LG Lübeck – Az.: 7 T 70/22 – Beschluss vom 22.02.2022
Die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 21.02.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Reinbek vom 19.02.2022 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Schuldner.
Gründe:
I.
Der Schuldner wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Räumungsschutz durch das Amtsgericht.
Dem Schuldner ist durch den Obergerichtsvollzieher … (Az.: DR II 918/21) mit Schreiben vom 12.01.2022 die Räumung des von dem Schuldner bewohnten Wohnraumes für den 22.02.2022 um 09.00 Uhr angekündigt worden. Die Räumung beruht auf dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts vom 29.10.2021 (Az.: 2 K 17/17). Gegen diesen Zuschlagsbeschluss hat der Schuldner die sofortige Beschwerde erhoben.
Das Beschwerdeverfahren wird bei der Beschwerdekammer des Landgerichts unter dem Aktenzeichen 7 T 3/22 geführt. In dem Beschwerdeverfahren hat sich der Schuldner unter anderem auf § 765a ZPO berufen und vorgetragen, dass die Gefahr eines Suizids bei Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens bestünde. Hierbei hat der Schuldner mit Schriftsatz vom 24.11.2021 auch beantragt, dass die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen ist. In dem Beschwerdeverfahren hat der Schuldner indes bis zuletzt nicht auf die Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf eine drohende Räumung zum 22.02.2022 hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 18.02.2022 hat der Schuldner Räumungsschutz beantragt. Auf die Antragsschrift wird Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 19.02.2022 hat das Amtsgericht den Antrag zurückgewiesen. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich der Schuldner mit seiner sofortigen Beschwerde vom 21.02.2022. Der Beschluss habe sich nicht auf eine Versäumung der Frist nach § 765a Abs. 3 ZPO stützen dürfen, wenn eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung geltend gemacht werde. Im Übrigen habe der Schuldner nicht mutwillig gehandelt.
Bei seiner Entscheidung hat der Beschwerdekammer die Gerichtsakte in elektronischer Abschrift vorgelegen. Weiterhin hat die Beschwerdekammer die Akte 7 T 3/22 beigezogen.
Die Beschwerdekammer hat den Schuldnervertreter telefonisch darauf hingewiesen, dass als Ausnahmeregelung § 765a ZPO zurückzutreten habe, wenn ausreichender Rechtsschutz auf andere erreichbar Weise erreichbar ist. Hierzu hat der Schuldnervertreter mit Schriftsatz vom 21.02.2022 Stellung genommen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist unbegründet.
§ 765 a ZPO ist in der derzeitigen Verfahrenskonstellation nicht neben den übrigen zivilprozessualen Vollstreckungsschutzregeln anwendbar, sondern erst dann, wenn andere Schutzvorschriften erschöpft sind oder nicht zur Anwendung kommen. Dies ist hier aber nicht der Fall.
§ 765a ZPO gilt grundsätzlich neben den übrigen vollstreckungsrechtlichen Schutzvorschriften. Die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO kommt allerdings nur in Betracht, wenn andere Schutzvorschriften erschöpft sind oder nicht zur Anwendung kommen (vgl. BGH NJW 2007, 2703).
So kommt § 765 a ZPO zur Anwendung, wenn ein Schuldner die in § 721 ZPO bestimmten Antragsfristen versäumt hat oder die dortigen Höchstfristen (§ 721 Abs. 5, § 794 a Abs. 3 ZPO) ausgeschöpft sind; dies allerdings nur, soweit eine Wiedereinsetzung nach § 721 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht möglich bzw. aussichtsreich ist.
Der Schuldner hätte jedenfalls in dem Verfahren über die Beschwerde gegen den – dementsprechend noch nicht rechtskräftigen – Zuschlagsbeschluss (7 T 3/22) ausreichenden Rechtsschutz erlangen können. In diesem Verfahren hat er auch bereits einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Jedoch hat er dort auch in dem letzten Schriftsatz vom 02.02.2022 nicht auf die besondere Dringlichkeit infolge der angekündigten Räumung zum 22.02.2022 hingewiesen.
Eine solche Vorgehensweise hat dann Vorrang vor einem gesonderten (außerhalb des Zuschlagsbeschwerdeverfahrens gestellten) Vollstreckungsschutzantrag nach § 765 a ZPO, weil die Zwangsvollstreckung aus demselben Titel betrieben wird, dessen Beseitigung der Schuldner in dem Zuschlagsbeschwerdeverfahren erstrebt (vgl. BGH NJW-RR 2012, 398 Rn. 15). Denn § 765 a ZPO ist nicht neben den übrigen zivilprozessualen Vollstreckungsschutzregeln anwendbar, sondern nur falls andere Schutzvorschriften erschöpft sind oder nicht zur Anwendung kommen. Wenn der Schuldner also im laufenden Zuschlagsbeschwerdeverfahren Vollstreckungsschutz nach § 570 ZPO erhalten kann, ist ein Antrag nach § 765 a ZPO unzulässig. Dieser Vorrang entfällt auch nicht in Fällen, in denen die Vollstreckung das Leben des Schuldners gefährden würde. Mit Art. 2 Abs. 2 GG ist es nicht unvereinbar, den Schuldner für den Schutz gegen eine staatliche Vollstreckungsmaßnahme auf den aufgrund der Sachnähe vorrangigen Verfahrensweg zu verweisen. All dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Schuldner anwaltlich vertreten ist. Der Schuldner hat indes darauf hingewiesen, dass über den Antrag vom 24.11.2021 auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung nicht entschieden sei. Ob dieser Zeitlauf sachgerecht ist, muss die Beschwerdekammer in diesem Verfahren nicht entscheiden. Jedenfalls ist zu bemerken, dass der Schuldner in dem Zuschlagsbeschwerdeverfahren bisher nicht auf die Dringlichkeit zum 22.02.2022 hingewiesen hatte und dies offenbar auch nach Hinweis der Beschwerdekammer in diesem Verfahren nicht geschehen ist.
Die Beschwerdekammer ist sich dessen bewusst, dass zwischen einer Suizidgefahr bei Fortsetzung der Zwangsversteigerung (drohender Eigentumsverlust) und bei Durchführung einer Räumungsvollstreckung zu unterscheiden ist (vgl. hierzu nur BVerfG NJW 2012, 393; BVerfG NJW 2007, 2910; BGH NJW 2006, 505).
Auch ist es richtig, dass Gegenstand des Zuschlagsbeschwerdeverfahrens nicht die Räumungsvollstreckung bzw. der Räumungsschutz nach § 765a ZPO ist. Die einstweiligen Maßnahmen nach § 570 ZPO bieten dem Schuldner einen ausreichenden Schutz. Die Maßnahmen sind nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Dabei sind die besonderen Nachteile der betroffenen Partei und die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW-RR 2006, 332). Insofern kann zum Tragen kommen, dass ein besonders schwerwiegender Nachteil für den Schuldner die Zwangsräumung sein kann. Dies gilt umso mehr als der Schuldner in dem Zuschlagsbeschwerdeverfahren auch die Suizidgefahr wegen des drohenden Eigentumsverlusts eingewandt hat, was ja den unmittelbar zulässigen Beschwerdegegenstand in einem Zuschlagsbeschwerdeverfahren betrifft. Im Übrigen gilt es zu bedenken, dass bei Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens die Erfolgsaussichten eines Beschwerdeverfahrens zurücktreten können, wenn besonders schwerwiegende Nachteile für den Schuldner geltend gemacht werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.