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Vorprozessuales Privatgutachten – Wann sind die Kosten erstattungsfähig

Die Frage der Erstattungsfähigkeit vorprozessualer Privatgutachten

In einem spannenden Rechtsstreit, der zu einem Urteil des Oberlandesgerichts Jena (OLG Jena) geführt hat, steht die Frage im Mittelpunkt, ob und unter welchen Umständen die Kosten für vorprozessuale Privatgutachten erstattet werden können. Es handelt sich um einen Rechtsstreit, in dem der Kläger gegen mehrere Beklagte ein Teilschmerzensgeld sowie die Feststellung einer Ersatzpflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden in Zusammenhang mit einer behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung einer Knieverletzung nach einem Arbeitsunfall begehrt. Wichtig für den vorliegenden Fall sind die Kosten für vorprozessuale Privatgutachten, die der Kläger in Anspruch genommen hat. In einer komplexen juristischen Angelegenheit, die weitreichende Auswirkungen auf künftige Fälle haben könnte, erweisen sich diese Kosten als Kernthema.

Direkt zum Urteil Az: 7 W 274/22 springen.

Schlüsselrolle vorprozessualer Privatgutachten

Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Rolle und die Kosten von vorprozessualen Privatgutachten, die vom Kläger zur Unterstützung seiner Behauptungen in Anspruch genommen wurden. Er forderte die Erstattung der Kosten für diese Gutachten als Teil der zu erstattenden Kosten im Rahmen des Rechtsstreits.

Komplizierter Kostenfestsetzungsprozess

Im Laufe des Rechtsstreits kam es zu einem komplexen Kostenfestsetzungsprozess, der mehrere Aspekte und Beteiligte umfasste. Dies führte schließlich zu einer Entscheidung des OLG Jena, die das Verständnis für die Behandlung solcher Fälle in Zukunft prägen könnte.

Endgültige Urteilsfindung und ihre Auswirkungen

Das OLG Jena fällte schließlich eine Entscheidung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten für vorprozessuale Privatgutachten. Diese Entscheidung könnte weitreichende Auswirkungen auf zukünftige Rechtsstreitigkeiten haben, in denen Parteien versuchen, ähnliche Kosten geltend zu machen.


Das vorliegende Urteil

OLG Jena – Az.: 7 W 274/22 – Beschluss vom 19.01.2023

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 18.07.2022 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Meiningen vom 28.06.2022 i.V.m. dem Berichtigungsbeschluss vom 14.07.2022, Az. 3 O 467/20, wie folgt abgeändert:

Die von dem Kläger an die Beklagten zu 2 bis 5 als Gesamtgläubiger gem. § 106 ZPO nach dem Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 02.05.2022 zu erstattenden Kosten werden auf 4.633,30 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB hieraus seit 09.05.2022 festgesetzt.

2. Die weitergehende sofortige Beschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

5. Der Beschwerdewert wird auf 1.034,46 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens um die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Privatgutachterkosten des Klägers.

Vorprozessuales Privatgutachten - Wann sind die Kosten erstattungsfähig
(Symbolfoto: Elnur/Shutterstock.com)

Im erstinstanzlichen Rechtsstreit vor dem Landgericht Meiningen begehrte der Kläger mit Klage vom 22.06.2020 gegenüber den Beklagten ein Teilschmerzensgeld sowie die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden im Zusammenhang mit einer behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung einer Knieverletzung nach einem Arbeitsunfall am 15.12.2016. Den Rechtsstreit beendeten die Parteien mit einem gerichtlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO vom 02.05.2022 (Bl. 357 f. d. A.). Gemäß der dortigen Vereinbarung haben von den Gerichtskosten der Kläger 71 % und die Beklagten zu 2) – 5) 29 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) hat der Kläger allein zu tragen. Die übrigen außergerichtlichen Kosten haben der Kläger zu 83 % und die Beklagten zu 2) – 5) zu 17 % zu tragen.

Mit Kostenausgleichsantrag vom 18.05.2022 (Bl. 372ff. d. A.) beantragte die Klägerseite unter anderem die Berücksichtigung der Kosten von ihr in Anspruch genommener vorgerichtlicher Privatgutachter, nämlich:

– Gutachten des Herrn Prof. Dr. ### vom 20.07.2018 gemäß dessen Kostenrechnung vom 20.07.2018 (Anlage 1a, Bl. 375 d. A.): 3.216,57 Euro

– Gutachten des Herrn Prof. Dr. ### vom 24.04.2019 gemäß dessen Kostenrechnung vom 24.04.2019 (Anlage 1b, Bl. 376 d. A.): 2.868,48 Euro

Mit Beschluss vom 28.06.2022 (Bl. 610ff. d. A.) – berichtigt mit weiterem Beschluss vom 14.07.2022 (Bl. 620 f. d. A.) – hat die Rechtspflegerin am Landgericht Meiningen die von dem Kläger an die Beklagten zu 2) – 5) zu erstattenden Kosten unter Ausgleich der Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten festgesetzt. Dabei hat sie die vorgenannten Privatgutachterkosten für nicht erstattungsfähig erachtet. Da diese bereits vor Einreichung der Klageschrift entstanden sind, wären diese bereits Bestandteil der Klageforderung gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Beschlüsse verwiesen.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 05.07.2022 zugestellten Beschluss vom 28.06.2022 wendet sich der Kläger mit seiner bei dem Landgericht am 18.07.2022 eingegangenen sofortigen Beschwerde (Bl. 627ff. d. A.) wiederholt mit weiterem Schreiben vom 28.07.2022 auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Beschlussberichtigung (Bl. 638 d. A.). Er meint weiterhin, die Kosten der Gutachten vom 20.07.2018 und 24.04.2019 seien im Rahmen der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen, da die Gutachten erforderlich gewesen seien, um den Prozess vorzubereiten und zu führen. Er legt zudem eine von ihm am 23.10.2017 an den Klägervertreter erteilte Prozessvollmacht in „Sachen … ./. Verantwortliche“ (Bl. 629 d. A.) vor.

Die Beklagten zu 2) – 5) haben mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 26.07.2022 (Bl. 632ff. d. A.) einer Berücksichtigung der vorgenannten Privatgutachterkosten widersprochen, da diese nicht unmittelbar prozessbezogen und diese zudem auch unter Berücksichtigung des Kostenschonungsgebotes nicht „notwendig“ gewesen seien.

Die Rechtspflegerin am Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und hat diese mit Beschluss vom 18.08.2022 dem Thüringer Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 639ff. d. A.).

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin vom 22.06./14.07.2022 ist zulässig, insbesondere statthaft und auch form- und fristgerecht erhoben (§§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569ff. ZPO i. V. mit § 11 Abs. 1 RPflG).

In der Sache hat die sofortige Beschwerde teilweisen Erfolg, und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung in dem im Tenor genannten Umfang. Im Rahmen der Kostenfestsetzung sind die von dem Kläger zum Kostenausgleich angemeldeten Kosten des vorprozessual eingeholten fachmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. … vom 24.04.2019 in Höhe von 2.868,48 Euro einzubeziehen. Hingegen finden – mit dem Landgericht zutreffend – die Kosten eines weiteren vorgerichtlichen fachmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. … vom 20.07 2018 in Höhe von 3.216,57 Euro keine Berücksichtigung, da es insoweit an der erforderlichen Prozessbezogenheit fehlt.

1. Im Ergebnis zutreffend hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die von dem Kläger zum Kostenausgleich angemeldeten Kosten eines vorgerichtlichen fachmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. … vom 20.07.2018 In Höhe von 3.216,57 Euro nicht im Rahmen der Kostenfestsetzung einbezogen. Denn insoweit handelt es sich nicht um erstattungsfähige außergerichtliche Kosten des Klägers im Sinne von § 91 Abs. 1 ZPO.

a) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind die dem Gegner erwachsenen Kosten nur insoweit zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Notwendige Kosten sind nur solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Dabei ist auf den Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahme (ex ante) abzustellen. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise auch die Kosten für die Einholung eines auch vorprozessual erstatteten Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind (BGH, Beschluss vom 12.09.2018 – VII ZB 56/15). Zwar werden dem Rechtspfleger dadurch für ein Kostenfestsetzungsverfahren außergewöhnliche Prüfungen auferlegt. Da sich die Erstattungsfähigkeit nach einer seit Jahrzehnten gefestigten Rechtsprechung richtet und nicht vom Ergebnis oder der Überzeugungskraft der Begutachtung noch von Verlauf und Ausgang des Prozesses abhängen, geht mit dieser außergewöhnlichen Prüfung keine Überbeanspruchung des Kostenfestsetzungsverfahrens einher (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 18). (KG Berlin, Beschluss vom 26.03.2020 – 19 W 128/19)

Ein Privatgutachten wird nicht schon durch seine Vorlage bzw. Verwendung im Rechtsstreit prozessbezogen. Unmittelbar prozessbezogen sind Gutachterkosten nur dann, wenn sich das Gutachten auf den konkreten Rechtsstreit bezieht und gerade mit Rücksicht auf diesen beauftragt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2008 – VI ZB 72/06). Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig (vgl. BGH, a.a.O.). Umgekehrt ist dann, wenn die Gutachtenbeauftragung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Klage bereits angedroht war, naheliegend, dass das Gutachten auch die Position des Auftraggebers im angedrohten Rechtsstreit stützen soll. Mit dem Erfordernis der unmittelbaren Prozessbezogenheit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Anspruchsberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen (BGH, a a.O., Rn. 7, 8). (KG Berlin, Beschluss vom 26.03.2020 – 19 W 128/19)

b) Die vorgenannten Grundsätze im Blick lässt sich eine unmittelbare Prozessbezogenheit der klägerischen Kosten für das vorprozessuale – fachorthopädische/fachtraumatologische – Gutachten des Prof Dr. … vom 20.07.2018 nicht feststellen. Zwar hat der Kläger das vorgenannte Gutachten vom 20.07.2018 mit seiner Klageschrift vom 22.06.2020 vorgelegt und dazu verwendet, um ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten zu begründen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens zeichnete sich jedoch ein Rechtsstreit mit den Beklagten noch nicht hinreichend konkret ab, so dass es an der unmittelbaren Prozessbezogenheit fehlt. Der von dem Kläger vorgelegte Schriftverkehr seiner Bevollmächtigten mit dem … als Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 2) – 5) hatte noch keinen erforderlichen Prozess gegen diese zur Durchsetzung vermeintlicher Schadensersatzansprüche im Blick; vielmehr dienten die Schreiben der außergerichtlichen Klärung des Sachverhalts. Der aus dem Gutachten vom 20.07.2018 zu entnehmende Gutachtensauftrag lässt eine unmittelbare Prozessbezogenheit nicht erkennen, als es hiernach um die zu klärende Frage ging, ob und wenn ja auf welche Art und Weise und mit welchen Folgen Herr … (der Kläger) vermeidbar anlässlich seiner Behandlung in ab dem 19.12.2016 iatrogen geschädigt wurde.

Eine Klageandrohung durch den Kläger erfolgte erst nach Vorliegen des Gutachtens mit dessen Übersendung an die Haftpflichtversicherer mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 07.08.2018 (Anlage K8; Bl. 128 AB Kl) („Wird der Prozess gewünscht?“). Zu diesem Zeitpunkt waren die Gutachterkosten jedoch bereits entstanden. Es ist daher davon auszugehen, dass das Gutachten nicht in Hinblick auf einen konkreten – sich anbahnenden – Prozess in Auftrag gegeben wurde, als vielmehr dazu, zunächst außergerichtlich eine Schadensfeststellung zu treffen und die eigene Position in möglichen außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen mit den Haftpflichtversicherern zu stärken. Soweit die Klägerseite vorträgt, dass nach ihrer Erfahrung mit einer außergerichtlichen Regulierung von Arzthaftungsansprüchen durch den Haftpflichtversicherer recht zu rechnen (gewesen) sei, steht diesem bereits der langwierige Schriftverkehr zwischen den Bevollmächtigten des Klägers und den Haftpflichtversicherern – vorgelegt mit Anlage K4 bis K28 für den Zeitraum von Januar 2018 bis November 2019 – entgegen.

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Unerheblich für eine unmittelbare Prozessbezogenheit des Gutachtens vom 20.07.2018 ist die von dem Klägervertreter vorgelegte Prozessführungsvollmacht vom 23.10.2017, da diese hinsichtlich der Parteien bereits kein konkretisiertes Rechtsverhältnis aufführt. Zudem steht einem zu diesem Zeitpunkt sich bereits konkret abzeichnenden Prozess wiederum entgegen, dass bis zum 22.06.2020 mit der Erhebung einer Klage abgewartet und statt dessen ein intensiver außergerichtlicher Schriftverkehr erfolgte. Ein Rechtsstreit stand also zum 20.07.2018 keinesfalls ganz konkret im Raum, sollte vielmehr eher sogar durch die Einschaltung der Haftpflichtversicherungen vermieden werden (s.a. OLG Köln, Beschluss vom 22.08.2016 – 17 W 24/16)

2. Hingegen sind die Kosten des weiteren vorgerichtlichen fachärztlichen Gutachtens des Herrn Prof. Dr. … vom 24.04.2019 gemäß dessen Kostenrechnung vom 24.04.2019 (Anlage 1b, Bl. 376 d. A.) von 2.868,48 Euro entsprechend der Anmeldung des Klägers im Rahmen des Kostenausgleichs zu berücksichtigen. Diese Kosten sind als notwendige Kosten im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig.

a) Vorliegend ergibt sich die nach den oben genannten Grundsätzen die erforderliche unmittelbare Prozessbezogenheit dieser dem Kläger entstandenen Kosten daraus, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens am 24.04.2019 der Bevollmächtigte des Klägers gegenüber den Haftpflichtversicherern der Beklagten bereits mehrfach einen Prozess zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen angedroht hatte (s. Scheiben vom 07.08.2028 – Anlage K8, vom 03.12.2018 – Anlage K10, vom 16.04.2019 – Anlage K18/K19).

Der BGH hat in seiner Rechtsprechung in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehende vorgerichtliche Privatgutachterkosten für den Fall bejaht, dass das Sachverständigengutachten von dem an der Rechtmäßigkeit des Schadensersatzbegehrens zweifelnden Haftpflichtversicherer erst zu einem Zeitpunkt in Auftrag gegeben worden ist, zu dem die Klage bereits angedroht werden war. Bei einer konkreten Klageandrohung kann die Beauftragung eines Privatsachverständigen und der damit verbundene Kostenaufwand nicht den allgemeinen Betriebskosten zugerechnet werden, die grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind. Vielmehr liegt in einem solchen Fall auf der Hand, dass das Privatgutachten nicht nur einer etwaigen außergerichtlichen Schadensfeststellung dienen, sondern auch die Position des Auftraggebers in dem ihm angedrohten Rechtsstreit stützen sollte. Die Erstattungsfähigkeit hat er zudem auch in einem Fall bejaht, in dem das Sachverständigengutachten zwar schon vor Klageandrohung in Auftrag gegeben worden war, jedoch erst nach Klageandrohung erstellt wurde. Auch das kann zur Bejahung unmittelbarer Prozessbezogenheit genügen. Es macht in der Regel keinen Unterschied, ob der Sachverständige das Gutachten aufgrund eines ihm nach Klageandrohung erteilten Auftrages erstellt oder aufgrund eines zum Zeitpunkt der Klageandrohung fortbestehenden Auftrages. Denn spätestens mit der Klageandrohung wird die für die Vorbereitung der Rechtsverteidigung im anstehenden Prozess maßgebende Erstellung des Sachverständigengutachtens zu einer unmittelbar prozessbezogenen Tätigkeit. Eine ausschließliche Ausrichtung des ursprünglichen Gutachtenauftrags auf den konkreten Prozess ist dagegen nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 04.03.2008 – VI ZB 72/06).

b) Die für die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten weiter erforderliche Sachdienlichkeit der Hinzuziehung eines Privatsachverständigen ist ebenfalls zu bejahen. Für die Beurteilung ist darauf abzustellen, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme – ex ante – als sachdienlich ansehen durfte. Sachdienlich ist die Hinzuziehung insbesondere dann, wenn die Partei ohne die Einholung des Privatgutachtens infolge fehlender Sachkenntnis zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage wäre (u.a. OLG Köln, Beschluss vom 21.07.2021 – I-17 W 51/20). Hiervon ist vorliegend bei dem Kläger als medizinischen Laien hinsichtlich der Beurteilung der ärztlichen Behandlung der Beklagten und möglicher Verletzungen des fachärztlichen Standards auszugehen. Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozess mit geringen Substantiierungsanforderungen an den Geschädigtenvortrag und der gesteigerten Aufklärungspflicht durch das Gericht (s.u.a. BGH, Beschluss vom 12.03.2019 – VI ZR 278/18 -, NJW 2019, 2399 Rn. 8, 9, beck-online) handelt es sich um einen Zivilprozess. Zur sachgerechten Vorbereitung und Darlegung im Prozess – insbesondere bei sich vorprozessual wie vorliegend bereits abzeichnende Einwendungen der Beklagten gegen die fachmedizinische Bewertung – kann sich der Kläger der Inanspruchnahme gutachterlicher Expertise bedienen. Hierzu kann er auch nicht auf die kostenfreie Möglichkeit der – regelmäßig auf eine außergerichtliche Streitbeilegung gerichtete – Begutachtung durch den MDK oder einer Schlichtungsstelle verwiesen werden.

3. Danach ergibt sich unter Einbeziehung der klägerseits geltend gemachten Kosten für das Gutachten vom 24.04.2019 in Höhe von 2.868,48 Euro in die Berechnung der Rechtspflegerin zur Kostenfestsetzung im Beschluss vom 28.06./14.07.2022 ein von dem Kläger an die Beklagten zu 2) bis 5) zu erstattender Betrag von 4.633,30 Euro.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da hierfür die Voraussetzungen des § 574 ZPO nicht gegeben sind. Die Grundsätze zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für Privatgutachten sind höchstrichterlich hinreichend geklärt. Die Frage der unmittelbaren Beziehung zu einem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit ist eine Frage des Einzelfalls und gebietet die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant:

1. Kostenrecht (Zivilprozessrecht)

Das Kostenrecht ist ein Teilgebiet des Zivilprozessrechts und regelt die Verteilung der Kosten eines Zivilprozesses unter den Beteiligten. Im Urteil wird die Erstattungsfähigkeit vorprozessualer Privatgutachterkosten diskutiert. Hierbei spielen speziell die §§ 91, 103, 104 Zivilprozessordnung (ZPO) eine wichtige Rolle, welche grundsätzlich festlegen, dass die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, und welche Kosten im Einzelnen erstattungsfähig sind. Der in dem Fall relevante § 106 ZPO regelt die Frage, wer bei mehreren Beklagten (hier: Gesamtgläubigern) welche Kosten zu tragen hat.

2. Schadensersatzrecht (Zivilrecht)

Das Schadensersatzrecht ist ein Teilgebiet des Zivilrechts und kommt hier ins Spiel, da der Kläger vor dem LandgerichtMeiningen Schmerzensgeld sowie die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden im Zusammenhang mit einer behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung einer Knieverletzung begehrte. Relevant in diesem Zusammenhang ist § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), welcher die Haftung wegen verletzender Handlungen regelt.

3. Medizinrecht

Das Medizinrecht ist eine Querschnittsmaterie aus mehreren Rechtsgebieten und wird hier relevant durch die behauptete fehlerhafte ärztliche Behandlung einer Knieverletzung. Hier ist insbesondere das Patientenrechtegesetz relevant, welches die Rechte der Patienten stärken und transparenter machen soll. Dieses Gesetz regelt auch die Beweislast im Fall einer fehlerhaften medizinischen Behandlung.

4. Zinsrecht (Zivilrecht)

Im vorliegenden Fall spielt auch das Zinsrecht eine Rolle. Es ist in § 247 BGB geregelt, der den Basiszinssatz definiert, und es ist relevant, um die Höhe der Zinsen zu berechnen, die auf den festgesetzten Betrag von 4.633,30 Euro seit dem 09.05.2022 anfallen.

5. Verfahrensrecht (Zivilprozessrecht)

Das Verfahrensrecht ist ein weiteres zentrales Rechtsgebiet in diesem Fall. Hierbei spielt insbesondere § 278 ZPO eine Rolle, welcher das gerichtliche Vergleichsverfahren regelt und in diesem Fall zur Beendigung des Rechtsstreits genutzt wurde. Außerdem wichtig ist § 567 ZPO, welcher die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Rechtspflegers regelt, die hier vom Kläger eingelegt wurde.

Häufig gestellte Fragen

1. Sind Kosten für ein vorprozessuales Privatgutachten erstattungsfähig?

Im Grundsatz sind Kosten für ein vorprozessuales Privatgutachten nicht erstattungsfähig. Sie werden in der Regel als vorgerichtliche Kosten betrachtet und sind daher in der Regel nicht Bestandteil der Kosten eines Zivilprozesses. Allerdings gibt es Ausnahmen. Wenn das Gutachten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war, können die Kosten erstattungsfähig sein. Es kommt auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.

2. Was ist unter „zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung“ zu verstehen?

Das Konzept der „zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung“ bedeutet, dass die entstandenen Kosten notwendig waren, um das eigene Recht wirksam zu verfolgen oder zu verteidigen. Das bedeutet, dass das Gutachten eine entscheidende Rolle für den Ausgang des Verfahrens oder für die Einschätzung der Erfolgsaussichten spielen musste.

3. Welche Faktoren beeinflussen die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten?

Faktoren, die die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten beeinflussen können, sind unter anderem:

  • Die Notwendigkeit des Gutachtens für das Gerichtsverfahren. War das Gutachten essentiell, um den Sachverhalt für das Gericht verständlich zu machen oder einen Schadensumfang zu beweisen, kann dies für die Erstattungsfähigkeit sprechen.
  • Das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Privatgutachten und dem Rechtsstreit. Ist das Privatgutachten in direktem Zusammenhang mit dem Rechtsstreit erstellt worden, kann dies für die Erstattungsfähigkeit sprechen.
  • Die Höhe der Kosten. Ist der Preis für das Privatgutachten angemessen, kann dies für die Erstattungsfähigkeit sprechen. Überhöhte Kosten könnten hingegen gegen eine Erstattungsfähigkeit sprechen.

4. Muss ich die Kosten für ein Privatgutachten immer selbst tragen, wenn sie nicht erstattungsfähig sind?

Nicht zwangsläufig. Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, diese Kosten als Schadensposition im Rahmen eines Schadensersatzanspruches geltend zu machen. Es kommt jedoch immer auf den Einzelfall an.

5. Welche Rolle spielt das Kostenschonungsgebot im Kontext von Privatgutachten?

Das Kostenschonungsgebot bedeutet, dass ein Kläger oder Beklagter gehalten ist, die Kosten des Rechtsstreits so gering wie möglich zu halten. Wenn also günstigere Alternativen für ein Privatgutachten bestanden hätten oder das Gutachten selbst nicht notwendig für den Rechtsstreit war, könnte das Kostenschonungsgebot gegen eine Erstattungsfähigkeit der Kosten für das Privatgutachten sprechen.

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