichtiger Vertrag geschlossen wird.
Arglistige Täuschung
Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Vertragspartner durch Vorspiegelung falscher Tatsachen oder durch das Verschweigen wichtiger Informationen zum Vertragsschluss bewegt wurde. Im Kontext von am Telefon geschlossenen Verträgen kann dies beispielsweise der Fall sein, wenn der Anrufer bewusst falsche Angaben macht, um den Angerufenen zum Abschluss eines Vertrags zu bewegen. Dies kann etwa bei Angeboten der Fall sein, die tatsächlich mit versteckten Kosten verbunden sind oder deren Konditionen wesentlich ungünstiger sind, als am Telefon dargestellt.
Widerrechtliche Drohung
Eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung kommt in Betracht, wenn der Vertragsschluss durch das Ausüben von Druck oder durch Drohungen erzwungen wurde. Zwar sind solche Fälle bei Telefonverträgen weniger häufig, dennoch ist es denkbar, dass ein Vertragsabschluss unter Androhung von Nachteilen oder unter Ausnutzung einer Zwangslage erfolgt.
Vorgehen bei der Anfechtung
Um einen am Telefon geschlossenen Vertrag anzufechten, muss die Anfechtung gegenüber dem Vertragspartner erklärt werden. Die Anfechtung muss unverzüglich nach Kenntnisnahme des Anfechtungsgrundes erfolgen, wobei das Gesetz eine Frist von grundsätzlich bis zu einem Jahr vorsieht, sofern die Anfechtung auf Täuschung oder Drohung beruht. Es ist ratsam, die Anfechtung schriftlich vorzunehmen und dabei den Grund der Anfechtung klar zu benennen. Im Falle einer arglistigen Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung kann zudem ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Vertragspartner bestehen.
Verträge, die am Telefon geschlossen wurden, können unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden, insbesondere bei Vorliegen eines Inhaltsirrtums, einer arglistigen Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung. Betroffene sollten bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines solchen Vertrags nicht zögern, rechtliche Schritte zu erwägen und gegebenenfalls eine Anfechtung zu erklären.
Welche Fristen gelten für die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums?
Die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums unterliegt strengen Fristen, die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt sind. Diese Fristen sind besonders wichtig, da sie sicherstellen, dass die betroffenen Parteien schnell handeln, um ihre Rechte zu wahren. Im Folgenden werden die relevanten Fristen und die damit verbundenen Rechtsfolgen erläutert.
Gesetzliche Fristen nach § 121 BGB
Gemäß § 121 Abs. 1 BGB muss die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums unverzüglich erfolgen. Unverzüglich bedeutet in diesem Zusammenhang „ohne schuldhaftes Zögern“. Die Frist beginnt, sobald der Anfechtungsberechtigte Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt hat. Das bedeutet, dass die betroffene Person ab dem Zeitpunkt, an dem sie den Irrtum bemerkt, schnellstmöglich handeln muss.
Beginn des Fristlaufs
Der Fristlauf beginnt mit der Kenntnisnahme des Anfechtungsgrundes. Das bloße Kennenmüssen des Irrtums reicht nicht aus; es muss tatsächliche Kenntnis vorliegen. Bei einem Inhaltsirrtum im Zusammenhang mit einem cold-call-Anruf könnte dies der Moment sein, in dem der Angerufene feststellt, dass er einen Vertrag abgeschlossen hat, dessen Inhalt er missverstanden hat.
Höchstfrist
Neben der unverzüglichen Anfechtungsfrist gibt es eine absolute Höchstfrist. Nach § 121 Abs. 2 BGB ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre vergangen sind. Diese Höchstfrist gilt unabhängig davon, wann der Anfechtungsberechtigte den Irrtum entdeckt hat.
Rechtsfolgen einer verspäteten Anfechtung
Wird die Anfechtung nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erklärt, ist sie unwirksam. Das bedeutet, dass der Vertrag weiterhin gültig bleibt und der Anfechtungsberechtigte an die vertraglichen Verpflichtungen gebunden ist. Eine verspätete Anfechtung kann nicht nachgeholt werden, und es besteht kein Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrags.
Zusammenfassung
- Unverzügliche Anfechtung: Die Anfechtung muss ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen (§ 121 Abs. 1 BGB).
- Höchstfrist: Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre vergangen sind (§ 121 Abs. 2 BGB).
- Rechtsfolgen bei Verspätung: Eine verspätete Anfechtung ist unwirksam, und der Vertrag bleibt bestehen.
Diese Fristen sind entscheidend, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Interessen beider Vertragsparteien zu schützen. Betroffene sollten daher bei der Entdeckung eines Irrtums schnell handeln, um ihre Anfechtungsrechte zu wahren.
Welche Rolle spielen Audioaufzeichnungen bei telefonisch geschlossenen Verträgen?
Audioaufzeichnungen können bei telefonisch geschlossenen Verträgen eine wichtige Rolle spielen, insbesondere wenn es um die Beweiskraft und die rechtliche Zulässigkeit solcher Aufnahmen geht. Im Folgenden werden die Voraussetzungen für die Verwertbarkeit von Audioaufnahmen, ihre mögliche Verwendung als Beweismittel im Prozess sowie die Grenzen ihrer Beweiskraft erläutert.
Voraussetzungen für die Verwertbarkeit von Audioaufnahmen
- Einwilligung des Gesprächspartners: Grundsätzlich ist es in Deutschland gemäß § 201 StGB strafbar, das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen ohne dessen Einwilligung aufzunehmen. Dies gilt auch für Telefonate. Eine Aufnahme ohne Einwilligung des Gesprächspartners ist daher in der Regel unzulässig und kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
- Ausnahmen bei Beweisnot: In bestimmten Ausnahmefällen kann eine heimliche Aufnahme dennoch zulässig sein, wenn eine Beweisnot besteht und keine andere Möglichkeit zur Beweissicherung vorhanden ist. Dies erfordert jedoch eine sorgfältige Abwägung der widerstreitenden Interessen und eine besondere Rechtfertigung, wie etwa die Verhinderung einer rechtswidrigen Tat.
Verwendung als Beweismittel im Prozess
- Zivilprozess: Im Zivilprozess kann eine heimliche Audioaufnahme unter bestimmten Umständen als Beweismittel zugelassen werden, wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung das Interesse am Schutz des gesprochenen Wortes überwiegt. Dies ist jedoch eine Einzelfallentscheidung und hängt von den konkreten Umständen des Falls ab.
- Strafprozess: Im Strafprozess sind heimliche Aufnahmen in der Regel nicht als Beweismittel zugelassen, es sei denn, es handelt sich um eine Ausnahme, bei der die Aufnahme zur Verhinderung einer Straftat oder zur Beweissicherung in einer Beweisnotlage gemacht wurde. Auch hier ist eine sorgfältige Abwägung erforderlich.
Grenzen der Beweiskraft
- Manipulationsgefahr: Digitale Audioaufnahmen können leicht manipuliert werden, was ihre Beweiskraft beeinträchtigen kann. Gerichte müssen daher die Authentizität und Integrität der Aufnahmen sorgfältig prüfen. Zweifel an der Echtheit der Aufnahme können zu einer geringeren Beweiskraft führen.
- Rechtliche Zulässigkeit: Selbst wenn eine Aufnahme authentisch ist, kann sie aufgrund der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Gesprächspartners unzulässig sein. Dies gilt insbesondere, wenn die Aufnahme ohne Einwilligung gemacht wurde und keine rechtfertigenden Umstände vorliegen.
Audioaufzeichnungen können bei telefonisch geschlossenen Verträgen eine wichtige Rolle spielen, insbesondere wenn es um die Beweissicherung geht. Ihre Verwertbarkeit als Beweismittel hängt jedoch von der Einwilligung des Gesprächspartners und den konkreten Umständen des Falls ab. Manipulationsgefahr und rechtliche Zulässigkeit sind wesentliche Faktoren, die die Beweiskraft solcher Aufnahmen beeinflussen. In jedem Fall ist eine sorgfältige rechtliche Prüfung erforderlich, um die Zulässigkeit und Beweiskraft von Audioaufnahmen zu bestimmen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 119 BGB (Inhaltsirrtum): Dieser Paragraph regelt die Anfechtbarkeit eines Vertrags bei einem Inhaltsirrtum. Im vorliegenden Fall ging der Geschäftsführer der Beklagten davon aus, mit einem anderen Unternehmen zu verhandeln. Aufgrund dieses Irrtums erklärte die Beklagte die Anfechtung des Vertrags.
- § 121 BGB (Anfechtungsfrist): Hier wird die Frist für die Anfechtung wegen Irrtums geregelt. Die Beklagte handelte unverzüglich nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes und erklärte die Anfechtung rechtzeitig.
- § 142 BGB (Wirkung der Anfechtung): Dieser Paragraph besagt, dass ein angefochtener Vertrag als von Anfang an nichtig gilt. Damit hatte die Klägerin keinen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung.
- § 147 Abs. 1 S. 2 BGB (Annahme eines Antrags): Bestimmt, dass ein Antrag in einem Telefonat sofort angenommen werden kann. Dies war relevant, da der Vertrag telefonisch geschlossen wurde.
- § 91 ZPO (Kostenentscheidung): Regelt, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Da die Klägerin unterlag, musste sie die Kosten tragen.
- § 708 Nr. 11 ZPO (Vollstreckbare Urteile): Dieser Paragraph betrifft die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils. Die Klägerin konnte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden.
- § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG (Unzumutbare Belästigungen): Verbot von unerbetenen Werbeanrufen ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung. Dies war relevant, da der Cold-Call-Anruf möglicherweise gegen diese Vorschrift verstieß.
- § 670 BGB (Aufwendungsersatz bei Geschäftsführung ohne Auftrag): Die Klägerin hätte einen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen haben können, wenn sie diese dargelegt hätte.
- § 683 BGB (Geschäftsführung im Interesse des Geschäftsherrn): Voraussetzung für einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 670 BGB.
- § 677 BGB (Pflichten des Geschäftsführers ohne Auftrag): Diese Pflichten wären zu berücksichtigen gewesen, wenn die Klägerin Aufwendungsersatz beansprucht hätte.
- § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Ungerechtfertigte Bereicherung): Anspruch auf Herausgabe des erlangten Vorteils. Die Klägerin konnte nicht darlegen, dass die Beklagte bereichert wurde.
⬇ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Lörrach
AG Lörrach – Az.: 3 C 270/22 – Urteil vom 30.06.2023
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.570,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Vergütung aus einem Vertrag zur Optimierung der Webpräsenz.
Die Beklagte wurde am 12.04.2021 von einem Mitarbeiter der Klägerin angerufen. Dabei wurde über die Optimierung der Online-Präsenz gesprochen. Nach einem Vorgespräche stimmte der Geschäftsführer der Beklagten der Aufnahme des Gesprächs zu. Dabei wurden die Vertragskonditionen aufgelistet, die der Geschäftsführer der Beklagten bejahte. Auf die Verschriftlichung der Audiodatei auf AS 75-76 wird verwiesen. Nachdem die Beklagte die Rechnung erhielt, wandte sie sich an den Prozessbevollmächtigten. Dieser legte die Akte am 21.04.2021 an. Mit Schriftsatz vom 29.04.2021 erklärte dieser die Anfechtung des Vertrags gegenüber der Klägerin.
Die Klägerin trägt vor, dass der Vertrag wirksam zustande gekommen sei und das Entgelt geschuldet sei. Soweit der Vertrag gekündigt worden sei, sei die Leistung bereits vollständig erbracht worden. Soweit ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe, fehle für eine Sittenwidrigkeit der Umstand, dass die Klägerin dies bewusst ausnutze.
Die Klägerin beantragt,
1. Die beklagte Partei wird verurteilt, an die klägerische Partei 3.570,00 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.05.2021 zu zahlen.
2. Die klägerische Partei von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Rechtsanwaltskanzlei H. in Höhe von 200,70 € freizustellen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass kein Vertrag zustande gekommen sei. Der Vertrag sei sittenwidrig, weil die Leistung für die Beklagte wertlos sei und damit ein auffälliges Missverhältnis bestehe und die Beklagte habe dies ausgenutzt. Die Beklagte unterlag einem Irrtum über den Vertragspartner und habe deshalb wirksam angefochten. Das aufgezeichnete Telefonat sei nicht verwertbar, da es die Gesprächssituation nur verkürzt darstelle und die Klägerin dies bewusst ausnutze.
Am 22.05.2023 fand mündliche Hauptverhandlung statt. Auf das Protokoll wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
A) Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Vertrag wurde wirksam wegen Irrtums angefochten und gesetzliche Ansprüche bestehen nicht.
I) Zwischen der Klägerin und der Beklagten kam ein Vertrag zustande, die Unternehmensdaten der Beklagten in das Firmenverzeichnis der Klägerin aufzunehmen.
Dies ergibt sich aus der Audioaufzeichnung. Der Inhalt wurde nicht bestritten. Er steht auch nicht im Widerspruch zur persönlichen Anhörung des Geschäftsführers S. Dieser gab an, dass die Aufzeichnung nur für den Vertragsschluss gemacht wurde, wozu er auch einwilligte. Er bestätigte auch, dass er in diesem Teil des Gesprächs alle Anfragen bejahte, wie es sich aus dem verschriftlichen Audiomitschnitt ergibt. Zweifel an dem Inhalt des Gesprächs gibt es deshalb nicht. Der Audiomitschnitt enthält auch die Essentialia Negotii für einen Vertragsschluss, nämlich die Leistung der Eintragung in das Firmenverzeichnis und die Gegenleistung in Höhe von 3.000 € plus Nebenleistungen. Der Vertrag konnte fernmündlich zustande kommen (§ 147 Abs. 1 S. 2 BGB; LG Kleve, Urteil vom 8. Juli 2016 – 5 S 97/15 –, juris; LG Bonn, Urteil vom 5. August 2014 – 8 S 46/14 –, juris).
Der Audiomitschnitt ist auch verwertbar. Damit werden die Rechte der Beklagten nicht unzumutbar beschränkt. Sie hat selbst der Aufnahme zugestimmt. Es ist auch erforderlich vorher die Zustimmung einzuholen, weshalb es immer ein Vorgespräch vor dem Audiomitschnitt gibt. Es ist auch nachvollziehbar, dass der Audiomitschnitt nur für den Vertragsschluss erfolgt und vorab die Konditionen besprochen werden, was nicht aufgenommen wird. Es ist nicht ersichtlich weshalb durch die Verwertung dieses Beweises die Rechte der Beklagten unzulässig verletzt werden.
II) Der Vertrag wurde wirksam durch die Anfechtungserklärung vom 29.04.2021 angefochten nach den §§ 119 Abs. 1; 121; 142 BGB.
1) Mit Schreiben vom 29.04.2021 wurde die Anfechtung ausdrücklich wegen Inhaltsirrtums gegenüber der Klägerin erklärt.
2) Die Beklagte hatte einen Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 1 BGB, weil sie unter einem Inhaltsirrtum litt. Der Geschäftsführer der Beklagten ging davon aus, dass sie einen Vertrag mit H. R. abschließt. Mit diesem Unternehmen war die Beklagte bereits in vertraglicher Beziehung. Er ging davon aus, dass der Vertrag auslaufen werde und eine Verlängerung vereinbart wird. Dass sich die Beklagte darüber im Irrtum befand, steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Geschäftsführer der Beklagten konnte glaubhaft über diesen Irrtum berichten. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass es sich um einen Cold-Call handelte. Für dieses ist es typisch sich überrumpelt zu fühlen und Ungenauigkeiten in den Aussagen falsch zu verstehen. Deshalb sind solche Tätigkeiten nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG verboten, wenn mit einer mutmaßlichen Einwilligung nicht zu rechnen ist. Da die Beklagte bereits unter H. R. unter Vertrag stand, war mit einer solchen mutmaßlichen Einwilligung nicht zu rechnen. Nach diesem Bild gab der Beklagtenvertreter an, dass er davon ausging, dass er mit dem Unternehmen H. R. spreche. Er berichtete glaubhaft, dass in dem Gespräch zunächst erwähnt wurde, dass er mit der H. R. spreche. Er erläuterte das Gespräch und gab die Gesprächsinteraktion wieder und gab dabei Unsicherheiten zu. Dies ist auch nachvollziehbar, da es über 2 Jahre zurück liegt. Er berichtete auch anschaulich davon, wie er die Rechnung von der Klägerin bekam und so überrascht war, dass er sofort den Prozessbevollmächtigten beauftragte. Auch dies weist darauf hin, dass er davor von einem Gespräch mit der H. R. ausging. Von dieser wusste er nämlich, dass er jährlich 350–400 € zahle. Er berichtete auch davon, dass es möglich sei, dass der Name der Klägerin genannt worden sei, dies aber im Gespräch untergegangen sei. Dies ist auch typisch für einen Cold-Call, da der Gesprächspartner nicht vorbereitet ist und sich deshalb nicht wie üblich darauf konzentrieren kann.
3) Der Irrtum war kausal für den Vertragsschluss. Die Beklagte ging davon aus, dass mit dem Vertragsschluss der bestehende Vertrag mit H. R. betroffen war und diese auch Vertragspartnerin war. Dies war aber nicht der Fall. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte in diesem Wissen nicht diesen Vertrag abgeschlossen hätte.
4) Die Beklagte hat die Anfechtungsfrist nach § 121 BGB eingehalten. Die Beklagte handelte unverzüglich, nachdem sie von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangte. Die Rechnung ist auf den 12.04.2021 datiert. Nach Erhalt beauftragte die Beklagte den Prozessbevollmächtigten am 21.04.2021. Diese hat die Anfechtungserklärung mit Schriftsatz vom 29.04.2021 erklärt. Damit handelte die Beklagte ohne schuldhaftes Zögern. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte kurz vor dem 21.04.2023 Kenntnis von der Rechnung erlangte und anschließend den Prozessbevollmächtigten beauftragte. Darin ist kein schuldhaftes Zögern zu sehen. Kein schuldhaftes Zögern des Anfechtungsberechtigten liegt in der Regel vor, wenn er vor der Anfechtung – in gebotener Eile – zunächst den Rat eines Rechtskundigen einholt (BeckOK BGB/Wendtland, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 121 Rn. 8). Genau so ist die Beklagte vorgegangen. Es ist auch nicht als schuldhafte Verzögerung anzusehen, dass der Prozessbevollmächtigte anschließend eine Woche benötigte, um die Anfechtung zu erklären. Auch dieser musste zunächst den Fall prüfen, da er noch andere Nichtigkeitsgründe in Erwägung zog wie § 138 BGB und 134 BGB. Eine kürzere Zeit war in diesem Vertragsverhältnis nicht angezeigt, weil nicht zu befürchten war, dass die Klägerin in diesem Zeitraum Dispositionen getroffen hat, die hätten vermieden werden können.
5) Nach § 142 BGB ist der Vertrag von Anfang an als nichtig anzusehen. Die Klägerin kann keinen Anspruch aus dem Vertrag geltend machen.
III) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus gesetzlichen Tatbeständen. Sie hat keinen Anspruch aus den §§ 670; 683; 677 BGB. Dafür hätte sie vortragen müssen, welche Aufwendungen sie hatte, die sie geltend machen würde. Für einen Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; 818 BGB hätte sie darlegen müssen, was die Beklagte erlangt hat. Es wurde nur geltend gemacht, dass Eintragungen stattgefunden haben. Inwiefern der Beklagte dadurch bereichert ist, wurde aber nicht vorgetragen. Nach Vortrag der Klägerin war gerade kein Erfolg der verbesserten Webpräsenz geschuldet. Es verbleibt also die Möglichkeit, dass die Leistung für die Beklagte wertlos war.
B) Die Klägerin hat nach § 91 ZPO die Kosten zu tragen, da sie dem Rechtsstreit unterlegen ist.
C) Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11; 711 ZPO.