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VOB-Vertrag – Aufrechnung oder Zurückbehaltungsrecht gegen Sicherheitseinbehaltsauszahlungsanspruch

LG München I, Az.: 24 O 24859/13, Urteil vom 14.05.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 225.277,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.10.2013 zu bezahlen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin vorab die durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts München II entstandenen Kosten zu tragen; die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 225.277,42 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht die Rückzahlung des von der Beklagten vorgenommenen Sicherheitseinbehalts in Höhe von 225.277,42 EUR geltend.

Die Parteien verbindet ein Generalunternehmervertrag. Aufgrund dieses Vertrages war die Klägerin verpflichtet, für die Beklagte die erforderlichen Leistungen zum schlüsselfertigen Neu- und Umbau der ehemaligen Textilwerke in Tutzing mit einer Tiefgarage mit 31 Stellplätzen sowie 18 Stellplätzen im Freien zu erbringen. Die Geltung der VOB/B war vereinbart.

Der am 23.05.2011 unterzeichnete Vertrag (Anlage K 1) regelt u. a. Folgendes:

§ 9 Sicherheitsleistungen

9.1 Nach Ablauf der in § 11.3 vereinbarten fünfjährigen Gewährleistungsfrist ist der AG verpflichtet, auf die Rechte aus diesen Bürgschaften zu verzichten.

9.2 Die Bürgschaften der technischen Gewerke (Heizung/Sanitär/Elektro) werden dem AG mit 5% der jeweiligen Auftragssumme ebenso direkt übergeben wie die Bürgschaft der Aufzugsanlagen mit seinen besonderen Vertragsgrundlagen und Gewährleistungen, da diese abhängig von der Wartung und Pflege sind. Um diese Summe vermindert sich die Gewährleistungssumme aus dem Pauschalvertrag.

9.3 Aufgrund der steuerlichen Gegebenheiten müssen die Gebäudeteile einzeln vergeben werden und damit auch die jeweiligen Bürgschaften. Aufstellung der Bürgschaftssummen siehe getrenntes Beiblatt.

Bürgschaft 1 Tiefgarage: 37.375,85 EUR

Bürgschaft 2 Sudhaus: 61.084,78 EUR

Bürgschaft 3 Sockelgeschoss: 24.270,60 EUR

Bürgschaft 4 Mittelbau u. Rest: 106.993,70 EUR

__________

Bürgschaft insgesamt: 229.724,93 EUR

Die Bürgschaftssumme beträgt jeweils 4,34 % der Nettoauftragssumme und wird durch Banken oder Bürgschaftsversicherungen abgelöst.

Weitere vertragliche Absprachen im Hinblick auf seitens der Klägerin zu leistende Sicherheiten existieren nicht.

Die Klägerin erbrachte die geschuldete Werkleistung teilweise. Die Beklagte leistete Abschlagszahlungen in Höhe von brutto 5.644.710,97 €.

Im Zuge der Bauabwicklung kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien. Nachdem die Klägerin die Stellung einer Sicherheitsleistung gemäß § 648 a BGB verlangt hatte und die Beklagte diesem Verlangen nicht nachgekommen war, kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 08.03.2013 das Vertragsverhältnis (Anlage K 10).

Die Klägerin stellte unter dem 06.05.2013 ihre Schlussrechnung (Anlage K 11), die mit einem offenen Zahlbetrag von brutto 535.484,70 € endet. In diesem Betrag ist der von der Beklagten vorgenommene Gewährleistungseinbehalt in Höhe von insgesamt 225.277,42 € enthalten welcher Gegenstand der hiesigen Klage ist.

Die nach § 9.3 des GU-Vertrages vorgesehenen Bürgschaften wurden von der Klägerin ordnungsgemäß geleistet, von der Beklagten aber zeitnah binnen ein bis zwei Wochen zurückgegeben.

Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 22.07.2013 setzte diese der Beklagten eine Nachfrist für den Nachweis der vertragsentsprechenden Anlegung des vorgenommenen Sicherheitseinbehalts bis zum 02.08.2013 (Anlage K 12). Die Beklagte ließ diese Frist jedoch fruchtlos verstreichen.

Die Klägerin behauptet, dass das von ihr erstellte Gewerk zumindest teilweise am 31.12.2011 durch die Beklagte abgenommen worden sei. Im Übrigen sei es frei von wesentlichen Mängeln und damit zumindest abnahmereif.

Die Klägerin beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 225.277,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte behauptet, die Abrechnung der Klägerin sei falsch und unberechtigt. Im Übrigen habe die Klägerin die Leistungen nur unvollständig erbracht. Eine Abnahme sei bisher nicht erfolgt. Das Gewerk der Klägerin sei aufgrund wesentlicher Mängel auch nicht abnahmereif.

Nach dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des Sachverständigen … sei von einem Aufwand für die Fertigstellung des Bauvorhabens von 725.962,10 EUR auszugehen. Vertraglich geschuldete Bestands- und Revisionspläne seien nicht vorgelegt worden. Der Sachverständige … schätze die Kosten für deren Erstellung auf rund 50.000,- EUR. Außerdem habe die Klägerin die Tiefgaragenabfahrt vertragswidrig erstellt. Nach den Ausführungen des Ingenieurbüros Mittelmeier sei ein Aufwand von 250.000,- EUR erforderlich, um den behaupteten Mangel zu beseitigen.

Die Beklagte macht insoweit ein Zurückbehaltungsrecht aufgrund der behaupteten Mängeln am Gewerk der Klägerin geltend. Insgesamt gehe sie derzeit von Mängelbeseitigungskosten in Höhe von ca. 300.000,- EUR aus.

Schließlich hat die Beklagte die Aufrechnung erklärt mit behaupteten Gegenansprüchen.

Zum einen ist die Beklagte der Auffassung, dass sie einen Anspruch auf Rückforderung in Höhe von 323.038,80 EUR wegen Überzahlung habe. Dieser berechne sich aus der vereinbarten Pauschalvergütung gemäß GU-Vertrag abzüglich der von der Beklagten unstreitig geleisteten Abschlagszahlungen und eines Betrags in Höhe von 863.894,90 EUR brutto wegen nicht erbrachter Restleistungen.

Zum anderen ist sie der Auffassung, dass ihr ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 264.652,50 EUR gemäß § 6.3 des GU-Vertrages wegen Überschreitung des Fertigstellungstermins durch die Klägerin zustehe.

Die Klägerin vertritt insoweit die Ansicht, dass die Beklagte gegen ihren Anspruch auf Rückzahlung des getätigten Sicherheitseinbehalts weder mit den von ihr geltend gemachten Gegenforderungen aufrechnen noch ein Zurückbehaltungsrecht erheben könne.

Mit Schriftsatz vom 03.09.2013 hat der Prozessvertreter der Klägerin zunächst Klage eingereicht beim LG München II. Aufgrund Verweisungsantrages des Klägervertreters vom 06.11.2013 hat sich das LG München II mit Beschluss vom 11.11.2013 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München I verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt vorgelegten Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.03.2014 sowie die beigezogenen Akten des Landgerichts München I, Az. 8 O 22116/13, welche zum Gegenstand des hiesigen Verfahrens gemacht wurden, Bezug genommen.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte, nicht nachgelassene Schriftsätze blieben gemäß § 296a ZPO unberücksichtigt, soweit sie nicht lediglich Rechtsausführungen enthalten. Es gab keinen Anlass, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf sofortige Auszahlung des vorgenommenen Sicherheitseinbehalts in Höhe von 225.277,42 EUR aus § 17 Abs. 6 Nr. 3 S. 2 VOB/B.

a) Unter § 2.1.13 haben die Parteien die Geltung der VOB/B im Rahmen des Abschlusses des GU-Vertrages vom 23.05.2011 (Anlage K1) wirksam vereinbart. Nach § 2.2 des GU-Vertrages soll im Hinblick auf die unter § 2.1 aufgeführten Vertragsbestandteile die dort vorgegebene Rangfolge gelten. Die zwischen den Parteien in dem GU-Vertrag getroffenen Absprachen, welche nach § 2.1.1 des GU-Vertrages ebenfalls für das Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gelten sollen, genießen somit Vorrang vor den Regelungen der VOB/B.

b) In § 9 des GU-Vertrages haben die Parteien die Sicherheitsleistungen für Gewährleistungsrechte der Beklagten durch Stellung von Bürgschaften geregelt.

Der Wortlaut des § 9.1 GU-Vertrag ist zunächst klärungsbedürftig, da von „diesen Bürgschaften“ gesprochen wird. Weder im vorherigen, noch im nachfolgenden Vertragstext ist jedoch von Bürgschaften die Rede, auf welche sich die Formulierung in § 9.1 GU-Vertrag beziehen könnte. Aus dem Regelungsgehalt der Vorschrift ergibt sich jedoch, dass es sich hierbei um Bürgschaften zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen der Beklagten handeln muss, da der Auftraggeber verpflichtet wird, nach Ablauf der fünfjährigen Gewährleistungsfrist auf die Rechte aus diesen Bürgschaften zu verzichten.

c) Zwar ist in § 9 GU-Vertrag ausdrücklich nur von Sicherheitsleistungen durch Stellung von Bürgschaften die Rede. Diese Klausel muss jedoch dahingehend ausgelegt werden, dass sie die Verpflichtung des Auftraggebers zur Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto nach § 17 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B nicht ausschließt.

Zwar handelt es sich bei § 17 VOB/B nach allgemeiner Auffassung um disponibles Recht. Allerdings enthält § 9 des GU-Vertrages keine objektiven Anhaltspunkte dahingehend, dass die Verpflichtung zur Einzahlung auf ein Sperrkonto gemäß § 17 Abs. 6 Nr. 1 VOB/B abbedungen werden sollte.

 

Diese Auslegung des GU-Vertrages steht auch nicht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern knüpft vielmehr an diese an.

Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 16.05.2005 (VII ZR 494/00) und 23.06.2005 (VII ZR 277/04) eine vorrangig vor der VOB/B geltende Klausel, die die Ablösung des Gewährleistungseinbehalts durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern vorsah, dahingehend ausgelegt, dass sowohl die Wahl anderer Austauschsicherheiten nach § 17 Abs. 3 VOB/B als auch die Verpflichtung des Auftraggebers zur Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto nach § 17 Abs. 6 VOB/B ausgeschlossen sind.

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In seiner Entscheidung vom 10.11.2005 (VII ZR 11/04) führt der Senat jedoch Folgendes aus: „Maßgebend hierfür war, dass das Austauschrecht des Auftragnehmers auf die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern beschränkt war. Eine derartige Bürgschaft ermöglicht es dem Auftraggeber, sich ähnlich wie bei dem Zugriff auf ein Bardepot rasch und unkompliziert liquide Mittel zu verschaffen. Nur eine solche, dem Bareinbehalt vergleichbare Sicherheit sollte nach der Klausel den Einbehalt ersetzen können. Das rechtfertige den Schluss, dass andere Austauschsicherheiten, die einen derartigen raschen Zugriff auf Bargeld nicht gestatten, auch auf die Pflicht des Auftraggebers zur Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto ausgeschlossen sein sollen. Eine vergleichbare Interessenlage ist im vorliegenden Fall, in welchem eine Ablösung durch eine nicht auf erstes Anfordern zu zahlende Bürgschaft vorgesehen ist, nicht gegeben.

Die Kammer folgt dieser Argumentation im vorliegenden Fall. Bei der in § 9 GU-Vertrag vorgesehenen Bürgschaft handelt es sich nicht um eine solche auf erstes Anfordern. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern stellt eine besondere Form der Gewährleistungsbürgschaft dar. Sie hätte somit einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Ferner handelt es sich auch bei den von der Klägerin an die Beklagte übergebenen Bürgschaften lediglich um selbstschuldnerische Gewährleistungsbürgschaften (Anlagen K 14-17). Die Beklagte hat schließlich zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dass vertraglich die Sicherheitsleistung durch Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern vereinbart war.

Im Übrigen handelt es sich bei § 9 des GU-Vertrages um eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten. Dies wurde von den Parteien in der mündlichen Verhandlung am 19.03.2014 unstreitig gestellt. Nach § 305 c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen somit zu Lasten des Verwenders. Bereits deshalb kann mangels objektiver Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, dass mit der Regelung des § 9 GU-Vertrag die Möglichkeit der Klägerin, Sicherheit durch Gewährung eines Einbehalts zu leisten und ihr daran anschließendes Recht, auf Einzahlung des einbehaltenen Betrages auf ein Sperrkonto, abbedungen werden sollte.

d) Die Klägerin hatte der Beklagten mit Schreiben ihres Prozessvertreters vom 22.07.2013 (Anlage K 12) ausdrücklich eine Nachfrist zur Einzahlung des Sicherheitseinbehalts auf ein Sperrkonto gesetzt. Die Beklagte ließ diese Frist jedoch fruchtlos verstreichen. Ihr Recht auf Sicherheit hat sie damit verloren.

2. Der Anspruch der Klägerin auf Auszahlung des Sicherheitseinbehalts ist auch nicht durch Aufrechnung nach § 389 BGB ex tune erloschen.

a) Eine Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen GU-Vertrages unter besonderer Berücksichtigung des § 9 ergibt, dass eine Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch wegen Überzahlung bzw. einem Anspruch auf Vertragsstrafe wegen Bauzeitüberschreitung ausgeschlossen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung enthalten die §§ 157, 242 BGB den Grundsatz, dass einer Partei die Aufrechnung über die gesetzlich oder vertraglich ausdrücklich geregelten Fälle dann versagt ist, wenn dies nach dem besonderen Inhalt des zwischen den Parteien begründeten Schuldverhältnisses als stillschweigend vereinbart angesehen werden muss oder die Natur der Rechtsbeziehung oder der Zweck der geschuldeten Leistung eine Erfüllung im Wege der Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lassen (BGH, 24.06.1985, III ZR 219/83; BGH, 22.03.2011, II ZR 271/08).

Das OLG Dresden führt in seiner Entscheidung vom 28.09.2000 (19 U 888/00) hierzu Folgendes aus:

Ist bei einem Bauvertrag ein Gewährleistungseinbehalt vereinbart, besteht die Sicherungsabrede darin, dass der Gewährleistungseinbehalt ausschließlich der Sicherung der Gewährleistungsansprüche aus demselben Bauvertrag dient. Der Auftraggeber ist daher nach Treu und Glauben gehindert, gegen den Anspruch auf Auszahlung des Gewährleistungseinbehalts mit Vorschussansprüchen für Mängelbeseitigungskosten betreffend eines anderen Bauvorhabens aufzurechnen.

Zwar hat die Beklagte im vorliegenden Fall die Aufrechnung nicht im Hinblick auf Ansprüche aus anderen Bauvorhaben erklärt. Sowohl der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch wegen Überzahlung als auch der Anspruch auf Vertragsstrafe wegen Bauzeitverzögerung finden ihre Grundlage in dem streitgegenständlichen Bauvorhaben.

Aus § 9 GU-Vertrag ergibt sich jedoch zweifelsfrei, dass die dort vorgesehene Stellung von Bürgschaften zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen dienen sollte. Eine Absicherung potentieller Ansprüche aufgrund einer Überzahlung der Klägerin bzw. aufgrund einer verwirkten Vertragsstrafe durch die Stellung besonderer Sicherheiten war zwischen den Parteien weder ausdrücklich vereinbart, noch lassen sich Anhaltspunkte für eine stillschweigende Vereinbarung dahingehend finden. Würde man im vorliegenden Fall eine Aufrechnung mit Ansprüchen aufgrund von Überzahlung bzw. Bauzeitverzögerung zulassen, könnte die Beklagte im Ergebnis einseitig die getroffene Sicherungsabrede erweitern. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Auftragnehmer im Fall des sich ausweitenden Sicherungsumfangs nicht mehr absehen kann, zu welchem Zeitpunkt der vorgenommene Sicherheitseinbehalt tatsächlich zur Auszahlung gelangen wird.

Der Einbehalt wird nämlich nicht mehr mit Ablauf der vertraglich vereinbarten Gewährleistungsfrist fällig, sondern zu einem unbestimmten Zeitpunkt. Letztlich führt dies immer dann zu einer Erhöhung des Sicherheitseinbehalts, wenn die Gewährleistungsansprüche niedriger ausfallen als die Summe der ausgereichten Bürgschaften. Dies kann – unabhängig vom konkreten Einzelfall – nicht hingenommen werden (so auch OLG Düsseldorf, 23.02.2007, 22 U 115/06).

Schließlich besteht der Sinn und Zweck des § 17 Abs. 6 Nr. 3 S. 2 VOB/B in der insolvenzfesten Sicherung des vom Auftragnehmer bereits durch seine Leistung verdienten, jedoch nur aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung einbehaltenen Teils seiner Werklohnvergütung. Würde man es dem Auftraggeber unter diesen Umständen gestatten, mit streitigen Gegenforderungen gleich welchen Ursprungs aufzurechnen, würde man dem Auftragnehmer auch insofern das Insolvenzrisiko auferlegen. Hätte der Auftraggeber den Sicherheitseinbehalt vertragsgemäß auf ein Sperrkonto einbezahlt, so hätte ihm eine Sicherheit für die von ihm behaupteten Gegenansprüche zur Verfügung gestanden. Würde man jedoch dem sich vertragswidrig verhaltenden Auftraggeber ein Aufrechnungsrecht zugestehen, stünde dieser besser als der VOB/B-konform agierende Vertragspartner (Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 3. Aufl., § 17 VOB/B Rn 213).

b) Es kann im vorliegenden Fall somit dahinstehen, ob die Beklagte gegen die Klägerin einen Rückzahlungsanspruch wegen Überzahlung bzw. einen Anspruch auf Vertragsstrafe wegen Bauzeitüberschreitung hat, da eine Aufrechnung mit derartigen Ansprüchen ohnehin nach §§ 157, 242 BGB ausgeschlossen wäre.

3. Die Beklagte kann sich gegenüber dem Auszahlungsanspruch der Klägerin aus § 17 Abs. 6 Nr. 3 S. 2 VOB/B auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen Baumängeln berufen.

a) Der Auftragnehmer, welcher gegen die Vorschrift des § 17 Abs. 6 Nr. 1 S. 3 VOB/B verstößt, verhält sich in doppelter Weise vertragsbrüchig. Zum einen hat er den vorgenommenen Gewährleistungseinbehalt nicht auf ein Sperrkonto eingezahlt, zum anderen hat er die ihm gesetzte Nachfrist fruchtlos verstreichen lassen. Die Vorschrift des § 17 Abs. 6 Nr. 3 S. 2 VOB/B soll ein derartiges Verhalten sanktionieren. Der Sanktionscharakter dieser Regelung lässt sich auch daraus entnehmen, dass der Auftragnehmer fortan keine Sicherheit mehr zu leisten braucht. Dem Strafzweck würde es jedoch entgegenstehen, wenn der Auftraggeber gegen den „sofortigen“ Auszahlungsanspruch des Auftragnehmers Zurückbehaltungsrechte geltend machen könnte (im Ergebnis so auch … VOB, 3. Aufl., § 17 VOB/B Rn 213; Beck’scher Online-Kommentar VOB/B, § 17 Abs. 6 Rn 33).

Dies gilt unabhängig davon, ob Mängelbeseitigungsansprüche des Auftraggebers bereits bestehen. Der Auftraggeber müsste sonst aufgrund der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechtes den zunächst als Gewährleistungssicherheit einbehaltenen Betrag nicht an den Auftragnehmer auszahlen, was dem Sinn und Zweck des § 17 Abs. 6 Nr. 3 S. 2 VOB/B widersprechen würde (LG Berlin BauR 2002, 969).

Das OLG Celle führt in seiner Entscheidung vom 20.02.2002 (7 U 59/01) in diesem Zusammenhang Folgendes aus:

„Gegenüber dem Auszahlungsanspruch der Klägerin aus § 17 Nr. 7 i. V. m. Nr. 6 Abs. 3 Satz 2 VOB/B kann sich die Beklagte schließlich nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen vermeintlich bestehender Mängel des Bauwerks berufen. (…) Denn § 17 Nr. 6 Abs. 3 Satz 2 VOB/B sieht als Folge der unterbliebenen Einzahlung auf ein Sperrkonto lediglich vor, dass der Auszahlungsanspruch des Auftragnehmers sofort fällig wird. Zugleich wird in dieser Regelung aber bestimmt, dass der Auftragnehmer keine Sicherheit in Bezug auf Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers mehr zu leisten hat. Dies bedeutet, dass es dem Auftraggeber verwehrt ist, gegenüber dem Auszahlungsanspruch des Auftragnehmers ein Leistungsverweigerungsrecht nach §§ 320, 641 Abs. 3 BGB wegen Mängel am Bauwerk einzuwenden. Anderenfalls würde es Sinn und Zweck der Regelung des § 17 Nr. 6 Abs. 3 VOB/B zuwiderlaufen, wenn der Auftraggeber die Auszahlung des Sicherheitseinbehalts wegen Werksmängel verweigern könnte.“

Dieser Argumentation folgt die Kammer uneingeschränkt.

b) Es kann im vorliegenden Fall somit dahinstehen, ob die von der Beklagten behaupteten Mängel tatsächlich bestehen, da die Beklagte sie ohnehin nicht im Wege eines Zurückbehaltungsrechtes geltend machen könnte.

4. Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 2 BGB. Die Klage wurde am 02.10.2013 zugestellt.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 281Abs. 3 S. 2, 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

III. Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt.

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