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Viagra als Kassenleistung!

Sozialgericht Dortmund

Az: S 24 KN 81/01 KR

Urteil vom 26.07.2002


Leitsatz (vom Verfasser – nicht amtlich!):

Krankenkassen müssen ihren Versicherten zur Behandlung einer Erektionsschwäche das Arzneimittel Viagra als Sachleistung gewähren.


Sachverhalt:

Einem Versicherten war ärztlich bescheinigt worden, dass er als Folge einer Diabetes-Erkrankung seit über zwei Jahren an einer Erektionsschwäche leide. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für Viagra ab, weil dieses Medikament der Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz diene. Derartige Mittel seien nach den Arzneimittel-Richtlinien von der Verordnung ausgeschlossen.

Entscheidungsgründe:

Das Sozialgericht Dortmund gab der Klage des Versicherten gegen die Krankenkasse statt. Der Versicherte hat nach Ansicht der Richter einen gesetzlichen Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Der Ausschluss von Mitteln zur Behandlung der „erektiven Dysfunktion“ in den Arzneimittelrichtlinien ist nach Ansicht der Richter auf Grund des Verstoßes gegen übergeordnetes Gesetzesrecht unwirksam. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen darf nach Ansicht des SG Dortmund in seinen Richtlinien nicht generell Krankheiten von der vertragsärztlichen Behandlung ausschließen. Ein nach dem Sozialgesetzbuch bestehender Krankenbehandlungsanspruch kann nur durch den Gesetzgeber zurückgenommen werden.


In dem Rechtsstreit hat die 24. Kammer des Sozialgerichts Dortmund auf die mündliche Verhandlung Vom 26.07.2002 in Dortmund für Recht erkannt:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2001 verurteilt, dem Kläger das Arzneimittel Viagra nach Maßgabe vertragsärztlicher Verordnung als Sachleistung zu gewähren, süwie dem Kläger die Kosten für die Anschaffung des Arzneimittels Viagra gemäß Verordnung vom 13,02,2002 in Höhe von 55,01 Euro nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere unter Berücksichtigung des gesetzlichen Eigenanteils, zu erstatten.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers werden der Beklagten auferlegt.

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung des Arzneimittels Viagra wegen einer erektilen Dysfunktion.

Der Kläger beantragte am 22,11.2000 unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung des Internisten Dr. die Kostenübernahme für das Medikament Sildenafil (Viagra), In der Bescheinigung von Dr. vom 28,10.2000 wurde ausgeführt, dass bei dem Kläger als Folge einer Diabetes-Erkrankung seit über 2 Jahren eine Erektionsschwäche bestünde.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 23.1,1,2000 die Gewährung von Viagra ab, Zur Begründung führte sie aus, dass nach Ziffer 17,1 f der Arzneimittel-Richtlinien Arzneimittel nicht Verordnungsfähig seien, die der Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz dienten.

Hiergegen erhob der Kläger am 12,12,2000 Widerspruch und nahm auf Urteile des Bundessozialgerichts und der Sozialgerichte Lüneburg, Hannover und Stuttgart Bezug, Er führte aus, dass die Sozialgerichte die Erstattungsfähigkeit von Viagra durch die gesetzliche Krankenversicherung festgestellt hätten.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 06.03.2001 zurück und führte zur Begründung aus, dass nach Ziffer 17,1 f der Arzneimittel-Richtlinien das hier begehrte Medikament von der Verordnung ausgeschlossen sei, Das zitierte Urteil des Bundessozialgerichts beziehe sich auf die Kostenübernahme der Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT).

Hiergegen hat der Kläger am 30.03.2001 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, er habe gemäß § 31 SGB V Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln. Er übersendet Bescheinigungen des Internisten Dr. und der Urologen Dres. Weiterhin reicht er ein privatärztliches Rezept von Dr. vom 13.02.2002 über die Verordnung von Viagra in Höhe von 55,01 Euro ein.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2001 zu verurteilen, ihm das Arzneimittel Viagra nach Maßgabe vertragsärztlicher Verordnung als Sachleistung zu gewähren, sowie ihm die Kosten für die Anschaffung des Arzneimittels Viagra gemäß Verordnung vom 13.02.2002-in Höhe von 55,01 Euro nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere unter Berücksichtigung des gesetzlichen Eigenanteils, zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Sie trägt vor, dass auch das ergangene Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.09.1999 (B 8 KN 9/98 KR R) eine andere Rechtsauffassung in Bezug auf die Kosten-Übernahme des Arzneimittels Viagra nicht herbei führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten.

Diese Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet,

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Absatz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert Zu Unrecht hat die Beklagte dem Kläger die Gewährung des Arzneimitteis Viagra versagt.

Gemäß § 27 Absatz 1 Satz 1 des fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) hat der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf die Gewährung des Arzneimittels Viagra als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, Versicherte haben gemäß § 27 Absatz 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

Die bei dem Kläger bestehende erektile Dysfuriktion ist eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, Jedenfalls im Alter des Kläger von zur Zeit 51 Jahren gehört die Erektionsfähigkeit zum Leitbild des gesunden Mannes. Dass bei dem Kläger erektile Dysfunktion besteht folgt plausibel aus den vorgelegten Bescheinigungen von Dr. und Dres. , wonach bei dem Kläger infolge einer Diabetes-Erkrankung eine Erektionsschwäche besteht. Durch die Behandlung mit dem Arzneimittel Viagra kann jedenfalls eine Linderung der Krankheitsbeschwerden im Sinne von § 27 SGB V erreicht werden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Sachleistungsanspruch des Klägers nicht entgegen, dass der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkasse Mittel zur Behandlung erektilen Dysfunktion von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß Nr. 17.1 f der Arzneimittelrichtlinien ausgeschlossen hat. Der Kläger hat einen aus §§ 27, 31 Absatz 1 SGB V folgenden gesetzlichen Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, welcher auch nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen ist. Dieser gesetzlich bestehende Anspruch des Klägers wird auch nicht nach Nr, 17.1 f der Arzneimittelrichtlinien wirksam ausgeschlossen. Durch die nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Richtlinien – wie die Arzneimittelrichtlinien kann ein nach vorrangigem Recht – hier gemäß §§ 27, 31 SGB V * bestehender Anspruch des Versicherten nicht ausgeschlossen oder verkürzt werden (vergleiche Maaßen/Schermer, SGB V, § 92 Rd. Nr, 4). Der Ausschluß von Mitteln zur Behandlung der erektiven Dysfunktion in Nr, 17.1 f der Arzneimittelrichtlinien ist rechtlich unwirksam. Zwar kommt den vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkasse ersteilten Richtlinien Normqualität in dem Sinne zu, dass sie nicht nur innerhalb des leistungserbringer-, sondern auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997, SozR 3-2500 § 92 Nr. 7). ‚Als untergesetzliche Rechtsnormen sind die Arzneimittelrichtlinien jedoch nur dann wirksam, wenn sie mit übergeordneten Recht im Einklang stehen (vgl. BSG, Urteil vom 30,09.1999, SozR 3-2500 § 27 Mr. 11}. Der Ausschluß von Mitteln zur Behandlung der erektiven Dysfunktion nach Nr. 17.1 f der Arzneimittelrichtlinien steht nicht mit der Ermächtigungsgrundlage des § 92 Absatz 1 Satz 1 SGB V im Einklang. Nach dieser Vorschrift beschließen die Bundesausschüsse die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien, über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten. Aus dieser Vorschrift folgt lediglich die Befugnis des Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten Gewähr zu leisten, nicht aber die Befugnis generell Krankheiten von der vertragsärztlichen Behandlung auszuschließen. Ein nach den Gesetz grundsätzlich bestehender Anspruch kann nur durch dert Gesetzgeber ausgeschlossen werden (vgl. insoweit SG Hannover, Urteil vom 16.11.1999, S 2 KR 485/99; SG Lüneburg, Urteil vom 28.02.2000, S 9 KR 94/99}. Zu diesem Ergebnis ist auch bereits das Bundessozialgericht im Urteil vom 30.09.1999, B 8 KN 9/9B KR R SozR 3-2500, § 27 Nr. 11) gelangt. Die Wirtschaftlichkeit der Verordnung und Versorgung mit Mitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion ist durch den Bundesausschuß nicht konkretisierungsfähig (vgl. BSG aaO; Zuck, MZS 1999, 167, 172. Dies gilt sowohl für die am 03.08.1998 beschlossene Nr. 17.1 f der Arzneimittelrichtlinien als auch für die zuvor geltende Vorschrift (vgl. BSG aaO), Denn wahrend die frühere Fassung der Arzneimittel-Richtlinien in IMr. 17.1 f lediglich Mittel ausschloss, die ausschließlich der Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz dienen sollten, ist der Bundesausschuß am 03.08.1998 noch weiter gegangen und hat generell die Behandlung der erektiven Dysfunktion ausgeschlossen, im Übrigen ist auch unerheblich, dass die Entscheidung des BSG vom 30.09.1999, B 8 KN 9/98 KR R, zu SKAT und nicht zu Viagra ergangen ist Denn entscheidungserheblich ist allein, dass Nr. 17,1 f der Arzneimittel-Richtlinien unwirksam ist.

Da der Ausschluß von Mitteln zur Behandlung der erektiven Dysfunktion in den Arzneimittel-Richtlinien unwirksam ist, hat der Kläger gemäß §§ 27, 31 SGB V: Jemen Anspruch auf Versorgung, mit Viagra als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß den gesetzlichen Bestimmungen.

Der Anspruch auf Erstattung der Kosten für das Arzneimittel Viagra gemäß Verordnung vom 13,02.2002 in Höhe von 55,01 Euro folgt aus § 13 Absatz 3 SGB V.

Wie bereits ausgeführt hat die Beklagte die Gewährung von Viagra zu Unrecht abgelehnt, Dadurch sind dem Kläger Kosten im Sinne von § 13 Absatz 3 Satz 1 SGB V in Höhe von 55,01 Euro entstanden. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten zu erstatten, die bei rechtmäßiger Gewährung als Sachleistung entstanden wären.

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