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Vollziehung einer Unterlassungsverfügung – Anforderungen an wirksame Zustellung

LG München I – Az.: 25 O 8917/14 – Urteil vom 30.07.2014

1. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 26.05.2014, Az. 25 O 8917/14 wird aufgehoben, der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Vollziehung einer Unterlassungsverfügung - Anforderungen an wirksame Zustellung
Symbolfoto: Von Andrey_Popov /Shutterstock.com

Der Verfügungskläger begehrt von der Verfügungsbeklagten, es zu unterlassen, ihn als glühenden Antisemiten zu bezeichnen.

Die Verfügungsbeklagte wurde am 17.04.2014 in der Sendung „…“ des Fernsehsenders … zu den immer montags stattfindenden neuen Friedensdemonstrationen interviewt. Befragt nach denjenigen, die hinter diesen Demonstrationen stecken, antwortete die Verfügungsbeklagte:

„Das sind so verschiedene Ebenen. Also um es ganz kurz zu kriegen, es sind drei Namen im Moment relativ wichtig. Das ist ein Propagandist, ein Radiomacher ein früherer, …, der auch unter anderen Identitäten auftritt. Dann gibt es …, der mal Kommunist war und heute ä glühender Antisemit und Schwulenfeind ist ä und sein Magazin …, und als Organisator dieser Friedensdemos gibt es jetzt …, der so tut, als sei er ein unschuldiges Individuum, aber offensichtlich der Hintergrund echts ä rechts äh ähm rechtsesoterischer Kreise, wie Zeitgeistbewegung oder faschistischer Kreise wie Reichsbürger hat.“

Wegen des weiteren Inhalts des Interviews wird auf die Anlage ASt 1 Bezug genommen.

Der Verfügungskläger ließ die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 24.04.2014 wegen der Bezeichnung „glühender Antisemit“ abmahnen.

Der Verfügungskläger trägt vor, dass die Bezeichnung „glühender Antisemit“ falsch sei, er habe 10 Jahre für eine jüdische Wochenzeitschrift geschrieben, er habe nie etwas auch nur entfernt judenfeindliches geäußert, sich für das Gedenken an den Holocaust und gegen dessen Leugnung eingesetzt. Bei der Äußerung handele es sich daher um eine unwahre Tatsachenbehauptung oder jedenfalls aber um Schmähkritik, es sei darum gegangen, ihn zu beschimpfen und zu verunglimpfen.

Sein anwaltlicher Vertreter habe bei der Zustellung der einstweiligen Verfügung seine Sekretärin angewiesen, nicht nur den Beschluss vom 26.05.2014 zuzustellen, sondern auch die Anlagen. Die Mitarbeiterin erinnere sich daran, dass dies geschehen sei. Sollte dies nicht geschehen sei, sei die Zustellung trotzdem wirksam, das Nichtbeifügen der Anlagen stelle eine bloße Obliegenheitsverletzung dar. Die Verfügungsbeklagte verstieße gegen das Gebot von Treu und Glauben, wenn sie sich auf eine Nichtvollziehung berufe, da sie im Rahmen der Anhörung alle Anlagen erhalten habe.

Am 07.05.2014 hatte der Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen seiner Bezeichnung als „glühender Antisemit“ beantragt. Nach der Anhörung der Verfügungsbeklagten wurde am 26.05.2014 antragsgemäß eine einstweilige Verfügung mit folgendem Inhalt erlassen:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann – wegen jeder Zuwiderhandlung untersagt, den Antragsteller als „glühenden Antisemiten“ zu bezeichnen, wie geschehen in der Sendung „…“ auf … am 17.04.2014.

Der Beschluss vom 26.05.2014 wurde dem anwaltlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten am 04.06.2014 im Parteibetrieb zugestellt. Gegen die einstweilige Verfügung legte die Verfügungsbeklagte Widerspruch ein.

Der Verfügungskläger beantragt daher: Die einstweilige Verfügung vom 26.05.2014 wird aufrecht erhalten.

Die Verfügungsbeklagte beantragt: Der Beschluss vom 26..05.2014 wird aufgehoben, der Antrag zurückgewiesen.

Die Verfügungsbeklagte meint, es handele sich bei der Äußerung um eine Meinungsäußerung, die die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreite. Der Verfügungskläger arbeite mit … zusammen und habe Umgang mit …, die sich antisemitisch geäußert hätten. Er selber habe eine antisemitische Szene in dem Film „…“ gegen diesen Vorwurf verteidigt.

Ihrem anwaltlichen Vertreter sei von dem Verfügungskläger lediglich der Beschluss vom 26.05.2014 ohne Anlagen im Parteibetrieb zugestellt worden, weshalb die Vollziehungsfrist nicht eingehalten sei, schon aus diesem Grund sei die Verfügung aufzuheben.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I war aufzuheben, da die Vollziehungsfrist des § 929 II ZPO nicht gewahrt wurde.

1. Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem anwaltlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten von dem Verfügungskläger am 30.05.2014 lediglich der Beschluss des Landgerichts München I vom 26.05.2014 zugestellt wurde, ohne dass die mit zuzustellenden Anlagen Antragsschrift und eidesstattliche Versicherungen mit zugestellt wurden.

Der Klägervertreter hat anwaltlich versichert, seine Mitarbeiterin angewiesen zu haben, den Beschluss samt Anlagen im Parteibetrieb dem anwaltlichen Vertreter der Beklagten zuzustellen. Dass die Mitarbeiterin dies tatsächlich so ausgeführt hat, hat er vorgetragen, aber nicht glaubhaft gemacht. Der anwaltliche Vertreter der Beklagten hat durch seine anwaltliche Versicherung sowie durch die eidesstattliche Versicherung der Sekretärin … glaubhaft gemacht, dass ihm lediglich der Beschluss, nicht aber Anlagen zu diesem Beschluss zugestellt wurden. Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass nur der Beschluss, aber nicht die Anlage gemäß Ziffer 4. des Beschlusses zugestellt wurden.

Das von dem Vertreter der Verfügungsbeklagten ausgefüllte Empfangsbekenntnis (Anlage G 1 bzw. Anlagen zum Protokoll) steht dem nicht entgegen. Mit den Empfangsbekenntnissen bestätigt der Beklagtenvertreter die Zustellung einer Ausfertigung des Beschlusses vom 26.05.2014, Anlagen werden in dem Empfangsbekenntnis nicht erwähnt.

2. Die Zustellung vom 30.05.2014 ist nicht ausreichend, um die einstweilige Verfügung gemäß § 929 II ZPO zu vollziehen.

Zur Wahrung der Vollziehungsfrist einer – wie hier – durch Beschluss angeordneten einstweiligen Verfügung ist zunächst eine Parteizustellung der einstweiligen Verfügung erforderlich. Mit der Zustellung des Beschlusses entsteht die Verfügungsbeschränkung. Für auf Unterlassung oder Duldung gerichtete einstweilige Verfügungen reicht die Parteizustellung als Vollziehung zwangsläufig aus, wenn sie der Antragsgegner befolgt, jedoch nur dann, falls der Titel bereits die Zwangsmittelandrohung enthält. Bei Zuwiderhandlungen muss die Vollstreckung eingeleitet, also die Verhängung eines Ordnungsmittels beantragt werden.

Die von dem Klägervertreter im Parteibetrieb vorgenommene Zustellung war jedoch unwirksam, da die Anlagen, deren Zustellung zusammen mit dem Beschluss angeordnet wurde und auf die in den Gründen des Beschlusses Bezug genommen wurde, nicht zugestellt wurden.

Das Gericht ist hinsichtlich der Frage, inwieweit die wirksame Zustellung einer Beschlussverfügung davon abhängt, dass dieser die Antragsschrift bzw. sonstige Anlagen beigefügt worden sind, der Ansicht, dass jedenfalls solche Anlagen mitzuzustellen sind, auf die in der gerichtlichen Entscheidung ausdrücklich Bezug genommen wird (OLG München Beschluss v. 02.09.2003, 29 W 2010/03 -juris). Dabei kommt es für die Wirksamkeit einer ohne die erforderlichen Anlagen erfolgten Zustellung nicht darauf an, ob die Bezugnahme im Beschlusstenor oder lediglich in den Beschlussgründen erfolgt ist. Auch die Differenzierung dahingehend, dass eine ohne Anlagen erfolgte Zustellung trotz Bezugnahme im Beschluss nur dann unwirksam sein soll, wenn der Beschlusstenor nicht aus sich heraus eindeutig verständlich und die Anlage zur Ermittlung des Verbotskerns erforderlich ist, stellt kein taugliches Abgrenzungskriterium dar. Auch wenn das mit einer einstweiligen Verfügung ausgesprochene Verbot aus sich heraus verständlich ist, ist die Beifügung der Antragsschrift für eine wirksame Zustellung erforderlich, wenn das Gericht in der Verfügung auf den Antrag Bezug genommen und ihn ausdrücklich zum Bestandteil seines Beschlusses gemacht hat (OLG München, Beschluss vom 02. September 2003 – 29 W 2010/03 -, juris, OLG Koblenz, Urteil vom 21. März 2013 – 9 U 1156/12 -, juris)).

Vorliegend hat das Gericht zur Begründung der durch Beschluss vom 26.05.2014 erlassenen einstweiligen Verfügung ausdrücklich auf die Antragsschrift vom 07.05.2014 Bezug genommen. Damit ist dieses konkret bezeichneten Schriftstück zum Bestandteil des Beschlusses gemacht worden und angeordnet worden, dass die Antragsschrift mit dem Beschluss zuzustellen ist. Da die Zustellung der Anlagen unterblieben ist, ist eine wirksame. Zustellung und damit eine fristgemäße Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach § 929 II ZPO nicht erfolgt.

Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Verfügungsbeklagten die Anlagen aufgrund der erfolgten Anhörung bekannt waren. Maßgeblich ist die ausdrückliche Bezug auf diese Anlagen in den Gründen des Beschlusses.

3. Es verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben, dass sich die Verfügungsbeklagte trotz des Empfangsbekenntnisses auf die fehlerhafte Zustellung beruft. Das Empfangsbekenntnis bestätigt nur die Zustellung des eigentlichen Beschlusses, nicht die der in Bezug genommenen Anlagen.

Die einstweilige Verfügung war daher aufzuheben, der Antrag zurückzuweisen.

Die Kostenfolge beruht auf § 91 ZPO, der Streitwert entspricht dem Interesse des Verfügungsklägers an der begehrten Unterlassung.

 

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