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Zu hoher Wasserverbrauch berechnet – muss man trotzdem zahlen?

OLG Hamm

Az.: 2 U 106/00

Verkündet am 29. März 2001

Vorinstanz: LG Bielefeld – Az.: 7 O 360/98


Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2001 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28. April 2000 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.926,88 DM nebst 4 % Zinsen seit dem zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Beklagten liegt unter 30.000,00 DM.

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, § 543 I ZPO.)

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig.

In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg.

A.

Der Beklagte hat der Klägerin aus der Rechnung vom 4.06.1998

21.926,88 DM

gemäß § 433 II BGB (Wasserbezugsverträge sind Kaufverträge, RGZ 148, 326) in Verbindung mit den §§ 1 ff., 30 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (nachfolgend AVBWasserV) zu zahlen.

Ein Leistungsverweigerungsrecht steht dem Beklagten nicht zu.

I.

Es ist unstreitig, daß die Klägerin ihre Wasserlieferung an Privatkunden nicht öffentlich-rechtlich (durch Satzung oder Anstaltsordnung), sondern privatrechtlich organisiert hat. Dazu ist sie im Rahmen der Daseinsvorsorge befugt (Nachweise bei KG, Recht und Steuern im Gas- und Wasserfach, 1984, S. 43 ff., 44).

II.

Die Vertragsbeziehungen der Parteien richten sich nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie den Bestimmungen der auf der Grundlage der Ermächtigung von § 27 AGBG erlassenen AVBWasserV. Diese enthalten in den §§ 2 – 34 detaillierte Regelungen bezüglich der Rechte und Pflichten der Beteiligten.

Aufgrund der Ermächtigung in § 27 AGBG hat der Verordnungsgeber für die Zeit ab April 1980 die Bezugsverhältnisse von Privatkunden, auch soweit sie, wie hier, schon vorher bestanden, der AVBWasserV unterworfen.

2.

Unstreitig liefert die Klägerin an Privatkunden Frischwasser aufgrund von Vertragsmustern oder Bedingungen, die für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert sind, § 1 I 1 AVBWasserV.

Die „Allgemeinen Wasserversorgungsbedingungen vom“ sind mit Wirkung ab dem 1.1.1987 durch die „Ergänzenden Bestimmungen des Städtischen Wasserwerks zu der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser“ vom 20.11.1986 abgelöst worden.

a)

Für die Geltung der AVBWasserV kommt es nicht darauf an, ob dem hier zu beurteilenden Vertrag die AGB oder Muster tatsächlich zugrunde liegen. Es genügt vielmehr, daß, wie hier, solche Bedingungen/Muster tatsächlich von dem Versorgungsunternehmen verwendet werden.

b)

Daß die Parteien – abweichend von der üblichen Handhabung der Klägerin – einen Individualvertrag geschlossen oder wirksam von den AVBWasserV abweichende Allgemeine Versorgungsbedingungen vereinbart haben, § 1 III AVBWasserV, trägt (auch) der Beklagte nicht vor.

c)

Ohne Bedeutung ist ferner der Umstand, daß kein schriftlicher Vertrag geschlossen wurde.

(1)

Der Kaufvertrag selbst kommt durch schlüssiges Verhalten zustande.

Das Angebot des Wasserversorgers ist eine sogenannte Realofferte, die der Kunde aufgrund des Bezuges durch sozialtypisches Verhalten annimmt (Nachweise bei Palandt-Heinrichs, 59. Auflage, Einf. v. § 145 BGB, Rn. 26 ff. m.w.N. aus der Rspr .) .

(2)

Auch zur Geltung der AVBWasserV bedarf es keines schriftlichen Vertragsschlusses, § 2 AVBWasserV.

III.

Die Höhe des von dem Beklagten geschuldeten Entgelts folgt aus dem in der Rechnung ausgewiesenen Verbrauch in Verbindung mit den der Wasserversorgung zugrundeliegenden Tarifen.

IV.

Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, er habe die in Rechnung gestellte Wassermenge im Abrechnungszeitraum tatsächlich gar nicht verbraucht.

Die AVBWasserV trifft in § 30 insoweit eine Regelung, die die nach dem BGB bestehende Rechtslage entscheidend modifiziert.

Einwände gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen berechtigen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur,

1. soweit sich aus den Umständen ergibt, daß offensichtliche Fehler vorliegen und

2. wenn der Zahlungsaufschub oder die Zahlungsverweigerung innerhalb von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Rechnung oder Abschlagsberechnung geltend gemacht wird.

Zwar hat der Beklagte seine Einwendungen rechtzeitig geltend gemacht.

Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß ein „offensichtlicher Fehler“ i.S. des § 30 AVBWasserV vorliegt.

1.

§ 30 AVBWasserV ist wirksam.

a)

Das BVerfG hat entschieden, daß § 27 AGBG eine für den Erlaß der VO ausreichende Ermächtigungsgrundlage ist (BVerfG JZ 1982, 288; siehe auch KG, Recht und Steuern im Gas- und Wasserfach, 1984, S. 44 ff.).

b)

Es entspricht auch allgemeiner Auffassung, daß § 30 AVBWasserV rechtsstaatlichen Anforderungen genügt.

Dies folgt daraus, daß der öffentliche Wasserversorger – von Abschlägen des Kunden abgesehen -vorleistungspflichtig und es zur nachhaltigen Sicherung einer zuverlässigen und preiswerten Versorgung erforderlich ist, dem Kunden nur in eindeutigen Fällen ein Leistungsverweigerungsrecht einzuräumen, ihn aber im übrigen auf den Erstattungsanspruch gemäß § 21 AVBWasserV zu verweisen (siehe dazu KG, a.a.0., vgl. auch -beiläufig zu den gleichlautenden Bedingungen für den Bezug von Elektrizität BGH NJW 1983, S. 1777 f.; OLG Düsseldorf, VKU Nachrichtendienst, Folge 436, Nr. 77, S. 5 f.; Ludwig-Odenthal, Recht der Elektrizitäts-, Gasund Wasserversorgung, Kommentar, Band 2, § 30 AVBWasserV, unter „Inhaltsübersicht“; OLG Köln, Recht und Steuern im Gas- und Wasserfach, 1990, S. 26 f.) .

Die Voraussetzungen des § 30 AVBWasserV, wonach die Zahlung (u.a.) nur dann zurückbehalten werden darf, wenn sich „aus den Umständen“ ergibt, daß „offensichtliche Fehler vorliegen“, sind nicht erfüllt.

a)

Ein solcher offensichtlicher Fehler liegt nach der veröffentlichten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der Kommentarliteratur nur dann vor, wenn er „auf der Hand“ liegt, also wenn aufgrund unstreitiger oder offenkundiger oder gerichtsbekannter Umstände die Wassermenge in dem fraglichen Zeitraum ._. nicht verbraucht worden sein kann. Es darf kein vernünftiger Zweifel an der Fehlerhaftigkeit möglich sein (OLG Düsseldorf, VKU-Nachrichtendienst Folge 436, Nr. 77, S. 5 f.; OLG Köln, Recht und Steuern im Gas-und Wasserfach, 1990, S. 26 f.; OLG Hamm, Recht und Steuern im Gas- und Wasserfach, 1992, S. 15 f.; Tegethoff-Büdenbiner-Klinger, Das Recht der öff. Energieversorgung, Kommentar, Bd. II, § 30 AVBWasserV, Rn. 6; Ludwig-Odenthal, § 30 AVBWasserV V, unter II).

Die Voraussetzung der Offensichtlichkeit ist bereits dann nicht erfüllt, wenn über die vom Kunden behauptete Fehlerhaftigkeit durch das Gericht Beweis erhoben werden müßte (ders., a.a.0.; KG, a.a.0., S. 46).

b)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gilt:

(1)

Ein offenkundiger Ablesefehler oder sonstiger Berechnungsfehler liegt nicht vor.

Insbesondere ein Ablesefehler wurde bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von keiner Seite geltend gemacht.

Vielmehr hat die Klägerin vom Beklagten unbestritten vorgetragen, daß bei der Ablesung für das Jahr 1997 der Zählerstand 3431 Kubikmeter betragen habe. Streitig war insoweit (zunächst) nur, wann die Ablesung erfolgte, nämlich am 3.12.1997 oder Anfang 1998.

Bezüglich des Standes des Zählers bei Ausbau der Wasseruhr hat die Klägerin (schon) in der Klageschrift unter Überreichung einer Kopie eines Protokolls vom 21.04.1998 vorgetragen, daß der Monteur sich bei dem Ausbau des Zählers den Ablesestand von 11.298 Kubikmetern vom Beklagten habe bestätigen lassen. Der Beklagte hat in der Klageerwiderung zugestanden, daß die Wasseruhr bei der turnusmäßigen Auswechselung einen „erhöhten Verbrauch“ angezeigt und er, der Beklagte, dies „ordnungsgemäß bestätigt“ habe.

(2)

Ob das Versorgungsunternehmen zur Abklärung der Frage, ob ein offenkundiger Fehler vorliegt, verpflichtet ist, von sich aus die Wasseruhr untersuchen zu lassen, oder ob es dazu eines Verlangens des Kunden bedarf, § 19 AVBWasserV, mag dahinstehen, denn die Uhr wurde hier, ohne daß Fehler festgestellt .-. wurden, vorprozessual einer äußerlichen Prüfung unterzogen (Prüfbescheid der „Staatlich anerkannten Prüfstelle für Meßgeräte für Wasser“ x – GmbH vom 19.5.1998).

(3)

Es ist im Berufungsrechtszuge unstreitig geworden, daß (schon) bei einer – unterstellten – Abrechnungszeit vom 1.1.1998 bis zur Auswechselung der Uhr am 21.04.1998 die abgerechnete Wassermenge von 7867 Kubikmetern die Uhr durchflossen haben kann (siehe dazu das von der Kammer eingeholte Gutachten des Sachverständigen x vom 16.07.1999, GA 129 a ff.).

(4)

Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß das Wasserleitungsnetz im Hause des Beklagten unter Berücksichtigung der Rohrquerschnitte theoretisch den Durchfluß der in Rechnung gestellten Wassermenge zuläßt. Dies gilt jedenfalls für den von der Klägerin behaupteten und vom Beklagten in II. Instanz unbewiesen in Abrede gestellten Abrechnungszeitraum vom 3.12.1997 bis zur Auswechselung der Uhr am 21.04.1998.

(5)

Soweit der Beklagte im übrigen behauptet, die Wasseruhr sei erst Anfang 1998 abgelesen worden,

der von der Kammer (weiter) beauftragte Sachverständige x habe in seinem Gutachten vom 2.12.1999 unberücksichtigt gelassen, daß sich der Querschnitt der in seinem, des Beklagten, Hause verlegten Rohre alterungsbedingt durch Verunreinigungen und Kalkablagerungen verengt habe, in seinem, des Beklagten, Hause und auf seinem Grundstück sowie auch in der Nachbarschaft sei es zu keinem (nachhaltigen) Wasseraustritt gekommen, ein unbemerkter Abfluß des Wassers sei aber aufgrund der Hanglage und des Schieferbodens nicht möglich,

handelt es sich allesamt um Einwendungen, die keine offenkundigen Fehler im Sinne des § 30 AVBWasserV begründen und die somit erst in einem etwaigen Erstattungsverfahren gemäß § 21 AVBWasserV Berücksichtigung finden können.

Dem Umstand, daß es auch nach der Überzeugung des Senats jedenfalls nicht wahrscheinlich ist, daß der Beklagte die in Rechnung gestellte Wassermenge tatsächlich vollständig verbraucht hat, kommt demgemäß keine für dieses Verfahren entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

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B.

Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 284 ff. BGB.

C.

Dem Antrag des Beklagten vom 26.01.2001 auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht zu entsprechen.

I.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1993, 134) ist das Gericht zur Wiedereröffnung einer bereits geschlossenen Verhandlung nur verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen ergibt, daß die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (s. a. BGHZ 53, 245 (262) = NJW 1970, 946). Darüber hinaus wird eine Pflicht zur Wiedereröffnung angenommen, wenn durch Versäumnisse oder Ungeschicklichkeiten des Gerichts oder durch andere Umstände im Verfahren bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung eine vollständige und sachgerechte Erklärung der Parteien unterblieb.

Dagegen ist die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht geboten, wenn diese ohne Verfahrensfehler geschlossen wurde.

II.

Wie oben – A. IV. 2 b) (1) – dargelegt, bestand schon angesichts des unbestritten gebliebenen Vorbringens der Klägerin zum Zählerstand bei der Ablesung für das Jahr 1997 und im Hinblick auf den vom Beklagten zugestandenen Vortrag der Klägerin zum Zählerablesestand am 21.04.1998 für den Senat kein Anlaß, diesbezüglich – aufklärend – auf weiteren Sachvortrag hinzuwirken.

Soweit sich der Beklagte im Schriftsatz vom 26.01.2001 im übrigen auf die Einholung weiterer Gutachten beruft, wird auf die obigen Ausführungen – A. IV. 2 b) (5) – Bezug genommen.

Das gilt auch wegen des weiteren Vorbringens in den Schriftsätzen vom 09.02., 15.02., 22.02., 16.03. und 20.03.2001.

D.

Für die Zulassung der Revision fehlt die gesetzliche Grundlage.

E.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 546 II, 708 Nr. 10 ZPO.

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