Skip to content

Vorbehaltsurteil – Verzicht auf Nachverfahren bei Klageerweiterung

Kläger gewinnt Beschwerdeverfahren: Fortsetzung des Nachverfahrens trotz Verzicht

In einem aktuellen Gerichtsbeschluss entschied das OLG Köln, dass ein Nachverfahren fortgesetzt werden muss, obwohl der Beklagte auf die Durchführung verzichtet hat. Die Klägerin hatte ursprünglich einen Darlehensrückzahlungsanspruch im Urkundenprozess eingeklagt und nach einem Vorbehaltsurteil ihre Klage erweitert. Der Beklagte verzichtete daraufhin auf das Nachverfahren, was das Landgericht Köln als unzulässig ansah.

Direkt zum Urteil: Az.: 11 W 2/23 springen.

Verzicht auf Nachverfahren kein Hindernis für Klageerweiterung

Das OLG Köln entschied, dass der Verzicht des Beklagten auf das Nachverfahren keine Auswirkung auf die von der Klägerin erhobene Klageerweiterung hat. Der Prozess müsse fortgesetzt werden, da der Kläger nach § 596 ZPO jederzeit vom Urkundenverfahren Abstand nehmen und den Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren fortsetzen kann. Der Urkundenprozess ist laut Bundesgerichtshof einem ordentlichen Verfahren sehr ähnlich.

Rechtsprechung stärkt Position der Kläger

Die Entscheidung stärkt die Position der Kläger, indem sie klargestellt hat, dass der Urkundenprozess kein Hindernis für eine Klageerweiterung darstellt und der Beklagte nicht einseitig die Fortsetzung des Nachverfahrens verhindern kann. Somit können Kläger ihre Ansprüche auch bei einem Verzicht des Beklagten auf das Nachverfahren weiterverfolgen.

Benötigen Sie Hilfe in einem ähnlichen Fall? Jetzt Ersteinschätzung anfragen oder Beratungstermin vereinbaren: 02732 791079.


Das vorliegende Urteil

OLG Köln – Az.: 11 W 2/23 – Beschluss vom 16.03.2023

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 14.12.2022 wird der Beschluss des Landgerichts Köln vom 08.12.2022 – 16 O 415/21 – aufgehoben, soweit das Landgericht die Fortsetzung des Nachverfahrens über die Klageerweiterung endgültig abgelehnt hat.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat, soweit hier von Bedeutung, mit der im Urkundenprozess erhobenen Klage einen Darlehensrückzahlungsanspruch in Höhe von 33.700,- € nebst Zinsen verfolgt. Durch Vorbehaltsurteil vom 30.08.2022 (Bl. 202 ff. LGA) hat das Landgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt und ihm die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Mit Schriftsatz vom 12.10.2022 hat die Klägerin klageerweiternd die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 8.152,14 € nebst weiterer Zinsen und Zustellkosten begehrt (Bl. 244 ff. LGA). Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 25.11.2022 auf die Durchführung des Nachverfahrens verzichtet (Bl. 296 LGA).

Das Landgericht hat in dem angegriffenen Beschluss vom 08.12.2022 (Bl. 307 f. LGA) u.a. festgestellt, aufgrund der Unzulässigkeit des Nachverfahrens sei ihm eine Entscheidung über die im Nachverfahren geltend gemachten klageerweiternden Ansprüche verwehrt und den anberaumten Verhandlungstermin aufgehoben. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerseite vom 14.12.2022 (Bl. 321 ff. LGA).

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 14.12.2022 (Bl. 321 ff. LGA) gegen den Beschluss des Landgerichts vom 08.12.2022 (Bl. 307 f. LGA) ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, soweit das Landgericht hierdurch die – auf Antrag einer Partei erfolgende (BGH, NJW 1983, 1111; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 600 Rn. 2) – Fortsetzung des (Nach-)Verfahrens trotz ausdrücklichen Terminierungsantrags der Klägerseite (Bl. 279 LGA) endgültig abgelehnt hat (vgl. zur Statthaftigkeit in diesem Fall Stackmann, in: MünchKomm-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 216 Rn. 11 u. § 252 Rn. 13).

In der Sache ist die auch ansonsten zulässige Beschwerde nach Ansicht des Senats begründet. Das Nachverfahren ist fortzusetzen und über die Klageerweiterung zu entscheiden.

a) Soweit das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss die Unzulässigkeit des Nachverfahrens betreffend die ursprüngliche Klageforderung und damit in Ziffer 2) die Vorbehaltslosigkeit des Vorbehaltsurteils vom 30.08.2022 deklaratorisch feststellen hat (vgl. hierzu Olzen, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 600 Rn. 14), ist dies unproblematisch zulässig und wird von der hierdurch lediglich begünstigten Klägerseite auch nicht angegriffen.

Ein Verzicht auf das Nachverfahren ist – was auch die Beschwerde nicht in Zweifel zieht – an sich möglich, denn es handelt sich um ein schon nach dem Wortlaut von § 600 Abs. 1 ZPO zugunsten des Beklagten anhängig bleibenden Verfahrens, dem die Ausführung seiner Recht lediglich vorbehalten bleibt und der sich dieser Rechte privatautonom begeben kann (vgl. Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 600 Rn. 15 u. 35; Olzen, in: Wieczorek/Schütze, a.a.O., § 600 Rn. 14; Braun/Heiß, in: MünchKomm-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 600 Rn. 5; s.a. bereits KG, OLGRspr. 15, 272 f.; 37, 157 aus den Jahren 1907 und 1917). Ein solcher nachträglich erklärter Verzicht führt zur Unzulässigkeit des Nachverfahrens; der Vorbehalt wird gegenstandslos und das im Urkundenprozess ergangene Urteil erwächst in materielle Rechtskraft (vgl. Olzen, in: Wieczorek/Schütze, a.a.O., § 600 Rn. 14; Braun/Heiß, in: MünchKomm-ZPO, a.a.O., § 600 Rn. 5).

b) In Frage stellt die Beschwerde lediglich, ob das Nachverfahren auch hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 12.10.2022 erhobenen Klageerweiterung endet.

Ein Kläger, zu dessen Gunsten ein Vorbehaltsurteil gemäß § 599 Abs. 1 ZPO ergangen ist, darf zwar in dem sich daran anschließenden Nachverfahren die Klage – wie hier – grundsätzlich erweitern, weil es sich dabei um eine Fortsetzung des Prozesses im ordentlichen – unbeschränkten – Verfahren handelt; der darin liegende Widerspruch zu den Zielen der Konzentration des Prozessstoffs und der Prozessbeschleunigung steht dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen (vgl. BGH, NJW 1962, 1249, 1250; NJW 2022, 3443, 3445).

Damit ist aber nichts darüber ausgesagt, wie sich ein – ebenfalls an sich zulässiger – Verzicht auf das Nachverfahren durch den Beklagten auf die Klageerweiterung auswirkt.

Der Senat entscheidet diese Frage dahingehend, dass der im Stadium des ordentlichen Verfahrens befindliche Prozess fortzusetzen ist und nicht etwa die Klageerweiterung wirkungslos wird.

Im Einzelnen gilt:

Für die abweichende Sicht des Landgerichts spricht zwar zunächst, dass der Norm des § 600 ZPO die Erwägungen zugrunde liegen, dem Beklagten für die Nachprüfung des vorläufig zuerkannten Anspruchs ohne die Einschränkungen des Urkundenprozesses die Erhebung einer besonderen Klage zu ersparen und ihm die Parteistellung des Urkundenprozesses zu erhalten sowie für den Kläger einen Verfahrensabschluss ohne Aufschub und mit Fortwirkung der Verhandlung des Urkundenprozesses sicherzustellen (Braun/Heiß, in: MünchKomm-ZPO, a.a.O., § 600 Rn. 1). Diese Zwecke laufen teils leer, wenn sich das Nachverfahren ausschließlich und ohne jede Nutzziehung aus dem Urkundenprozess nur noch über einen anderen Streitgegenstand verhält, bei dem die Anspruchsvoraussetzungen vollständig neu zu prüfen sind. Bei Verzicht auf das Nachverfahren und zwischenzeitlicher Klageerweiterung verbleibt kein einheitlicher Streitgegenstand. Für die Ansicht des Landgerichts spricht weiter, dass ein Kläger danach nicht anders stünde, als wenn der Beklagte dem ursprünglichen Anspruch von Anfang an nicht widersprochen hätte und es damit zu gar keinem Nachverfahren gekommen wäre (§§ 599 Abs. 1, 600 Abs. 1 ZPO). Ferner erscheint ein Kläger, dem die Rechtsordnung den besonderen Rechtsbehelf des Urkundenprozesses zur Verfügung stellt und ihm die Durchsetzung seiner Ansprüche insoweit erleichtert, nicht übermäßig belastet, wenn der Beklagte es im Ausgleich in der Hand hätte, erst im Nachverfahren eingebrachten Ansprüchen durch Verzicht auf diesen Verfahrensabschnitt die Grundlage zu entziehen. Schließlich stünde die Klägerin entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht etwa rechtlos, sondern könnte weitere Ansprüche gesondert klageweise verfolgen.

Für die gegenteilige Sicht spricht aber maßgeblich, dass der Kläger nach § 596 ZPO jederzeit vom Urkundenverfahren Abstand nehmen und den Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren fortsetzen kann. Insoweit beschränkt ihn die ursprüngliche Wahl des Urkundenverfahrens in seiner künftigen Prozessführung nicht und dient auch das Nachverfahren nicht lediglich den Interessen der beklagten Partei, so dass diese hierüber frei verfügen könnte. Insgesamt ist der Urkundenprozess nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einem ordentlichen Verfahren sehr weitgehend angenähert und stellt sich lediglich als „Vorstadium des ordentlichen Verfahrens“ (BGH, NJW-RR 2022, 1433, 1435) dar, also als Zwischenschritt ohne Zäsurcharakter. Ferner entspricht es der in der Literatur vertretene Auffassung, der Kläger könne im Nachverfahren auch nur einen neuen, klageerweiternd eingebrachten Streitgegenstand verfolgen (so Olzen, in: Wieczorek/Schütze, a.a.O., § 600 Rn. 18 f.), bei Rücknahme des Widerspruchs nicht von einer vollständigen Unzulässigkeit des Nachverfahrens auszugehen. Bei dieser Sichtweise geht das Nachverfahren über einen bloßen Rechtsbehelf des Beklagten, mit dem er seine im Urkundenverfahren nicht statthaften Einwendungen geltend machen kann, hinaus. Schließlich greift der an sich zutreffende Verweis des Landgerichts darauf, dass es dem Zivilprozessrecht keineswegs grundlegend fremd ist, dass mit der Rücknahme eigener Rechtsbehelfe auch die Grundlage für gegnerische Angriffe wegfällt (§§ 524 Abs. 4, 554 Abs. 4 ZPO) und auch die in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verliert (BGH, NJW-RR 2017, 56, 57), letztlich nicht durch. Denn für die Abstandnahme vom Urkundenprozess soll eine entsprechende Anwendung von § 524 Abs. 4 ZPO nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausscheiden (vgl. BGH, NJW-RR 2022, 1433, 1434 f.). Es liegt nahe, dies im Rahmen des Verzichts auf das Nachverfahren nicht anders zu beurteilen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO zugelassen, weil der Rechtsfrage, welche Auswirkung der Verzicht des Beklagten auf das Nachverfahren bei zwischenzeitlicher Klageerweiterung hat, grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es handelt sich um eine abstrakt-generelle Rechtsfrage, die mangels Erörterung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie der herrschenden Literatur klärungsbedürftig erscheint.

Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant


  1. § 596 ZPO (Zivilprozessordnung) – Abstandnahme vom Urkundenverfahren: Der Kläger kann jederzeit vom Urkundenverfahren Abstand nehmen und den Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren fortsetzen. In diesem Fall hat das OLG Köln entschieden, dass der Verzicht des Beklagten auf das Nachverfahren keine Auswirkung auf die Klageerweiterung der Klägerin hat, da der Kläger nach § 596 ZPO den Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren fortsetzen kann.
  2. § 599 Abs. 1 ZPO – Vorbehaltsurteil: Im vorliegenden Fall hat das Landgericht Köln im Urkundenverfahren ein Vorbehaltsurteil zugunsten der Klägerin erlassen. Das Vorbehaltsurteil sichert dem Beklagten das Recht zu, im anschließenden Nachverfahren seine Einwendungen vorzubringen, ohne eine gesonderte Klage erheben zu müssen.
  3. § 600 ZPO – Nachverfahren: Nach § 600 ZPO bleibt das Verfahren zur Ausführung der Rechte des Beklagten im Nachverfahren anhängig. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte auf das Nachverfahren verzichtet, woraufhin das OLG Köln entschieden hat, dass der Verzicht keine Auswirkungen auf die Klageerweiterung der Klägerin hat und das Nachverfahren fortgesetzt werden muss.
  4. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO – Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde: Die Klägerin hat gegen den Beschluss des Landgerichts, der die Fortsetzung des Nachverfahrens über die Klageerweiterung endgültig abgelehnt hat, eine sofortige Beschwerde eingelegt. Gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist die sofortige Beschwerde statthaft.
  5. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH): Der BGH hat entschieden, dass der Urkundenprozess kein Hindernis für eine Klageerweiterung darstellt und der Beklagte nicht einseitig die Fortsetzung des Nachverfahrens verhindern kann. Dies stärkt die Position der Kläger, indem sie ihre Ansprüche auch bei einem Verzicht des Beklagten auf das Nachverfahren weiterverfolgen können.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Soforthilfe vom Anwalt!

Jetzt Hilfe vom Anwalt!

Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Beratungsanfrage bzw. Ersteinschätzung.

Ratgeber und hilfreiche Tipps unserer Experten.

Lesen Sie weitere interessante Urteile.

Unsere Kontaktinformationen.

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Hier finden Sie uns!

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

zum Kontaktformular

Ersteinschätzungen nur auf schriftliche Anfrage per Anfrageformular.

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Über uns

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!

Das sagen Kunden über uns
Unsere Social Media Kanäle

 

Termin vereinbaren

02732 791079

Bürozeiten:
Mo-Fr: 08:00 – 18:00 Uhr

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Rechtsanwälte Kotz. Mehr Infos anzeigen.

Ersteinschätzung

Wir analysieren für Sie Ihre aktuelle rechtliche Situation und individuellen Bedürfnisse. Dabei zeigen wir Ihnen auf, wie in Ihren Fall sinnvoll, effizient und möglichst kostengünstig vorzugehen ist.

Fragen Sie jetzt unverbindlich nach unsere Ersteinschätzung und erhalten Sie vorab eine Abschätzung der voraussichtlichen Kosten einer ausführlichen Beratung oder rechtssichere Auskunft.

Aktuelles Jobangebot

Juristische Mitarbeiter (M/W/D)
als Minijob, Midi-Job oder in Vollzeit.

mehr Infos