Finanzgericht Köln
Az.: 10 K 3795/06
Urteil vom 07.12.2006
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf einen erweiterten Vorläufigkeitsvermerk hat.
Die Klägerin bezog im Streitjahr 2005 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 15.369 EUR. Auf der Grundlage der eingereichten Einkommensteuererklärung wurde die Einkommensteuer der Klägerin für 2005 mit Einkommensteuerbescheid vom 10. Juli 2006 – teilweise vorläufig – auf 759 EUR festgesetzt. Der Bescheid enthielt in den Erläuterungen den üblichen maschinellen Vorläufigkeitsvermerk im Hinblick auf die beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen, die Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten und die Anwendung der durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29. Dezember 2003 geänderten Vorschriften, und zwar bezogen auf die Frage der Vereinbarkeit der angeführten Vorschriften mit höherrangigem Recht (GA Bl. 11, 12).
Mit dem erfolglosen Einspruch begehrte die Klägerin die Aufnahme des folgenden Vermerks gemäß § 165 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977: „Der Bescheid ergeht vorläufig hinsichtlich sämtlicher in der Beilage 3/2005 zum BStBl II Nr. 16/2005 vom 9. Oktober 2005 genannten Verfahren“. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2006 aus: Das Klagebegehren könne auch nicht auf die Regelung des § 165 Abs.
1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 gestützt werden. Es sei ermessensgerecht, den Vorläufigkeitsvermerk nicht in allen denkbaren Fällen zu setzen, sondern dies etwa von der Breitenwirkung des Verfahrens oder davon abhängig zu machen, inwieweit zu der zu klärenden Rechtsfrage bereits Gerichtsentscheidungen vorlägen.
Außerdem enthalte die als Beilage zum BStBl II herausgegebene Liste der beim BFH, Bundesverfassungsgericht und EuGH anhängigen Verfahren mehrheitlich Verfahren zu sog. einfachgesetzlichen Rechtsfragen ohne Bezug zu höherrangigem Recht, die ohnehin nicht unter den Anwendungsbereich des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 fielen. Insoweit komme bereits deshalb keine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht. Der Antrag der Klägerin sprenge mithin die dem Beklagten durch die gesetzliche Vorschrift vorgegebenen Ermessensgrenzen.
Auch der angenommene Vereinfachungseffekt sei nicht realistisch vor dem Hintergrund, dass die Beilage regelmäßig viermal im Jahr erscheine. Sie sei bereits redaktionell nie auf den neuesten Stand, schon gar nicht die Liste vom 19. Oktober 2005 lt. Klageantrag. Die Aufnahme eines entsprechenden Vorläufigkeitsvermerks könne den Steuerpflichtigen und seinen Berater deshalb nicht von der Pflicht befreien, im Einzelfall zu prüfen, ob aktuell beachtliche Musterverfahren anhängig seien, die im Rahmen der Vorläufigkeit noch nicht berücksichtigt seien. Schließlich sei für die Steuerfestsetzung der Klägerin mit ihren wenigen Besteuerungsgrundlagen ohnehin keine erweiterte Vorläufigkeit geboten.
Die Klägerin macht geltend:
Mittlerweile unterliege ein Großteil der steuerrechtlichen Normen einer vorlaufenden Prüfung durch den BFH, das BVerfG und den EuGH. Diese Verfahren hätten Einfluss auf fast sämtliche Steuerbescheide. Dem Steuerpflichtigen und seinem Berater sei es in Anbetracht des vom Gesetzgeber verursachten Steuerchaos nicht möglich und zumutbar, aus der Vielzahl von anhängigen Verfahren diejenige herauszusuchen, die unter Umständen für den individuellen Bescheid Bedeutung erlangen könnten. Die Finanzverwaltung mache von der Möglichkeit der Vorläufigkeitserklärung weitgehenden Gebrauch (Hinweis auf BMF-Schreiben vom 16. Februar 2006, BStBl I 2006, 214), sodass inzwischen jeder Bescheid hinsichtlich der Anwendung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 geänderten Vorschriften vorläufig sei, selbst wenn die Steuer nur 0 EUR betrage. Die beantragte Vorläufigkeit stelle auch eine Vereinfachung für die Verwaltung dar, da sie eine Vielzahl von Einsprüchen verhindere. Vor dem Hintergrund der verworrenen und unübersichtlichen Rechtslage könne es nicht sein, dass der Steuerpflichtige immer der Dumme sei, nur weil er nicht rechtzeitig Einspruch gegen einen Steuerbescheid eingelegt habe.
Im Übrigen sei die erklärte Vorläufigkeit hinsichtlich der Auswirkungen des Haushaltsbegleitgesetzes nicht weniger unbestimmt als die von der Klägerin begehrte Vorläufigkeit.
Der trotz ordnungsgemäßer Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat schriftsätzlich beantragt, den Einkommensteuerbescheid vom 10. Juli 2006 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2006 dahin zu ändern, dass er um folgenden Vorläufigkeitsvermerk ergänzt wird: „Der Bescheid ergeht vorläufig hinsichtlich sämtlicher in der Beilage 3/2005 zum BStBl II Nr. 16/2005 vom 19. Oktober 2005 genannten Verfahren“.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist dazu auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
1.
Die Regelung über die vorläufige Festsetzung von Steuerbeträgen ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 auch dann anzuwenden, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist.
2.
Bei der Anordnung der Vorläufigkeit einer Steuerfestsetzung handelt es sich um eine unselbständige Nebenbestimmung zu diesem Verwaltungsakt, die im Ermessen der Finanzverwaltung steht (vgl. BFH-Urteile vom 29. August 2001 VIII R 1/01, BFH/NV 2002, 465, vom 16. September 2004 X R 22/01, BFH/NV 2005, 322, vom 27. November 1996 X R 20/95, BStBl II 1997, 791, BFH/NV 1997, 540).
3.
Im Streitfall lässt die Entscheidung des Beklagten, die Einkommensteuer der Klägerin nur in dem im angefochtenen Bescheid erklärten Umfang vorläufig festzusetzen, keine Ermessensfehler erkennen. Der erkennende Senat nimmt insoweit auf die nach seiner Ansicht zutreffende Begründung in der Einspruchsentscheidung Bezug und sieht gemäß § 105 Abs. 5 FGO von einer eigenen Ausformulierung der Entscheidungsgründe ab.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.