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Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers – Zwangsdurchsetzung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Az: 13 Sa 1895/07

Beschluss vom 03.01.2008


In dem Rechtsstreit hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf am 03.01.2008 beschlossen:

Der Antrag der Beklagten vom 02.11.2007 auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 24.09.2007 – 3 Ca 1028/06 – wird zurückgewiesen.

Gründe:
A.
Die Beklagte sprach dem Kläger am 26. Januar 2006 eine fristlose, hilfsweise fristgerechte verhaltensbedingte Kündigung aus. Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung und verlangt seine Weiterbeschäftigung. Die Beklagte hat in erster Instanz zum Weiterbeschäftigungsanspruch keine Stellung genommen. Durch Urteil vom 24. September 2007 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt. Die Beklagte hat rechtzeitig Berufung eingelegt und begehrt die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung.

B.
Der nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 ZPO statthafte Antrag der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Der Inhalt der ausgeurteilten Beschäftigungspflicht ist dem Tenor nicht mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen. Unter Berücksichtigung des Urteilstatbestandes ergibt sich jedoch, dass die Beklagte dazu verurteilt worden ist, den Kläger als „Geschäftsstellenleiter Hochbau II in der Niederlassung E. zu beschäftigen. Dieser Auslegung sind die Parteien in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten.

2.
Die Beklagte beruft sich darauf, eine Vollstreckung dieses Beschäftigungsanspruchs führe deshalb bei ihr zu einem nicht zu ersetzenden Nachteil iSd. § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG, weil sie die Stellen der Geschäftsstellenleiter in der Niederlassung E. seit September 2004 sukzessive abgebaut habe und auch diejenige des Klägers als des letzten noch verbliebenen nach seinem faktischen Ausscheiden aufgrund der (vorangegangenen, anderweitig rechtskräftig für unwirksam erklärten) fristlosen Kündigung vom 23. Dezember 2005 nicht nachbesetzt habe. Eine Beschäftigung als Geschäftsstellenleiter könne sie nur dadurch ermöglichen, dass sie in einer anderen Niederlassung eine solche Position freikündige, was im Ergebnis eine unzulässige betriebsübergreifende Sozialauswahl bedeute. Im Übrigen stehe sie vor einer Umorganisation, welche zum gänzlichen Wegfall der Ebene der Geschäftsstellenleiter führe.

a)
Es kann dahinstehen, ob damit die Voraussetzungen eines nicht zu ersetzenden Nachteils glaubhaft gemacht sind. Denn die Beklagte könnte den von ihr geltend gemachten Nachteil dadurch abwenden, dass sie dem Kläger kraft ihres Direktionsrechts eine anderweitige – ebenfalls vertragsgerechte – Beschäftigung zuweist. Dem klägerseits vor Einleitung der Vollstreckung diesbezüglich unterbreiteten Gesprächsangebot ist sie nicht gefolgt. Die Beklagte macht es sich zu einfach, wenn sie diese von ihr geschuldete andere Beschäftigung des Klägers nicht ermöglicht und nur darauf verweist, die titulierte Beschäftigung sei ihr nicht möglich. Dass bei ihr eine vertragsgerechte Beschäftigung des Klägers an keiner Stelle möglich ist, hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass dies in einem Unternehmen mit der Größenordnung der Beklagten auch schwerlich denkbar erscheint und dass die Beklagte im Zusammenhang mit der dargelegten künftigen Neuorganisation nicht vorgetragen hat, sie müsse deshalb die derzeit noch im Unternehmen als Geschäftsstellenleiter beschäftigten Mitarbeiter entlassen.

b)
Jedenfalls ist die Beklagte mit dem genannten, ihr bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 24. September 2007 längst bekannten Vorbringen zur Begründung des Antrags nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ausgeschlossen, da sie es unterlassen hat, dieses zum Gegenstand eines Antrags auf Ausschließung der Vollstreckbarkeit nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zu machen.

(1)
Nach der ständigen Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs (vgl. nur 25. August 1978 – X ZR 17/78 – NJW 1979, 1208; 3. Juli 1991 – XII ZR 262/90 – NJW-RR 1991, 1216; 5. Juni 1996 – VIII ZR 130/96 – NJW 1996, 2103; 13. März 2003 – XII ZR 144/00 – FamRZ 2003, 1009) kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht nach § 719 Abs. 2 ZPO regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Schuldner nicht bereits im Berufungsverfahren einen Schutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat, obwohl die Umstände, die einen nicht zu ersetzenden Nachteil begründen sollen, bereits dort erkennbar und nachweisbar waren. Der Bundesgerichtshof begründet das damit, die Voraussetzungen einer Einstellung seien dieselben wie die einer Ausschließung der Vollstreckbarkeit durch die Vorinstanz; ein Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung vor dem Bundesgerichtshof sei für den Gläubiger verfahrensmäßig jedoch nachteiliger, da über den Antrag nach § 712 ZPO regelmäßig aufgrund mündlicher Verhandlung und somit nach zuverlässiger Sicherung rechtlichen Gehörs des Vollstreckungsgläubigers entschieden werde, so dass auch dessen Interessen angemessen berücksichtigt werden könnten, was im Verfahren nach § 719 Abs. 2 ZPO nicht in gleicher Weise möglich sei (zustimmend MüKo-ZPO-Krüger 2. Aufl. § 719 Rn. 13 ebenfalls unter Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen beider Anträge die gleichen seien).

Einige Oberlandesgerichte folgen für das Verhältnis zwischen § 719 Abs. 1 und § 712 ZPO dieser Rechtsprechung (OLG Frankfurt 19. September 1984 – 1 U 5/84 – NJW 1984, 2955; OLG Celle 13. Januar 1993 – 2 U 179/92 – JurBüro 1994, 311; OLG Köln 2. Januar 1997 – 2 U 81/96 – JurBüro 1997, 553). Andere lehnen eine Übertragung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf das Verhältnis zwischen erster und zweiter Instanz hingegen vor allem mit dem Argument ab, die vorzunehmende Prüfung sei nicht dieselbe, es würden völlig andere und tendenziell geringere Anforderungen gestellt (OLG Düsseldorf 30. Dezember 1986 – 1 U 212/86 – NJW-RR 1987, 702; Thüringer Oberlandesgericht 26. Oktober 2001 – 4 U 234/01 – MDR 2002, 289; KG Berlin 11. Oktober 2004 – 12 U 198/04 – MDR 2005, 117; vgl. auch MüKo-ZPO-Krüger aaO Rn. 6: Beide Regelungen haben unterschiedliche Zielrichtungen).

Das Landesarbeitsgericht Berlin/Brandenburg (23. August 2007 – 15 Sa 1630/07 – NZA-RR 2008, 42) hat aus der geschilderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Schluss gezogen, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG komme regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Schuldner es versäumt habe, bereits vor dem Arbeitsgericht den Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG auf Ausschließung der vorläufigen Vollstreckbarkeit zu stellen. Eine Ausnahme sei nur zu machen, wenn die Gründe, auf die der Einstellungsantrag gestützt werde, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht noch nicht vorlagen oder aus anderen Gründen dort nicht vorgetragen oder glaubhaft gemacht werden konnten. Die Interessenlage entspreche derjenigen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

In der arbeitsrechtlichen Literatur wird – soweit sie das Verhältnis der Anträge nach § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG überhaupt anspricht – soweit ersichtlich einhellig vertreten, ein Antrag nach Satz 3 setze einen vorherigen Ausschließungsantrag nach Satz 2 nicht voraus (GK-ArbGG-Vossen § 62 Rn 30; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 62 Rn 31; Schwab/Weth/Walker ArbGG 2. Aufl. § 62 Rn. 21). Allerdings wird die geschilderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wohl nicht in die Betrachtung einbezogen.

(2)
Es kann dahinstehen, ob dieser Rechtsprechung für das Verhältnis der Anträge nach § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG in vollem Umfang zu folgen ist. Die erkennende Kammer hat insofern Bedenken, als die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich abstrakt auf im Verfahren auf Einstellung der Zwangsvollstreckung grundsätzlich gegebene Nachteile für den Gläubiger abstellt, ohne im konkreten Fall zu prüfen, ob diese Nachteile tatsächlich eintreten. Stellt sich die prozessuale Situation des Gläubigers in concreto genauso dar wie bei einem Antrag in der Vorinstanz, erleidet er keinen Nachteil, sondern hat im Gegenteil durch das nachlässige Verhalten des Schuldners den Vorteil, dass die Zwangsvollstreckung nicht von vornherein ausgeschlossen, sondern erst später eingestellt wird. Bezogen auf die seitens des Bundesgerichtshofs angezogene Argumentation, die Einstellung der Zwangsvollstreckung setze nicht notwendig eine vorherige Anhörung des Gläubigers voraus, ließe sich der Schutz des Gläubigers gleich wirksam aber weniger einschneidend dadurch erreichen, dass das Verhalten des Schuldners in den fraglichen Fällen eine Einstellung ohne vorherige Anhörung des Gläubigers ausschließt. Soweit der Bundesgerichtshof darauf abstellt, das Erkenntnisverfahren biete bessere Möglichkeiten als das Zwangsvollstreckungsverfahren, das Vorhandensein eines nicht zu ersetzenden Nachteils zu prüfen, dürfte dies ohne Belang sein, wenn die insoweit durch den Schuldner vorgebrachten Tatsachen seitens des Gläubigers nicht bestritten werden.

Jedenfalls in Konstellationen, in denen die Nachlässigkeit des Schuldners zu konkreten, nicht anders abwendbaren prozessualen Nachteilen für den Gläubiger führt, folgt die erkennende Kammer jedoch der Auffassung des LAG Berlin/Brandenburg. Urteile der Arbeitsgerichte sind nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ohne weiteres vollstreckbar. Der Antrag des Schuldners auf Einstellung der Zwangsvollstreckung ist daher im Arbeitsgerichtsprozess erst recht nur ein „letztes Mittel“ des Vollstreckungsschuldners, bei dessen Anwendung das durch das erstinstanzliche Urteil festgestellte Interesse des Gläubigers angemessen zu berücksichtigen ist.

Hätte die Beklagte ihren Vortrag dazu, die Ebene der Geschäftsleiter sei seit langem abgebaut, bereits im Rahmen eines Antrags nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG vor dem Arbeitsgericht gebracht, hätte der Kläger seinen Weiterbeschäftigungsantrag jedenfalls hilfsweise auf andere Beschäftigungen, welche die Beklagte ihm im Rahmen des Direktionsrechts zuweisen könnte, umstellen können. Einem solchen Antrag, der bei mehreren Möglichkeiten auch eine Beschäftigung nach Wahl der Beklagten hätte beinhalten können, hätte die Beklagte sich stellen müssen. Hätte sie sich darauf berufen, dem Kläger noch andere Tätigkeiten zuweisen zu dürfen, hätte der Kläger auch diese zum Gegenstand seines Begehrens machen können. Der Wegfall der ursprünglich geschuldeten Tätigkeit hätte dann jedenfalls möglicherweise nicht dazu geführt, dass der Kläger seinen nach stattgebendem Kündigungsschutzurteil grundsätzlich gegebenen Beschäftigungsanspruch nicht hätte durchsetzen können. Erlaubte man der Beklagten den Verzicht auf einen Antrag in erster Instanz, könnte sie hingegen den Beschäftigungsanspruch über den Einstellungsantrag im Berufungsverfahren leicht aushebeln. Der Kläger wäre auf eine neue Klage angewiesen mit der Folge einer nicht unerheblichen Verzögerung.

Die Beklagte kann wie oben aufgezeigt den Folgen der Vollstreckung zudem leicht damit begegnen, dass sie dem Kläger per Direktionsrecht eine andere als die titulierte, jedoch ebenfalls vertragsgerechte Beschäftigung zuweist. Damit wäre zugleich das Ergebnis hergestellt, das erzielt worden wäre, hätte der Kläger auf entsprechende Einwendungen der Beklagten bereits vor dem Arbeitsgericht seinen Beschäftigungsantrag entsprechend angepasst.

Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich gegen die hier vertretene Ansicht nicht anführen, sie verkenne den Charakter des arbeitsrechtlichen Berufungsverfahrens als echte Tatsacheninstanz. Vielmehr verkennt die Beklagte, dass es sich bei den Umständen, welche die Erfüllung der Voraussetzungen für die Einstellung der Zwangsvollstreckung begründen können, grundsätzlich nicht um Tatsachen handelt, welche den Erfolg oder Misserfolg des Rechtsstreits bestimmen. Derartige materielle Einwendungen sind nicht Gegenstand der Frage, ob die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringt. Daran ändert auch nichts, dass hier die beklagtenseits vorgebrachten Tatsachen sowohl die Frage, ob ihr durch die Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil droht, als auch die Beurteilung berühren, ob der Weiterbeschäftigungsanspruch zu Fall gebracht wird, weil ihr die ausgeurteilte Beschäftigung unzumutbar im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist (vgl. grundlegend BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84 – NZA 1985, 702).

Auch geht die Ansicht der Beklagten fehl, mit der vorgenommenen Auslegung verliere die Vorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ihren Anwendungsbereich. Es sind vielfältige Fallgestaltungen denkbar, in welchen die Umstände, die einen nicht zu ersetzenden Nachteil begründen, sich erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ergeben oder jedenfalls dem Schuldner erst dann bekannt werden.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf Vertrauensschutzgesichtspunkte. Zunächst weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits seit wenigstens Ende der 70er Jahre besteht. Auch hat die Beklagte keine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung – erst recht nicht des erkennenden Gerichts – genannt, welche Ausführungen zum Verhältnis der Regelungen des § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG enthält, geschweige denn solche, die im Widerspruch zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin/Brandenburg stehen. Zudem läuft die Argumentation der Beklagten darauf hinaus, sie habe darauf vertrauen können, im Erkenntnisverfahren erster Instanz jeglichen Vortrag zu dem bereits mit der Klageschrift vom 13. Februar 2006 gestellten Weiterbeschäftigungsantrag zu unterlassen, um diesen Fehler dann für die Dauer des Berufungsverfahrens durch einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung reparieren zu können. Eine derartige Auffassung lässt den gebotenen Respekt vor dem erstinstanzlichen Verfahren und der resultierenden Entscheidung des Arbeitsgerichts gänzlich vermissen und kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, mit der Berufung werde eine weitere Tatsacheninstanz eröffnet.

C.
Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet eine Anfechtung der Entscheidung über die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht statt.

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