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wegrollendes Zustellfahrzeug – grobe Fahrlässigkeit?


Verwaltungsgericht Ansbach

Az: AN 11 K 13.01851

Urteil vom 07.05.2014


Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


Tatbestand

Die Klägerin, eine Postbetriebsassistentin der Niederlassung … …, Teilzeitkraft mit 30 Wochenarbeitsstunden und als Stammzustellerin beim ZSP … im Jobsharing eingesetzt, wendet sich gegen ihre Heranziehung zum Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Schaden an dem von ihr gefahrenen Zustellfahrzeug.

In der Schadenmeldung vom … 2013 (Bl. 13 der Behördenakte = BA) gab die Klägerin an, während der Zustellung am … 2013 um 8:45 Uhr am Marktplatz in … ihr Fahrzeug, einen VW Transporter mit laufendem Motor und leicht angezogener Handbremse abgestellt zu haben, als das Fahrzeug plötzlich auf einen Laternenmasten losgerollt sei. Es seien die Stoßstange vorne rechts, das Licht und die Motorhaube beschädigt worden. Die Reparatur betrug ausweislich der Rechnung vom … 2013 (Bl. 14 ff. BA) 3.007,20 EUR brutto. Eine Überprüfung in der Werkstatt ergab ausweislich einer Bestätigung vom … 2013 (Bl. 16 BA), dass ein Fehler an der Handbrems-Funktion nicht festgestellt werden konnte. Ein Wegrollen des Fahrzeugs habe daher ausgeschlossen werden können. Mit Schreiben vom … 2013 (Bl. 21 ff. BA) nahm das Schadensmanagement der DP AG Stellung. Nach der Regelung des Handbuchs für das Fahrpersonal der DP seien Fahrzeuge vor dem Verlassen grundsätzlich doppelt gegen Abrollen zu sichern. Hierzu sei die Feststellbremse und ein gegenläufiger Gang bzw. die Parksperre bei automatischem Getriebe einzulegen. Ggfs. müsse zusätzlich – soweit vorhanden – noch ein Unterlegkeil verwendet werden. Diese Regelung sei bewusst unabhängig von den örtlichen Gegebenheiten. Die Tatsache, dass das Fahrzeug abgerollt sei, deute auf eine Missachtung dieser Vorschriften hin, da die Überprüfung des Fahrzeugs keine technischen Mängel ergeben habe. Unter diesen Umständen sei die Dienstpflicht objektiv grob fahrlässig verletzt worden, was die Inrechnungstellung der vollen unfallbedingten Kosten rechtfertige. Am … 2013 wurde die Klägerin wegen der Regressforderung angehört (Bl. 23 BA). Wie in der Unfallaufnahme beschrieben, habe sie sich in der Zustellung befunden. Am Marktplatz in … habe sie ihr Fahrzeug mit angezogener Handbremse abgestellt. Es habe das Symbol aufgeleuchtet, das bedeute, den Motor möglichst nicht auszumachen. Daher habe sie den Motor laufen lassen. Sie habe weder fahrlässig und schon gar nicht grob fahrlässig gehandelt. In einer Entscheidungsvorlage vom … 2013 (Bl. 28 ff. BA) wurde die Inregressnahme empfohlen, in einem Vermerk des Niederlassungsleiters vom …2012 (Bl. 30 BA) aber wegen hervorragender dienstlicher Leistungen der Klägerin trotz offensichtlicher gesundheitlicher Beeinträchtigung und bei Würdigung ihrer Gesamtpersönlichkeit und Einsatzbereitschaft die Niederschlagung nach Zahlung von 500 EUR festgelegt.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2013 machte die Niederlassung Brief … gegen die Klägerin eine sofort fällige Forderung in Höhe von 500 EUR geltend. Sie habe mit ihrem Dienstfahrzeug einen Unfall verursacht, wodurch ein Schaden in Höhe von bezahlten 2.677,92 EUR entstanden sei. Unter den vorgenannten Umständen habe sie gegen § 14 Abs. 2 StVO sowie die Regelung im Handbuch für Fahrer und Fahrerinnen der DP verstoßen und hierdurch ihre Dienstpflicht verletzt. Es gehöre zu den Grundpflichten jedes Fahrzeugführers, das Fahrzeug vor dem Verlassen durch geeignete Maßnahmen gegen ein Wegrollen zu sichern. Von einem führerlos rollenden Fahrzeug gehe nämlich eine erhebliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aus, die vom Fahrzeugführer nicht kalkuliert werden könne. Nach Abwägen aller für die Beurteilung ihres Fehlverhaltens maßgebenden Umstände sei ihr Verhalten als grobe Fahrlässigkeit zu werten. Sie werde daher gemäß §§ 75 Abs. 1 BBG, 7 Abs. 2 PostPersRG wegen grob fahrlässiger Handlungsweise zum Regress in Höhe von 2.677,92 EUR herangezogen. Im Rahmen dieses Verfahrens sei aber vorgesehen, nach Zahlung eines Betrags in Höhe von 500 EUR den Restbetrag zu erlassen. Der zu tilgende Betrag in Höhe von 500 EUR werde in 10 Teilbeträgen in Höhe von jeweils 50 EUR von ihren Dienstbezügen einbehalten, wozu die Aufrechnung gemäß § 11 Abs. 2 BBesG erklärt werde.

Gegen diese Zahlungsaufforderung von 500 EUR legte die Klägerin mit Schreiben vom 1. August 2013 (Bl. 35 ff. BA) Widerspruch ein. Der Unfall sei von ihr nicht grob fahrlässig verursacht worden. Warum das Fahrzeug abgerollt sei, könne sie sich nicht erklären. Nachdem sie die Handbremse fest angezogen habe, habe sie wie vorgeschrieben den Motor abstellen wollen. Da jedoch das Symbol des Rußpartikelfilters geleuchtet und ein großes Schild gewarnt habe, auf keinen Fall den Motor abzustellen, habe sie beschlossen, den Motor laufen zu lassen. Sie habe diesen Transporter erst fünf Monate gefahren und keine Einweisung erhalten. Sie hätte die Kunden ja nicht warten lassen können und erst eine Runde drehen müssen, um den Rußpartikelfilter sauber zu bekommen. Erschwerte Arbeitsbedingungen und Arbeiten unter Zeitdruck insbesondere wegen ständig steigender Paketmengen seien ebensowenig berücksichtigt worden wie ihre 30jährige Tätigkeit. Vergleichbare Urteile würden nur eine mittlere Fahrlässigkeit annehmen oder die Haftung ganz ausschließen. Einem Lohnabzug und einer Inregressnahme widersprach sie ausdrücklich.

Nach einem Aktenvermerk vom 6. September 2013 (Bl. 39 BA) habe der zuständige Unfallbearbeiter mitgeteilt, dass alle Zustellkräfte das Handbuch für Fahrpersonal nachweislich ausgehändigt bekommen hätten. Bei Fahrzeugwechsel einer vergleichbaren Klasse werde kein neues Einweisungsprotokoll mehr gefertigt. Es seien Belehrungen des Fahrpersonals im ZSP … … am 10.5.2011 und 28.3.2012 durchgeführt worden, an denen die Klägerin nachweislich teilgenommen habe. Dabei sei immer auch das Thema Mehrfachsicherung bei Verlassen des Fahrzeugs angesprochen worden, insbesondere dass dieses niemals bei laufendem Motor verlassen werden dürfe. Auch die Tatsache, dass das Aufleuchten der Warnleuchte ausdrücklich nicht von dieser Pflicht entbinde, sei dort angesprochen worden. In diesem Falle müsse der Zusteller entweder schlicht bei laufendem Motor warten oder aber das Fahrzeug freifahren bis diese Anzeige verschwunden sei. So werde es im Unterricht vermittelt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 (Bl. 42 ff. BA) wies die Niederlassung Brief, … der DP AG den Widerspruch der Klägerin zurück. Das Verhalten der Klägerin sei als grob fahrlässig zu werten. Sie habe es offensichtlich versäumt, die vorgeschriebene doppelte Sicherung beim Abstellen des Fahrzeugs ordnungsgemäß vorzunehmen. Das Handbuch für Fahrpersonal der DP AG mit dieser Regelung sei ihr nachweislich ausgehändigt worden. Vor dem VW Transporter habe sie die gleiche Fahrzeugklasse gefahren. Sie sei zweimal nachweislich auf die Notwendigkeit der Mehrfachsicherung bei Verlassen des Fahrzeugs hingewiesen worden, insbesondere dass das Fahrzeug niemals bei laufendem Motor verlassen werden dürfe. Auch die Tatsache, dass das Aufleuchten der Warnleuchte ausdrücklich nicht von dieser Pflicht entbinde, sei dort angesprochen worden. Auch sonst seien keine Gründe ersichtlich, von einer Regressforderung Abstand zu nehmen. Von der tatsächlichen Regressforderung in Höhe von 2.677,92 EUR seien ihr bereits 2.177,92 EUR aufgrund ihrer hervorragenden dienstlichen Leistungen erlassen worden. Eine weitere Niederschlagung sei nicht möglich.

Dieser Bescheid wurde mit PZU am 26. September 2013 zugestellt.

Mit Telefax ihrer Bevollmächtigten vom 18. August 2013 ließ sie hiergegen Klage erheben und mit Telefax vom 7. November 2013 beantragen

den Bescheid vom 26. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 25. September 2013 aufzuheben.

Die Klägerin habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Es sei wahrscheinlich, dass die Handbremse nicht ausreichend gewartet gewesen sei und ein Abrollen des Fahrzeugs nicht verhindert habe. Sie habe die Anweisung aus dem entsprechenden Handbuch befolgt und beim Aussteigen die Handbremse angezogen. Ein Abstellen des Motors sei ihr aber nicht möglich gewesen, weil die Warnleuchte des Rußpartikelfilters aufgeleuchtet habe. Nach den Vorgaben des Herstellers dürfe dann, um Schäden zu vermeiden, der Motor nicht abgestellt werden. Dies werde dem Fahrpersonal auch bei Einweisungen so gesagt. Die Klägerin habe sich daher in einer Spannungslage zwischen den Vorgaben des Herstellers und den internen Regelungen der DP AG befunden. Sie sei auch in ihr aktuelles Dienstfahrzeug nicht eingewiesen worden und habe deshalb auch nicht wissen können, dass die Warnleuchte bei einer Weiterbenutzung des Fahrzeugs ausgehe und der Rußpartikelfilter evtl. gereinigt werde. Weiter habe die Klägerin im Kundeninteresse sofort handeln und sich auch ökonomisch verhalten müssen. Darüber hinaus seien die schweren Arbeitsbedingungen bei gefahrgeneigter Tätigkeit und die langjährige Tätigkeit der Klägerin ohne Beanstandungen zu berücksichtigen. Schließlich wurde bestritten, dass der DP AG tatsächlich ein Schaden entstanden sei, weil davon auszugehen sei, dass diese eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen habe.

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 beantragte die DP AG,

die Klage abzuweisen.

Sie erwiderte mit Schreiben vom 2. Dezember 2013. Die Klagebegründung könne die Klägerin nicht entlasten. Die Handbremse des Unfallfahrzeugs sei funktionsfähig gewesen. Dieses sei neuwertig gewesen wegen der Zulassung am 26.7.2012 und dem Tachostand von 3902 km. Im Zusammenhang mit der Reparatur des Fahrzeugs habe die Werkstatt einen Fehler an der Funktion der Handbremse ausgeschlossen. Auch seien diesbezügliche Mängel nicht gemeldet worden. Weiter seien die Angaben der Klägerin zur Betätigung der Handbremse widersprüchlich. So habe sie in der Schadensmeldung vom 11.2.2013 angegeben, diese nur leicht angezogen zu haben, während sie im Widerspruch vom 5.8.2013 behauptet habe, diese fest angezogen zu haben. Auch ein Aufleuchten der Warnleuchte habe sie in ihrer Schadensmeldung nicht angegeben, während sie dies erstmals in ihrer Stellungnahme am 24.5.2013 behauptet habe. In den regelmäßig stattfindenden Unterweisungen sei auch die Klägerin darüber belehrt worden, dass das Fahrzeug niemals bei laufendem Motor verlassen werden dürfe. Auch die Problematik des Aufleuchtens der Warnleuchte des Rußpartikelfilters sei besprochen und den Zustellkräften mitgeteilt worden, dass sie bei laufendem Motor warten oder das Fahrzeug weiterfahren müssten, bis die Anzeige erloschen sei. Hätte die Klägerin die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen getroffen, nämlich Betätigung der Feststellbremse und Einlegen eines gegenläufigen Gangs, wäre das Fahrzeug nicht abgerollt. Da am Unfallort nur ein mäßiges Gefälle vorhanden sei, hätte bereits eine ordnungsgemäße Sicherheitsvorkehrung ausgereicht. Diese Sicherungsmaßnahmen fielen auch nicht unter den Begriff der gefahrengeneigten Tätigkeit und es liege auch kein Augenblicksversagen vor, da die Klägerin das Fahrzeug trotz laufenden Motors verlassen habe. Die DP AG sei sog. Selbstversicherer, also sei eine Vollkaskoversicherung für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Der geltend gemachte Schaden sei ihr auch tatsächlich entstanden. Nach den Anweisungen im Handbuch für Fahrpersonal, das auszugsweise vorgelegt wurde, habe die Klägerin also grob fahrlässig gehandelt. Trotz der für sie erkennbaren Gefällstrecke habe sie nämlich die ihr obliegenden Pflichten missachtet.

Mit Beschluss vom 20. März 2014 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2014 wird auf die Sitzungsniederschrift und wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist nicht begründet, weil die verfahrensgegenständlichen Bescheide, auf deren Ausführungen nach § 117 Abs. 5 VwGO verwiesen wird, nicht rechtswidrig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung der Beklagten, von der Klägerin im Wege eines Leistungsbescheides Schadensersatz für den von ihr verursachten Schaden in Höhe von (zuletzt anteilig nur) 500 EUR zu fordern, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für den Schadensersatzanspruch des Dienstherrn gegen einen Beamten ist § 75 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG). Diese allgemein geltende Vorschrift findet auch auf die bei den Aktiengesellschaften der ehemaligen Deutschen Bundespost beschäftigten Beamten Anwendung, § 2 Abs. 3 Satz 2 des Postpersonalrechtsgesetzes (PostPersRG). Danach hat eine Beamtin, die (u.a.) grobfahrlässig die ihr obliegenden Pflichten verletzt, ihrem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Tatbestandsvoraussetzung sind mithin eine beamtenrechtliche Pflichtverletzung, ein kausaler Schaden, Rechtswidrigkeit und Verschulden im genannten Maßstab (Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht = GKÖD § 75 BBG Rn. 10, 17 ff.; Plog/Wiedow = PW § 75 BBG Rn. 13 ff.). Die Pflichten des Beamten setzen sich dabei aus der Gesamtheit der ihm auf Grund des Beamtenverhältnisses obliegenden allgemeinen und besonderen dienstlichen Pflichten zusammen; ein Verstoß gegen eine gesetzlich besonders normierte Dienstpflicht wird dabei nicht verlangt (GKÖD a.a.O. Rn. 18 ff.; PW a.a.O. Rn. 15 ff.). In diesem Sinne hat der Beamte auch – ohne dass dies einer konkreten gesetzlichen Regelung bedarf – unmittelbar oder mittelbar den Dienstherrn schädigende Handlungen zu unterlassen; diese Pflicht wird verletzt, wenn der Beamte durch unsachgemäßes Handeln an Sachen oder unmittelbar am Vermögen des Dienstherrn selbst oder an Personen, Sachen oder Vermögen eines Dritten, dem der Dienstherr Ersatz leisten muss, einen Schaden verursacht (GKÖD a.a.O. Rn. 18; PW a.a.O. Rn. 19 und 20). Alle Beamten müssen bei ihrer Tätigkeit Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie Einzelweisungen beachten, die ihnen ohne weiteres abstrakt ein bestimmtes äußeres Verhalten vorschreiben; verhalten sie sich nicht wie vorgeschrieben, so ist grundsätzlich die Dienstpflicht objektiv verletzt (PW a.a.O. Rn. 13). Die materielle Beweislast für die objektive Dienstpflichtverletzung trägt zwar der Dienstherr. Ihm können aber aus dem Rechtsgedanken des früheren § 282 (nunmehr § 280) BGB Beweiserleichterungen zugute kommen (PW a.a.O. Rn. 25 ff.), was dann auch im Zusammenhang mit der kausalen Schadensentstehung von Bedeutung ist (PW a.a.O. Rn. 87). Die Pflichtverletzung ist rechtswidrig, falls kein Rechtfertigungsgrund vorliegt (GKÖD a.a.O. Rn. 27 ff.; PW a.a.O. Rn. 24). Grobe Fahrlässigkeit liegt schließlich vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird. Erforderlich ist neben einer objektiv groben Verletzung der Sorgfalt auch ein stärkerer Verschuldensvorwurf nicht nur in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht, also wenn der Beamte einfachste und nahe liegende Überlegungen nicht anstellt oder Maßnahmen nicht ergriffen hat, die jedem hätten einleuchten müssen. Dabei wächst die Sorgfaltspflicht mit der Schwere der Gefahren, die durch eine Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht verursacht werden kann (GKÖD a.a.O. Rn. 34; PW a.a.O. Rn. 39 ff.). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, so wenn dem Beamten etwa durch Arbeitsüberlastung, Eilbedürftigkeit oder der Notwendigkeit des Handelns in einer Gefahrenlage ein sorgfältiges Handeln erschwert wird; auch subjektive Umstände, die den Fehler in milderem Licht erscheinen lassen können, sind zu berücksichtigen (PW a.a.O.). Entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 254 BGB kann ein Mitverschulden des Dienstherrn den Schadensersatzanspruch mindern; dies wird aber nur ausnahmsweise anzunehmen sein, insbesondere wenn der Dienstherr seinerseits seine beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verletzt (GKÖD a.a.O. Rn. 36; PW a.a.O. Rn. 89 ff.). Die materielle Beweislast hierfür trägt der Beamte (PW a.a.O.). Falls eine Praxis zur Begrenzung der Inanspruchnahme ersatzpflichtiger Beamter – etwa in Richtlinien – besteht, hat sich der Dienstherr hieran zu orientieren (PW a.a.O. Rn. 95). Die im Arbeitsrecht erörterte Haftungsminderung für Arbeitnehmer kann im Beamtenrecht schon wegen des dort geltenden vorgenannten Verschuldensmaßstabs keine Berücksichtigung finden (GKÖD a.a.O. Rn. 37 ff., PW a.a.O. Rn. 96). Schließlich ist die Verjährung entsprechend § 195, 199 BBG zu beachten (GKÖD a.a.O. Rn. 51 ff., PW a.a.O. Rn. 99 ff.). Den ihm nach dieser Vorschrift zustehenden Schadensersatzanspruch kann der Dienstherr durch Leistungsbescheid geltend machen (GKÖD a.a.O. Rn. 41; PW a.a.O. Rn. 119 und 120). Die Ermächtigung für die Aktiengesellschaften der ehemaligen Deutschen Bundespost in § 1 Abs. 1 PostPersRG erstreckt sich auch auf diese Geltendmachung und konnte nach der Anordnung zur Übertragung dienstrechtlicher Zuständigkeiten vom 24. Juni 1999 weiter delegiert werden.

Nach diesen Grundsätzen ist die Heranziehung der Klägerin zum Ersatz des Schadens an dem von ihr gefahrenen Zustellfahrzeug in Höhe von (zuletzt anteilig nur) 500 EUR gerechtfertigt. Der zu Grunde liegende Sachverhalt ist aktenkundig und steht weitgehend unstreitig fest. Er ergibt sich aus der Schadensmeldung der Klägerin vom 11. Februar 2013 (Bl. 13 BA), ihrer Anhörung vom 25. Mai 2013 (B. 23 BA), aus den weiteren Angaben der Klägerin im Verfahren, soweit ihnen gefolgt werden kann, sowie aus dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2014, zu der die Klägerin nicht erschienen war. Danach hat sie am 11. Februar 2013 am Marktplatz in … das von ihr gefahrene Zustellfahrzeug, einen VW Transporter, angehalten und ist zum Zweck von Zustellungen ausgestiegen und hat das Fahrzeug nicht ausreichend gesichert, insbesondere dabei den Motor nicht abgestellt, sondern laufen lassen. In der Folgezeit rollte das Fahrzeug weg, bis es durch einen Laternenmasten aufgehalten wurde, wobei beim Fahrzeug ein Schaden in Höhe von 2.677,92 EUR entstand. Das gerade geschilderte Verhalten der Klägerin stellt eine eindeutige und auch gravierende Pflichtverletzung dar. Einzelheiten der Pflichten und zu beachtenden Verhaltensweisen beim Abstellen und Verlassen von Zustellfahrzeugen sind allgemein in § 14 Abs. 2 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) und speziell für den Bereich der DP AG in einem entsprechenden Handbuch geregelt. Verlässt danach der Fahrzeugführer sein Fahrzeug, so muss er die nötigen Maßnahmen treffen, um Unfälle zu vermeiden. Damit soll den Gefahren vorgebeugt werden, die vom Fahrzeug selbst, etwa durch Weiterrollen ausgehen können. In der Regel muss der Fahrzeugführer den Motor abstellen, bevor er sich vom Fahrzeug entfernt, und alle Sicherheitsmaßnahmen gegen ein Abrollen des Fahrzeugs treffen. Genügt auf abschüssigen Stellen das Anziehen der Handbremse nicht, ist das Einlegen eines kleinen Gangs oder dergleichen geboten (Burmann/Heß/Jahnke/Janker § 14 StVO Rn. 8). Entsprechendes ergibt sich aus der internen Anweisung der DP AG (Bl. 44 der Gerichtsakte = GA). Danach muss bei Gefälle eine doppelte Sicherung gegen Abrollen getroffen werden. Dass vorliegend ein zu berücksichtigendes Gefälle vorhanden war, ergibt sich schon aus der Tatsache des Wegrollens des Fahrzeugs an sich, der örtlichen Verhältnisse (siehe die Lichtbilder Bl. 7 BA) und der Entstehung eines nicht unbeträchtlichen Schadens an diesem (siehe die Lichtbilder Bl. 6 und 20 BA). Neben dem Einschlagen der Lenkung und der Betätigung der Feststellbremse war daher hier die Einlegung des ersten Gangs oder Rückwärtsgangs jeweils gegenläufig erforderlich. Diese Obliegenheit ist eindeutig und unmissverständlich und muss aus Sicherheitsgründen ausnahmslos gelten. Hiergegen hat die Klägerin verstoßen, als sie das Zustellfahrzeug verlassen hat ohne dieses wie vorgeschrieben doppelt zu sichern (VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 und BayVGH, B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – jeweils juris). Sie hat schon nach eigenen Angaben jedenfalls nicht den ersten Gang oder den Rückwärtsgang gegenläufig eingelegt, was sich schon daraus ergibt, dass sie das Fahrzeug bei laufendem Motor verlassen hat. Darüber hinaus spricht auch der Anscheinsbeweis, dass sie die Feststellbremse nicht oder nicht ausreichend angezogen haben muss, gegen sie, da diese nach Aktenlage (Bestätigung der Reparaturfirma vom 21.2.2013, Bl. 16 BA) technisch in einwandfreiem Zustand war (VG Augsburg a.a.O.). Soweit die Klägerin durch ihre Vertreterin in der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2014 Bedenken hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Feststellbremse äußern ließ, liegen angesichts der eindeutigen Aussage in der Bestätigung vom 21. Februar 2014 bloße Vermutungen vor, die nicht substantiiert wurden. Der anzunehmende Anscheinsbeweis gilt hier umso mehr, als die Klägerin in der Schadensmeldung vom 11. Februar 2013 (Bl. 13 BA) und damit in ihrer ersten Einlassung zum Schaden selbst noch angegeben hatte, ihr Fahrzeug „mit leicht angezogener Handbremse“ abgestellt zu haben. Dieser Verstoß wiegt auch besonders schwer, so dass der Klägerin mit Recht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gemacht wurde (VG Augsburg und BayVGH a.a.O.). Das ordnungsgemäße Sichern des Zustellfahrzeugs gehört zur Sorgfaltspflicht einer Postzustellerin und dies ist zudem auch für jedermann bei Teilnahme am Straßenverkehr klar und einleuchtend. Dies war letztlich auch der Klägerin selbst bewusst, zumal sie nach Angaben der DP AG über das richtige Verhalten informiert wurde, insbesondere bei Schulungen, an denen sie teilnahm, ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, das Zustellfahrzeug niemals bei laufendem Motor zu verlassen. Auch bei Aufleuchten der Warnleuchte des Rußpartikelfilters wurden die Postzustellkräfte nach Angaben der DP AG dahingehend instruiert, zu warten oder weiterzufahren bis die Anzeige erloschen ist. Wegen seiner schwerwiegenden Folgen kann dieser Pflichtenverstoß der Klägerin auch nicht durch eine behauptete besondere Arbeitsbelastung oder eine etwa fehlende Einweisung in das Fahrzeug erklärt oder gar entschuldigt werden, zumal die DP AG gerade eine ausreichende Unterweisung substantiiert hat. Die arbeitsrechtlichen Grundsätze der gefahrengeneigten Tätigkeit sind ohnehin im Beamtenrecht nicht anwendbar, weshalb das Vorliegen ihrer Voraussetzungen offen bleiben kann. Angesichts der erheblichen Sicherheitsgefahr könnte der Klägerin deshalb an sich auch nicht zugute kommen, dass sie nach den Angaben ihrer Vorgesetzten ansonsten durchaus zuverlässig und korrekt gearbeitet hat und ihr ein wohl einmaliges Fehlverhalten unterlaufen ist. Gleichwohl wurde ihr – überobligationsmäßig und für sie äußerst günstig – im Gegensatz zu den Fällen der vorzitierten Rechtsprechung nur ein geringer Anteil am tatsächlichen Schaden in Rechnung gestellt. Bei einer Gesamtwürdigung des Verhaltens der Klägerin bestehen daher keine Gesichtspunkte, vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit abzugehen.

Ein Mitverschulden des Dienstherrn ist nicht erkennbar. Er hat das Verhalten beim Verlassen der Fahrzeuge durch die Zusteller umfassend, eindeutig und übereinstimmend mit der Rechtslage im allgemeinen Straßenverkehr geregelt. Eine Verpflichtung des Dienstherrn zum Abschluss einer Versicherung für derartige Fälle wie hier besteht schon nicht und hätte wohl auch keine Entlastung für die Klägerin gebracht, da auch im Rahmen der Haftpflichtversicherung eine Leistungspflicht im Fall der groben Fahrlässigkeit, wie sie hier wohl anzunehmen wäre (OLG Karlsruhe, U.v. 8.3.2007 – 19 U 127/06 – juris), wiederum ausgeschlossen wäre.

Nach alledem ist die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 und 711 ZPO entsprechend. Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO sind weder ersichtlich noch vorgetragen.


Beschluss

Der Streitwert wird auf 500 EUR festgesetzt, § 52 Abs. 1 und 3 GKG (entsprechend der zuletzt noch geltend gemachten Forderung).


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