Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Gerichtsurteil: Vollstreckungsschutz bei Suizidgefahr und Gesundheitsrisiken
- Der Fall vor Gericht
- Räumungsklage trotz Suizidandrohung: Gericht weist Vollstreckungsschutzantrag zurück
- Hintergrund des Falls: Langjähriger Mieter mit gesundheitlichen Problemen
- Gerichtliche Prüfung und psychiatrisches Gutachten
- Abwägung der widerstreitenden Interessen
- Entscheidung: Keine Einstellung der Zwangsvollstreckung
- Bedeutung der Entscheidung für die Rechtspraxis
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen eine Zwangsräumung zu wehren?
- Unter welchen Umständen kann Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden?
- Welche Rolle spielt die gesundheitliche Situation des Schuldners bei der Entscheidung über Vollstreckungsschutz?
- Welche Nachweise sind erforderlich, um eine akute Suizidgefahr glaubhaft zu machen?
- Gibt es Präzedenzfälle, die bei ähnlichen gesundheitlichen Problemen Vollstreckungsschutz gewährt haben?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Schuldner wehrte sich gegen die Räumung seiner Wohnung und beantragte Räumungsschutz.
- Das Amtsgericht lehnte den Antrag des Schuldners auf Räumungsschutz ab, da keine akute Suizidgefahr festgestellt wurde.
- Ein Sachverständigengutachten ergab, dass keine aktuellen suizidalen Neigungen bestehen.
- Das Gericht entschied, dass die schutzwürdigen Interessen des Gläubigers überwiegen.
- Der Schuldner argumentierte, dass eine Räumung zu seinem Suizid führen könnte.
- Das Gericht folgte jedoch der Einschätzung des Gutachtens und sah keine unmittelbare Gefahr.
- Der Schuldner legte diverse ärztliche Unterlagen und Abschiedsbriefe vor, um seine Suizidgefahr zu belegen.
- Das Gericht blieb bei seiner Entscheidung, dass eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht gerechtfertigt sei.
- Das Gericht betonte, dass Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, hingenommen werden müssen.
- Die sofortige Beschwerde des Schuldners wurde daher abgewiesen.
Gerichtsurteil: Vollstreckungsschutz bei Suizidgefahr und Gesundheitsrisiken
Die Vollstreckung eines Gerichtsurteils stellt in vielen Fällen eine notwendige Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit dar. Doch was passiert, wenn die Vollstreckung eines Urteils die Gesundheit oder gar das Leben einer Person gefährdet? Besonders relevant wird diese Frage, wenn es um Menschen mit Suizidgefahr, im hohen Alter, mit chronischen Krankheiten oder körperlichen oder psychischen Gebrechen geht.
In diesen Situationen kann sich die Frage stellen, ob die Vollstreckung eines Urteils mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit vereinbar ist. Der Schutz des Einzelnen vor unverhältnismässigen Belastungen gewinnt hier an Bedeutung und stellt das Gericht vor eine schwierige Abwägung zwischen dem Rechtsstaatsprinzip und der individuellen Schutzbedürftigkeit.
Im Folgenden wird ein aktuelles Gerichtsurteil vorgestellt, das sich mit diesem komplexen Thema befasst und richtungsweisende Entscheidungen zur Vollstreckungsschutz bei Suizidgefahr, Alter, Krankheit, körperlichen oder psychischen Gebrechen trifft.
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Der Fall vor Gericht
Räumungsklage trotz Suizidandrohung: Gericht weist Vollstreckungsschutzantrag zurück
Das Landgericht Heilbronn hat in einem bemerkenswerten Beschluss vom 22. Januar 2024 den Antrag eines Mieters auf Vollstreckungsschutz gegen eine Räumungsklage zurückgewiesen, obwohl dieser mit Suizid gedroht hatte. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die komplexe Abwägung zwischen Mieter- und Vermieterinteressen bei Räumungsklagen.
Hintergrund des Falls: Langjähriger Mieter mit gesundheitlichen Problemen
Der betroffene Mieter bewohnte seit November 2007, also seit über 16 Jahren, eine Zweizimmerwohnung in Heilbronn. Er leidet unter verschiedenen körperlichen und psychischen Erkrankungen, darunter Diabetes, chronische Schmerzen und eine depressive Störung. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen ist er in Pflegegrad 1 eingestuft und hat einen Grad der Behinderung von 90.
Im April 2022 erwirkte der Vermieter ein rechtskräftiges Räumungsurteil gegen den Mieter. Daraufhin stellte dieser mehrfach Anträge auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO, in denen er ankündigte, sich im Falle einer Zwangsräumung das Leben zu nehmen. Er legte dem Gericht sogar ein Foto vor, auf dem er ein Fläschchen mit einem tödlichen Medikament in der Hand hielt.
Gerichtliche Prüfung und psychiatrisches Gutachten
Das Gericht ordnete zur Klärung der Suizidgefahr ein psychiatrisches Gutachten an. Der Sachverständige diagnostizierte beim Mieter eine leichte bis mittelgradige depressive Episode, stellte aber keine akute Suizidgefahr fest. Zwar sei die geäußerte Suizidabsicht ernst zu nehmen, sie beruhe aber eher auf einem „Bilanzieren“ als auf einer schweren Depression.
Kritisch bewertete das Gericht, dass der Mieter sich jahrelang geweigert hatte, seine Depression behandeln zu lassen. Erst im Oktober 2023, kurz vor der gerichtlichen Anhörung, ließ er sich eine Überweisung zum Psychiater ausstellen. Ob er tatsächlich einen Termin wahrnahm, blieb unklar.
Abwägung der widerstreitenden Interessen
Bei der rechtlichen Würdigung wog das Landgericht die Interessen beider Parteien sorgfältig ab:
Für den Mieter sprachen seine erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen und die lange Wohndauer. Das Gericht erkannte an, dass eine Räumung für ihn eine besondere Härte darstellen würde.
Auf Seiten des Vermieters standen dessen Eigentumsrechte und der Anspruch auf Vollstreckung des rechtskräftigen Räumungsurteils. Das Gericht betonte, dass diese grundrechtlich geschützten Positionen nicht leichtfertig eingeschränkt werden dürften.
Entscheidung: Keine Einstellung der Zwangsvollstreckung
Im Ergebnis lehnte das Landgericht den beantragten Vollstreckungsschutz ab. Ausschlaggebend war, dass der Mieter aus Sicht des Gerichts seine Suiziddrohung instrumentalisierte, um eine dauerhafte Einstellung der Zwangsvollstreckung zu erzwingen. Dies wertete das Gericht als rechtsmissbräuchlich.
Die Richter kritisierten, dass der Mieter über Jahre hinweg keine ernsthaften Anstrengungen unternommen hatte, seine Depression behandeln zu lassen oder sich um eine Ersatzwohnung zu bemühen. Stattdessen habe er bewusst das Risiko einer Selbsttötung aufrechterhalten, um Druck auf Gericht und Vermieter auszuüben.
Bedeutung der Entscheidung für die Rechtspraxis
Der Beschluss verdeutlicht die schwierige Gratwanderung der Gerichte bei Räumungsklagen mit Suizidandrohung. Einerseits muss eine ernsthafte Gefährdung des Mieters ausgeschlossen werden. Andererseits darf die bloße Ankündigung einer Selbsttötung nicht automatisch zur dauerhaften Blockade einer Räumung führen.
Die Entscheidung zeigt, dass Gerichte in solchen Fällen sehr genau prüfen, ob der Mieter selbst Anstrengungen unternimmt, um die Gefahr für Leib und Leben zu reduzieren – etwa durch psychiatrische Behandlung oder intensive Wohnungssuche. Fehlt es daran, kann dies zu Lasten des Mieters gewertet werden.
Die Schlüsselerkenntnisse
Diese Entscheidung verdeutlicht, dass eine Suizidandrohung allein nicht ausreicht, um einen Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO zu rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Mieter ernsthafte Anstrengungen unternimmt, seine Situation zu verbessern. Die instrumentelle Nutzung einer Suiziddrohung, um Druck auf Gericht und Vermieter auszuüben, kann als rechtsmissbräuchlich gewertet werden und den Schutzanspruch des Mieters untergraben. Gerichte müssen hier eine sorgfältige Abwägung zwischen den Interessen beider Parteien vornehmen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie mit einer Zwangsräumung konfrontiert sind und gesundheitliche Probleme oder Suizidgedanken haben, ist es wichtig zu wissen, dass eine Suizidandrohung allein nicht ausreicht, um die Vollstreckung dauerhaft zu verhindern. Das Gericht erwartet, dass Sie aktiv Schritte unternehmen, um Ihre Situation zu verbessern. Dazu gehört die Suche nach einer psychiatrischen Behandlung, wenn Sie unter Depressionen leiden, sowie ernsthafte Bemühungen um Ersatzwohnraum. Dokumentieren Sie all Ihre Anstrengungen sorgfältig. Wenn Sie zeigen können, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, um die Risiken für Ihre Gesundheit zu minimieren, erhöhen Sie Ihre Chancen auf einen temporären Vollstreckungsschutz. Suchen Sie in jedem Fall professionelle rechtliche und medizinische Hilfe.
FAQ – Häufige Fragen
Wer kennt das nicht? Ein Gerichtsurteil liegt vor, doch die Situation ist komplex und gleichzeitig bedrohlich für die eigene Gesundheit. Welche Möglichkeiten gibt es, die Vollstreckung des Urteils zu verhindern? Unsere FAQ-Rubrik gibt Ihnen Antworten zum Thema Vollstreckungsschutz bei gesundheitsgefährdenden Situationen.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen eine Zwangsräumung zu wehren?
- Unter welchen Umständen kann Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden?
- Welche Rolle spielt die gesundheitliche Situation des Schuldners bei der Entscheidung über Vollstreckungsschutz?
- Welche Nachweise sind erforderlich, um eine akute Suizidgefahr glaubhaft zu machen?
- Gibt es Präzedenzfälle, die bei ähnlichen gesundheitlichen Problemen Vollstreckungsschutz gewährt haben?
Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen eine Zwangsräumung zu wehren?
Bei einer drohenden Zwangsräumung stehen Mietern verschiedene rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, um sich dagegen zu wehren oder zumindest Zeit zu gewinnen. Eine wichtige Option ist die Beantragung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO. Hierbei kann das Gericht dem Mieter eine angemessene Frist gewähren, um die Wohnung zu räumen. Diese Frist darf insgesamt nicht länger als ein Jahr betragen und soll dem Mieter die Möglichkeit geben, eine neue Unterkunft zu finden.
Ein weiteres wichtiges Instrument ist der Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO. Dieser kommt in Betracht, wenn die Zwangsräumung für den Mieter eine besondere Härte darstellen würde, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Besonders schwerwiegende gesundheitliche Probleme, hohes Alter oder eine akute Notsituation können Gründe für die Gewährung von Vollstreckungsschutz sein. Das Gericht hat hierbei einen Ermessensspielraum und muss die Interessen beider Parteien gegeneinander abwägen.
Mieter können auch versuchen, die Räumungsklage selbst abzuwehren, indem sie die Wirksamkeit der Kündigung anfechten. Hierfür müssen sie innerhalb der gesetzlichen Fristen Widerspruch gegen die Kündigung einlegen und gegebenenfalls vor Gericht die Gründe darlegen, warum die Kündigung unwirksam sein soll. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn formelle Fehler bei der Kündigung vorliegen oder die Kündigungsgründe nicht ausreichend sind.
In bestimmten Fällen, insbesondere bei fristloser Kündigung wegen Zahlungsverzugs, gibt es eine gesetzliche Schonfrist. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage kann der Mieter durch vollständige Begleichung der Mietschulden die Kündigung unwirksam machen. Diese Regelung soll Mietern die Möglichkeit geben, ihr Mietverhältnis trotz vorübergehender finanzieller Schwierigkeiten zu retten.
Es ist auch möglich, einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu stellen. Dies kann sinnvoll sein, wenn der Mieter gute Aussichten hat, im Hauptsacheverfahren zu obsiegen, oder wenn die sofortige Räumung unverhältnismäßige Nachteile mit sich bringen würde. Das Gericht prüft in diesem Fall, ob die Interessen des Mieters am vorläufigen Verbleib in der Wohnung die Interessen des Vermieters an der schnellen Räumung überwiegen.
In Fällen, in denen besondere persönliche Umstände vorliegen, kann ein Antrag auf Räumungsschutz gestellt werden. Dies betrifft insbesondere Situationen, in denen eine akute Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens durch die Zwangsräumung droht. Gerichte berücksichtigen hier beispielsweise schwere Erkrankungen, eine nachgewiesene Suizidgefahr oder extreme psychische Belastungen, die durch den erzwungenen Wohnungswechsel entstehen könnten.
Es ist wichtig zu betonen, dass all diese rechtlichen Möglichkeiten in der Regel nur aufschiebende Wirkung haben und eine Zwangsräumung letztendlich nicht dauerhaft verhindern können, wenn der Räumungstitel rechtmäßig ist. Sie verschaffen dem Mieter jedoch wertvolle Zeit, um alternative Wohnmöglichkeiten zu finden oder seine persönliche Situation zu stabilisieren. Die Erfolgsaussichten hängen stark vom Einzelfall ab und erfordern oft eine sorgfältige Abwägung der individuellen Umstände durch das Gericht.
Unter welchen Umständen kann Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden?
Der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO stellt eine Ausnahmevorschrift dar, die nur unter sehr engen Voraussetzungen zur Anwendung kommt. Das Gericht kann eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme für den Schuldner eine besondere Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.
Eine solche sittenwidrige Härte liegt nur in ganz besonderen Ausnahmesituationen vor. Das Gericht muss dabei eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen des Gläubigers an der Durchsetzung seines Anspruchs und den Interessen des Schuldners vornehmen. Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls entscheidend.
Typische Fälle, in denen Gerichte Vollstreckungsschutz gewähren, sind etwa akute Suizidgefahr des Schuldners oder schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen, die durch die Vollstreckungsmaßnahme erheblich verschlimmert würden. Auch hohes Alter in Verbindung mit Gebrechlichkeit kann in bestimmten Konstellationen einen Vollstreckungsschutz rechtfertigen.
Wichtig ist, dass allgemeine Härten, die mit jeder Zwangsvollstreckung einhergehen, nicht ausreichen. Der Verlust der Wohnung oder finanzielle Schwierigkeiten allein begründen in der Regel keinen Anspruch auf Vollstreckungsschutz. Es müssen vielmehr außergewöhnliche Umstände hinzukommen, die die Vollstreckung im konkreten Fall als sittenwidrig erscheinen lassen.
Bei der Prüfung berücksichtigen Gerichte auch, ob der Schuldner die Härte selbst verschuldet hat oder ob er zumutbare Anstrengungen unternommen hat, um die Situation abzuwenden. Ein Vollstreckungsschutz wird eher gewährt, wenn die Notlage unverschuldet eingetreten ist.
In Räumungssachen gelten besondere Fristen: Der Antrag auf Vollstreckungsschutz muss spätestens zwei Wochen vor dem Räumungstermin gestellt werden, es sei denn, die Gründe sind erst später entstanden oder der Schuldner war unverschuldet an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert.
Die Hürden für einen erfolgreichen Vollstreckungsschutzantrag sind hoch. Gerichte legen § 765a ZPO sehr restriktiv aus, um den Grundsatz der Gläubigerbefriedigung nicht auszuhöhlen. In der Praxis wird Vollstreckungsschutz daher nur in wenigen, besonders gravierenden Fällen gewährt.
Es ist zu beachten, dass der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO nur subsidiär greift. Das bedeutet, er kommt erst zur Anwendung, wenn andere gesetzliche Schutzvorschriften ausgeschöpft sind oder nicht zur Anwendung kommen. Der Schuldner muss also zunächst andere Rechtsbehelfe ausschöpfen, bevor er sich auf § 765a ZPO berufen kann.
Die Entscheidung über den Vollstreckungsschutz trifft das zuständige Vollstreckungsgericht. Dieses hat bei seiner Entscheidung keinen Ermessensspielraum. Wenn die engen Voraussetzungen des § 765a ZPO vorliegen, muss das Gericht Vollstreckungsschutz gewähren. Umgekehrt darf es keinen Schutz gewähren, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Welche Rolle spielt die gesundheitliche Situation des Schuldners bei der Entscheidung über Vollstreckungsschutz?
Die gesundheitliche Situation des Schuldners spielt eine bedeutende Rolle bei der Entscheidung über Vollstreckungsschutz. Gerichte berücksichtigen den Gesundheitszustand als wichtigen Faktor, um die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit von Vollstreckungsmaßnahmen zu beurteilen.
Schwerwiegende Erkrankungen oder Behinderungen können ein triftiger Grund sein, Vollstreckungsschutz zu gewähren. Dies gilt insbesondere, wenn die Vollstreckung die Gesundheit des Schuldners erheblich gefährden oder verschlechtern würde. Beispielsweise könnte bei einer Person mit Herzerkrankung der durch eine Zwangsräumung verursachte Stress als unzumutbare Belastung gewertet werden.
Auch psychische Erkrankungen finden Berücksichtigung. Leidet ein Schuldner etwa unter einer schweren Depression oder Angststörung, kann dies als Argument für einen Vollstreckungsaufschub dienen. Die Gerichte prüfen dabei, ob die Vollstreckung eine unverhältnismäßige psychische Belastung darstellen und möglicherweise den Gesundheitszustand weiter verschlechtern würde.
Bei der Bewertung der gesundheitlichen Situation spielen ärztliche Atteste und Gutachten eine zentrale Rolle. Diese müssen detailliert den aktuellen Gesundheitszustand des Schuldners beschreiben und darlegen, welche konkreten Auswirkungen die Vollstreckung auf die Gesundheit haben könnte. Je fundierter und spezifischer diese Nachweise sind, desto eher werden sie von den Gerichten als entscheidungsrelevant anerkannt.
Die Gerichte wägen stets zwischen den Interessen des Gläubigers auf Durchsetzung seines Anspruchs und dem Schutz der Gesundheit des Schuldners ab. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine vorübergehende Erkrankung, die bald ausheilen wird, rechtfertigt in der Regel keinen langfristigen Vollstreckungsschutz. Anders verhält es sich bei chronischen oder lebensbedrohlichen Erkrankungen, die eine dauerhafte Beeinträchtigung darstellen.
In Fällen, in denen eine akute Suizidgefahr besteht, nehmen Gerichte besondere Rücksicht. Hier kann der Schutz des Lebens Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen des Gläubigers haben. Allerdings muss die Suizidgefahr durch fachärztliche Gutachten glaubhaft gemacht werden und in direktem Zusammenhang mit der drohenden Vollstreckung stehen.
Das Alter des Schuldners in Verbindung mit seinem Gesundheitszustand kann ebenfalls eine Rolle spielen. Bei älteren Menschen mit altersbedingten Gebrechen prüfen Gerichte besonders sorgfältig, ob Vollstreckungsmaßnahmen eine unzumutbare Härte darstellen würden.
Es ist wichtig zu betonen, dass die gesundheitliche Situation des Schuldners nicht automatisch zu einem Vollstreckungsschutz führt. Vielmehr wird jeder Fall individuell betrachtet. Die Gerichte prüfen, ob alternative Maßnahmen möglich sind, die sowohl den Interessen des Gläubigers als auch dem Gesundheitsschutz des Schuldners gerecht werden. Dies könnte beispielsweise ein zeitlich begrenzter Aufschub der Vollstreckung sein, um dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, sich gesundheitlich zu stabilisieren.
In der Praxis müssen Schuldner ihre gesundheitliche Beeinträchtigung frühzeitig und umfassend im Verfahren geltend machen. Je früher und detaillierter die gesundheitlichen Probleme dargelegt werden, desto eher können sie in der gerichtlichen Entscheidung Berücksichtigung finden.
Gerichte berücksichtigen auch, ob die gesundheitliche Situation des Schuldners die Fähigkeit zur Erfüllung der Schuld beeinflusst. Wenn eine Erkrankung beispielsweise die Erwerbsfähigkeit einschränkt und dadurch die Rückzahlung erschwert, kann dies ein Argument für einen vorübergehenden Vollstreckungsschutz sein, bis sich die Situation verbessert hat.
Die Rechtsprechung in diesem Bereich entwickelt sich stetig weiter und passt sich neuen medizinischen Erkenntnissen an. Gerichte zeigen zunehmend Sensibilität für die komplexen Zusammenhänge zwischen finanziellen Problemen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dies spiegelt das Bestreben wider, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten zu finden und dabei die Menschenwürde und das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Schuldners zu wahren.
Welche Nachweise sind erforderlich, um eine akute Suizidgefahr glaubhaft zu machen?
Bei der Glaubhaftmachung einer akuten Suizidgefahr im rechtlichen Kontext sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Ärztliche Gutachten spielen eine zentrale Rolle bei der Beurteilung einer möglichen Suizidgefahr. Diese sollten möglichst detailliert und fundiert sein, um vor Gericht Bestand zu haben. Ein kurzes Gespräch oder eine oberflächliche Untersuchung reichen in der Regel nicht aus.
Gerichte legen Wert auf ausführliche medizinische Sachverständigengutachten, die eine gründliche Untersuchung und Diagnosestellung beinhalten. Diese Gutachten sollten die konkrete Suizidgefahr beschreiben, mögliche Auslöser wie eine drohende Zwangsräumung berücksichtigen und eine Einschätzung zur Ernsthaftigkeit der Gefahr geben. Dabei ist es wichtig, dass der Gutachter über entsprechende Fachkenntnisse verfügt, idealerweise handelt es sich um einen Facharzt für Psychiatrie oder einen erfahrenen Psychotherapeuten.
Die Darlegung einer Verschlechterung des Gesundheitszustands und daraus resultierender Lebensgefahr kann ebenfalls relevant sein. Hierbei sollte das Gutachten aufzeigen, wie sich die konkrete Situation, beispielsweise eine Zwangsräumung, auf den Gesundheitszustand auswirken könnte und welche Folgen zu erwarten sind.
Es ist zu beachten, dass eine latente Suizidgefährdung allein nicht ausreicht, um beispielsweise eine Zwangsräumung zu verhindern. Das Gutachten sollte daher die Akutheit und Konkretheit der Gefahr hervorheben und darlegen, warum andere Maßnahmen wie eine vorübergehende Unterbringung oder die Bestellung eines Betreuers nicht ausreichen würden, um die Gefahr abzuwenden.
Zusätzliche Nachweise können die Glaubwürdigkeit unterstützen. Dazu gehören Berichte über frühere Suizidversuche, Dokumentationen von Klinikaufenthalten aufgrund suizidaler Krisen oder Stellungnahmen von behandelnden Ärzten oder Therapeuten, die den Verlauf der psychischen Erkrankung beschreiben.
Die Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft des Betroffenen sollten im Gutachten ebenfalls thematisiert werden. Ein Nachweis über bereits begonnene oder geplante therapeutische Maßnahmen kann die Ernsthaftigkeit der Situation unterstreichen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Gerichte verpflichtet sind, besonders sorgfältig zu prüfen, ob dem Betroffenen schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen bis hin zum Suizid drohen. Daher sollten alle vorgelegten Nachweise so umfassend und detailliert wie möglich sein, um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu bieten.
Gibt es Präzedenzfälle, die bei ähnlichen gesundheitlichen Problemen Vollstreckungsschutz gewährt haben?
In der Rechtsprechung gibt es durchaus Präzedenzfälle, bei denen Gerichte aufgrund gesundheitlicher Probleme Vollstreckungsschutz gewährt haben. Allerdings ist zu beachten, dass jeder Fall individuell betrachtet wird und die Entscheidung von den spezifischen Umständen abhängt.
Grundsätzlich kann Vollstreckungsschutz gewährt werden, wenn die Zwangsvollstreckung eine sittenwidrige Härte darstellen würde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mit der Vollstreckung eine erhebliche Gesundheits- oder sogar Lebensgefahr für den Schuldner verbunden wäre. Dabei reicht es jedoch nicht aus, dass der Schuldner lediglich an einer schweren Erkrankung leidet. Vielmehr muss eine konkrete Verschlechterung des Gesundheitszustands oder eine Lebensgefahr durch die Zwangsvollstreckung zu erwarten sein.
Ein bemerkenswerter Präzedenzfall ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der das Gericht klarstellte, dass die Frage einer möglichen Suizidgefahr unabhängig davon zu beantworten ist, ob diese auf einer Erkrankung oder anderen persönlichkeitsbedingten Ursachen beruht. Das Gericht betonte, dass auch eine Unfähigkeit zur situationsangemessenen Bewältigung der Konfliktsituation Beachtung verdient, selbst wenn ihr kein Krankheitswert zukommt.
In einem anderen Fall hat ein Gericht Vollstreckungsschutz gewährt, als bei einem Schuldner mit einer Krebserkrankung zu erwarten war, dass die Zwangsräumung zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands und in der Folge zu einer Lebensgefahr führen könnte. Hier wurde deutlich, dass nicht nur die unmittelbare Durchführung der Zwangsräumung, sondern auch die möglichen Folgen für die Gesundheit des Schuldners zu berücksichtigen sind.
Es gibt auch Fälle, in denen Gerichte die Belange naher Angehöriger des Schuldners in ihre Entscheidung einbezogen haben. So wurde in einem Fall Vollstreckungsschutz gewährt, als die Schwester des Räumungsschuldners bei einer Räumung suizidgefährdet war.
Allerdings ist zu beachten, dass die Gerichte auch die Interessen des Gläubigers berücksichtigen müssen. In vielen Fällen ordnen die Gerichte daher statt einer vollständigen Einstellung der Vollstreckung bestimmte Auflagen an. Dies kann beispielsweise die Anwesenheit eines Arztes bei der Zwangsräumung oder die vorübergehende Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik umfassen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Gerichte eine sorgfältige Abwägung vornehmen müssen. Sie prüfen, ob die Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners durch zumutbare Maßnahmen gemindert oder beseitigt werden kann. Dabei wird auch berücksichtigt, inwieweit der Schuldner selbst dazu beiträgt, die Gefahren zu mindern.
In einigen Fällen haben Gerichte auch eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung angeordnet, um Zeit für eine gründliche Prüfung der gesundheitlichen Situation des Schuldners zu gewinnen. Dies zeigt, dass die Gerichte bemüht sind, in komplexen Fällen alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen.
Trotz dieser Präzedenzfälle bleibt die Gewährung von Vollstreckungsschutz eine Ausnahme, die nur in besonderen Härtefällen in Betracht kommt. Die Gerichte prüfen jeden Fall individuell und wägen sorgfältig zwischen den Interessen des Schuldners und des Gläubigers ab.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Zwangsräumung: Eine Zwangsräumung ist der rechtlich durchgesetzte Auszug eines Mieters aus einer Wohnung oder einem Haus, wenn dieser trotz eines rechtskräftigen Urteils nicht freiwillig auszieht. Dies erfolgt in der Regel durch einen Gerichtsvollzieher und wird vom Vermieter beantragt, oft aufgrund von Mietrückständen oder Vertragsverletzungen.
- Vollstreckungsschutz (§ 765a ZPO): Dieser Schutz ermöglicht es, die Zwangsvollstreckung in Ausnahmefällen ganz oder teilweise aufzuheben oder auszusetzen, wenn sie für den Schuldner eine besondere Härte darstellen würde, die gegen die guten Sitten verstößt. Besonders relevant bei schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen oder Suizidgefahr.
- Eigentumsrechte (Art. 14 GG): Das Grundgesetz schützt das Eigentum und gibt dem Eigentümer das Recht, darüber zu verfügen. Im Zusammenhang mit Mietverhältnissen bedeutet dies, dass Vermieter das Recht haben, Mieträume nach Beendigung des Mietverhältnisses zurückzuerhalten und bei Verweigerung des Mieters die Räumung gerichtlich durchzusetzen.
- Psychiatrisches Gutachten: Ein psychiatrisches Gutachten wird von einem Facharzt für Psychiatrie erstellt, um den psychischen Zustand einer Person zu beurteilen. In Fällen von Zwangsräumungen kann es dazu verwendet werden, die Suizidgefahr oder andere schwerwiegende psychische Belastungen des Mieters zu bewerten.
- Härtefall: Ein Härtefall liegt vor, wenn die Durchsetzung einer rechtlichen Maßnahme, wie z.B. einer Zwangsräumung, für den Betroffenen eine außergewöhnlich schwere Belastung darstellt, die über das normale Maß hinausgeht. In solchen Fällen kann ein Gericht besondere Schutzmaßnahmen anordnen.
- Missbrauch des Rechts: Ein Missbrauch des Rechts liegt vor, wenn jemand seine rechtlichen Möglichkeiten ausnutzt, um ungerechtfertigte Vorteile zu erlangen oder andere zu schädigen. Im Kontext des vorliegenden Falls bedeutet dies, dass der Mieter seine Suizidandrohung verwendet, um die Zwangsräumung zu verhindern, obwohl keine akute Suizidgefahr besteht.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 765a ZPO (Vollstreckungsschutz): Dieser Paragraph ermöglicht es dem Schuldner, die Zwangsvollstreckung durch einen Antrag auf Vollstreckungsschutz zu verhindern oder zumindest zu verzögern, wenn die Vollstreckung eine besondere Härte darstellen würde. Im vorliegenden Fall berief sich der Mieter auf diesen Paragraphen, da er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation und der Suizidandrohung eine besondere Härte geltend machte.
- § 242 BGB (Treu und Glauben): Dieser Paragraph verpflichtet die Parteien eines Rechtsverhältnisses, sich nach Treu und Glauben zu verhalten. Das bedeutet, dass sie ihre Rechte nicht missbräuchlich ausüben dürfen. Im vorliegenden Fall stellte das Gericht fest, dass der Mieter seine Suizidandrohung instrumentalisierte, um die Zwangsvollstreckung zu verhindern, was als rechtsmissbräuchlich gewertet wurde.
- Art. 2 Abs. 2 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit): Dieses Grundrecht schützt das Leben und die körperliche Unversehrtheit jedes Menschen. Im vorliegenden Fall musste das Gericht abwägen, ob die Zwangsräumung das Recht des Mieters auf Leben und körperliche Unversehrtheit gefährden würde.
- § 904 ZPO (Abwägung der beiderseitigen Interessen): Dieser Paragraph verpflichtet das Gericht, bei der Entscheidung über den Vollstreckungsschutz die Interessen beider Parteien abzuwägen. Im vorliegenden Fall musste das Gericht die Interessen des Mieters an der Erhaltung seiner Wohnung gegen die Interessen des Vermieters an der Durchsetzung des Räumungsurteils abwägen.
- Art. 14 GG (Eigentumsrecht): Dieses Grundrecht schützt das Eigentum. Im vorliegenden Fall musste das Gericht das Eigentumsrecht des Vermieters an der Wohnung berücksichtigen, das ihm grundsätzlich das Recht gibt, über die Nutzung der Wohnung zu entscheiden.
Das vorliegende Urteil
LG Heilbronn – Az.: 3 T 10/23 – Beschluss vom 22.01.2024
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1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 16.06.2023, Az. 3 M 1182/23, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
I.
Der Schuldner wendet sich mit seiner am 23. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Juni 2023, durch welchen sein Antrag vom 3. Februar 2023 auf Räumungsschutz zurückgewiesen wurde.
Der Schuldner wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 1. April 2022 zur Räumung und Herausgabe der von ihm alleine bewohnten Zweizimmermietwohnung im 2. OG links des Gebäudes K. Straße … in H. verurteilt.
Einen Antrag des Schuldners auf Räumungsschutz gemäß § 765a ZPO wies das Amtsgericht Heilbronn (Az. 3 M 3625/22) mit Beschluss vom 9. Juni 2022 zurück.
Am 3. Februar 2023 stellte der Schuldner einen weiteren Räumungsschutzantrag (Az. 3 M 1182/23). Der Gläubiger beantragte die Zurückweisung des Antrags. Das Amtsgericht stellte daraufhin mit Beschluss vom 15. Februar 2023 die Zwangsvollstreckung einstweilen bis zum 15. Mai 2023 ein. Mit Beweisbeschluss vom 2. März 2023 ordnete es die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Behauptung, die weitere Durchführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens bedeute für den Schuldner eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leib und Leben, also sogar die Möglichkeit des Todes, es bestehe die Möglichkeit einer suizidalen Handlung, an. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde mit Beschluss vom 3. Mai 2023 verlängert bis 31. Juli 2023.
Vom 15. Juni 2023 datiert das schriftliche Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. A.
Sogleich nach dessen Eingang beim Amtsgericht hob das Amtsgericht mit Beschluss vom 16. Juni 2023 die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auf und wies, ohne den Parteien die Möglichkeit einer Stellungnahme zu dem Gutachten einzuräumen, den Antrag des Schuldners vom 3. Februar 2023 auf Räumungsschutz zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Amtsgericht aus, nach dem Gutachten habe keine akute Suizidalität festgestellt werden können. Laut Gutachter bestünden derzeit keine suizidalen Neigungen. Durch das Gutachten sei somit gerade nicht festgestellt, dass im Fall einer Räumung akute Suizidgefahr bestehe. Eine akute Gefahr für Leib und Leben sei nicht nachgewiesen. Der Schuldner befinde sich derzeit nicht in psychiatrischer Behandlung, vielmehr lehne er diese offensichtlich ab. Grundsätzlich erscheine eine psychiatrische Behandlung und die Gabe von Antidepressiva jedoch sinnvoll. Eine entsprechende Therapie könne innerhalb einiger Monate durchaus zu einer Besserung der depressiven Symptomatik führen.
Es seien somit keine Gründe ersichtlich, die eine sittenwidrige Härte darstellen. Es überwögen die schutzwürdigen Interessen der Gläubigerpartei. Mit den Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringe, müsse sich der Schuldner grundsätzlich abfinden, also auch mit der übergangsweisen Unterbringung in einer Notunterkunft, sofern er bis zur Räumung keinen Ersatzwohnraum finden oder bei Freunden unterkommen könne.
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Juni 2023 wurde dem Schuldner am 20. Juni 2023 zugestellt. Mit am 23. Juni 2023 eingegangenen Schriftsatz vom 21. Juni 2023 legte der Schuldner Beschwerde gegen den Beschluss vom 16. Juni 2023 ein. Zur Begründung führt er aus, der Gutachter habe nur knapp 30 Minuten eine „löchrige“ Anamnese durchgeführt. Es lägen Abschiedsbriefe an die Presse und andere Personen vor. Das Tötungsmittel Natrium-Pentobarbital 15 Gramm liege griffbereit. Dem Vermieter sei die ausstehende Summe von ca. 1.500,00 Euro in bar angeboten worden. Dieser habe aber abgelehnt. Er – der Schuldner – sei der am längsten in dem Haus wohnende Mieter und habe bis zum heutigen Tag jeden Monat die Miete überpünktlich bezahlt. Der Vermieter, der sich nicht im Geringsten um sein Anwesen kümmere, sei offensichtlich „machttechnisch höher eingestuft“.
Sollte das Gericht das Verfahren nicht in Gänze einstellen, werde er, der Schuldner, sich das Leben nehmen.
Das Gericht werde in vollem Umfang für den Tod eines Menschen verantwortlich gemacht. Abschiedsbriefe an die entsprechenden Stellen seien vorbereitet. Der akut suizidgefährdete Schuldner habe Pflegegrad 1, derzeit Diarrhoe und sei zum Tragen von Erwachsenenwindeln gezwungen. Wegen der Nebenwirkungen stärkster Schmerzmittel (Fentanyl) sei er fast den ganzen Tag an und in seinem Pflegebett gebunden. Er sei Diabetiker, Rentner und habe einen GdB von mittlerweile „90“ mit dem Merkzeichen „G“. Beantragt seien die Merkzeichen „B“ und „aG“. Der „im Schlabberlook“ auftretende Sachverständige, der ihm erstmal befohlen habe, die Fenster zu öffnen und den Fernseher auszuschalten, habe keinen Anstand, keinen Charakter und schon gar keinen Respekt.
Der Schuldner trägt weiter vor, sein Leben habe durch seine sehr schwere Krankheit sowieso keinen Sinn mehr, er habe keine Freude mehr am Leben, und die Räumung wäre der Gipfel und der letzte Tropfen, der seinen Entschluss nicht mehr umkehren lasse.
Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2023 an das Amtsgericht führt der Schuldner aus, im Übrigen ergebe sich aus dem Gutachten, dass eine Suizidgefahr tatsächlich doch vorliege. Der Gutachter formuliere auch, dass seine Absicht, Suizid zu begehen, durchaus ernst zu nehmen sei. Bei einer drohenden Räumung werde der Gerichtsvollzieher ihn tot in seiner Wohnung auffinden. Menschen wie er, der Schuldner, seien früher im KZ Sachsenhausen zu Tode gebracht worden.
Mit weiteren Schriftsätzen legte der Schuldner diverse ärztliche und pflegerische Unterlagen vor.
Für den Schuldner legitimierte sich mit Schriftsatz vom 14. Juli 2023 Rechtsanwalt C. aus H., der mit Schriftsatz vom 10. August 2023 unter anderem ausführte, der Gutachter widerspreche in seinem Gutachten selbst seiner Einschätzung, dass derzeit keine suizidalen Neigungen bestünden. Verwiesen wird zudem auf ein Schreiben des Gerichtsvollziehers Z. vom 17. Juli 2023 und dessen Aktenvermerk vom 21. Februar 2023, die die Suizidgefahr belegten.
In der Folgezeit hat der Schuldner auch persönlich noch mit mehreren weiteren Schriftsätzen Stellung genommen.
Der Gläubiger beantragt mit Anwaltsschriftsatz vom 28. Juni 2023 die Zurückweisung der Beschwerde. Mit Schriftsätzen vom 12. Juli 2023 und vom 19. Juli 2023 nahm er zu dem Sachverständigengutachten und den vom Schuldner vorgelegten ärztlichen Unterlagen Stellung.
Auf die genannten sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
Das Amtsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 30. Juni 2023 nicht ab.
Im Beschwerdeverfahren wurde mit Beschluss vom 28. August 2023 die Einholung eines ergänzenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. A. angeordnet. Der Sachverständige legte seine ergänzende psychiatrische gutachterliche Stellungnahme mit Datum vom 18. September 2023 vor. Das Beschwerdeverfahren wurde mit Beschluss vom 13. Oktober 2023 auf die Kammer übertragen. Auf Antrag des Schuldnervertreters wurde der Sachverständige mündlich angehört. Insoweit wird auf das Protokoll vom 7. Dezember 2023 verwiesen nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Das als „Beschwerde“ bezeichnete Rechtsmittel des Schuldners ist als sofortige Beschwerde gemäß §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft.
Sie wurde fristgerecht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 569 Abs. 1 S. 1 u. 2 ZPO beim Amtsgericht eingelegt.
Das Rechtsmittel wurde formgerecht eingelegt. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde unterliegt nicht dem Anwaltszwang, vgl. §§ 569 Abs. 3 Nr. 1, 78, 79 ZPO.
2. Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung von weiterem einstweiligen oder dauerhaften Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO liegen nicht vor.
a) Das Vollstreckungsgericht kann gemäß § 765a ZPO auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Vollstreckungsschutz kommt also nur in Betracht, wenn die konkrete Zwangsvollstreckungsmaßnahme für den Schuldner eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Dabei ist § 765a ZPO als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach dieser Norm setzt voraus, dass im Einzelfall das Vorgehen unter Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich der Schuldner abfinden. Daher begründet der Umstand, dass die Zwangsvollstreckung überhaupt durchgeführt wird und die Maßnahme einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis des Schuldners bewirkt, noch keine Härte im Sinne des § 765a ZPO.
Zugunsten des Schuldners zu berücksichtigende Umstände können sich aus dessen Person ergeben, beispielsweise eine konkrete Suizidgefahr, hohes Alter, Krankheit, körperliche oder psychische Gebrechen. Die Frage, ob die Umstände auf ein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen sind, sind grundsätzlich nicht zu prüfen. Allerdings kann dies bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen. Umstände, die der Schuldner bewusst herbeigeführt hat, um die Vollstreckung zu vereiteln, haben kaum noch Gewicht (so Ulrici in BeckOK ZPO, Stand: 1.7.2023, § 765a Rn. 12) oder sind bei Abwägung nicht zu berücksichtigen (so Heßler in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., § 765a Rn. 26; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., § 765a Rn. 6).
Bei der gebotenen Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Schuldners und des Gläubigers kommt den Interessen des Gläubigers, wie schon der Wortlaut des § 765a ZPO zum Ausdruck bringt, ein vorrangiges Gewicht zu, denn das Gläubigerrecht ist im Erkenntnisverfahren vollstreckbar festgestellt und als gerechtfertigt anerkannt worden. Das Bedürfnis, den Schuldner vor der Härte einer Vollstreckungsmaßnahme zu schützen, muss daher eindeutig und wesentlich stärker als das Interesse der Gläubigerseite an der grundsätzlich berechtigten Durchsetzung ihres Rechts sein (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 5. Dezember 2017 – 19 T 460/17). Voraussetzung für die Anwendung des § 765a ZPO ist deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde, dass die Zwangsvollstreckungsmaßnahme des Gläubigers nach Abwägung der Belange von Gläubiger und Schuldner zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 1965 – V ZR 269/62, BGHZ 44, 138; Beschluss vom 25. Juni 2004 – IXa ZB 267/03; Beschluss vom 21. Dezember 2004 – IXa ZB 228/03, BGHZ 161, 371; Beschluss vom 4. Mai 2005 – I ZB 10/05, BGHZ 163, 66; Beschluss vom 22. März 2007 – V ZB 152/06 Rn. 23; Beschluss vom 14. Januar 2010 – I ZB 34/09 Rn. 7; Beschluss vom 20. Januar 2011 – I ZB 27/10 Rn. 6; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2015 – 1 BvR 163/15 Rn. 21).
In Zweifelsfällen gebührt den Interessen des Gläubigers der Vorrang. Dieser hat gemäß Art. 19 Abs. 4 GG einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 – V ZB 1/10 Rn. 10). Dazu gehört auch der Anspruch auf Durchsetzung titulierter Entscheidungen im Wege der Zwangsvollstreckung.
Allerdings haben die Vollstreckungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung der vollstreckungsrechtlichen Verfahrensvorschriften den Wertentscheidungen des Grundgesetzes Rechnung zu tragen und die einem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen, also auch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Ausnahmefällen – auf unbestimmte Zeit einzustellen ist. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. September 1997 – 1 BvR 1147/97; Kammerbeschluss vom 16. August 2001 – 1 BvR 1002/01; Kammerbeschluss vom 25. Februar 2014 – 2 BvR 2457/13 Rn. 9; BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – I ZB 11/23 Rn. 14).
Deshalb kommt eine Schutzmaßnahme nach § 765a ZPO in Betracht, wenn ein Suizid des Schuldners (oder – was vorliegend nicht zur Debatte steht – einer seiner mit ihm wohnenden Angehörigen) für den Fall der Räumung droht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG konkret zu besorgen ist und eine an dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientierte Abwägung zwischen den widerstreitenden, grundrechtlich geschützten Interessen der an der Vollstreckung Beteiligten zu einem Vorrang der Belange des Schuldners führt.
Zu beachten ist dabei, dass die Frage, ob eine Zwangsräumung zum Suizid des Schuldners führen kann, unabhängig davon beantwortet werden muss, ob die Suizidalität auf einer – psychischen oder sonstigen – Erkrankung oder auf anderen – persönlichkeitsbedingten – Ursachen beruht. Die Unfähigkeit, aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation situationsangemessen zu bewältigen, verdient auch dann Beachtung, wenn ihr kein Krankheitswert zukommt. Die Einstufung eines drohenden Suizids als „Bilanzselbstmord“ ändert nichts daran, dass das Leben des Schuldners durch die bevorstehende Vollstreckungsmaßnahme konkret in Gefahr ist und diese Gefahr bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen Berücksichtigung finden muss (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. August 2001 – 1 BvR 1002/01; s.a. Kammerbeschluss vom 2. Mai 1994 – 1 BvR 549/94).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine zeitlich begrenzte oder – wie primär beantragt – dauerhafte Anordnung von Räumungsschutz gemäß § 765a ZPO nicht vor. Zwar bemängelt der Schuldner zu Recht die Verfahrensführung des Amtsgerichts. Dieser Verfahrensverstoß ist aber im Beschwerdeverfahren behoben worden (dazu sogleich unter aa). Für den Gläubiger streitet vor allem sein grundrechtlich geschütztes Eigentumsrecht sowie sein ebenfalls grundrechtlich geschütztes Vollstreckungsinteresse (dazu unter bb). Zugunsten des Schuldners sind vor allem dessen erhebliche krankheitsbedingte Einschränkungen zu berücksichtigen (dazu unter cc). Im Ergebnis sind die zugunsten des Schuldners zu berücksichtigenden Interessen nicht eindeutig und wesentlich stärker zu gewichten als die Interessen des Gläubigers (dazu unter dd).
aa) Der Schuldner bemängelt zu Recht die Verfahrensweise des Amtsgerichts. Zwar hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten zur Frage eingeholt, ob die weitere Durchführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens für den Schuldner eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leib und Leben darstellt. Es hat aber unmittelbar nach Eingang des Gutachtens den Räumungsschutzantrag des Schuldners zurückgewiesen, ohne den Parteien zuvor Möglichkeit zu geben, zu dem Gutachten Stellung zu nehmen. Damit wurde der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör missachtet.
Dieser Verfahrensverstoß genügt als solcher aber nicht, um die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Der Schuldner hatte – ebenso wie der Gläubiger – im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit, zu dem Gutachten Stellung zu nehmen. Aufgrund des Vorbringens des Schuldners und seines Verfahrensbevollmächtigten wurde eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt. Zudem wurde der Sachverständige auf den Antrag der Schuldnerseite mündlich angehört.
Im Beschwerdeverfahren ist nunmehr unter Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands über das Rechtsmittel zu entscheiden.
bb) Zugunsten des Gläubigers ist dessen grundrechtlich geschütztes Eigentumsrecht an der streitgegenständlichen Mietwohnung und sein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in Verbindung mit dem allgemeinen Vollstreckungsinteresse, also das Interesse an der Durchsetzung der titulierten Verpflichtung des Schuldners zur Räumung und Herausgabe der Mietwohnung, zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Räumungsanspruch des Gläubigers bereits am 1. April 2022 vom Amtsgericht tituliert wurde. Der Prozesskostenhilfeantrag des Schuldners zur Durchführung einer Berufung gegen dieses Urteil wurde am 26. Oktober 2022 zurückgewiesen. Auf den vom Schuldner Anfang Februar 2023 gestellten Räumungsschutzantrag wurde die Zwangsvollstreckung einstweilen bis zum 15. Mai 2023 eingestellt. Die einstweilige Einstellung wurde später bis zum 31. Juli 2023 verlängert.
cc) Bei der Abwägung nach § 765a ZPO ist zugunsten des Schuldners zu berücksichtigen, dass dieser krank und gesundheitlich erheblich beeinträchtigt ist.
(1) In dem – nicht datierten – Schreiben von Dr. B., dem Hausarzt des Schuldners, das dieser mit seinem Schriftsatz vom 8. Juli 2023 vorgelegt hat, werden die bereits bei Beginn der Behandlung durch Dr. B. im Oktober 2013 bestehenden Diagnosen wie folgt bezeichnet:
– Lumbal-Spinalkanalstenose ICD10 48.06
– Psioriasis ICD10 L40.9
– Obesitas (Adipositas) ICD10 E 66.99
– Cholecystolithiasis ICD10 K80.20
– reaktive Depression ICD10 F32.9
– arterielle Hypertonie ICD10 I10.00.
Hinzu kamen im Laufe der Jahre noch folgende Diagnosen:
– Multisegmentale Bandscheibenprotrusion L3/4/5 ICD10 M51.1
– Unterschenkelödeme ICD10 R60.0
– Pathologisches Nagelwachstum ICD10 L60.3
– Fettleberhepatitis ICD10 K75.8
– Chronisch unbeeinflussbarer Schmerz ICD10 R52.2
– Diabetische Polyneuropathie bei Diabetes mellitus Typ II ICD10 E10-14,G63.2
– Sonstige näher bezeichnete Polyneuropathie auf dem Boden
des Diabetes mellitus ICD10 G62.88G
Teilweise finden sich diese Diagnosen auch in dem – ebenfalls nur auszugsweise vorgelegten – vorläufigen Entlassungsbrief des -Klinikums vom 29. Juni 2020.
Der Schuldner hat mit seinem Schriftsatz vom 8. Juli 2023 ferner ein ärztliches Attest von Dr. B. vom 3. März 2015 zur Vorlage beim Landessozialgericht vorgelegt. Darin ist unter anderem von einer reaktiven Depression die Rede, wobei auf der vorgelegten Kopie der diesbezügliche Zusatz „zur Zeit gering“ mit einem dicken Filzschreiber durchgestrichen wurde, aber gleichwohl erkennbar ist. In dem ärztlichen Attest vom 3. März 2014 zur Vorlage beim Sozialgericht H. findet sich diese Einschränkung nicht.
In dem mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2023 vorgelegten Arztschreiben der …klinik H. – dessen Datum allerdings nicht leserlich ist – finden sich folgende Diagnosen:
– Spinalkanalstenose ICD10 M48.09G
mit Gangunsicherheit, auf UAGS angewiesen ICD10 G99.2G
– Innenmeniskusläsion rechts ICD10 M23.33RG
Der 196x geborene, sich also in einem mittleren Alter befindende Schuldner ist nach seinem eigenen Vorbringen in Pflegegrad 1 eingestuft. Dies ist der niedrigste Pflegegrad (vgl. § 61a Abs. 1 SGB XII) und deutet darauf hin, dass lediglich geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten des Schuldners vorliegen. Die Einstufung in Pflegegrad 1 ist in dem Pflegegutachten des MDK vom x. Mai 2023, das vom Schuldner mit Schriftsatz vom 8. Juli 2023 allerdings nur auszugsweise vorgelegt wurde, soweit ersichtlich nochmals bestätigt worden (in dem MDK-Gutachten vom x. Oktober 2019 war offensichtlich noch keine Pflegestufe empfohlen worden). Allerdings ist der Schuldner schwerbehindert. Seit dem y. Mai 2023 beträgt der Grad der Behinderung (GdB) 90. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen G angegeben.
Dies bedeutet „erhebliche Gehbehinderung“.
(2) Einer besonderen Beachtung bedürfen die psychischen Erkrankungen.
Nach den Feststellungen des dem Gericht aus zahlreichen Verfahren als erfahren, kompetent und zuverlässig bekannten Sachverständigen Dr. A., der als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und forensische Psychiatrie zweifelsohne die fachlichen Voraussetzungen für eine sachverständige Beurteilung besitzt, leidet der Schuldner unter einer rezidivierenden depressiven Störung, wobei von einer leichten depressiven Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode auszugehen ist (ICD 10 F33.00). Dies ergibt sich aus seinem schriftlichen Gutachten vom 15. Juni 2023, der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme vom 18. September 2023 und seinen ergänzenden mündlichen Ausführungen vom 7. Dezember 2023. Die Kriterien für das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode wurden nicht in vollem Umfang erfüllt. Eine schwere depressive Episode lag, wie der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, nicht vor. Andere psychiatrische Erkrankungen ließen sich nicht feststellen.
Ungeachtet der depressiven Erkrankung haben sich – so der Sachverständige in dem Gutachten vom 15. Juni 2023 – beim Schuldner keine Anhaltspunkte für eine akute Suizidalität ergeben. Allerdings entstand beim Sachverständigen der Eindruck, wie ebenfalls im Gutachten vom 15. Juni 2023 ausgeführt wird, dass die vom Schuldner geschilderte Absicht, sich im Falle einer bevorstehenden und feststehenden Räumung das Leben nehmen zu wollen, durchaus ernst gemeint war.
In der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen vom 18. September 2023 hat dieser die Ausführungen bestätigt und den von Schuldnerseite erhobenen Vorwurf eines Widerspruchs zurückgewiesen. Die Aussagen stehen, wie der Sachverständige nochmals bei seiner Anhörung am 7. Dezember 2023 erläutert hat, nicht im Widerspruch zueinander.
Die im Beschwerdeverfahren vom Schuldner vorgelegten Unterlagen (sozialmed. Gutachten, Pflegegutachten, Schreiben von Dr. B. vom 23. Februar 2023 und weitere medizinische Unterlagen, Gutachten DRV) lieferten, so der Sachverständige, keine relevanten zusätzlichen Informationen.
(3) Die Kammer geht somit nach eigener Überzeugungsbildung aufgrund der sachverständigen Begutachtung davon aus, dass beim Schuldner neben den dargelegten körperlichen Erkrankungen und Beeinträchtigungen eine rezidivierende depressive Störung vorliegt, wobei allenfalls eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode, vorlag. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen war eine akute Suizidalität nicht erkennbar. Dies steht nicht im Widerspruch zu der Feststellung des Sachverständigen, dass die auch ihm gegenüber vom Schuldner geschilderte Absicht, sich im Falle einer bevorstehenden Räumung das Leben nehmen zu wollen, durchaus ernst gemeint sei.
Die vom Schuldner in seinen persönlich verfassten Schriftsätzen geäußerte, teilweise unsachlich gehaltene Kritik an dem Sachverständigen, verbunden mit Angriffen ad personam (z.B. „Schlabberlook“, „kein Anstand, kein Charakter und schon gar kein Respekt“, „höchst diskriminierend und verachtend sowie herablassend“) vermag die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen nicht in Frage zu stellen.
(4) Die Ausführungen des Schuldners im Schriftsatz vom 27. Dezember 2023 machen nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich.
Das mit dem Schriftsatz vorgelegte ärztliche Attest des Hausarztes Dr. B. vom 21. Dezember 2023 enthält keine neuen Erkenntnisse gegenüber denjenigen Tatsachen, die bereits den Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung am 7. Dezember 2023 zugrunde lagen. In dem neuerlichen Attest vom 21. Dezember 2023 wird ausgeführt, beim Schuldner liege „mit Sicherheit eine leichte bis mittelgradige depressive Episode ICD 10 F33.00“ vor. Dies entspricht der Bewertung des Sachverständigen Dr. A. im schriftlichen Gutachten vom 15. Juni 2023. Ebenfalls bereits bekannt ist, dass der Hausarzt Dr. B. dem Schuldner am 12. Oktober 2023 eine Überweisung für eine psychiatrische/psychotherapeutische Mit- und Weiterbehandlung ausgestellt hat. Dies war bereits mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2023 vorgetragen worden. Der Überweisungsschein war mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 vorgelegt worden. Soweit Dr. B. in dem Attest vom 21. Dezember 2023 ausführt, er könne nicht sagen, ob diese Behandlung stattgefunden habe, ein fachärztlicher Befund liege ihm nicht vor, ergeben sich daraus keine weitergehenden Informationen, die die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich machen würden. Dem Attest ist im Übrigen nicht zu entnehmen, dass Dr. B. den Schuldner nach der Erstellung des Attests vom 5. Dezember 2023, vorgelegt mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2023, untersucht und dabei neue oder weitergehenden Feststellungen getroffen hat. Soweit in dem Attest ausgeführt wird, es sei in den letzten Monaten aufgrund des drohenden Verlusts seiner Wohnung zu einer Verschlechterung der depressiven Stimmungslage gekommen, sodass eine fachärztliche/psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung als indiziert schien, gibt dies ersichtlich den Befund wieder, der zur Ausstellung der Überweisung am 12. Oktober 2023 geführt hat.
Ob sich der Schuldner zwischenzeitlich in psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlung begeben hat, ist nicht bekannt. Der Schuldner hat nicht vorgetragen, dass er sich bereits in eine entsprechende Behandlung begeben hätte, oder dass er sich zwar um einen Termin bemüht, einen solchen bislang aber nicht erhalten habe. Fest steht allerdings, dass der Schuldner in der Vergangenheit eine psychiatrische Behandlung abgelehnt hatte. Dies hat der Schuldner selbst auch so gegenüber dem Sachverständigen angegeben (vgl. S. 7 des Gutachtens vom 15. Juni 2023). Auch soweit der Schuldnervertreter den Schuldner im Termin am 7. Dezember 2023 suggestiv fragte, ob er der Ansicht sei, dass sich sein psychiatrischer Zustand seit der Untersuchung durch Dr. A. im Sommer verschlechtert habe, was der Schuldner lapidar mit „Bestimmt“ beantwortete, ergibt sich daraus keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten einzuholen. Es gibt keine konkreten Anknüpfungstatsachen, die über die bereits erfolgte ausführliche Begutachtung hinaus eine erneute psychiatrische Begutachtung veranlassen könnten.
Soweit im Schriftsatz vom 27. Dezember 2023 ein Arztschreiben der …klinik aus H. vorgelegt, in welchen vom einem kernspintomographischen Nachweis einer Innenmeniskusläsion mit Ergussbildung die Rede ist, wird nicht vorgetragen, von wann dieses Arztschreiben datiert. Die Datumsangabe in dem Schreiben ist nicht vollständig leserlich. Ersichtlich ist aus der nicht vollständig erkennbaren Datumsangabe lediglich, dass es sich um kein Schreiben handelt, das erst kurz vor oder erst nach dem Verhandlungstermin vom 7. Dezember 2023 angefertigt worden ist.
Die Ausführungen des Schuldnervertreters im Schriftsatz vom 19. Januar 2024 geben ebenfalls keine Veranlassung zu einer weiteren Beweiserhebung.
Es besteht auch keine Veranlassung zur Einholung eines kardiologischen Sachverständigengutachtens. Zwar hat der Sachverständige Dr. A. bei seiner Anhörung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beantwortung der Frage, ob im Hinblick auf das Vorhofflimmern im Zusammenhang mit der Stresssituation, die eine Räumung für den Schuldner bedeuten würde, mit einer Verschlimmerung des bisherigen Krankheitsbildes zu rechnen sei, nicht in sein Fachgebiet falle. Es kann jedoch bereits nicht davon ausgegangen werden, dass der Schuldner unter einem Vorhofflimmern leidet. In den Attesten und Schreiben des Hausarztes Dr. B. ist von einem Vorhofflimmern nicht die Rede. Der Schuldner stützt sich insofern auf ein Gutachten der Deutschen Rentenversicherung. Dieses Gutachten, das wohl vom 11. September 2019 datiert, ist aber nicht vollständig vorgelegt worden. Vorgelegt wurde vielmehr nur die Seite 7 von insgesamt wohl 12 Seiten. Es ist daher bereits nicht nachvollziehbar, auf welchen Informationen die dortige Angabe „Vorhofflimmern“ unter „Weitere Diagnosen“ stammt. Wenn das Gutachten bereits aus dem Jahr 2019 stammt, wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Schuldner in der Folgezeit deswegen in haus- oder fachärztliche Behandlung begeben hat, und dass die Diagnose auch in den Attesten seines Hausarztes Dr. B. angegeben wird. Dies ist aber nicht der Fall.
Die Einholung eines kardiologischen Gutachtens ist daher nicht veranlasst.
(5) Soweit der Schuldner Ausführungen zu dem Mietverhältnis macht, insbesondere zur Dauer des Mietverhältnisses, seinen pünktlichen Mietzahlungen oder zur angeblichen Vernachlässigung des Mietshauses durch den Gläubiger, handelt es sich um Gesichtspunkte, die im vorliegenden Zwangsvollstreckungsverfahren überwiegend nicht zu berücksichtigen sind und insbesondere nicht geeignet sind, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu rechtfertigen.
Lediglich die Dauer des Mietverhältnisses kann bei der Frage der Schutzbedürftigkeit des Mieters eine Rolle spielen. Das Mietverhältnis des Schuldners hat, wie aus dem Erkenntnisverfahren gerichtsbekannt ist, am 1. November 2007 begonnen, auch wenn damals noch nicht der Gläubiger der Vermieter war. Der Schuldner wohnt also seit mittlerweile gut 16 Jahren in der verfahrensgegenständlichen Wohnung. Allerdings hat der Schuldner keine Umstände vorgetragen, die auf seine besondere Verwurzelung im Umfeld des Mietobjekts schließen lassen könnten.
dd) Die Abwägung der widerstreitenden Interessen des Schuldners und des Gläubigers führt zu dem Ergebnis, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, insbesondere auch die der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners zwar erheblich sind, aber nicht ersichtlich schwerer wiegen als die Belange des Gläubigers.
(1) Der Schuldner leidet, wie sich aus den Ausführungen unter cc) ergibt und wie die Kammer nicht verkennt, unter diversen Krankheiten, die mit erheblichen Beschwerden einhergehen und die Einnahme von verschiedenen Medikamenten erforderlich machen. Verwiesen wird insoweit auf den vom Schuldner vorgelegten Medikationsplan, der allerdings vom 2. Juni 2022 stammt und somit bereits 18 Monate alt ist.
Hervorzuheben ist die Notwendigkeit der Behandlung des Diabetes mit Insulin sowie die Gabe des starken Schmerzmittels Fentanyl in Pflasterform. Wegen dieser Beeinträchtigungen ist der Schuldner in Pflegegrad 1 eingestuft. Er ist ferner schwerbehindert mit einem GdB von 90 sowie dem Merkzeichen G.
Neben den verschiedenen körperlichen Erkrankungen leidet der Schuldner unter einer rezidivierenden depressiven Störung. Allerdings kann beim Schuldner weder von einer schweren depressiven Episode noch von einer akuten Suizidalität ausgegangen werden.
(2) Bezüglich der körperlichen Erkrankungen ist nicht ersichtlich, dass sich diese infolge der Zwangsvollstreckung, konkret der Räumung der Mietwohnung, verschlechtern würden.
Soweit nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen ist, dass die vom Schuldner sowohl dem Sachverständigen gegenüber als auch in Schriftsätzen an das Vollstreckungsgericht sowie an das Beschwerdegericht mehrfach geäußerte Absicht, sich im Falle einer bevorstehenden und feststehenden Räumung das Leben nehmen zu wollen, durchaus ernst gemeint ist, kann die Kammer aber bereits nicht die Überzeugung gewinnen, dass dies ursächlich auf der depressiven Störung des Schuldners beruht. Der Sachverständige hat dies nicht bestätigen können.
Richtig ist zwar, wie oben unter a) dargelegt worden ist, dass eine Suizidalität des Schuldners ungeachtet der Frage, ob diese auf einer psychischen oder sonstigen Erkrankung oder auf anderen Ursachen beruht, wegen der damit einhergehenden Gefahr für das Leben des Schuldners bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen ist. Dies bedeutet indes nicht, dass eine Suizidalität des Schuldners gleichsam zwangsläufig zu einer – zeitweisen oder dauerhaften – Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 765a ZPO führen muss (vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – I ZB 11/23 Rn. 19). Zu berücksichtigen ist dabei auch, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen der Schuldner ergriffen hat, um dieser Gefahr für sein Leben zu begegnen. Wenn ein Schuldner zumutbare Maßnahmen nicht ergreift, ist dies durchaus bei der Abwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen.
Vorliegend ist daher von wesentlicher Bedeutung bei der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung, dass der Schuldner einerseits seine Suizidabsichten als wesentliches Argument für die von ihm begehrte vollständige Einstellung der Zwangsvollstreckung ins Feld führt, andererseits aber eine Behandlung gegen die Depression über lange Zeit ausdrücklich abgelehnt hat. Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2023 führte er aus, er habe „eine Depression- und Psychobehandlung schon im Jahre 2011“ hinter sich gebracht. Konkret führt er aus, eine vierwöchige Teilnahme an einem Seminar mit Gruppengesprächen etc. habe keinen Erfolg bei ihm gehabt.
Deswegen, so der Schuldner in dem Schriftsatz weiter, lehne er eine Medikation gegen seine Depression bis heute ab. Im Gutachten des Sachverständigen vom 15. Juni 2023 heißt es im Rahmen der Angaben des Schuldners auf Seite 7 unten:
„In psychiatrischer Behandlung sei er nicht und auch nie gewesen. Dies wolle er nicht. Da gehe er nicht hin, auch nicht in ein Krankenhaus.“
Erstmals im Schriftsatz des Schuldnervertreters vom 11. Oktober 2023 wird ausgeführt, der Schuldner habe am 12. Oktober 2023 einen Termin bei seinem Hausarzt für eine Besprechung und eine Überweisung zu einem Psychologen wegen einer Therapie zur Minimierung der Suizidgefahr. Ein Überweisungsschein an Psychiatrie/Psychotherapie wurde mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 vorgelegt. Darin ist als Diagnose/Verdachtsdiagnose angegeben:
„(R45.8) Suizidgedanken“
Bei der Abwägung im Rahmen des § 765a ZPO ist das Verhalten des Schuldners zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Eine mehr als ein Jahrzehnt zurückliegende, angeblich erfolglose Behandlung wegen Depression rechtfertigt nicht, eine Behandlung gegen die auch vom Gerichtssachverständigen festgestellte Depression abzulehnen. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten ausdrücklich aus, dass eine psychiatrische Behandlung und die Gabe von Antidepressiva sinnvoll erscheinen. Bei einer entsprechenden Therapie kann es, so der Sachverständige, innerhalb einiger Monate durchaus zu einer Besserung der depressiven Symptomatik kommen. Es hätte also eine Verbesserung der depressiven Symptomatik des Schuldners herbeigeführt werden können, wenn dieser sich bereits früher in entsprechende fachärztliche Behandlung geben hätte. Wie dargelegt wurde, lag diese Diagnose bereits bei Beginn der Behandlung durch den Hausarzt im Jahr 2013 vor. Im vorläufigen Entlassungsbrief des Klinikums Y. vom 29. Juni 2020 wird eine Depression nach psychiatrischer Vorstellung ebenfalls unter den Diagnosen aufgeführt. Gleichwohl hat sich der Schuldner erst im Oktober 2023 bei seinem Hausarzt um eine Überweisung zu einem Facharzt bemüht.
Widerlegt ist die Behauptung des Schuldners in seinem Schriftsatz vom 21. Juli 2023, weil er schon zu viele und zu starke Medikamente einnehme, wären Medikamente gegen die Depression kontraindiziert und die Nebenwirkungen schädlicher. Bei seiner mündlichen Anhörung bestätigte der Sachverständige, dass es im Bereich der Antidepressiva diverse Medikamente, auch mit unterschiedlichen Wirkstoffen gibt. So kommt es beispielsweise in der Gerontopsychiatrie häufig vor, dass neben psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen zahlreiche andere körperliche Erkrankungen vorliegen, so dass zahlreiche Medikamente eingenommen werden müssen. Ein Psychiater könnte daher durchaus unter Berücksichtigung der körperlichen Erkrankungen des Schuldners und der Medikamente, die er deswegen einnehmen muss, eine geeignete Therapie und Medikation wegen der Depression des Schuldners ausarbeiten und verordnen. Insbesondere die Einnahme von Fentanyl steht einer auch medikamentösen Behandlung der Depression des Schuldners nicht entgegen.
Soweit die Suizidgedanken auf der rezidivierenden depressiven Störung des Schuldners beruhen, hätte dieser sich deswegen in fachärztliche und psychotherapeutische Behandlung begeben können. Eine solche Behandlung wäre auch zumutbar. Insbesondere kann der Schuldner eine Behandlung nicht unter Hinweis auf eine angeblich erfolglose Behandlung im Jahr 2011 oder auch angebliche erhebliche negative Wechselwirkungen von Antidepressiva mit anderen Medikamenten, die er einnehmen muss, als unzumutbar darstellen. Wenn der Schuldner gleichwohl von einer Behandlung absieht, ist dies zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Behandlungseinsicht des Schuldners selbst eine Folge der depressiven Störung ist.
Es ist anerkannt, dass ein Vollstreckungsschuldner selbst dazu beizutragen hat, dass die Gefahren für Leben und Gesundheit, deren grundrechtlicher Schutz im Rahmen der Abwägung nach § 765a ZPO zu beachten ist, gemindert oder beseitigt werden (vgl. z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Januar 1992 – 1 BvR 1466/91; Kammerbeschluss vom 12. Februar 1993 – 2 BvR 2077/92; Kammerbeschluss vom 25. September 2003 – 1 BvR 1920/03; s.a. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – I ZB 11/23 Rn. 20 und aus der Instanzrechtsprechung LG München I, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 14 T 16334/18). Vom Schuldner kann und muss verlangt werden, daran mitzuwirken, dass sich das geltend gemachte Risiko nicht erhöht.
Diese Mitwirkung hat der Schuldner in der Vergangenheit ausdrücklich verweigert. Stattdessen instrumentalisiert er den für den Fall der drohenden Räumung angekündigten Suizid und will damit eine dauerhafte Einstellung der Zwangsvollstreckung erzwingen. Ein solches Verhalten ist rechtsmissbräuchlich.
Der Schuldner versucht auf diese Weise, das Gericht zur Bejahung eines Härtegrunds im Sinne des § 765a ZPO zu zwingen, anstatt Maßnahmen zu ergreifen, um den von ihm angekündigten Suizid zu verhindern. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt grundlegend von demjenigen, welcher der von der Schuldnerseite zitierten Entscheidung des LG München I zugrunde lag (Beschluss vom 13. Februar 2019 – 14 T 16334/18). Dort befand sich die Schuldnerin seit 40 Jahren wegen ihrer depressiven Symptomatik in Behandlung. Weitergehende ambulante oder stationäre Behandlungsmöglichkeiten standen dort – anders als hier – nicht mehr zur Verfügung. Die Instrumentalisierung ergibt sich aus den schriftsätzlichen Ausführungen des Schuldners. So verweist der Schuldner in der Beschwerdeschrift vom 21. Juni 2023 auf das angebliche „Vorhandensein von Abschiedsbriefen an Presse und andere Personen“ und betont, das „Tötungsmittel Natrium-Pentobarbital 15 Gramm“ sei „griffbereit“. Der Schuldner, der sich in der Beschwerdeschrift als „der akut suizidgefährdete O. X.“ (Hervorhebung im Original) bezeichnet, hält daran fest,
„daß der Antragsteller, O. X., sollte das Gericht dieses Verfahren nicht in Gänze einstellen, sich das Leben nehmen wird und das Gericht in vollem Umfang für den Tot eines Menschen für 1500,- Euro (Streitwert) verantwortlich gemacht werden wird! Abschiedsbriefe sind an die dementsprechende Stellen, mit den notwendigen Kopien von Gerichtsbeschlüssen etc., vorbereitet.“
Im Schriftsatz vom 8. Juli 2023 verweist er auf ein angeblich bereits vorbereitetes „Schreiben an das BVfG“. Bei der Exploration durch den Sachverständigen gab er an, nach seinem Suizid würden von einer Bekannten, die er einbestellen werde, zwei Briefe an eine regionale und eine überregionale Pressestelle weitergegeben (Gutachten vom 15. Juni 2023, Seite 9). Im Termin am 7. Dezember 2023 wurde von der Schuldnerseite ein Foto vorgelegt, das ihn mit einem Fläschchen Pentobarbital in der Hand zeigt.
Dieses vom Schuldner über einen Zeitraum von mehreren Monaten praktizierte Verhalten zeigt die Instrumentalisierung seiner Suizidabsicht. Der Schuldner lässt bis auf den Vortrag, bei seinem Hausarzt eine Überweisung zu einem „Psychologen wegen einer Therapie zur Minimierung der Suizidgefahr“ besorgt zu haben, keine Anstalten erkennen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahren für sein Leben zu reduzieren.
Über viele Jahre lang hat der Schuldner keine Maßnahmen ergriffen, um die rezidivierende depressive Störung behandeln zu lassen. Eine psychiatrische Behandlung und die Einnahme von Antidepressiva lehnte er zunächst ab. Dabei kann er sich, wie bereits dargelegt wurde, nicht darauf berufen, dass auch eine psychiatrische Behandlung und die Einnahme von Antidepressiva nichts an seinen Suizidabsichten ändern würden, zumal auch der Sachverständige ausführt, es entstehe der Eindruck, dass es sich insoweit eher um ein Bilanzieren handelt und nicht um das Korrelat einer schweren depressiven Episode, die mit Suizidalität einhergeht.
Ob sich der Schuldner nach Erhalt des Überweisungsscheins vom 12. Oktober 2023 um einen Termin bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten bemüht hat, ist unbekannt. Diesbezüglich hat der Schuldner nichts vorgetragen. Vielmehr hat er in dem Termin am 7. Dezember 2023 auf Frage hinsichtlich des von ihm vorgelegten Fotos, das ihn mit einem Fläschchen Pentobarbital-Natrium zeigt, erklärt, er habe sich dieses im August oder September 2023 besorgt. Nachdem aus dem Gutachten des Sachverständigen hervorging, dass der Schuldner bereits bei dem Explorationstermin am 12. Juni 2023 mitgeteilt hat, er habe sich Natrium-Pentobarbital besorgt, erklärte der Schuldner aus entsprechenden Vorhalt, das Medikament laufe ja ab, deshalb habe er es sich nochmals besorgt.
Dies zeigt, dass der Schuldner nicht daran interessiert ist, die Gefahren für sein Leben zu minimieren, sondern aus eigenem Antrieb und bewusst dieses Risiko perpetuiert, um Vollstreckungsschutz zu erreichen. Obwohl der Schuldner somit selbst die Gefahr für sein Leben aufrechterhält, versucht er ausweislich seiner zitierten schriftsätzlichen Ausführungen, die Verantwortung für seinen angekündigten Tod durch Suizid dem Gläubiger sowie dem Gericht zuzuschreiben. Auch mit der Behauptung in seinem Schriftsatz vom 6. Juli 2023 an das Amtsgericht, Menschen wie er („Menschen meiner Klasse“) seien „früher im KZ Sachsenhausen zu Tode gebracht“ worden, versucht der Schuldner, moralischen Druck auf den Gläubiger und das Gericht auszuüben.
Lediglich am Rande ist klarzustellen, dass diese Äußerung des Schuldners eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus darstellt.
(3) Angesichts dieses Verhaltens des Schuldners überwiegen die Interessen des Schuldners ungeachtet der Härte, die die Räumung für ihn im Hinblick auf die bei ihm zweifelsohne vorliegenden Beeinträchtigungen darstellen würde, auch im Hinblick auf die beschriebene Gefahr für das Leben des Schuldners, nicht die berechtigten Interessen des Gläubigers an der Räumung und Herausgabe der Mietwohnung.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Schuldner nicht dargelegt hat, hinreichende Anstrengungen unternommen zu haben, um Ersatzwohnraum zu finden. Mit seinem an das Amtsgericht gerichteten Schreiben vom 6. Juli 2023 führt er aus, das Gericht könne sicher nicht beurteilen, in welchem Umfang und ob er in den vergangenen vier Monaten versucht habe, Ersatzwohnraum zu bekommen. Nachweise seien vom Gericht nicht verlangt worden. Er, der Schuldner, sei weiterhin bei der S. wegen Wohnungssuche barrierefrei gelistet. Es sei für einen Schuldner mit seinem gesundheitlichen Zustand nur sehr schwer, eher unmöglich, Ersatzwohnraum zu finden. Zwar hat der Schuldner eine E-Mail an „wohnungslosenhilfe@a .de“ vorgelegt. In dieser E-Mail fragt der Schuldner, ob ihm geholfen werden könnte, falls er wohnungslos werden sollte. Ferner weist er in der E-Mail darauf hin, er habe sich bei der S H. als wohnungssuchend angemeldet. Allerdings datiert diese E-Mail bereits vom 11. Mai 2022. Weitere konkrete Bemühungen, eine neue Wohnung zu finden, sind nicht dargelegt worden. Im seinem Schriftsatz vom 21. Juli 2023 berichtet der Schuldner lediglich, eine Mitarbeiterin der A habe sich bei ihm gemeldet und im Februar 2023 den Gläubiger angerufen.
Es ist offensichtlich, dass der Schuldner seiner Obliegenheit, sich um Ersatzwohnraum zu bemühen, mit einer E-Mail im Mai 2022 und einer gleichzeitig oder zeitlich davorliegenden Meldung bei der S. H., nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist. Stattdessen hat der Schuldner in seinem Schreiben vom 6. Juli 2023 an das Amtsgericht erklärt,
„daß eine Ersatzwohnung für den Schuldner, der sich in diesem beschriebenen gesundheitlichen Zustand befindet, nur sehr schwer, eher sogar gar nicht zu beschaffen ist, es sei denn man hat Beziehungen oder Bekanntschaften, die einem einen adäquaten Wohnraum zur Verfügung stellen, was nicht der Fall ist.“
Ungeachtet seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Einschränkungen wäre es dem Schuldner, der auch intensiv mit den Gerichten kommuniziert, ohne weiteres möglich gewesen, sich mit Wohnungsmaklern sowie privatwirtschaftlichen, kommunalen und sozialen Wohnungsvermietern in Verbindung zu setzen, auf Wohnungsangebote in Zeitungs- oder Internetanzeigen zu reagieren oder selbst Suchanzeigen in Print- oder Onlinemedien zu schalten. Derartige Bemühungen sind nicht vorgetragen, obwohl gläubigerseits ausdrücklich beanstandet wurde, dass der Schuldner keine Anstrengungen unternommen habe, Ersatzwohnraum zu finden (Schriftsätze des Gläubigervertreters vom 2. August 2023, 9. November 2023 und 30. November 2023). Zwar hat der Schuldner mit Schriftsatz vom „05.05.2023“ an das Landgericht, hier eingegangen am 8. August 2023, ausgeführt, er habe „etliche Wohnungen per E-MAIL angerufen“. Näher konkretisiert wurde dies nicht. Ferner trug der Schuldner vor, es sei nicht nur die S und die A informiert, sondern auch mit der Diakonie Kontakt aufgenommen und das Rote Kreuz angerufen und „permanent auch sogar fremde Menschen gefragt“ worden. Die A ist ein zur Diakonie gehörendes Sozialunternehmen. Das Rote Kreuz ist weder ein Wohnungsvermittler noch ein Wohnungsvermieter. Die Behauptung, permanent fremde Menschen gefragt zu haben, ist gänzlich unsubstantiiert. Dies gilt auch für den Vortrag im Schriftsatz vom 19. Januar 2024, die Bemühungen „in Sachen Wohnungssuche“ seien „ungebrochen intensiv, aber leider erfolglos“.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben. In der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind die Voraussetzungen für die Anordnung von Vollstreckungsschutz wegen Suizidgefahr geklärt. Die Entscheidung beruht auf der Anwendung dieser Grundsätze unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls nach Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten.