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Wasserrutsche – Schmerzensgeld nach Zahnverlust


Oberlandesgericht Stuttgart

Az.: 4 U 119/03

Urteil vom 24.09.2003


Tenor

In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatz hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2003 für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 18.06.2003, Az. 4 O 50/03, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Streitwert: 5.683,31 €


Gründe

I.

Der Kläger begehrt vom Beklagten wegen eines Unfalls an der von diesem betriebenen Wasserrutsche den Ersatz immateriellen Schadens, Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden.

Der Beklagte betreibt öffentlich-rechtlich organisiert in Oberstenfeld ein Freibad, in dem sich u. a. eine sog. Familienrutsche mit einer Breite von 4 m und einer Länge von 27 m befindet. Am 20.06.2002 gegen 15.00 Uhr benutzte der zu diesem Zeitpunkt 16 1/2 Jahre alte Kläger die Rutsche. Im Auslauf der Rutsche prallte ein anderer so unglücklich auf den Kläger, dass dieser einen Zahn verlor und erhebliche Verletzungen an zwei weiteren Zähnen erlitt.

Mit Urteil vom 18.06.2003 hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil eine schuldhafte Verletzung der dem Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht nicht vorliege. Die am Zugang der Rutsche angebrachten Hinweise auf Gefahren und für die Benutzung seien vorhanden. Eine lückenlose Kontrolle der Rutschbahn durch Aufsichtspersonen wäre angesichts der erheblichen Kosten und der trotzdem verbleibenden Risiken von der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten nicht umfasst. Darüber hinaus scheide eine Haftung des Beklagten gemäß § 254 BGB aus, weil der Kläger erkannt habe, dass an diesem Tag sehr viele Kinder und Jugendliche ohne Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes gerutscht seien und er gleichwohl die Rutsche benutzt habe.

Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers mit der Auffassung, in der ersten Instanz sei die Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der benannten Zeugen und Einholung eines beantragten Gutachtens erforderlich gewesen. Das Landgericht habe ohne die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens unterstellt, dass die Beschilderung an der Rutsche den geltenden DIN-Normen entspreche. Die Verkehrssicherungspflicht des Beklagten richte sich nicht nach der Rentabilität des Freibades; wenn der Beklagte aus Kostengründen nicht in der Lage sei, ausreichend Aufsichtspersonen für die Rutschen bereitzustellen, dann dürfe er die Rutschen den Benutzern nicht zur Verfügung stellen. Hätte eine Aufsichtsperson am Einstieg der Rutsche für einen ausreichenden zeitlichen Abstand der einzelnen Benutzer gesorgt, wäre der Unfall nicht entstanden. Weil der Kläger die Rutsche ordnungsgemäß und vernünftig benutzt habe, sei ihm ein Mitverschulden nicht anzulasten.

Der Kläger beantragt:

Unter Aufhebung des am 18.06.2003 verkündeten Urteils des Landgerichts Heilbronn, AZ 4 O 50/03 Vi wird die Beklagte verurteilt

1. an den Kläger 2.683,31 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus dem Unfall vom 20.06.2002 im Mineralfreibad Oberstenfeld noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf die Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.

Im Bereich der Leistungsverwaltung (Daseinsvorsorge) steht der öffentlichen Hand ein

Wahlrecht hinsichtlich der Rechtsform des Verwaltungshandelns zu, das der Beklagte vorliegend nach Auskunft in der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu Gunsten eines öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses ausgeübt hat. Die Ersatzpflicht für materielle Schäden kann sich damit aus einer Verletzung des öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses durch den Beklagten und daneben für materielle Schäden und gleichzeitig den Schmerzensgeldanspruch aus §§ 839, 847 BGB a.F. i.V.m. Art. 34 GG ergeben.

Voraussetzung für eine Haftung des Beklagten wäre die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem Kläger. Der Beklagte hatte, wenn er der Allgemeinheit das Freibad und die in diesem sich befindlichen Rutschen der Allgemeinheit zur Verfügung stellte, die Benutzer vor dem Gefahren zu schützen, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind (BGH VersR 1980, 863; 2000, 984). Zu diesem Zweck hat er die einzelnen Schwimmbecken darauf überwachen zu lassen, ob dort Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten. Die hierfür erforderlichen Maßnahmen hängen, soweit gesetzliche oder andere Vorschriften keine näheren Anforderungen enthalten, von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls, wie etwa Größe und Lage des Freibades, Anzahl der Besucher und hierdurch bedingte „Spitzenbelastungen“, Einsatz technischer Hilfsmittel und vor allem auch davon ab, innerhalb welcher Zeit Maßnahmen getroffen werden müssen, um bleibende Schädigungen zu verhindern. Allerdings kann und muss nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden, da eine Verkehrssicherheit, die jeden Gefährdungsfall ausschließt, nicht erreichbar ist. Vielmehr bedarf es gerade auch im Hinblick auf die Zeitdauer, innerhalb der ein Eingreifen einer Aussichtsperson gewährleistet werden muss, stets nur solcher Sicherheitsmaßnahmen, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zumutbar sind (BGH VersR 2000, a.a.O.). Beim Umfang der Verkehrssicherungsmaßnahmen hatte der Beklagte auch in Betracht zu ziehen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche, die die Familienrutsche zumindest mit, wenn nicht gar überwiegend nutzen, dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unbesonnen zu verhalten; daher kann die Verkehrssicherungspflicht auch die Vorbeugung gegenüber solchem missbräuchlichen Verhalten umfassen (BGH VersR 1978, 561; 1980, 863).

a)

Zum Schutz vor den mit der Benutzung der Rutsche verbundenen Gefahren hatte der Beklagte am Zuweg zum Einstieg der Rutsche eine Tafel mit großflächigen Symbolen mit Benutzungshinweisen aufgestellt, die mit einem kurzen Text jeweils unterhalb des Symbols versehen sind. Der Kläger führt seine Verletzungen darauf zurück, dass der hinter ihm rutschende Benutzer nicht den notwendigen Sicherheitsabstand eingehalten hat. Auf dieser Tafel wird durch ein Symbol auf die Notwendigkeit eines Sicherheitsabstandes hingewiesen, ohne dass dieser näher beschrieben ist. Damit hat der Beklagte im Hinblick auf die Benutzungsanordnungen jedoch seiner Verkehrssicherungspflicht Genüge getan (vgl. LG Aachen ZfS 1995, 323). Die Angabe eines festen Sicherheitsabstandes war schon deshalb nicht möglich und nicht erfolgversprechend, weil auf der breiten Familien rutsche nach Angaben des Klägers vier bis fünf Personen parallel und gleichzeitig rutschen können. Welcher Sicherheitsabstand erforderlich war, hing also von der jeweils konkreten Situation, insbesondere der Anzahl der gleichzeitig rutschenden Personen und eventuellen Kollisionen, die durch das gleichzeitige Rutschen mehrerer Benutzer begünstigt werden, ab und war deshalb vom jeweiligen Benutzer eigenständig zu bemessen. Nachdem die Rutsche ausweislich der Angaben des Klägers bis zum Auslauf überschaubar war, konnte jeder Benutzer den erforderlichen Sicherheitsabstand selbst einschätzen, ohne dass weitere technischen Maßnahmen wie z. B. eine Ampelanlage oder Hinweise seitens des Beklagten notwendig waren.

Soweit die Berufung rügt, das Landgericht habe zur Behauptung des Klägers, die Beschilderung an der Rutsche entspreche nicht den geltenden DIN-Normen, kein Sachverständigengutachten eingeholt, ist die Berufung unbegründet, weil ein ausreichend substantiierter Vortrag des Klägers hierzu fehlt. Der Kläger hat weder vorgetragen, welche Beschilderung notwendig war, noch welche Beschilderung davon abweichend tatsächlich vorhanden war. Einer gerichtlichen Aufforderung zu einem substantiierten Vortrag gemäß § 139 ZPO bedurfte es nicht, nachdem der Beklagte schon in der Klagerwiderung vom 30.04.2003 auf S. 3 ausgeführt hat, die Behauptung eines Verstoßes gegen die einschlägige DIN 7937 sei ersichtlich ins „Blaue“ hinein aufgestellt worden.

b)

Allein das Aufstellen von Tafeln mit Benutzungs- und Gefahrenhinweisen war nicht ausreichend, um die Verkehrssicherungspflichten des Beklagten zu erfüllen. Vielmehr hatte der Beklagte eine Aufsicht der Rutsche durch eine geeignete Person sicherzustellen, die bei einem Fehlverhalten der Benutzer der Rutsche gegebenenfalls einschreiten konnte. Allerdings ist eine lückenlose Aufsicht, die sicherstellt, dass jeder Badegast in jedem Augenblick beobachtet wird, nicht praktikabel und wird deshalb vom Beklagten auch nicht geschuldet (OLG Köln OLGR 2000, 253, 254; OLG Hamm, VersR 1996, 727, 728). Der Betreiber muss deshalb der Aufsichtsperson einen geeigneten Standort zuweisen, von dem aus sie das gesamte Freibad überblicken und Sicht in die Schwimmbecken und auf die Rutschen haben kann. Erforderlichenfalls muss er die Aufsicht anweisen, den Standort öfter zu wechseln, um das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln verfolgen und nötigenfalls frühzeitig eingreifen zu können (BGH VersR 2000, a.a.O.). Diesen Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügte der vom Beklagten eingesetzte Schwimmmeister, wenn er sich zwischen dem Schwimmerbecken und den Nicht-Schimmerbecken aufgehalten hat und von dort das Geschehen in den Becken sowie auf den Rutschbahnen beobachtete. Zwar hat der Kläger unter Beweisantritt behauptet, im Sichtbereich der Rutsche habe sich kein Bademeister aufgehalten, wobei unklar bleibt, was der Kläger als Sichtbereich der Rutsche definiert, weil er eine Aufsicht unmittelbar an der Rutsche verlangt. Der Kläger hat jedoch nicht behauptet, dass das Aufsichtspersonal des Beklagten bei den erforderlichen Sichtkontrollen der Verhältnisse auf der Familienrutsche in den angemessenen regelmäßigen Zeitabständen vor dem Unfall zu geringe Rutsch-Abstände der Benutzer hätte entdecken müssen und das Aufsichtspersonal deshalb seine Pflicht, gegen solche Benutzer der Rutsche einzuschreiten, verletzt hätte. Erfahrungsgemäß ist auch durch noch so deutliche Warnungen und Mahnungen nicht zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche in Freibädern auf Rutschen die notwendigen Sicherheitsvorschriften nicht einhalten (vgl. BGH VersR 1980, a.a.O.).

Selbst wenn es eine Verletzung der Aufsichtspflicht gegeben hätte, wäre sie danach für den konkreten Fall nicht kausal geworden.

c)

Der Kläger hat hier eine Wasserrutsche benutzt, von der aufgrund der besonderen Anlage, die das gleichzeitige Rutschen mehrerer ermöglichte, für ihn altersentsprechend erkennbar eine besondere Gefahr der Kollision mit anderen Benutzern der Rutsche ausging, gegen die ihn die ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen des Beklagten ersichtlich nicht schützen konnten. Dass es zu einer Fehleinschätzung eines Rutschenden über den einzuhaltenden Abstand oder bei einem zu langsamen Wegtreten vom Rutschenauslauf zu einem Unfall kommen kann, ist eine für jeden Benutzer ohne weiteres erkennbare und im Ergebnis nicht vollständig zu beseitigende Gefahr. Gerade angesichts der Breite der Rutsche und der damit verbundenen Zweckbestimmung, mehreren Personen gleichzeitig das Rutschen zu ermöglichen, ist diese Gefahr für jeden Benutzer evident. Es würde die Anforderungen an die Aufsichtspflichten des Beklagten überspannen, wenn man von dem Beklagten eine absolute Gefahrlosigkeit der Rutsche verlangen würde, die auch Unfälle wie den vom Kläger erlittenen ausschließt (KG VersR 1990, 168, 169), insbesondere wenn trotz der Überschaubarkeit der Rutsche bis zum Auslauf gefordert werden würde, durch entsprechende Aufsichtsmaßnahmen sicherzustellen, dass sich im unteren Auslaufbereich niemand befindet, wenn der nächste Benutzer losrutscht (LG Aachen, a.a.O., S. 324). Die trotz der erfüllten Verkehrssicherungspflichten noch bestehenden Gefahren für den Benutzer der Rutsche liegen im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos und können dem Betreiber der Rutsche nicht angelastet werden (vgl. BGH VersR 1980, a.a.O.). Der Kläger ist das Opfer des Überschwanges und Sporttriebes eines anderen geworden, gegen den ein vollständiger Schutz in Freibädern nicht möglich ist (BGH a.a.O.).

d)

Einer Beweisaufnahme zum Unfallhergang oder zu den Verkehrssicherungsmaßnahmen des Beklagten bedurfte es danach nicht, weil die Klage unschlüssig ist.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.


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