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Vorgesetztenbeleidigung – fristlose Kündigung

LAG Mainz

Az: 10 Sa 342/11

Urteil vom 09.02.2012


Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 03.03.2011, Az.: 1 Ca 1255/10, abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 mit sofortiger Wirkung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 zum 31.12.2010 aufgelöst worden ist.

Das Arbeitsverhältnis wird auf Antrag der Beklagten gerichtlich zum 31.12.2010 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Abfindung in Höhe von € 28.800,00 brutto zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger ¼ und die Beklagte ¾ zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 und zweitinstanzlich noch über einen von der Beklagten gestellten Auflösungsantrag zum 31.12.2010.

Der Kläger (geb. am 15.02.1967, verheiratet, drei unterhaltsberechtigte Kinder) ist seit dem 05.02.1992 bei der Beklagten als Facharbeiter beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt beträgt einschließlich Prämien und Zulagen ca. € 3.200,00. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie beschäftigt in ihrem Werk in C-Stadt ca. 1.200 Arbeitnehmer, es besteht ein Betriebsrat.

Die Beklagte hatte dem Kläger bereits am 25.04.2008 fristlos, hilfsweise zum 31.10.2008 aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt. Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat der damaligen Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsantrag (Az.: 1 Ca 898/08) mit Urteil vom 21.08.2008 stattgegeben. Die Beklagte beschäftigte den Kläger deshalb ab dem 01.09.2008 weiter. Sie setzte ihn mit seinem Einverständnis (Änderungsvereinbarung vom 28.08./ 03.09.2008) nicht mehr auf seinem bisherigen Arbeitsplatz als CNC-Rohrbieger, sondern in der Bauteileendbearbeitung im Bereich Sitzschienenfertigung zu einem geringeren Tarifentgelt (E 5 statt E 6 ERA) ein. Im Berufungsverfahren (Az.: 3 Sa 665/08) schlossen die Parteien am 03.03.2009 den nachfolgenden Vergleich:

Das Arbeitsverhältnis ist durch die auf den 28.04.2008 datierte Kündigung vom 25.04.2008 weder fristlos noch fristgerecht beendet worden.

Seit dem 01.09.2008 richtet sich der Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien unbefristet nach den Bestimmungen der Änderungsvereinbarung vom 28.08./03.09.2008.

Die Beklagte ist berechtigt, den Kläger wegen der Sachverhalte, die in der Klageerwiderung vom 11.07.2008 unter I.1. und I.3. behandelt werden, jeweils Abmahnungen zu erteilen, die mit Ablauf des 31.03.2010 aus der Personalakte zu entfernen sind.

Weiter ist die Beklagte berechtigt, dem Kläger eine bis zum 31.03.2010 befristete Abmahnung wegen des Sachverhalts zu erteilen, der in der Klageerwiderung unter I.2. behandelt wird.

…“

Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin drei Abmahnungen. Die Abmahnung vom 13.03.2009 (Bl. 302 d.A.) erfolgte wegen Täuschung bei der Dokumentation von Umrüstzeiten im Leistungslohn („Arbeitszeitbetrug“). Eine Abmahnung vom 18.03.2009 (Bl. 301 d.A.) erfolgte wegen der Aufstellung von falschen Behauptungen über seinen Vorgesetzten …. („Üble Nachrede“). Die dritte Abmahnung vom 18.03.2009 (Bl. 300 d.A.) erfolgte wegen Bedrohung des Arbeitskollegen Y. („Bedrohung von Mitarbeiter“).

Am 22.01.2010 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung (Bl. 69 d.A.) mit der Begründung, der Kläger habe sich beharrlich geweigert, der Aufgabenverteilung in der Gruppe Folge zu leisten und entgegen den betrieblichen Notwendigkeiten an einer Zerspanungsmaschine gearbeitet. Diese Abmahnung ist Gegenstand des Rechtsstreits 1 Ca 815/10. Das Arbeitsgericht hat das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Der Kläger nahm am 01.04.2010 in Begleitung eines Betriebsratsmitglieds Einsicht in seine Personalakte, um zu prüfen, ob die drei Abmahnungen aus März 2009, wie im Prozessvergleich vereinbart, zum 31.03.2010 entfernt worden sind. Sie waren nicht mehr in der Akte enthalten.

Mit Datum vom 17.05.2010 fertigte die Beklagte zwei weitere Abmahnungen. Die erste Abmahnung (Bl. 65-66 d.A.) enthält den Vorwurf, dass der Kläger am 30.03.2010 seine Mithilfe bei der Arbeit verweigert habe. Er habe seinen Arbeitskollegen provozierend angegrinst und geäußert: „Ich kann dich nicht verstehen, was hast du gesagt?“, ohne den Hörer seines MP3-Players aus den Ohren zu nehmen. Die zweite Abmahnung vom 17.05.2010 (Bl. 69/70 d.A.) enthält den Vorwurf, dass der Kläger am 30.03.2010 seinen Arbeitskollegen X. mit den Worten beschimpft haben soll: „Du bist eine Maus hier, du bist hier gar nichts, von dir lasse ich mir überhaupt nichts sagen!“. Außerdem soll er den Qualitätsprüfer …. mit den Worten: „Du hast überhaupt keine Ahnung, du kannst gar nichts!“ beleidigt haben.

Am 29.04.2010 rief der Kläger die Personalreferentin ….. an und berichtete ihr folgendes (Gesprächsvermerk vom 05.05.2010, Bl. 272 d.A.):

Der Arbeitskollege …. sei am 26.04.2010 gegen 14:00 Uhr nach Hause gegangen, er habe jedoch gegen 19:00 Uhr die Arbeit wieder aufgenommen, einen Auftrag „eingepackt“ und etwas mit der Laufkarte gemacht. Herr … habe mit ihm während einer kurzen Rauchpause gesprochen.

Der Arbeitnehmer …. sei am 26.04.2010 ebenfalls im Werk gewesen, obwohl er bereits in der Freistellungsphase der Altersteilzeit sei.

…. mache sich über die Meister (…..) lustig, die keine Hilfe geleistet, sondern „abgehauen“ seien, als ein Arbeitnehmer der Beklagten am Fußballplatz in eine Schlägerei geraten sei.

….. äffe immer wieder den Arbeitnehmer L. nach, der aufgrund seiner Gehörlosigkeit eine besondere Sprechweise habe.

Zwei Kollegen (X. und K. J.) hätten psychische Probleme, sie müssten täglich 5-6 Tabletten einnehmen.

….. habe gegenüber seiner Arbeitsgruppe geäußert: „Irgendwann laufe ich hier Amok!“

…. sei mit einer Pistole beim Arzt gewesen und habe gesagt, er wisse nicht mehr weiter.

Am 17.05.2010 führte die Personalreferentin S. mit dem Kläger ein weiteres Gespräch (Gesprächsvermerk vom 17.05.2010, Bl. 274 d.A.). Der Kläger berichtete ihr:

Der Schichtplan falle für ihn ungünstiger aus, als für seine Kollegen. Er sei in zwei aufeinander folgenden Wochen zur Spätschicht eingeteilt worden. Er habe erfahren, dass die Arbeitskollegen I. und H. nicht mit ihm arbeiten wollten. Als mögliche Gründe habe er erwähnt „vielleicht wegen meiner Hautfarbe oder meiner Nase“.

…. besitze zwei private Handys und telefoniere damit privat viel häufiger als er.

Am 19.05. und am 20.05.2010 berichtet der Kläger Frau S. (Gesprächsnotiz, Bl. 276 d.A.) folgendes:

Auf seine Nachfrage, warum es Leute gebe, die nicht mit ihm arbeiten wollen, habe …. angedeutet, dass…. ausländerfeindlich seien.

Der Arbeitnehmer …. habe mehrmals (5-mal) gegen das geltende Rauchverbot verstoßen und in der Halle vor dem Büro des Herrn U. geraucht. Es läge auch Asche auf dem Boden.

Am 20.05.2010 fand eine Gruppensitzung zum Thema „vergiftetes Arbeitsklima“ durch den Kläger statt. Der Gruppensprecher fertigte ein Besprechungsprotokoll (Bl. 292-293 d.A.) über die von insgesamt acht Personen geäußerte Kritik am Verhalten des Klägers.

Am 26.05.2010 bestellte der Personalleiter der Beklagten den Kläger zu einem Gespräch. Bei dem Gespräch waren der vorgesetzte Meister des Klägers, der Zeuge …., und auf Wunsch des Klägers ein Mitglied des Betriebsrates, der Zeuge E., anwesend. Der Gesprächsverlauf ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 07.06.2010 (Bl. 259-262 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigen fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung zum 31.12.2010 an. Dem Schreiben fügte sie insgesamt 15 Anlagen (Bl. 263-302 d.A.) – unter anderem den Vergleich vor dem LAG vom 03.03.2009 in dem Verfahren 3 Sa 665/08 – bei. Das vierseitige Anhörungsschreiben hat – auszugsweise – folgenden Wortlaut:

„…

Am 26.05.2010 versuchte Herr Zz. im Beisein des vorgesetzten Meisters, Herrn M., und des Betriebsratsmitglieds, Herrn E., ein Abmahnungsgespräch mit dem Kläger zu führen.

Noch bevor Herr Zz. Herrn A. zu den Vorwürfen aus den beiden Abmahnungen (Anlagen 1 und 2) befragen konnte, wurde Herr A. entschieden lauter, so dass die Lautstärke, die einer normalen Zimmerlautstärke deutlich überstieg. Dazu knackte er mit den Fingern, stand auf, beugte sich auf Herrn Zz. zu, streckte ihm seinen Zeigefinger bis auf wenige Zentimeter vor sein Gesicht und sagte: „Hören Sie auf damit!“ Durch die Tonlage, die Lautstärke seiner Stimme, das bedrohliche Nichtwahren der sog. „Sozialen Distanz“, das Ballen der Fäuste und das Knacken mit den Fingern, fühlte sich Herr Zz. objektiv bedroht. Denselben Eindruck gewannen auch die anwesenden Personen Herr……

Auf die Nachfrage von Herrn Zz., womit er aufhören solle und ob er ihm drohen wolle, antwortete Herr A.: „Mit allem“. Auf die erneute Nachfrage, was er damit meine, sagte dieser: „Mit allem, was Sie gegen mich tun.“

Herr Zz. entgegnete Herrn A., dass er sich nach dem gerichtlichen Vergleich (Az: 3 Sa 665/08, Anlage 3) vor ihn gestellt habe, um bei seinen ehemaligen Kollegen in H 43/44 seinen Weiterbeschäftigungsanspruch durchzusetzen, da sich seine alte Arbeitsgruppe am Tag nach Abschluss des gerichtlichen Vergleichs geweigert habe, ihn wieder aufzunehmen.

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Ebenso erläuterte Herr Zz., dass er sich gemeinsam mit dem Betriebsrat dafür eingesetzt habe, dass er eine neue Chance in einer der reifsten und am besten geführten Gruppen in H 15, bekommt. Darüber hinaus führte Herr Zz. aus, dass er selbst, Frau S. und Herr ….. in Summe mehrere Stunden mit den Vorwürfen befasst waren, die er in den Gesprächen mit Frau …. gegen seine Kollegen erhoben hat (Anlage 4, 5, 6, 7 und 8).

Herr A. unterbrach Herrn …. dabei mehrfach und lachte ihn lauthals aus. Auf dessen Frage, ob er ihn auslache, antwortete er: „Nein, ich habe einen Lachkrampf.“

In der Folge forderte Herr Zz. ihn mehrfach auf, wieder Platz zu nehmen, sich die vorgeworfenen Pflichtverletzungen anzuhören und dazu Stellung zu nehmen. Herr A. war jedoch weder bereit, sich die vorgeworfenen Pflichtverletzungen anzuhören und das Gespräch sachlich fortzusetzen noch inhaltlich Stellung zu nehmen. Er sagte: „Ich rede überhaupt nicht mehr mit Ihnen, das werden wir nur noch vor dem Arbeitsgericht tun.“

Erschwerend kommt hinzu, dass das Arbeitsverhältnis von Herrn A. belastet ist. Hierzu verweisen wir vollumfänglich auf unsere Kündigungsanhörung vom 18.04.2008 (Anlage 12). Zudem beinhaltete der Vergleich vor dem LAG vom 03.03.2009 (Anlage 3) das Aussprechen von drei Abmahnungen (Anlage 13 „Bedrohung von Mitarbeiter“, 14 „Üble Nachrede“ und 15 „Arbeitszeitbetrug“).

…“

Der Betriebsrat teilte der Beklagten am 10.06.2010 abschließend mit, dass er zur außerordentlichen und zur ordentlichen Kündigung keine Stellungnahme abgebe. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 10.06.2010, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2010. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 01.07.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 03.03.2011 (dort Seite 2-6 = Bl. 169-173 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 beendet wird, im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Facharbeiter in der Zerspanung weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 03.03.2011 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung der Beklagten sei nach § 626 BGB gerechtfertigt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger den Personalleiter am 26.05.2010 massiv beleidigt habe. Der Kläger habe ihn durch sein gesamtes Verhalten in Gegenwart der Zeugen……. verächtlich gemacht. Er habe sich von seinem Platz erhoben und sich trotz entsprechender Aufforderung geweigert, sich wieder zu setzen. Schon diese Weigerung sei geeignet, den Personalleiter herabzuwürdigen. Darüber hinaus habe der Kläger mit dem Finger auf den Personalleiter gezeigt und ihn aufgefordert „damit aufzuhören“. Für den Personalleiter habe jedoch keine Veranlassung bestanden, das Personalgespräch abzubrechen. Der Kläger hätte sich in der Sache zu den Abmahnungsvorwürfen äußern können. Stattdessen sei er gegenüber dem Personalleiter massiv unsachlich aufgetreten. Selbst wenn er nervös gewesen sein sollte, hätte er seinen Standpunkt in gehöriger Form darstellen müssen. Stattdessen sei er in völlig unangemessener Weise unsachlich und beleidigend aufgetreten. Er habe den Personalleiter vor den Zeugen E. und M. der Lächerlichkeit Preis gegeben. Vor diesem Hintergrund sei die fristlose Kündigung auch bei Abwägung der Interessen beider Parteien wirksam. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 6 bis 12 des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 173-179 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 01.06.2011 zugestellt worden. Er hat mit am 17.06.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 01.09.2011 verlängerten Begründungsfrist mit am 01.09.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Zur Begründung seiner Berufung sowie zur Verteidigung gegen den von der Beklagten im Berufungsverfahren in der mündlichen Verhandlung am 10.11.2011 gestellten Auflösungsantrag macht der Kläger nach Maßgabe der Schriftsätze vom 01.09.2011 (Bl. 203-212 d.A.) und vom 24.01.2012 (Bl. 335-342 d.A.), auf die ergänzend Bezug genommen wird, zusammengefasst geltend: Die fristlose Kündigung sei bereits gemäß § 626 Abs. 2 BGB unwirksam, weil die Beklagte die Zwei-Wochen-Frist nicht gewahrt habe.

Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB ausgegangen. Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sei nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Sein Verhalten im Verlauf des Personalgesprächs vom 26.05.2010 könne nicht als grobe Beleidigung gewertet werden. Er habe die Position des Personalleiters nicht untergraben, zumal nur vier Personen an dem vertraulichen Gespräch teilgenommen haben. Er habe nicht überlegt gehandelt, sondern spontan auf die Situation reagiert. Er sei nervös gewesen und habe sich zu den vorbereiteten Abmahnungen nicht spontan äußern wollen, zumal ihm schon einmal gekündigt worden war. Seine Reaktion (Vorbeugen, Zeigefinger heben, Weigerung sich hinzusetzen) sei seiner Nervosität und Aufregung geschuldet. Er habe den Personalleiter auch nicht ausgelacht. Er habe vielmehr geäußert: „Ich habe einen Lachkrampf“, weil er unwillkürlich aufgelacht habe, als der Personalleiter ihm erklärt habe, er habe dafür gesorgt, dass er in einer anderen Abteilung eine Chance erhalte. Diese Erklärung habe für ihn einen bitteren Beigeschmack gehabt.

Die Kündigung sei gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte habe im Anhörungsschreiben mit der Einleitung „Erschwerend kommt hinzu“ auf die drei Abmahnungen vom 13.03. und 18.03.2009 wegen „Bedrohung von Mitarbeiter“, „Üble Nachrede“ und „Arbeitszeitbetrug“ hingewiesen, ohne deutlich zu machen, dass sie diese Abmahnungen am 31.03.2010 aufgrund des Prozessvergleichs vom 03.03.2009 aus der Personalakte hätte entfernen müssen. Insoweit habe sie den Betriebsrat bewusst irreführend informiert, denn sie habe ihm suggeriert, dass eine große Anzahl von Abmahnungen gegen ihn vorliege. Die Beklagte habe die drei Abmahnungen dem Betriebsrat als Anlage zum Anhörungsschreiben vorgelegt, ohne zu erläutern, warum sie diese nicht vernichtet habe. Sie habe sich Unterlagen bedient, die sie nur in einer geheimen zweiten Personalakte aufbewahrt haben könne.

Eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2010 komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die hilfsweise ordentliche Kündigung nicht (nur) sozialwidrig, sondern wegen der fehlerhaften Anhörung des Betriebsrates unwirksam sei. Auflösungsgründe lägen im Übrigen nicht vor. Soweit die Beklagte behaupte, der Kündigungssachverhalt und die diversen Abmahnungen hätten dazu geführt, dass kein Mitarbeiter mehr mit ihm zusammenarbeiten wolle, könne er diese pauschale Behauptung nur pauschal bestreiten.

Er habe auch keineswegs gezielt und ungerechtfertigt Kollegen gegenüber der Personalabteilung „angeschwärzt“, um sie verächtlich zu machen. Er habe zwischen dem 29.04. und dem 20.05.2010 insgesamt vier Gespräche mit der Personalreferentin S. geführt. Bei der Einsicht in seine Personalakte am 01.04.2010 habe er festgestellt, dass dort eine Beschwerde des Arbeitnehmers X. vom 30.03.2010 abgeheftet war. Die Vorwürfe, die X. gegen ihn erhoben habe, seien nicht wahr. Er habe deshalb den Gruppensprecher als auch den zuständigen Meister angesprochen. Er habe der Personalreferentin berichtet, dass X. am 26.04.2010 um 19:00 Uhr wieder im Betrieb erschienen sei, weil er „Bedenken gehabt habe“. Immerhin habe ihm X. berichtet, dass er mit eine Pistole beim Arzt gewesen sei. Außerdem habe sich X. über ihn beschwert. Schließlich müsse zwischen zwei Schichten eine Pause von 11 Stunden liegen. Er habe ihr von dem Besuch des Q. P. berichtet, weil es „ihm merkwürdig vorgekommen“ sei, dass ein freigestellter Kollege erst nach 19:00 Uhr ohne erkennbaren Grund in den Betrieb komme. X. habe sich über die Meister lustig gemacht, die bei einem Fußballspiel abgehauen seien, anstatt einem Kollegen zu helfen, der von Hooligans aufs Auge geschlagen worden sei. Er sei der Auffassung gewesen, dass er der Personalabteilung melden müsse, dass X. die Kollegen deswegen verächtlich gemacht habe. Gleiches gelte in Bezug auf das Nachäffen der Sprechweise des gehörlosen Arbeitnehmers L.. Er wolle nicht, dass Gehörlose im Betrieb derart verächtlich gemacht werden. Schließlich habe er der Personalreferentin berichtet, dass die Kollegen X. und J. psychische Probleme hätten und regemäßig Beruhigungstabletten nehmen. Schließlich habe ihm X. einmal gesagt, dass er mitunter gar nicht wisse, was er tue. Er habe Frau S. weiter berichtet, dass J. zweimal erklärt habe, er werde irgendwann Amok laufen und X. angegeben habe, er sei mit einer Pistole beim Arzt gewesen. Er habe darin drohende Gefahren für den Betrieb gesehen und die Beklagte deshalb frühzeitig warnen wollen. Auch im Gespräch am 17.05.2010 habe er niemanden unberechtigt in der Personalabteilung anschwärzen wollen. Nach den ihm vorliegenden Informationen sei er davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmer I. und H. ausländerfeindlich seien und sein Schichtplan letztlich deswegen immer wieder geändert worden sei. Zu seinem Hinweis vom 20.05.2010 sei zu beachten, dass im Betrieb ein absolutes Rauchverbot herrsche. Ihm sei aufgefallen, dass der Gruppensprecher R., insb. bei Regen oder Kühle, in der Halle rauche. Er habe die Beklagte auf die Gefährdung hinweisen wollen. Auch insoweit sei ein Fehlverhalten nicht erkennbar.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 03.03.2011, Az.: 1 Ca 1255/10, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 aufgelöst worden ist, den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen,

das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gemäß §§ 9, 10 KSchG zum 31.12.2010 gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 26.10.2011 (Bl. 243-258 d.A.), auf den Bezug genommen wird, als zutreffend. Ihren in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 10.11.2011 gestellten Auflösungsantrag begründet sie damit, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten sei. Das Arbeitsverhältnis sei durch massive Vertragsverletzungen des Klägers belastet. Das kündigungsrelevante Verhalten des Klägers im Gespräch vom 26.05.2010 sei lediglich eines von vielen Arbeitsvertragsverstößen. Unabhängig davon habe sie dem Kläger am 17.05.2010 zwei Abmahnungen sowie am 22.01.2010 eine Abmahnung erklärt. Der Kläger nehme nichts und niemanden ernst, er lasse sich weder durch arbeitsrechtliche Sanktionen noch durch gutes Zureden von einem adäquaten betrieblichen Miteinander überzeugen. Überobligatorisches Engagement – insbesondere des Personalleiters – werde mit Häme quittiert. Inzwischen sei kein Mitarbeiter mehr bereit, mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, zumal der Kläger gezielt Mitarbeiter gegenüber der Personalabteilung wegen vermeintlich anrüchiger Sachverhalte anschwärze. Insoweit sei auf die Gespräche des Klägers mit der Personalabteilung zu verweisen (Gesprächsnotiz vom 05.05., 11.05., 17.05., 18.05., 19. und 20.05.2010). Es sei nicht ersichtlich, wie unter diesen Umständen eine zukünftige Zusammenarbeit noch möglich sein soll. Wegen weiterer Einzelheiten des Auflösungsantrags wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 07.12.2011 (Bl. 312-320 d.A.) Bezug genommen.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akten 1 Ca 898/08 (3 Sa 665/08), 1 Ca 815/10 und 1 Ca 846/10.

Entscheidungsgründe:

A. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

B. In der Sache hat die Berufung des Klägers Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 mit sofortiger Wirkung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist zum 31.12.2010 aufgelöst worden (I.). Das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen ist deshalb abzuändern und der Klage stattzugeben. Auf Antrag der Beklagten war das Arbeitsverhältnis allerdings nach §§ 9, 10 KSchG gerichtlich unter Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung von € 28.800,00 zum 31.12.2010 aufzulösen (II.). Ein Weiterbeschäftigungsanspruch besteht deshalb nicht (III.).

I. 1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 ist gemäß § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Nach dieser Vorschrift kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Beklagte hat die Zwei-Wochen-Frist nicht gewahrt. Das Personalgespräch, dessen Verlauf Anlass zur fristlosen Kündigung gab, fand am 26.05.2010 statt. Die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB begann an diesem Tag zu laufen und endete am 09.06.2010 (§§ 187 ff. BGB). Die Kündigung ging dem Kläger erst am 10.06.2010 und damit verspätet zu.

2. Die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.06.2010 zum 31.12.2010 ist nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Das aggressive und respektlose Verhalten des Klägers gegenüber dem Personalleiter im Personalgespräch vom 26.05.2010 rechtfertigt aus Sicht der Berufungskammer aufgrund der stets notwendigen Interessenabwägung auch nicht die ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.

Zwar können nach näherer Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung grobe Beleidigungen oder Ehrverletzungen von Vorgesetzten die Kündigung als außerordentliche oder als ordentliche Kündigung rechtfertigen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, muss der Arbeitgeber im groben Maß unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, nicht hinnehmen (vgl. BAG Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08 – Rn. 17, AP Nr. 226 zu § 626 BGB, LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 04.05.2011 – 8 Sa 361/10, Rn. 29, Juris; jeweils m.w.N.).

Der Kläger hat sich nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme im Personalgespräch vom 26.05.2010 völlig unangemessen verhalten. Sein aggressives Auftreten gegenüber dem Personalleiter stellte einen im groben Maße unsachlichen Angriff dar. Das respektlose Verhalten beinhaltete eine erhebliche Miss- bzw. Nichtachtung des Personalleiters der Beklagten in seiner Stellung als Vorgesetzter.

Der Personalleiter hat während seiner erstinstanzlichen Zeugenvernehmung bekundet, dass er das Personalgespräch führen wollte, um den Kläger zu den Sachverhalten anzuhören, die er zum Gegenstand zweier vorbereiteter Abmahnungen (beide mit Datum vom 17.05.2010) gemacht habe. Der Kläger sei bei Eröffnung des Gesprächs sofort aggressiv geworden, habe sich zu ihm herübergebeugt und erklärt: „Ich rede mit Ihnen überhaupt nicht mehr“. Er habe ihm den Zeigefinger bis auf wenige Zentimeter vor das Gesicht gestreckt und gesagt: „Hören Sie auf damit!“. Auf die Frage, womit er aufhören solle, habe er geantwortet: „Mit allem, das werden wir bei Gericht klären“. Der Kläger sei aufgestanden und habe sich an die Wand gelehnt. Er habe sich geweigert, sich wieder hinzusetzen und zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Auf den Hinweis des Personalleiters, dass er sich nach dem Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht (vom 03.03.2009 in dem Verfahren 3 Sa 665/08) für ihn eingesetzt habe, um ihm in einer anderen Arbeitsgruppe eine neue Chance zu geben, habe der Kläger begonnen, laut zu lachen. Die Frage, ob er ihn auslache, habe der Kläger mit: „Nein, ich habe einen Lachkrampf“ beantwortet. Daraufhin brach der Personalleiter das Gespräch ab.

Sowohl der Zeuge M., der als vorgesetzter Meister des Klägers an dem Gespräch teilgenommen hat, als auch der Zeuge E., den der Kläger als Betriebsratsmitglied beigezogen hat, haben die Aussage des Personalleiters klar und eindeutig bestätigt. Das Arbeitsgericht hat nach der umfassenden und gründlichen Beweisaufnahme zutreffend erkannt, dass die Abweichungen zwischen den einzelnen Aussagen unerheblich sind. Bei den zentralen Inhalten bestand eine hohe Übereinstimmung. Das sich der Kläger gegenüber dem Personalleiter der Beklagten aggressiv und respektlos verhalten hat, steht auch für die Berufungskammer außer Zweifel. Die Kammer stellt ausdrücklich klar, dass ein Arbeitgeber ein solches Verhalten nicht sanktionslos hinnehmen muss.

Die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung scheitert vorliegend jedoch am Ergebnis der bei jeder Kündigung durchzuführenden umfassenden Interessenabwägung. Zu Gunsten des Klägers ist die lange Dauer seiner Betriebszugehörigkeit von 18 Jahren zu berücksichtigen. Zudem ist zu seinen Gunsten in die Abwägung einzustellen, dass er gegenüber seiner Ehefrau und seinen drei Kindern unterhaltspflichtig ist. Die Unterhaltspflichten und der Familienstand haben bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen zwar nur marginale Bedeutung. Sie können jedoch bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden, beeinflussen sie doch das Gewicht des Arbeitnehmerinteresses an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Das Interesse der Beklagten, sich (abfindungslos) vom Kläger zu trennen, wiegt dessen Bestandsschutzinteresse nicht auf. Die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände sind im Ergebnis höher zu bewerten als das berechtigte Interesse der Beklagten sich von einem Arbeitnehmer zu trennen, der sich mit seinem aggressiven und impulsiven Verhalten – nicht nur gegenüber dem Personalleiter – auf eine Ebene begeben hat, die letztlich nicht mehr hinnehmbar ist.

II. Das Arbeitsverhältnis ist jedoch auf Antrag der Beklagten nach §§ 9, 10 KSchG gerichtlich zum 31.12.2010 unter Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von € 28.800,00 brutto aufzulösen.

1. Der von der Beklagten in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag ist zulässig. Dieser kann nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Da das Arbeitsverhältnis auch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist, war über ihren Auflösungsantrag zu entscheiden.

Die Beklagte kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG verlangen, weil die Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 10.06. zum 31.12.2010 allein auf der Sozialwidrigkeit beruht (vgl. BAG Urteil vom 28.05.2009 -2 AZR 949/07 – AP Nr. 59 zu § 9 KSchG 1969; BAG Urteil vom 28.08.2008 – 2 AZR 63/07 – NZA 2009, 275; m.w.N.). Die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten zum 31.12.2010 ist nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam.

Die Beklagte hat im Anhörungsschreiben an den Betriebsrat vom 07.06.2010 auf Seite 4 mit dem Einleitungssatz: „Erschwerend kommt hinzu, dass das Arbeitsverhältnis von Herrn A. erheblich belastet ist“ auf die drei Abmahnungen vom 13.03. und 18.03.2009 wegen „Bedrohung von Mitarbeiter“, „Üble Nachrede“ und „Arbeitszeitbetrug“ hingewiesen, ohne ausdrücklich auszuführen, dass sie diese Abmahnungen am 31.03.2010 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen hatte. Entgegen der Ansicht des Klägers führt dies nicht zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrates.

An die Mitteilungspflichten im Anhörungsverfahren sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände und Gründe für die Kündigung unterbreitet hat. Dagegen führt eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (BAG Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 – Rn. 45, NZA 2011, 1342, m.w.N.).

Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit ihrem Anhörungsschreiben vom 07.06.2010 ausreichend informiert. Sie hat ihm mit der Schilderung des Verhaltens des Klägers im Personalgespräch vom 26.05.2010 die aus ihrer Sicht tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterbreitet. Darüber hinaus hat sie den Betriebsrat auf die erste verhaltensbedingte Kündigung vom 28.04.2008, den Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht vom 03.03.2009 (Az.: 3 Sa 665/08) und die drei Abmahnungen wegen „Bedrohung von Mitarbeiter“, „Üble Nachrede“ und „Arbeitszeitbetrug“ hingewiesen, die der Vergleich beinhaltete. Aus ihrer Sicht enthielt dieser Hinweis auch angesichts des Umstands, dass die drei Abmahnungen am 31.03.2010 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen waren, keine unrichtige Information. Die Beklagte hat dem Betriebsrat sowohl die drei Abmahnungen (Anlage 13, 14 und 15) als auch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht im ersten Kündigungsschutzprozess (Az.: 3 Sa 665/08) vom 03.03.2009 als Anlage 3 zum Anhörungsschreiben vorgelegt. Der Wortlaut des Prozessvergleichs enthält die Verpflichtung, die drei Abmahnungen mit Ablauf des 31.03.2010 aus der Personalakte zu entfernen. Damit konnte sich der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein zutreffendes Bild auch darüber verschaffen, dass die drei Abmahnungen am 31.03.2010 aus der Personalakte zu entfernen waren.

Entgegen der Ansicht des Klägers, war die Beklagte nicht verpflichtet, dem Betriebsrat zu erläutern, weshalb sie die drei Abmahnungen nicht vernichtet hat und ob sie eine geheime zweite Personalakte führt. Die Beklagte musste dem Betriebsrat allenfalls solche Umstände neben der Mitteilung der Kündigungsgründe zu Gehör bringen, die aus ihrer Sicht entlastend für den Kläger wirken konnten. Das entspricht der subjektiven Determinierung der Kündigungsgründe, wonach der Arbeitgeber dem Betriebsrat nur die aus seiner Sicht tragenden – und ggf. auch die möglicherweise entlastenden – Umstände zu unterbreiten hat. Die Beklagte war der Ansicht, dass sie dem Kläger die drei Abmahnungen aus März 2009 noch vorhalten durfte, weil sie ihn am 22.01.2010 binnen Jahresfrist erneut abgemahnt hat. So hat ihr Personalleiter in der Sitzung vom 10.11.2011 zu Protokoll erklärt, dass er aufgrund der Regelungen in einer Betriebsordnung grundsätzlich verpflichtet sei, Abmahnungen binnen Jahresfrist aus der Personalakte zu entfernen, es sei denn das neue Pflichtverstöße vorliegen. Ein solcher Fall sei aus seiner Sicht hier gegeben gewesen. Ging aber die Beklagte davon aus, dass sie dem Kläger die drei Abmahnungen aus März 2009 noch vorhalten durfte, so brauchte sie dem Betriebsrat nicht mitzuteilen, warum sie diese nicht vernichtet hat.

2. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Auflösungsgründe für den Arbeitgeber können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Ein Verschulden des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich. Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (vgl. BAG Urteil vom 09.09.2010 – 2 AZR 482/09 – Rn. 10, 11, AP Nr. 64 zu § 9 KSchG 1969, m.w.N.).

3. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist dem Auflösungsantrag der Beklagten zu entsprechen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat eine Entwicklung genommen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lässt.

Eine solche Zusammenarbeit setzt das Vorhandensein einer entsprechenden Vertrauensgrundlage voraus. Diese Vertrauensgrundlage besteht vorliegend nicht mehr. Der Auftritt des Klägers im Personalgespräch vom 26.05.2010 hat zwar nicht ausgereicht, die Kündigung vom 10.06.2010 als außerordentliche oder ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Bereits der Kündigungssachverhalt ist jedoch so beschaffen, dass er eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht erwarten lässt. Meinungsverschiedenheiten, wie sie in Betrieben immer wieder auftreten können, müssen mit der gebotenen Sachlichkeit ausgetragen werden. Sowohl das persönliche Verhältnis des Klägers zum Personalleiter der Beklagten als auch das Verhältnis zu seinen Arbeitskollegen und unmittelbaren Vorgesetzten ist durch sein aggressives und impulsives Verhalten so belastet, dass eine dem Betriebszweck dienliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich eine Reihe von Umständen, die diese Wertung rechtfertigen.

Es ist davon auszugehen, dass es künftig zu vergleichbaren Vorkommnissen kommen kann, wie sie auch Gegenstand der erstinstanzlichen Beweisaufnahme waren. So hat der Zeuge X. während seiner Vernehmung bekundet, dass der Kläger am 30.03.2010 „wutentbrannt“ gewesen sei, weil er den Schlüssel zum Werkzeugschrank nicht gefunden habe. Der Kläger habe ihn mit den Worten: „Du bist eine Maus. Du hast hier nichts zu sagen. Du bist gar nichts“ beschimpft. Der Zeuge W. U. hat während seiner Vernehmung ausgesagt, dass er in seiner Eigenschaft als Qualitätsprüfer am 30.03.2010 die vom Kläger gefertigten Bauteile in der Endabnahme beanstandet und eine Nachbearbeitung gefordert habe. Im Verlauf der sich anschließenden Diskussion über diese Beanstandung habe ihm der Kläger vorgeworfen: „Wenn du keinen Ahnung hast, hältst du deinen Mund“. Der Zeuge Xz. hat die beiden Ausbrüche, wenn auch in abgeschwächter Form, bestätigt. Er hat bekundet, dass der Kläger ihm und dem Zeugen X. erklärt haben „Ich lasse mir von euch nichts sagen“. Zum Zeugen X. habe er außerdem geäußert: „Wz., du sollst nicht mit Leuten Katz und Maus spielen“. Dabei habe der Kläger geschrien. Dem Qualitätsprüfer …. habe er vorgeworfen: „Du hast keine Ahnung“.

Dem Personalleiter gelingt es nicht (mehr), den Kläger zu einem angemessenen und respektvollen Umgang mit seinen Arbeitskollegen zu bewegen. Seine Autorität wird vom Kläger nicht anerkannt, wie sein Verhalten im Personalgespräch vom 26.05.2010 belegt. Die Anstrengungen des Personalleiters, den Kläger in eine Arbeitsgruppe zu integrieren, werden mit Häme quittiert („Ich habe einen Lachkrampf“). Einen derartigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses, insbesondere die durch das Verhalten des Klägers entstandenen Belastungen des Betriebsklimas, muss die Beklagte nicht mehr hinnehmen.

Der Konflikt des Klägers mit der Arbeitsgruppe ist so eskaliert, dass am 20.05.2010 eine Gruppensitzung zum Thema „vergiftete Arbeitsklima“ stattgefunden hat. Ausweislich des Protokolls der Sitzung haben sich insgesamt acht Arbeitnehmer über den Kläger beschwert. Mit den Beschuldigungen der Arbeitskollegen, die der Kläger in der Zeit zwischen dem 29.04. und dem 20.05.2010 in insgesamt vier Gesprächen bei der Personalreferentin S. vorgebracht hat, hat er den Konflikt mit seinen Arbeitskollegen noch angeheizt.

Der Kläger verfolgte mit seinen „Meldungen“ in der Personalabteilung keine uneigennützigen Zwecke, wie die Berufung glauben machen will. Dass er die Brandgefahr auf dem Werksgelände reduzieren (Meldung von Verstößen gegen das Rauchverbot), die Einhaltung der Pausenzeiten überwachen (Meldung des Erscheinens am Arbeitsplatz), die Diskriminierung gehörloser Arbeitnehmer unterbinden (Meldung des Nachäffens seiner Sprechweise) oder gar einen Schusswechsel verhindern (X. war mit einer Pistole beim Arzt) wollte, nimmt ihm die Kammer nicht ab. Es handelt sich lediglich um den Versuch, das „Anschwärzen“ mit altruistischen Motiven zu verbrämen. Der Kläger war über die schriftliche Beschwerde des Zeugen X. („Du bist eine Maus“), die er bei der Einsichtnahme in seine Personalakte am 01.04.2010 entdeckt hatte, so erbost, dass er ihn und andere Arbeitnehmer, über die er sich ebenfalls geärgert hatte, beim Arbeitgeber schlechtgemacht hat.

In einer Gesamtschau der vorgenannten Umstände gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen dem Kläger, seinen Arbeitskollegen, seinen unmittelbaren Vorgesetzten und dem Personalleiter nicht mehr zu erwarten ist.

4. Die Berufungskammer hält in Ausübung ihres Ermessens eine Abfindung gemäß § 10 KSchG in Höhe von € 28.800,00 brutto für angemessen. Dieser Betrag entspricht neun Monatsverdiensten.

Bei der Bemessung der Abfindung nach § 10 KSchG hat die Kammer die Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses, das Lebensalter des Klägers und seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau und den drei Kindern berücksichtigt. Der Abfindungshöhe hat die Kammer ein halbes Bruttomonatsentgelt pro Beschäftigungsjahr zu Grunde gelegt, so dass sich ausgehend von einem Monatsverdienst von rund € 3.200,00 brutto und einer Betriebszugehörigkeit von 18 Jahren ein Abfindungsbetrag von € 28.800,00 ergibt. Dieser Betrag ist einerseits ausreichend, andererseits aber auch erforderlich, um den Kläger und seine Familie angemessen für den Verlust des Arbeitsplatzes zu entschädigen.

III. Gemäß § 9 Abs. 2 KSchG ist als Auflösungszeitpunkt der 31.12.2010 festzusetzen. Angesichts der gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu diesem Termin hat der Kläger keinen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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