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Waldschaden durch Umweltverschmutzung haftet das Land oder die BRD?

BGH

Az.: III ZR 220/86

Urteil vom 10.12.1987

Vorinstanzen: OLG Stuttgart und LG Stuttgart


Urteil verkürzt:

Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer eines forst- und landwirtschaftlichen Betriebs, der im mittleren Schwarzwald liegt und einen Wirtschaftswald von 54,27 ha umfaßt. Der Wald besteht im wesentlichen (94 % der Fläche) aus einem stark holzreichen Plenterwald mit Tannen, Fichten und Buchen. Die forstwirtschaftlichen Erträge bilden die Existenzgrundlage des Klägers.

Der Kläger hat vorgetragen: In seinem Wald sei seit Mitte der 50er Jahre der Zuwachs an Holz zurückgegangen; seit 1973 seien äußerlich sichtbare Schädigungen an einzelnen Bäumen und inzwischen am gesamten Baumbestand festzustellen. Während zunächst nur die Tannen betroffen gewesen seien, zeigten seit 1980 die Fichten und Buchen ebenfalls Schäden. Eine Schadensinventur im September 1983 habe ergeben, daß bereits 89 % der Bäume Schadenssymptome wie Nadelverluste, Nadelverfärbung, Wasserreiserbildung oder tote Äste aufwiesen und die Schädigungen zu einem sehr starken Rückgang des laufenden Zuwachses an Holz von früher 10 auf derzeit höchstens 7 Vorratsfestmeter je Hektar geführt hätten.

Die Schäden seien als Teil des in Deutschland weitflächig auftretenden Waldsterbens anzusehen. Dieses beruhe in erster Linie auf den großräumig wirkenden Luftverunreinigungen, vor allem in Gestalt von Schwefeldioxid und seinen „Umwandlungsprodukten“ sowie Stickoxyden. Als Verursacher der Waldschäden kämen hauptsächlich Schadstoffe aus drei Bereichen in Betracht: Emissionen von gewerblichen und industriellen Anlagen, von privaten Feuerungsanlagen (Ölheizungen) und von Kraftfahrzeugen, Luftverkehrs- und Schienenfahrzeugen. Das Waldsterben zerstöre die Struktur seines Plenterwaldes und damit den Charakter seines Forstbetriebs. Der laufende Schaden des Betriebs bestehe in einem um mindestens 370 DM pro Jahr und Hektar geminderten Reinertrag. Sein gesamter Schaden belaufe sich auf wenigstens 1 Mio. DM. Mit der Klage mache er den in den Jahren 1983, 1984 und 1985 entstandenen Schaden geltend.

Diesen Schaden hätten die Beklagten u. a. nach den Grundsätzen der Amtshaftung sowie des enteignungsgleichen oder des enteignenden Eingriffs zu ersetzen, weil sie die genannten Emissionen hoheitlich genehmigt, zugelassen oder erlaubt hätten.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 108.431,46 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg. Das Klagebegehren ist unter keinem rechtlichem Gesichtspunkt begründet.

Das Berufungsgericht unterstellt, daß die vom Kläger behaupteten Ursachen der neuartigen, emittentenfernen Waldschäden zutreffen. Daher ist hiervon für die revisionsrechtliche Beurteilung auszugehen (zum Stand der Ursachenforschung zusammenfassend Moosmayer in: Waldschäden als Rechtsproblem, Umwelt- und Technikrecht Bd. 2, hrsg. von Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder, 1987, S. 1, 5 ff.; Feldhaus, ebenda, S. 17, 19 ff.; Bender, ebenda S. 83, 88 ff., jew. M. w. Nachw.).

I. Die Vorschrift des § 14 Satz 2 BImSchG bietet weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung noch in verfassungskonformer Auslegung eine geeignete Rechtsgrundlage für den vom Kläger verlangten (Teil-)Ersatz seiner Waldschäden.

1. a) § 14 Satz 2 BImSchG ist keine öffentlich-rechtliche Norm des Staatshaftungsrechts. Es handelt sich vielmehr um eine Vorschrift des privaten Nachbarrechts (OLG Köln NJW 1986, 589, 590; Staudinger/Roth BGB 12. Aufl. § 906 Rdn. 237). Der in § 14 Satz 2 BImSchG geregelte Schadensersatzanspruch bildet ein Surrogat für den durch § 14 Satz 1 BImSchG abgeschnittenen bürgerlich-rechtlichen, aus Eigentum oder Besitz des betroffenen Nachbargrundstücks hergeleiteten Anspruch auf Einstellung des Betriebes der störenden Anlage (BGHZ 92, 143, 146). An die Stelle des ausgeschlossenen Anspruchs tritt in erster Linie ein Anspruch auf Schutzvorkehrungen (§ 14 Satz 1, Halbs. 2 BImSchG), hilfsweise – wenn Schutzvorkehrungen gegen die benachteiligenden Wirkungen der Anlage nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar sind – ein Anspruch auf Schadensersatz nach Satz 2 der genannten Vorschrift (Feldhaus BImSchG Stand Februar 1987 § 14 Anm. 9; Stich/Porger BImSchG Stand Mai 1986 § 14 Rdn. 14; Jarass BImSchG 1983 § 14 Rdn. 12; Engelhardt BImSchG 2. Aufl. Bd. I, § 14 Rdn. 8, 9; OLG Köln a.a.O.; vgl. auch Begr. Zu § 14 BImSchG BT-Drucks. 7/119 S. 36). Dieser Schadensersatzanspruch richtet sich als Surrogat des ausgeschlossenen Abwehranspruchs ebenfalls gegen den Störer; das ist der Betreiber der emittierenden Anlage (OLG Köln a.a.O. m. w. Nachw.; Feldhaus a.a.O. § 14 Anm. 11; Engelhardt a.a.O. § 14 Rdn. 9).

b) Die Beklagten sind jedoch nicht (oder allenfalls in einem hier zu vernachlässigenden Umfange) die Betreiber der genehmigungspflichtigen Anlagen, die die für die Waldschäden (mit-) ursächlichen Luftschadstoffe ausstoßen. (Immissionen durch den Straßenverkehr und durch private Heizungsanlagen müssen hier ohnehin außer Betracht bleiben, da § 14 BImSchG nur für nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigte Anlagen gilt.) Zwar kommt als Störer auch derjenige in Betracht, durch dessen maßgebenden Willen – sei es auch ohne sein Verschulden – ein Zustand geschaffen wird, der die Beeinträchtigung des Eigentums des Dritten zur Folge hat (RGZ 155, 316, 319). Störer in diesem Sinne kann etwa auch ein Kreiskommunalverbund sein, auf dessen Gelände von einem Dritten eine geruchsintensive Abdeckerei betrieben wird (Zustandsstörer). Das ist aber vom Reichsgericht nur unter der weiteren Voraussetzung angenommen worden, daß der Verband nicht nur das Grundstück für die Errichtung und den Betrieb der Abdeckerei zur Verfügung gestellt, sondern auch den Bau und den fortbestand der Anlage finanziert und sich weitgehende Einfluß- und Aufsichtsrechte vorbehalten hatte (RGZ a.a.O. S. 320).

Damit ist jedoch der hier zu beurteilende Fall nicht vergleichbar. Die emittierenden Industrieanlagen sind zwar aufgrund von Gesetzen, die die Erstbeklagte erlassen hat von dem Zweitbeklagten immissionsschutzrechtlich genehmigt worden. Damit gehen die schädlichen Immissionen, die von den genehmigten Anlagen verursacht werden, aber noch nicht „auf den maßgeblichen Willen“ der beiden Beklagten zurück. Sie haben den Betrieb dieser Anlagen nicht veranlaßt, sondern diese Anlagen lediglich zugelassen (Bender, in: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 83, 91; ders. VerwArch Bd. 77 [1986], 335, 351; Murswiek NVwZ 1986, 611, 615). Daher können ihnen auch im Rahmen des § 14 Satz 2 BImSchG die schädlichen Immissionen haftungsrechtlich nicht zugerechnet werden. Den geschädigten Waldeigentümern ist durch § 14 Satz 1 Halbs. 1 BImSchG kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten entzogen worden, an dessen Stelle Schadensersatzansprüche nach Satz 2 dieser Vorschrift treten könnten.

2. Die Beklagten haften dem Kläger auch nicht in entsprechender Anwendung des § 14 Satz 2 BImSchG auf Schadensersatz.

a) Es ist zwar nicht zu verkennen, daß die von der beklagten Bundesrepublik erlassenen Rechtsvorschriften, die von dem beklagten Land u. a. im Wege der Genehmigungserteilung vollzogen werden, es den Anlagebetreibern ermöglichen, bestimmte Schadstoffmengen zu emittieren, die von den immissionsgeschädigten Waldeigentümern nicht abgewehrt werden können. Einer analogen Anwendung der Ersatzvorschrift des § 14 Satz 2 BImSchG stehen jedoch ihr nachbarrechtlicher Charakter (s. oben 1 a) und der Umstand, daß die Schäden nicht bestimmten identifizierbaren Emittenten zugerechnet werden können, entgegen. Die Vorschrift regelt allein den Schadensersatzanspruch des Nachbarn gegen den Anlagebetreiber (Begr. Zu §14 BImSchG a.a.O.; OLG Köln a.a.O.; Stich/Porger a.a.O. § 14 Rdn. 1; Marburger, in: Waldschäden als Rechtsproblem, a.a.O., S. 109, 140, 145). Für die neuartigen Waldschäden ist jedoch kennzeichnend, daß sie infolge des Ferntransports der Schadstoffe über die Luft in großer Entfernung von den Emissionsquellen auftreten (vgl. Waldschäden und Luftverunreinigungen, Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, März 1983 BT-Drucks. 10/113, S. 26, 95 ff., 101 f). Zudem wirken an der Entstehung der Luftschadstoffe, die für die neuartigen, emittentenfernen Waldschäden (mit-)ursächlich sind, eine Vielzahl von Groß- und Kleinemittenten (z. B. Kraftwerke, Industrieanlagen, Heizungsanlagen, Kraftfahrzeuge) mit. Deren Emissionsbeiträge sind ununterscheidbar vermischt (summierte Immissionen), so daß es praktisch unmöglich ist, den bei dem einzelnen Waldbesitzer eingetretenen Schaden einem oder mehreren bestimmten Emittenten individuell zuzurechnen (Marburger a.a.O. S. 145; Bender in: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 95). Die Ersatzvorschrift des § 14 Satz 2 BImSchG, die auf die Regelung der Rechtsbeziehungen in der Nachbarschaft angelegt ist und individualisierbare Kausalbeziehungen zu einem oder mehreren bestimmten Emittenten voraussetzt, bietet jedenfalls keine geeignete Grundlage für den Ausgleich emittentenferner, auf summierten Immissionen beruhender Waldschäden. Eine derartige Ausdehnung des Tatbestandes der Schadensersatzvorschrift würde die Grenzen einer methodisch zulässigen Analogie überschreiten (Marburger a.a.O. S. 145; vgl. auch OLG Köln a.a.O.; Murswiek NVwZ 1986, 611; Schmidt ZRP 1987, 345, 346).

b) Einer analogen Anwendung des § 14 Satz 2 BImSchG auf den vorliegenden Fall steht ferner entgegen, daß auf diese Weise der gesetzlich vorgesehene Anspruchsschuldner, der Anlagenbetreiber und Emittent, im Wege der Auslegung durch einen anderen Schuldner, nämlich den Staat, ersetzt würde. Damit würde eine Privatrechtsnorm (s. oben 1 a) in eine Vorschrift des Staatshaftungsrechts umgeformt. Eine solche, den Rahmen der Analogie überschreitende Ausdehnung und Umgestaltung der Vorschrift würde im Widerspruch zu dem Willen des Gesetzgebers und dem Regelungszweck der Bestimmung stehen (vgl. Bender, in: Waldschäden als Rechtsproblem, a.a.O. S. 91; Marburger a.a.O.). Eine derartige „Anwendung“ der Vorschrift wäre mit dem Grundsatz der richterlichen Rechts- und Gesetzesbindung (vgl. dazu BVerfGE 65, 182, 190 f, 194 f; BVerfGE 69, 315, 371 f. m. w. Nachw.) unvereinbar.

3. § 14 Satt 2 BImSchG kann auch nicht etwa verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß den Staat eine Art Garantiehaftung für die Realisierbarkeit von Schadensersatzansprüchen der geschädigten Waldeigentümer gegen den Betreiber der emittierenden Anlagen trifft.

a) Allerdings sind derartige Ersatzansprüche, wenn überhaupt, nur unter sehr großen Schwierigkeiten durchsetzbar (vgl. Lummert/Thiem, Rechte des Bürgers zur Verhütung und zum Ersatz von Umweltschäden, hrsg. vom Umweltbundesamt, 1980, S. 180 ff.). Denn der einzelne geschädigte Waldeigentümer wird kaum jemals in der Lage sein, die ihn schädigenden Anlagebetreiber zu identifizieren und die Schadensursächlichkeit der von bestimmten Anlagen ausgehenden Immissionsbeiträge nachzuweisen.

b) Das rechtfertigt es aber nicht, § 14 Satz 2 BImSchG verfassungskonform dahin auszulegen, daß für diese Schäden an Stelle der Emittenten, die nicht belangt werden können, der Staat haftet (so aber v. Dörnberg NuR 1986, 45, 46 ff.). Wollte man die zum privaten Nachbarrecht (s. oben 1 a) gehörende Vorschrift in diesem Sinne auslegen, so würde ihr normativer Gehalt grundlegend geändert werden (vgl. oben unter 2 a, b). Eine solche Deutung der Vorschrift hielte sich nicht mehr im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung (vgl. BVerfGE 54, 277, 299 f. M. w. Nachw.; Senatsurteil vom 12. März 1987 – III ZR 216/85 = NJW 1987, 1875, 1876 = BGHR – GG vor Art. 1 / enteignungsgleicher Eingriff – legislatives Unrecht 1, auch zum Abdruck in BGHZ 100, 136 bestimmt). Eine derartige „Ersatzhaftung“ des Staates an Stelle nicht heranziehbarer Privater, die nach geltendem Recht ersatzpflichtig sind, wäre ganz ungewöhnlich. Sie könnte aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG im Wege richterlicher Auslegung des § 14 Satz 2 BImSchG nicht abgeleitet, sondern nur durch den Gesetzgeber im Rahmen der Inhaltsbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) geschaffen werden.

4. a) Eine Staatshaftung für neuartige Waldschäden kann auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung den Grundsätzen, die der erkennende Senat im sog. Bergschadensfall (BGHZ 53, 226) aufgestellt hat, entnommen werden. Dort ist ausgesprochen worden, daß der Staat nach Art. 14 GG zur Entschädigung verpflichtet sei, soweit der durch bergbauliche Maßnahmen am Oberflächeneigentum geschädigte Grundeigentümer von dem Bergwerkbesitzer, der nach § 148 des früheren Preußischen Allgemeinen Berggesetzes entschädigungspflichtig war, keinen Ersatz (z. B. wegen Zahlungsunfähigkeit) erlangen könne. Der erkennende Senat hat einen Verstoß gegen Art. 14 GG darin erblickt, daß das damalige Bergrecht einerseits dem Grundeigentümer u. a. die Verpflichtung zur Duldung des sein Grundeigentum schädigenden Bergbauas auferlegt und ihm jeden Anspruch auf Unterlassung oder auch nur auf Vorkehrungen gegen Bergschäden versagt hat, ohne aber andererseits sicherzustellen, daß sein Entschädigungsforderungen auch im Falle einer Zahlungsunfähigkeit oder eines Wegfalls des in erster Linie entschädigungspflichtigen Bergwerkbesitzers realisiert werden konnten (BGHZ 53, 226, 237).

b) Diese Grundsätze greifen hier jedoch nicht ein. Es ist schon zweifelhaft, ob im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. insbes. BVerfGE 58, 300) an der zitierten Entscheidung des erkennenden Senats noch festzuhalten ist. Jedenfalls können die dort angestellten Erwägungen nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden. Im Falle der Entscheidung BGHZ 53, 226 konnten die entstandenen Bergschäden einem bestimmten (eindeutig festgestellten) und in erster Linie entschädigungspflichtigen Bergwerkbesitzer zugerechnet werden. Daher ergab sich nach den Grundsätzen dieser Entscheidung nur ausnahmsweise eine Ausfallhaftung des Staates an Stelle des individualisierbaren und vorrangig haftenden Bergwerkbesitzers. Dagegen würde es zu einer generellen und primären Ersatzpflicht des Staates an Stelle der nach dem Gesetz ersatzpflichtigen Anlagebetreiber für die Waldschäden führen, wenn man die im Bergschadensfall entwickelten Grundsätze auch auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt anwenden wollte. Der Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung werden durch den rechtsstaatlichen Grundsatz der richterlichen Rechts- und Gesetzesbindung Schranken gezogen (BVerfGE 65, 182, 190 f., BVerfGE 194 f.; BVerfGE 69, 315, 371 f. m. w. Nachw.). Sie wären eindeutig überschritten, wenn man auf dem erörterten Wege zu einer Staatshaftung für neuartige Waldschäden gelangen wollte. Diese kann nur der Gesetzgeber einführen (gegen eine Haftung für neuartige Waldschäden nach den Regeln des Bergschadensfalles auch Bender, in: Waldschäden als Rechtsproblem S. 83, 104 f. und in VerwArch a.a.O. S. 370).

II. Die öffentliche Hand haftet für die neuartigen Waldschäden den betroffenen Eigentümern auch nicht aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des enteignungsgleichen oder des enteignenden Eingriffs (zum Fortbestand dieser Rechtsinstitute, die aus dem allgemeinen Aufopferungsgedanken der § 74, § 75 Einl ALR hergeleitet werden, setzen einen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff in eine als Eigentum geschützte Rechtsposition voraus.

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1. a) Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, ein hoheitlicher Eingriff in das Eigentum der Waldbesitzer durch positiver Tun liege darin, daß ihnen durch staatliches Recht die Pflicht auferlegt sei, die den Wald schädigenden Immissionen Dritter zu dulden (Murswiek NVwZ 1986, 611 ff.; ders. WiVerw 1986, 179, 204; ders. NVwZ 1987, 481; Prof. Dr. Suhr in dem in der Parallelsache III ZR 191/86 erstatteten Rechtsgutachten S. 58 u. a.). Wenn der Staat das Maß der rechtlich erlaubten Immissionsbelastung festlege (z. B. im Bundes-Immissionsschutzgesetz und den darauf gestützten einschlägigen Rechtsverordnungen), so schränke er damit nicht nur die Freiheit der Anlagenbetreiber und Emittenten ein, sondern – so meinen diese Autoren – verpflichte zugleich die immissionsbetroffenen Waldbesitzer, die erlaubte Immissionsbelastung zu dulden. Der Staat müsse sich somit die von den privaten Anlagebetreibern verursachten Immissionen zurechnen lassen (Murswiek NVwZ 1986, 611, 613). Bei dieser Betrachtungsweise wird das Bundes-Immissionsschutzgesetz zum „Immissions-Ermöglichungsgesetz“ oder „Eingriffsgesetz zu lasten der Waldbesitzer“.

b) Mit diesen Erwägungen läßt sich, auch wenn man ihnen in der Frage der Duldungspflicht der Waldbesitzer folgen wollte (anders Papier in: Maunz/Dürig GG, Stand Januar 1987, Art. 14 Rdn. 43 a; Schmidt ZRP 1987, 345, 347), ein Entschädigungsanspruch nicht begründen.

Es unterliegt bereits erheblichen Zweifeln, ob das – für den enteignungsgleichen, wie auch den enteignenden Eingriff erforderliche – Merkmal der Unmittelbarkeit des Eingriffs (Krohn/Löwisch Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung 3. Aufl. Rdn. 219 ff.; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rdn. 425 ff., jew. M. w. Nachw.), hier erfüllt ist (verneinend Ladeur DÖV 1986, 445, 448). Bedenken bestehen insoweit schon deshalb, weil die Unmittelbarkeit voraussetzt, daß schädigende Auswirkungen des Eingriffs vorliegen, die für die konkrete Betätigung der Hoheitsgewalt typisch sind und aus der Eigenart der hoheitlichen Maßnahme folgen (Senatsurteil e BGHZ 92, 34, 41 f. und vom 9. April 1987 – III ZR 3/86 = NJW 1987, 2573 = BGHR GG vor Art. 1 / enteignungsgleicher Eingriff – Sicherstellung 1 – auch zur Veröffentlichung in BGHZ 100, 335 vorgesehen -, jew. M. w. Nachw.). Ob man das bejahen kann, ist fraglich, weil die staatliche Zulassung der von Anlagen im Gebiet der Bundesrepublik ausgehenden Immissionen nur ein Glied in der von vielen Faktoren beeinflußten Ursachenkette ist, die über zahlreiche, sich summierende und nicht individualisierbare Immissionsbeiträge eigenverantwortlich handelnder Dritter im Zuge weiträumiger und langfristiger Vorgänge zu den emittentenfernen Waldschäden führt (vgl. Bender VerwArch 1986, 335, 362 f.). Dabei kann auch nicht außer Betracht bleiben, daß ein nicht unerheblicher Teil der waldschädigenden Luftschadstoffe von ausländischen Anlagen herrührt (sog. „importierte“ Immissionen, vgl. dazu auch Schröder in: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 41 ff.; ders. DVBl. 1986, 1173).

Diese Fragen können aber letztlich auf sich beruhen.

c) Eine Entschädigungspflicht für das Waldsterben aus dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs aufgrund positiven staatlichen Handelns, scheidet bereits aus anderen Gründen aus. Nach der oben dargestellten Meinung im Schrifttum beruht die Verpflichtung der immissionsbetroffenen Waldeigentümer, die den Anlagebetreibern erlaubten Immissionen zu dulden, auf staatlicher Rechtssetzung und ihrem Vollzug (vgl. Murswiek NVwZ 1986, 611, 612). Der enteignungsgleiche Eingriff setzt indes begrifflich ein rechtswidriges staatliches Handeln voraus. Da die erwähnte Duldungspflicht nach den genannten Autoren auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz zurückgeht, könnten Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff nur bei (teilweiser) Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes gegeben sein (legislatives oder normatives Unrecht). Für die nachteiligen Auswirkungen eines verfassungswidrigen formellen Gesetzes und seines Vollzuges haftet jedoch die öffentliche Hand nicht unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 12. März 1987 (a.a.O.; die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde von der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG, weil offensichtlich unbegründet, nicht angenommen, vgl. Beschl. Vom 13. November 1987 – 1 BvR 739/87) entschieden hat.

Im übrigen läßt sich ein umfassender Entschädigungsanspruch für Vermögenseinbußen aus der tatsächlichen Beachtung verfassungswidriger Rechtsnormen auch nicht aus dem Sinnzusammenhang der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums herleiten (BVerfG a.a.O.).

d) Auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sog. ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums kann dem Kläger keine Entschädigung zuerkannt werden.

Soweit die Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der zu seiner Durchführung ergangenen Rechtsverordnungen es den Betreibern genehmigter Anlagen gestatten, umweltbelastende Stoffe zu emittieren, handelt es sich dabei um inhalts- und schrankenbestimmende Regelungen i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (auch) für das betroffenen Waldeigentum (vgl. auch BVerwGE 68, 58, 61). Es mag zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß diese Regelungen und ihr gesetzeskonformer Vollzug zu einer übermäßigen Belastung der durch das Waldsterben geschädigten Waldeigentümer führen und diese im vermögensrechtlichen Bereich unzumutbar treffen, zumal sie diese Immissionen schon wegen der dargelegten Beweisschwierigkeiten nicht im Wege von Unterlassungsklagen gegen die Anlagenbetreiber abwehren und von diesen auch keinen Schadensersatz erlangen können. Im hier unterstellten Falle einer die Grenzen des Zumutbaren überschreitenden Beeinträchtigung der Waldeigentümer wären die inhalts- und schrankenbestimmenden Regelungen als verfassungswidrig anzusehen (vgl. BVerfGE 58, 137, 148; BVerfGE 62, 169, 183). Allerdings könnte der Gesetzgeber durch die Zubilligung von Ausgleichsleistungen die den Eigentümern auferlegte Belastung auf ein zumutbares Maß reduzieren und dadurch die sonst eintretende Folge der Verfassungswidrigkeit abwenden (vgl. BVerfGE 58, 137, 147 ff., 150 ff. – Pflichtexemplar -; Schulze-Osterloh NJW 1981, 2537, 2543 ff.; Nüßgens/Boujong a.a.O. Rdn. 339 m. w. Nachw.; vgl. auch Krohn in Beilage I in Agrarrecht 12/1986, S. 22). Derartige Ausgleichsansprüche im rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums sieht das Bundes-Immissionsschutzgesetz jedoch für die geschädigten Waldeigentümer nicht vor. Wenn sich aber keine einschlägige Vorschrift findet, ist es nicht zulässig, einen derartigen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts zu gewähren (Senatsurteil vom 12. März 1987 a.a.O.; BVerfG, Beschluß vom 13. November 1987 a.a.O.; Nüßgens/Boujong a.a.O. Rdn. 340).

e) Dem Kläger stehen auch keine Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff wegen rechtswidrigen waldschädigenden Vollzuges gültiger immissionsschutzrechtlicher Vorschriften zu. In diesem Zusammenhang müssen etwaige Verstöße der Beklagten gegen das Vorsorgegebot des § 5 Nr. 2 BImSchG a. F. (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 n. F.) von vornherein unberücksichtigt bleiben. Das Vorsorgegebot dient nur dem Allgemeininteresse und entfaltet keine drittschützende Wirkung (BVerwGE 65, 313, 320); seine Verletzung kann daher keine Entschädigungsansprüche (oder Amtshaftungsansprüche) auslösen (vgl. Senatsurteil BGHZ 86, 356, 361 ff.). Entschädigungsansprüche scheiden zudem deshalb aus, weil der Kläger in den Tatsacheninstanzen eine rechtswidrige Erteilung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen (auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Vorsorgegebots) nicht behauptet hat. Er führt seine Waldschäden vielmehr auf den gesetzeskonformen Vollzug des Bundesimmissionsschutzgesetzes zurück.

Da eine generelle rechtswidrige Vollzugspraxis weder vorgetragen noch sonst erkennbar ist, können nur Fehler, die in Einzelfällen in den Genehmigungsverfahren unterlaufen sind, in Betracht gezogen werden. Insoweit kann aber kein abgrenzbarer Anteil der dem Kläger entstandenen Waldschäden einer konkreten rechtswidrigen Hoheitsmaßnahme bestimmter für die Luftqualität verantwortlicher Behörden (z. B. Immissionsschutzbehörden) individuell zugerechnet werden (Bender VerwArch 1986, 335, 363; ders. In: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 83, 101).

2. a) Auch eine Entschädigungspflicht aus enteignendem Eingriff aufgrund positiven staatlichen Handelns ist zu verneinen. Beim enteignenden Eingriff handelt es sich darum, daß eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme auf eine Rechtsposition des Eigentümers einwirkt und im konkreten Fall bei einzelnen Betroffenen zu – meist atypischen und unvorhergesehenen – Nebenfolgen und Nachteilen führt, die die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreiten (Senatsurteile BGHZ 91, 20, 26 f. und vom 9. April 1987 a.a.O.). Der Bundesgerichtshof hat eine Haftung aus diesem Rechtsinstitut bisher nur angenommen, wenn es um einzelfallbezogene Eigentumsbeeinträchtigungen durch hoheitliche Realakte, straßenrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse (im Zusammenhang mit Verkehrsimmissionen) oder Verwaltungsakte (z. B. straßenrechtliche Widmung) ging (vgl. die bei Nüßgens/Boujong a.a.O. Rdn. 449 angeführten Fälle). Dagegen hat er eine derartige Entschädigungspflicht bei den in einer Vielzahl von Fällen auftretenden nachteiligen Auswirkungen eines Gesetzes auf durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentümerpositionen noch nicht bejaht. Bei einem solchen Sachverhalt können die Gerichte nur dann Entschädigungsansprüche oder Ausgleichsleistungen im Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zuerkennen, wenn das Gesetz eine entsprechende Regelung enthält (vgl. auch oben II 1 c, d), an der es jedoch hier fehlt.

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob das Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs Anwendung findet, wenn ein Gesetz im Einzelfall zu Eigentumseinbußen führt, die Ausnahmecharakter tragen und nur unter besonderen Umständen entstehen. Jedenfalls ist dieses Rechtsinstitut keine geeignete Grundlage, um massenhaft auftretende Schäden, wie sie durch das Waldsterben ausgelöst werden, auszugleichen (vgl. Bender in: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 83, 103; ders. VerwArch 1986, 335, 363, 368). Zur Bewältigung eines derartigen „Globalphänomens“ (Bender a.a.O.) ist das Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs nicht entwickelt worden. Die Lösung der durch die neuartigen Waldschäden aufgeworfenen Entschädigungs- und Ausgleichsprobleme kann nicht einem richterrechtlichen Haftungsinstitut, wie es der enteignende Eingriff darstellt, überlassen bleiben (vgl. Bender in: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 106; ders. VerwArch 1986, 335, 358). Es ist vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, Vorschriften über den Ausgleich von unzumutbaren, durch Primärrechtsschutz nicht abwendbaren Vermögenseinbußen zu schaffen, die den Waldeigentümern durch den Vollzug der inhalts- und schrankenbestimmenden Normen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erwachsen (vgl. auch BVerfGE 58, 137, 147 ff.).

c) Die Zubilligung von Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüchen gegen den Staat für die durch das Waldsterben geschädigten Waldbesitzer kann weitreichende Folgen für die Staatsfinanzen haben. Das legt es nahe, die Zubilligung solcher Ansprüche entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers vorzubehalten (vgl. BVerfG – Vorprüfungsausschuß – Beschl. Vom 14. September 1983 – 1 BvB 920/83 = NJW 1983, 2931, 2932). Das ist um so eher gerechtfertigt, als hier verschiedene, nicht unerheblich voneinander abweichende Lösungen denkbar sind und daher dem politischen Gestaltungswillen des demokratische legitimierten Parlamentsgesetzgebers ein weitere Spielraum offensteht (z. B. Staatshaftung mit oder ohne Eigenbeteiligung der Waldbesitzer an ihrem Schaden; Bildung eines Entschädigungsfonds, zu dem die Emittenten Beiträge leisten, ggfs. Auch die öffentliche Hand; vgl. auch Bender, jew. a.a.O.; Lummert/Thiem a.a.O. S. 209 ff.). Ein richterrechtliches Rechtsinstitut ist auch ungeeignet, die mit der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung verbundenen Haftungsprobleme sachgerecht zu bewältigen; diese auf immerhin 50 % der Luftschadstoffe geschätzten (Bender in: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 83, 89) „importierten“ Immissionen, die der beklagten Bundesrepublik haftungsrechtlich nicht angerechnet werden können, vermischen sich ununterscheidbar mit den von inländischen Emissionsquellen ausgestoßenen Luftschadstoffen und bewirken in ihrer Summierung (neben anderen Faktoren) das Waldsterben.

d) Bei dieser Sachlage würde die Gewährung von Ansprüchen für Vermögenseinbußen durch die massenhaft auftretenden neuartigen Waldschäden im Ergebnis darauf hinauslaufen, daß das Bundes-Immissionsschutzgesetz kraft Richterrechts um eine Klausel für enteignungsrechtliche Entschädigung oder für Ausgleichsleistungen im Bereich von Regelungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 58, 137, 149 ff. – Pflichtexemplar -) ergänzt wird. Diese Möglichkeit steht aber dem an Recht und Gesetz gebundenen Richter nicht zu Gebote (vgl. auch BVerfGE 58, 300, 318, 319), auch wenn er – wie der erkennende Senat – die Waldschäden dem Grunde nach für entschädigungswürdig und entschädigungsbedürftig hält. An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß das Waldsterben, wie der Kläger vorträgt, die Existenz seines Forstbetriebs gefährdet. Derartige Auswirkungen sind nur geeignet, die Notwendigkeit einer gesetzlichen Entschädigungsregelung zu unterstreichen; sie führen aber nicht dazu, die gesetzlich begrenzten Entschädigungsbefugnisse des Richters zu erweitern.

3. Auch mit der Erwägung, die beklagte Bundesrepublik sei „Wegeherr“ über ein umfangreiches Straßennetz, dessen ihr zurechenbare Benutzung durch Kraftfahrzeuge einen erheblichen Teil der waldschädigenden Immissionen verursache (vgl. Schwabe JZ 1987, 91, 92), kann eine Haftung für Waldschäden aus dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs nicht begründet werden. Es ist schon fraglich, ob angesichts des von vielen zusammenwirkenden Faktoren abhängigen Ursachengeflechts, das zu den neuartigen, emittentenfernen Waldschäden führt, der von den Bundesstraßen herrührende Emissionsbeitrag und sein Verursachungsanteil an den Waldschäden sich überhaupt einigermaßen zuverlässig feststellen oder auch nur schätzen läßt. Jedenfalls verbietet es auch insoweit die fehlende richterliche Legitimation, einen Entschädigungsanspruch zuzubilligen (vgl. vorstehend II. 2 b, c, d). Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung für die enteignenden Auswirkungen von Verkehrsimmissionen auf das Anliegereigentum Entschädigung gewährt (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 64, 220; BGHZ 97, 114 und 361, jew. m. w. Nachw.). Hier handelt es sich jeweils um überschaubare, nur einzelne Eigentümer betreffende Nachteile aus der Verkehrseröffnung auf einer bestimmten Straße. Diese Auswirkungen sind bereits in den straßenplanungsrechtlichen Normen angelegt. Damit ist aber das „Globalphänomen“ der großflächigen emittentenfernen Waldschäden nicht vergleichbar.

4. Der Kläger kann auch aus einem (etwaigen) Unterlassen des Gesetz- oder Verordnungsgebers oder der mit dem Vollzug immissionsschutzlicher Vorschriften befaßten Behörden keine Entschädigungsansprüche wegen rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriffs herleiten.

a) Ein Eingriff im enteignungsrechtlichen Sinne setzt ein positives Handeln der öffentlichen Gewalt voraus. Ein reines Unterlassen und Untätigbleiben der öffentlichen Hand erfüllt grundsätzlich nicht die Merkmale eines Eingriffs. Ein Eingriff ist jedoch zu bejahen, wenn sich das Unterlassen ausnahmsweise als ein in den Rechtskreis des Betroffenen eingreifendes handeln qualifizieren läßt (Senatsurteile BGHZ 56, 40, 42 und vom 5. Dezember 1985 – III ZR 154/84 = VersR 1986, 372, 374 = UPR 1986, 261, 263; Krohn/Löwisch a.a.O. Rdn. 215 ff.; Nüßgens/Boujong a.a.O. Rdn. 420 f., jew. m. w. Nachw.). Der erkennende Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung ein qualifiziertes Unterlassen nur angenommen, wenn entgegen einem Anspruch auf Genehmigungserteilung eine Bauerlaubnis oder eine gewerberechtliche Erlaubnis für Ersatz- oder Anpassungsinvestitionen förmlich versagt oder faktisch vorenthalten wurde; in diesen Fällen wurde in konkrete, vom Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG umfaßte Rechtspositionen des Eigentümers, nämlich in die aus dem Grundeigentum abzuleitende Baufreiheit oder in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, eingegriffen (Krohn/Löwisch a.a.O.; Nüßgens/Boujong a.a.O.; Papier in: Maunz/Dürig GG Art. 14 Rdn. 460 ff.; ders. in: MünchKomm 2. Aufl. § 839 Rdn. 43, jew. m. w. Nachw. aus der Rspr. des BGH).

b) Von einem qualifizierten Unterlassen in diesem Sinne kann aber nicht gesprochen werden, wenn nicht eindeutig feststeht, welches konkrete Verhalten der öffentlichen Hand nach öffentlichem Recht geboten ist (Ladeur, DÖV 1986, 445, 449; im Ergebnis a. A. v. Usslar NuR, 1983, 289, 293; Leisner, Waldsterben – Öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche, 1983, S. 86). In den genannten Anwendungsfällen des qualifizierten Unterlassens lag offen zutage, zu welchem Verhalten die öffentliche Hand verpflichtet war; sie war gehalten, die Genehmigung beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu erteilen. Im Streitfall sind dagegen mehrere Lösungen, nämlich ein Tätigwerden der öffentlichen Hand zur weiteren Schadensverhütung oder zur Schaffung wirksamerer Ersatz- oder Ausgleichsansprüche der geschädigten Waldbesitzer, denkbar, wobei innerhalb dieser beiden Fallgruppen wiederum unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen (s. auch oben II 2 c).

c) Auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unterlassenen Ausübung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 14 GG zugunsten des gefährdeten Waldeigentums kann der Kläger mit seinem Entschädigungsbegehren nicht durchdringen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren (BVerfGE 53, 30, 57; BVerfGE 56, 54, 73, jew. m. w. Nachw.). Eine solche verfassungsrechtliche Pflicht (auch zur Nachbesserung ursprünglich als verfassungsmäßig angesehener Regelungen) kann vor allem dann in Betracht kommen, wenn der Staat durch die Schaffung von Genehmigungsvoraussetzungen und durch die Erteilung von Genehmigungen eine eigene Mitverantwortung für derartige Grundrechtsbeeinträchtigungen übernommen hat (BVerfGE 56, 54, 79 m. w. Nachw.). Über die Art und Weise, wie die aus einem Grundrecht hergeleitete Schutzpflicht zu erfüllen ist, haben in erster Linie die staatlichen Organe in eigener Verantwortung zu entscheiden. Es ist maßgeblich darauf abzustellen, ob den staatlichen Organen eine evidente Verletzung der in den Grundrechten verkörperten Grundentscheidung zur Last zu legen ist (BVerfGE 56, 54, 80 f. m. w. Nachw.). Eine evidente Verletzung staatlicher Schutzpflichten durch den Gesetz- und Verordnungsgeber hat das Bundesverfassungsgericht – Vorprüfungsausschuß – in seinem (schon angeführten) Beschluß vom 14. September 1983 – 1 BvB 920/83 – (NJW 1983, 2931 f.) unter Hinweis auf die seit Beginn der siebziger Jahre getroffenen staatlichen Maßnahmen zum Schutze des Waldeigentums vor Schäden durch Luftverunreinigungen verneint.

Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Zeit nach Erlaß dieser Entscheidung – soweit es für die bis Ende 1985 entstandenen Waldschäden darauf ankommt – eine evidente Schutzpflichtverletzung anzunehmen ist (verneinend z. B. Bender VerwArch 1986, 335, 365; ders. in: Waldschäden als Rechtsproblem a.a.O. S. 83, 99, 102; vgl. auch Langer NVwZ 1987, 195, 196 ff.; a. A. v. Hippel NJW 1986, 592 f. bezügl. Der unterbliebenen Schaffung weitergehender Ersatzvorschriften). Auch wenn eine derartige Schutzpflichtverletzung vorläge, würde es an einer gesetzlichen Norm fehlen, die hierfür Ansprüche auf Entschädigung oder auf Ausgleichsleistungen im Bereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vorsieht. Es ist auch nicht zulässig, den geschädigten Waldeigentümern derartige Ansprüche kraft Richterrechts einzuräumen (s. oben II 1 d, 2 a, b, c, d). Das gilt um so mehr, als sich die betroffenen Waldeigentümer nicht auf einen ausdrücklichen Regelungsauftrag des Grundgesetzes berufen können und es sich zudem schon angesichts des zu regelnden Sachverhalts (Luftreinhaltung) und dessen internationaler Verflechtung um eine komplexe Materie handelt (vgl. BVerfGE 56, 54, 81; BVerfG NJW 1983, 2931, 2932).

d) Nach alledem liegt kein den Staat zur Entschädigung verpflichtendes Unterlassen des Gesetz- oder Verordnungsgebers vor, soweit er in dem hier zu beurteilenden Zeitraum keine zusätzlichen Vorschriften zum Schutz des Waldes vor Luftschadstoffen erlassen, bestehende einschlägiger Rechts- oder Verwaltungsvorschriften (z. b. zur Emissionsbegrenzung) nicht verschärft oder keine (leichter realisierbaren) Schadensersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche zugunsten der geschädigten Waldeigentümer geschaffen hat.

Der Kläger hat im übrigen nicht vorgetragen, daß die Behörden, die mit der Ausführung immissionsschutzrechtlicher Vorschriften zur Luftreinhaltung befaßt waren, generell durch qualifiziertes Unterlassen von gebotenen Verwaltungsmaßnahmen in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Waldeigentum eingegriffen hätten. Ein derartiges Behördenverhalten in Einzelfällen könnte keine Entschädigungsansprüche des Klägers wegen seiner Waldschäden auslösen (vgl. oben II 1 e).

e) Soweit es um ein Unterlassen des Gesetzgebers sowie ein darauf beruhendes Unterlassen des Verordnungsgebers und der solche Vorschriften vollziehenden Immissionsschutzbehörden geht, handelt es sich im übrigen wiederum um legislatives oder normatives Unrecht und seine Folgen. Unter diesem Blickwinkel ist eine Staatshaftung für neuartige Waldschäden schon oben (II 1 c) abgelehnt worden.

III. Der Kläger kann den Ersatz der ihm entstandenen Waldschäden auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) verlangen.

1. a) Amtshaftungsansprüche wegen fehlerhaften Verhaltens des Gesetz- oder Verordnungsgebers (z. B. Erlaß unzureichender Vorschriften, unterlassene „Nachbesserung“ solcher Regelungen, unterbliebene Schaffung strengerer Emissionsbegrenzungsvorschriften oder wirksamerer Haftungsvorschriften) scheiden schon deshalb aus, weil die öffentliche Hand insoweit gegenüber dem Kläger keine drittbezogenen Amtspflichten verletzt hat. Gesetze und Verordnungen enthalten durchweg generelle und abstrakte Regeln; daher nimmt der Gesetz- und Verordnungsgeber – bei positivem Tun und bei Untätigbleiben – in der Regel ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit, nicht aber gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen als „Dritten“ i. S. des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB wahr. Nur ausnahmsweise, etwa bei sog. Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen, kann etwas anderes in Betracht kommen und können die Belange bestimmter Personen unmittelbar berührt werden, so daß sie als Dritte angesehen werden können (Senatsurteile BGHZ 56, 40, 46; BGHZ 84, 292, 300; BGHZ 87, 321, 335; w. Nachw. Bei Kreft in: BGB-RGRK 12. Aufl. § 839 Rdn. 220). Ein solcher Fall besonderer individueller Betroffenheit durch Rechtsvorschriften liegt hier nicht vor.

b) Diese Grundsätze gelten auch für Verwaltungsvorschriften – wie z. B. die TA Luft – (Senatsurteile BGHZ 91, 243, 249 f und vom 28. Juni 1971 – III ZR 111/68 = NJW 1971, 1699, 1670; Kreft in: BGB-RGRK a.a.O. § 839 Rdn. 223). Ein Ausnahmefall, wie er der Senatsentscheidung BGHZ 63, 319, 324 zugrunde lag, ist hier nicht gegeben.

c) Im übrigen könnte ein amtspflichtwidriges Verhalten des Gesetz- oder Verordnungsgebers allenfalls in einem Unterlassen erblickt werden. Insoweit fehlt es aber, wie oben dargelegt (II 4 c), jedenfalls für die Zeit bis zum 14. September 1983 an einer Schutzpflichtverletzung der öffentlichen Hand (vgl. auch Papier in. Maunz/Dürig a.a.O. Art. 34 Rdn. 181, 181a). Für die Folgezeit wäre im Hinblick auf die schon zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – Vorprüfungsausschuß – in NJW 1983, 2931 jedenfalls ein verschulden staatlicher Amtsträger zu verneinen.

2. Auch Amtshaftungsansprüche wegen Verstoßes der Immissionsschutzbehörden gegen geltende immissionsschutzrechtliche Vorschriften über die Luftreinhaltung sind nicht begründet. Wenn die Verwaltung unwirksame Rechts- oder Verwaltungsvorschriften angewendet hätte, wofür im einzelnen nichts vorgetragen ist, würde es schon am Verschulden der Beamten fehlen. Eine gesetzwidrige Anwendung gültiger Rechts- oder Verwaltungsvorschriften durch die Immissionsschutzbehörden ist nicht substantiiert behauptet. Soweit in Einzelfällen solche Gesetzesverstöße unterlaufen sind, ist bereits die individuelle Zurechenbarkeit der Schäden des Klägers zu einem bestimmten Verwaltungshandeln nicht gegeben (s. oben II 1 e).

Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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