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Wegeunfall – bei erheblichem Umwegen kein Versicherungsschutz!

Hessisches Landessozialgericht

Az.: L 3 U 195/07

Urteil vom 20.05.2008

Vorinstanz: Sozialgericht Wiesbaden, Az.: S 1 U 46/06, Entscheidung vom 03.08.2007


Entscheidung:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 3. August 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Wegeunfall.

Die mittlerweile 26jährige Klägerin war bei der Zeitarbeitsfirma WRE. Deutschland GmbH & Co. KG beschäftigt und an die POU. OPZ-Stadt GmbH als Mitarbeiterin im Lager/Versand ausgeliehen. Am 2. August 2005 verunglückte sie auf der B 54 Richtung OPZ-Stadt kurz vor POW in einer langgezogenen Linkskurve mit ihrem Pkw und zog sich einen instabilen Berstungsbruch des 4. Lendenwirbelkörpers (LWK) zu, der am 3. August 2005 mit einer dorsalen Spondylodese (Verblockung) der LWK 3 bis 5 operativ versorgt wurde.

Die Klägerin gab im Wegeunfallfragebogen der Beklagten am 21. August 2005 an, der Unfall habe sich auf dem Weg zur Arbeit ereignet, die sie von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr verrichte. Sie sei gegen 5.15 Uhr von ihrer Wohnung in A-Stadt-FK. abgefahren und habe auf dem Weg getankt. Die Wegstrecke betrage etwa 20 km und die Fahrzeit etwa 30 Minuten. Im Dienstreisebericht eines Mitarbeiters der Beklagten vom 13. September 2005 heißt es, die Klägerin sei von ihrem Wohnort zunächst nach A-Stadt-VTR zum Tanken gefahren und danach auf der B 54 Richtung OPZ-Stadt. Mit Bescheid vom 24. November 2005 lehnte die Beklagte die Entschädigung des Ereignisses als Arbeits- bzw. Wegeunfall ab. Denn der Unfall habe sich auf einem Abweg ereignet, den die Klägerin von ihrer Wohnung aus zunächst in Gegenrichtung der Arbeitsstelle nach A Stadt-VTR angetreten habe, um dort zu tanken. Vor Erreichen des versicherten Weges von A-Stadt-FK. nach OPZ-Stadt sei sie sodann verunglückt.

Mit Widerspruch vom 5. Dezember 2005 trug die Klägerin vor, sie fahre täglich von ihrem Wohnort FK. zu ihrer Arbeitsstelle in OPZ-Stadt die Strecke über VTR. Diese Strecke sei ihr bekannt, da sie vorher in QWX gewohnt habe. Diese Strecke sei schneller als die Strecke von FK. nach PWE, die sehr eng und kurvig sei. Das Auto habe ihrem Stiefvater gehört und sie nutze dies nur für die Fahrt zur Arbeit. Da sie keine privaten Fahrten mit dem Auto tätige, sei das Tanken keine private, sondern eine Tätigkeit zur Ausübung der Erwerbstätigkeit gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2006 verblieb die Beklagte bei ihrer ablehnenden Entscheidung. Sie verwies darauf, dass vom Wohnort FK. der Klägerin insgesamt drei Straßen in Richtung ihrer Arbeitsstelle in OPZ-Stadt verliefen: Die K 485 in Richtung WRE, die L 3046 in Richtung AQF sowie die L 3278 nach PRT. Der Abweg über VTR habe den Weg zur Arbeit um etwa 7 km verlängert, auch wenn man zugunsten der Klägerin die nördlichste der möglichen direkten Fahrtstrecken über die K 485 zugrunde lege. Unerheblich sei, ob die Strecke über PWE eng und kurvenreich sei, da mindestens zwei weitere Alternativstrecken als direkte Wege zur Verfügung gestanden hätten. Das Tanken bei Antritt des Weges oder unterwegs gehe üblicherweise der Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit voraus und stelle eine unversicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar.

Mit Klage vom 2. Mai 2006 wiederholte die Klägerin vor dem Sozialgericht Wiesbaden (SG) ihr Widerspruchsvorbringen und wies darauf hin, sie sei nicht verpflichtet, den kürzesten Weg zur Arbeitsstelle zu benutzen. Die Strecke über VTR sei zeitlich schneller zurückzulegen und dies mit geringerer Unfallgefahr. Im Kammertermin vom 3. August 2007 hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, sie habe in VTR getankt, da die Tankstelle in FK. und auch die Tankstelle in POW erst später aufgemacht hätten. Sie habe damals einen Ford Fiesta, Baujahr 1997, gefahren, den ihr Stiefvater etwa eineinhalb Wochen vor dem Unfall gekauft habe und der ihr für den Weg zur Arbeit zur Verfügung gestanden habe. Sie selbst habe das Auto nur benutzt, um damit zur Arbeit zu fahren. Sie habe am Tag vor dem Unfall nicht auf den Tankinhalt geachtet. Erst morgens auf dem Weg zur Arbeit habe sie gesehen, dass sie habe tanken müssen. Die Nadel der Tankuhr habe sich kurz vor dem roten Strich, also kurz vor der Reserve, befunden. Sie habe keine Erfahrung gehabt, wie lange die Reserve reiche und sei da auch eher ängstlich. Ob der Tankinhalt noch bis OPZ-Stadt gereicht hätte, wisse sie nicht. Sie habe für den Weg zur Arbeit nach OPZ-Stadt immer die Strecke über VTR gewählt. Früher hätten ihr Mann und sie für die Dauer von etwa drei Jahren in QWX gewohnt und seien im Januar 2005 nach FK. umgezogen. Von QWX sei sie seinerzeit, wenn sie nach OPZ-Stadt gewollt habe, immer über VTR gefahren. Man hätte auch über FK. fahren können. Sie habe sich aber angewöhnt, immer über VTR zu fahren und sei daher den Weg von VTR nach OPZ-Stadt gewohnt gewesen.

Mit Urteil vom 3. August 2007 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, das Ereignis vom 2. August 2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen, da es sich um einen Wegeunfall gehandelt habe. Der Weg von FK. über VTR nach OPZ-Stadt sei zwar nicht der direkte Weg zur Arbeit sondern in geographischer Hinsicht ein Abweg, denn die L 3364 führe zunächst in die entgegengesetzte nördliche Richtung und nicht zum eigentlich südlich von FK. gelegenen Ziel OPZ-Stadt. Das grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnende Tanken sei im Falle der Klägerin ausnahmsweise der betrieblichen Sphäre zuzurechnen. Ihren eigenen, glaubhaften Angaben zufolge habe sie erst am Unfalltag nach dem Starten bemerkt, dass das Auftanken des Fahrzeuges erforderlich sein würde, um die Arbeitsstätte in OPZ-Stadt erreichen zu können und habe tatsächlich Zweifel gehabt, ob die restliche Tankfüllung für die Zurücklegung des Weges zur Arbeit ausreichend sein würde. Die Tankanzeige habe signalisiert, dass sie den Reservebereich in Anspruch hätte nehmen müssen. Welche Wegstrecke mit der noch verbleibenden Reserve erfahrungsgemäß hätte zurückgelegt werden können, habe die Klägerin nicht einzuschätzen vermocht, da das Fahrzeug erst anderthalb Wochen vor dem Unfall angeschafft worden sei. Die Möglichkeit, eine andere, auf direkterem Weg nach OPZ Stadt liegende Tankstelle zu nutzen, habe nicht bestanden, da die in FK. und in POW gelegenen Tankstellen in den frühen Morgenstunden noch nicht geöffnet gewesen seien.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 28. August 2007 zugestellte Urteil am 13. September 2007 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und hat zur Begründung vorgetragen, nach den von der Rechtsprechung zugrunde gelegten Grundsätzen lasse sich die Notwendigkeit des Nachtankens am frühen Morgen des Unfalltages nicht begründen. Denn die Tanknadel habe noch nicht im Reservebereich gestanden. Zudem sei die Notwendigkeit zum Tanken für die Klägerin nicht überraschend eingetreten, denn sie habe direkt von der Wohnung aus gezielt den Weg zur nächsten offenen Tankstelle angetreten. Der Klägerin hätten mehrere Tankstellen in der Nachbarschaft zur Verfügung gestanden, wo sie zwischen der Rückkehr von der Arbeit am Vortage und dem Start zur Arbeit am Unfalltag hätte tanken können. Im Senatstermin vom 20. Mai 2008 hat die Beklagte Auszüge aus dem „Shell Atlas Routenplaner“ im Hinblick auf die von der Klägerin gewählte sowie die kürzest mögliche Strecke von der Wohnung zur Arbeitsstelle vorgelegt. Sie hat ergänzend vorgetragen, die Klägerin habe durch den Umweg über VTR die Fahrtstrecke um ein Drittel und die Fahrzeit um die Hälfte verlängert. Der Spritverbrauch für die direkte Strecke von FK. nach OPZ-Stadt über die L 3278 liege bei nicht mehr als einem Liter.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 3. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Im Senatstermin hat sie persönlich angehört erklärt, sie habe den Führerschein mit 21 Jahren gemacht und sei seitdem Auto gefahren. Bis zur Anschaffung des Unfallfahrzeuges Ford Fiesta sei sie mit dem Ford Escort ihres Ehemanns zur Arbeit gefahren. Theoretisch hätte sie dies auch mit dem Zug tun können.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Auf die form- und fristgerecht erhobene, zulässige (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) Berufung der Beklagten war die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn der Verkehrsunfall der Klägerin vom 2. August 2005, der sich gegen 5.30 Uhr kurz vor Erreichen der Gemeinde POW auf der B 54 in Richtung OPZ-Stadt ereignete, war entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht als Wegeunfall im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – 7. Band (SGB VII) anzuerkennen.

Versicherungsfälle in der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Gemäß § 8 Abs. 2 SGB VII ist eine versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von und nach dem Ort der Tätigkeit. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der so genannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln der Klägerin zum Weg zur Arbeitsstätte gehört. Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz der Versicherten, soweit sie durch objektive Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Aus dem vom Gesetz geforderten unmittelbaren Zusammenhang zwischen Weg und versicherter Tätigkeit folgt nicht, dass die Versicherten ausschließlich auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zur Arbeitsstätte geschützt sind. Ein vom Versicherten eingeschlagener Weg, der nicht nur unbedeutend länger ist als der kürzeste Weg, ist als unmittelbarer Weg anzusehen, wenn der Versicherte aus objektiv nachvollziehbaren betriebsbezogenen Gegebenheiten vom an sich kürzesten Weg abweicht, z.B. um eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu benutzen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 11. September 2001, Az.: B 2 U 34/00 R mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Kein Versicherungsschutz besteht, wenn der längere Weg wesentlich allein aus eigenwirtschaftlichen Gründen eingeschlagen wird. Lässt sich nicht feststellen, ob der Umweg im inneren Zusammenhang mit dem Weg nach dem Ort der Tätigkeit stand, besteht kein Versicherungsschutz. Für die Tatsache, dass ein Abweichen von der kürzeren Wegstrecke auf der versicherten Tätigkeit zuzurechnende Umstände zurückzuführen war, muss der volle Nachweis erbracht sein – es muss ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG treffen, sofern dieser Nachweis nicht gelingt, den Versicherten die Folgen der objektiven Beweislosigkeit (vgl. BSG SozR 3-2200 § 550 Reichsversicherungsordnung –RVO- Nr. 7).

Bei Entscheidung der Frage, ob der Verkehrsunfall der Klägerin als Wegeunfall anzuerkennen ist, ist der Senat von folgendem Sachverhalt hinsichtlich der örtlichen Verhältnisse und der zeitlichen Vorgaben ausgegangen:

Die Klägerin kam auf der B 54 Richtung OPZ-Stadt fahrend gegen 5.30 Uhr vor Erreichen der Gemeinde QEW-POW mit einem Ford Fiesta ausgangs einer Linkskurve von der Fahrbahn ab und verunglückte. Sie wohnte zum Unfallzeitpunkt in A-Stadt-Ortsteil FK., A Straße, und war als Produktionshelferin von der Zeitarbeitsfirma WRE. Deutschland GmbH und Co. KG an die POU. OPZ-Stadt GmbH in OPZ-Stadt, PIU Straße, ausgeliehen. Der kürzeste Weg zur Arbeitsstelle in einer Länge von etwa 18 km führte auf der L 3278 über PRT auf die B 54 nach OPZ-Stadt. Einen etwa gleichweiten Arbeitsweg hätte die Klägerin über die L 3046 und AQF nehmen können, auf dem sie die B 54 hinter PWE erreicht hätte. Den dritten Weg hätte die Klägerin über die K 485 zurücklegen können, auf dem sie die B 54 in POW Ortsteil WRE erreicht hätte. Die Klägerin will indessen regelmäßig von FK. über die L 3361 nach VTR und von dort über die B 54 nach OPZ-Stadt gefahren sein, womit sie ihre kürzest mögliche Fahrtstrecke um sechs bis sieben Kilometer und damit um ca. 1/3 und die Fahrzeit von ca. 25 Minuten auf 38 Minuten um die Hälfte erhöhte. Dies hat die Beklagte unter Vorlage von Ausdrucken aus dem „Shell Atlas Routenplaner“ von der Klägerin unwidersprochen im Senatstermin unter Beweis gestellt.

Die Klägerin hatte am Unfalltag bei Antritt der Fahrt Richtung VTR einen „Umweg“ angetreten, der sie nicht direkt zur Arbeitstellte nach OPZ-Stadt führte. Sie hatte bei Erleiden des Unfalles auf der B 54 den nach VTR angetretenen und auf die B 54 Richtung OPZ-Stadt führenden Umweg noch nicht beendet, als es zum Unfall kam. Zugunsten der Klägerin hätte das Berufungsgericht davon ausgehen können, dass der Weg über die K 485 als noch versicherter geringfügiger Umweg anzusehen gewesen wäre, oder der Weg über die L 3046. Auf beiden Wegen hätte die Klägerin indessen die B 54 erst an einem dem Ziel OPZ-Stadt näher gelegenen Punkt in POW oder erst hinter PWE erreicht. Da die Klägerin aber noch vor diesen beiden Wegpunkten auf der B 54 verunfallte, hatte sie den Umweg noch nicht ganz zurückgelegt und den versicherten Weg noch nicht wieder erreicht.

Der von ihr angetretene Umweg war „erheblich“ und als solcher unversichert. Die Frage, ob ein Umweg „erheblich“ ist, hängt nicht allein von der Länge der zu vergleichenden Wegstrecken ab. Es sind dabei alle nach der allgemeinen Verkehrsanschauung maßgeblichen Umstände in Betracht zu ziehen, insbesondere neben dem gewählten Verkehrsmittel die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit im Hinblick auf dieses Verkehrsmittel, einen bestimmten Weg einzuschlagen, um möglichst schnell und sicher die Arbeitsstätte/Wohnung zu erreichen (Schwerdtfeger, in Lauterbach: Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, Anm. 506 zu § 8 SGB VII m.w.N. auch aus der Rechtsprechung). Der von der Klägerin gewählte Umweg verlängerte den kürzest möglichen Weg längenmäßig um 1/3 und zeitlich um die Hälfte und lag als solcher nicht mehr im Rahmen des Wahlrechts, das der Versicherte zwischen verschiedenen möglichen Wegen zur Arbeit hat und war daher als unversicherter erheblicher Umweg anzusehen (dazu Schwertdfeger, a.a.O., Anm. 502 m.w.N. aus der Rechtsprechung), zumal die Klägerin keine stichhaltige Begründung für die Wahl dieses erheblichen Umweges angeführt hat. Soweit der Senat ihr darin folgt, dass der Weg über die L 3046 und AQF zur B 54 kurvenreich, gefährlich und zeitaufwendig sein soll, sprach dies nicht dagegen, die entfernungsmäßig kürzeste und ohne Kurven verlaufende Strecke über die L 3278 und PRT zu benutzen. Die Tatsache, dass eine Versicherte aus Gewohnheit eine erheblich längere Strecke wählt und dadurch das Unfallrisiko deutlich erhöht, machten den gewählten Weg nicht zu einem versicherten Weg (so zutreffend Schwerdtfeger, a.a.O., Anm. 506).

Auch der Umstand, dass die Klägerin glaubte, noch auf dem Hinweg tanken zu müssen, um die Arbeitsstätte zu erreichen, wie sie glaubhaft vor dem Senat vorgetragen hat, macht den von ihr angetretenen Umweg über VTR nicht zu einem versicherten Hinweg zur Arbeitsstätte.

Das Auftanken eines zur Fahrt nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzten Fahrzeugs gehört nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zu dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten. Denn es handelt sich dabei um eine Verrichtung, die zwar üblicherweise der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangeht, der Betriebsarbeit aber zu fern steht, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden, in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf die unmittelbaren Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit ausgedehnten betrieblichen Sphäre zuzurechnen wäre. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass das Aufsuchen der Tankstelle durch den motorisierten Arbeitnehmer im Allgemeinen nicht – wie das Zurücklegen des Weges nach und von der Arbeitsstätte – zeitlich und örtlich fixiert ist, sondern dass der Arbeitnehmer hierfür meist über vielfache Auswahlmöglichkeiten verfügt, indem er das Tanken während der Freizeit an seinem Wohnort, während einer Arbeitspause am Ort des Betriebes oder auch irgendwo unterwegs vornehmen kann (BSG, Urteil vom 30. Januar 1970 – 2 RU 198/67 -; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 19). Eine andere rechtliche Beurteilung kann allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn das Nachtanken während der Fahrt von und zur Arbeitsstätte unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann (BSG SozR § 543 RVO a.F. Nr. 63; SozR 2200 § 550 Nr. 39; Urteile vom 30. Januar 1970 – 2 RU 198/67 – und 24. Mai 1984 – 2 RU 3/83 -). An diese Voraussetzungen sind allerdings keine zu strengen Anforderungen zu stellen (BSG, a.a.O.). Als brauchbaren Anhaltspunkt und allgemeinen Maßstab für die Notwendigkeit des Tankens hat das BSG es deshalb auch zur Vermeidung einer zu starken Kasuistik angesehen, dass sich entweder während oder aber auch schon bei Antritt der Fahrt die Notwendigkeit ergibt, den Inhalt des Reservetanks in Anspruch zu nehmen (u.a. BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 19; SozR 2200 § 550 Nr. 39). Die Bejahung der Notwendigkeit des Tankens hängt dabei nicht vom Nachweis ab, ob sich der Versicherte den Kraftstoff zumutbar an anderer Stelle (z.B. im Betrieb, bei Arbeitskollegen, Nachbarn) hätte besorgen können. Auch ist es für die Notwendigkeit des Tankens zumindest im Regelfall nicht entscheidend, welche Strecke der Versicherte mit dem Benzin des Reservetanks objektiv hätte zurücklegen können (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 23; SozR 2200 § 550 Nr. 39; Urteile vom 24. Mai 1984 – 2 RU 3/83 – und 28. Februar 1964 – 2 RU 22/61 -). Als nicht „betriebsbedingt“ anzusehen ist das Auftanken in jedem Fall allerdings dann, wenn der mitgeführte Treibstoffvorrat zur Neige geht, aber noch ausreicht, um den jeweiligen Endpunkt des Weges nach oder von der Arbeitsstätte zu erreichen und dies dem Versicherten auch bekannt ist, so dass seine subjektive Vorstellung und Handlungstendenz gar nicht darauf gerichtet sein kann, mit dem Tanken die Zurücklegung des weiteren Weges zu ermöglichen (s. BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 19; SozR 2200 § 550 Nr. 39). Ferner darf das Betanken nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen stehen (s. dazu Krasney in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, § 8 SGB VII Rdnr. 212).

Von diesen Grundsätzen ausgehend konnte der Senat sich nicht davon überzeugen, dass objektive Umstände des Einzelfalles die Klägerin in ihrer Auffassung bestätigen konnten, dass sie noch tanken müsse, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt fünf Jahre in Besitz eines Führerscheins und während dieser Zeit auch Fahrerin eines Pkw, wie sie vor dem Senat selbst angegeben hat. Bevor ihr Stiefvater den Ford Fiesta, Baujahr 1997, angeschafft hatte, war sie mit dem Ford Escort ihres Ehemannes zur Arbeit nach OPZ-Stadt gefahren. Als mehrjährige Autofahrerin war ihr danach bekannt, welche Benzinmenge sie benötigte, um mit dem Ford Escort zur Arbeitsstelle nach OPZ-Stadt zu gelangen. Der erst wenige Tage vor der Unfallfahrt angeschaffte Ford Fiesta stammte von demselben Hersteller wie der Escort und die Klägerin musste von daher davon ausgehen, dass der Benzinverbrauch ähnlich war. Dass die Fiesta-Baureihe kleiner als die Escort-Baureihe war, spricht sogar für einen eher geringeren Spritverbrauch des Fiesta. Von einem durchschnittlichen Verbrauch eines derartigen Kleinwagens von ca. acht Litern pro 100 km ausgehend dürfte die Verbrauchsschätzung der Beklagten im Senatstermin mit einem Liter möglicherweise etwas zu gering sein. Von einem Verbrauch von mehr als zwei Litern für die 18 km vom Wohnort auf direktem Weg nach OPZ-Stadt konnte die Klägerin bei objektiver Betrachtung indessen nicht ausgehen. Sie hatte vor dem SG erklärt, sie habe erst morgens bemerkt, dass die Nadel der Tankuhr kurz vor dem roten Strich, also kurz vor der Reserve, sich befunden habe. Damit war der Reservebereich noch nicht erreicht und es muss offenbleiben, ob sie die Reservekraftstoffmenge überhaupt hätte in Anspruch nehmen müssen, wenn sie bei einem Verbrauch von ein bis zwei Litern auf dem direkten Weg nach OPZ-Stadt gefahren wäre. Zweifelsfrei steht damit objektiv fest, dass die verbliebene Kraftstoffmenge – selbst wenn die Nadel den Bereich des „roten Striches“ erreicht hätte – der Klägerin ein problemloses Fahren zur Arbeitsstätte in OPZ-Stadt erlaubt hätte. Der Klägerin ist danach zwar zuzugeben, dass sie möglicherweise mit dem am Unfalltag gefahrenen Ford Fiesta noch über nicht ausreichende einschlägige Erfahrungen zum Kraftstoffverbrauch und zum Umfang der Reservekraftstoffmenge verfügte und dass sie „auch eher ängstlich“ in dieser Frage war, wie sie vor dem SG angegeben hatte. Dennoch stützen die insofern nachvollziehbaren objektiven Umstände ihre Auffassung nicht, noch tanken zu müssen, da sie mit dem im Tank verbliebenen Kraftstoff glaubte den Arbeitsplatz OPZ-Stadt nicht mehr erreichen zu können. Die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten und von der Literatur übernommenen objektiven Abgrenzungskriterien erlauben es entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht, für den Fall der Klägerin das an sich unversicherte Tanken ausnahmsweise als versicherte Tätigkeit und den deswegen angetretenen Umweg als versicherten Weg anzusehen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.

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