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Weiterbeschäftigungsanspruch per einstweiliger Verfügung

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Az: 2 Ta 387/10

Urteil vom 25.03.2010


In Sachen hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 2. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2010 für Recht erkannt:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.01.2010 – 55 Ga 494/10 – geändert:

Die Antragsgegnerin wird verurteilt, die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits vor dem Arbeitsgericht Berlin zum Az. 55 Ca 13441/09 zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Assistentin am Standort Berlin weiterzubeschäftigen.

II. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Tatbestand:

Die Antragstellerin begehrt im Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens gegenüber der Antragsgegnerin die Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des zwischen den Parteien vor dem Arbeitsgericht Berlin anhängigen Kündigungsschutzverfahrens auf der Grundlage der Vorschrift des § 102 Abs. 5 BetrVG.

Die Antragsgegnerin, die in ihrem Berliner Betrieb Umstrukturierungsmaßnahmen vorgenommen hat, hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 15.06.2009 zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der seit dem 11.02.1980 als Teamassistentin beschäftigen Antragstellerin an. Mit Schreiben vom 23.06.2009 (Bl. 14 d. A.) widersprach der Betriebsrat der geplanten Kündigung der Antragstellerin mit der Begründung, dieser sei aufgrund der „Sozialpunkte“ die eine – unstreitig – verbleibende Assistenzstelle anzubieten gewesen und im Hinblick auf die Sozialpunkteliste sei der Antragstellerin nicht zu kündigen. Die Mitteilung (Bl. 14 d. A.) ist durch die Betriebsratsvorsitzende unterschrieben.

Gegen die sodann am 26.06.2009 ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31.01.2010 hat die Klägerin – rechtzeitig i. S. v. § 7 KSchG – gemäß § 4 KSchG Klage erhoben.

Mit Schreiben vom 9.12.2009 hat sie gegenüber der Antragsgegnerin eine Weiterbeschäftigung geltend gemacht, nachdem diese zuvor eine Freistellung ausgesprochen hatte.

Am 12.01.2010 ist beim Arbeitsgericht der vorliegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens eingegangen; die Antragstellerin hat sich dabei auf die Vorschrift des § 102 Abs. 5 BetrVG berufen.

Mit Beschluss vom 15.01.2010 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antragstellerin stehe ein Verfügungsgrund nicht zur Seite, da sie eine künstliche Eilbedürftigkeit der Sache selbst dadurch herbeigeführt habe, dass sie es unterlassen habe, in dem Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin im Wege der Klagehäufung einen Leistungsantrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu stellen. Die Kündigungsschutzklage sei seit dem 25. Juli 2009 rechtshängig. Auch habe die Antragstellerin die Weiterbeschäftigung nicht gegenüber der Arbeitgeberin begehrt, dies sei weder in ihrem Widerspruch nach § 3 Kündigungsschutzgesetz unter dem 9. Juli 2009 noch in ihrer Kündigungsschutzklage erfolgt. Hierdurch sei verhindert worden, dass die Antragsgegnerin sich zu dem Weiterbeschäftigungsbegehren habe positionieren müssen, was wiederum dazu geführt habe, dass die Antragsgegnerin keine Veranlassung zu sehen habe brauchen, ihrerseits ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG zu bedenken und ggf. rechtshängig zu machen. Erst nach Erhalt der Freistellungserklärung am 8. Dezember 2009 habe die Antragstellerin ihre diesbezüglichen Rechte geltend gemacht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei eine Klageerweiterung im Kündigungsschutzverfahren veranlasst gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 38 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen diesen am 19.01.2010 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie die Beschlussgründe des Arbeitsgerichts mit Rechtsausführungen angreift.

Mit Beschluss vom 18.02.2010 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht vorgelegt. Wegen der Gründe wird auf Bl. 65 ff d.A. Bezug genommen.

Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, sämtliche Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG lägen vor. Der Betriebsrat habe ordnungsgemäß Widerspruch eingelegt, was sich schon daraus ergebe, dass ein von der Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnetes Widerspruchsschreiben vorliege. Hierzu spreche eine Vermutung dafür, dass auch ein ordnungsgemäßer Beschluss vorgelegen habe. Sie habe rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und ebenso rechtzeitig die Weiterbeschäftigung auf der Grundlage des § 102 Abs. 5 BetrVG begehrt. Deswegen könne sie die begehrte Weiterbeschäftigung verlangen. Zu Unrecht gehe das Arbeitsgericht davon aus, dass sie die Eilbedürftigkeit selbst herbeigeführt habe. Diese Eilbedürftigkeit sei vielmehr gezielt von der Antragsgegnerin erzwungen worden; diese habe die Freistellungserklärung mit Schreiben vom 20. November 2009 während ihres Urlaubs in die Wege geleitet, sie, die Antragstellerin, habe darüber keine Kenntnis erlangen können. Erst am 8. Dezember 2009 habe sie Kenntnis von dem Schreiben erlangt und sich dann mit eigenem Schreiben vom 9. Dezember 2009 an die Antragsgegnerin gewandt. Sie sei sich danach erst über die Weihnachtstage über ihre Situation im Klaren geworden und habe erst am dem 4. Januar 2010 Erkundigungen darüber einholen können, wie der Eilantrag zu stellen sei. Da es sich bei der Durchsetzung des tatsächlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs um die Verwirklichung ihrer Grundrechte, u. a. der Berufsfreiheit, gehe, dürfe sich das Gericht dem kraft gesetzlicher Automatik zwangsläufig aus dem Weiterbeschäftigungsanspruch ergebenen Verfügungsgrund nicht verschließen. Anderenfalls werde für sie ein unwiederbringlicher Grundrechtsverlust eintreten.

Die Antragstellerin beantragt, die Abänderung des angegriffenen Beschlusses dahin, dass gemäß ihrem Antrag in dem Schriftsatz vom 10.01.2010 der Verfügungsbeklagten aufgegeben wird, sie, die Verfügungsklägerin über den 31. Januar 2010 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht Berlin zum Az. 55 Ca 13441/09 in der Betriebsstätte Berlin der Verfügungsbeklagten als Assistentin in der einen verbleibenden Assistenzstelle weiterzubeschäftigen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.01.2010 zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verweist darauf, dass sie die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, die Teamsekretariate in der Niederlassung Berlin zum 01.10.2009 aufzulösen. Dadurch seien sämtliche Arbeitsplätze der Teamassistentinnen entfallen; übrig geblieben sei nur eine Stelle, nämlich diejenige der Assistentin des Niederlassungsleiters, die von Frau P. eingenommen werde. Bei dieser Stelle handele es sich gegenüber der Stelle der Antragstellerin um eine Beförderungsstelle, denn die Antragstellerin werde aus TG 5 vergütet, Frau P. dagegen aus TG 8. Es handele sich aber auch um unterschiedliche Aufgabenbereiche in beiden Stellen. Der Antrag der Antragstellerin sei im Übrigen zu unbestimmt, da er sich darauf beziehe, als Assistentin „in der einen verbleibenden Assistentenstelle“ weiterbeschäftigt zu werden. Ein Verfügungsanspruch stehe der Antragstellerin nicht zu, denn materiell-rechtlich habe sie keinen Anspruch auf eine Beförderung. Darüber hinaus sei die Weiterbeschäftigung „auf der einen verbliebenen Assistenzstelle“ unmöglich. Die Stelle der Niederlassungsleiterassistentin sei bereits seit mehreren Jahren mit Frau P. besetzt, eine tatsächliche Beschäftigungsmöglichkeit der Antragstellerin auf dieser Stelle sei somit tatsächlich unmöglich. Demgegenüber sei die Stelle der Antragstellerin selbst weggefallen, im Berliner Betrieb der Antragsgegnerin sei keine Stelle für eine Teamassistentin verblieben. Damit sei der Einsatz objektiv unmöglich, deswegen sei auch die Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs objektiv unmöglich. Der Klägerin stehe kein Verfügungsgrund zur Seite; diesbezüglich habe das Arbeitsgericht richtig entschieden. Die Ordnungsgemäßheit des Betriebsratsbeschlusses werde mit Nichtwissen bestritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 31. Januar 2010 (Bl. 48 ff. d. A.) und vom 9. März 2010 (Bl. 110 ff. d. A.) und auf denjenigen der Antragsgegnerin vom 18. Februar 2010 (Bl. 89 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Beschwerdegericht hat mit Verfügung vom 11.03.2010 den Parteien einen rechtlichen Hinweis erteilt und Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat, ist begründet.

Die Antragsgegnerin war im Wege der einstweiligen Verfügung zur Weiterbeschäftigung der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens auf der Grundlage des § 102 Abs. 5 BetrVG zu verurteilen; denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des gesetzlich angeordneten Weiterbeschäftigungsanspruchs waren erfüllt.

1. Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 102 Abs. 5 BetrVG; denn es liegt eine ordentliche Kündigung der Antragsgegnerin vor (1.1), der der Betriebsrat form- und fristgerecht widersprochen hat (1.2) und gegenüber der die Antragstellerin form- und fristgerecht Klage nach § 4 KSchG erhoben hat (1.3). Schließlich hat die Antragstellerin ihr Weiterbeschäftigungsbegehren rechtzeitig gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht (1.4) und die Erfüllung des Weiterbeschäftigungsanspruchs ist der Antragsgegnerin nicht unmöglich (1.5).

1.1 Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 26. Juni 2009 eine ordentliche, betriebsbedingte Kündigung gegenüber der Antragstellerin mit Wirkung zum 31. Januar 2010 ausgesprochen.

1.2 Dieser ordentlichen Kündigung hatte der Betriebsrat form- und fristgerecht widersprochen.

Der binnen Wochenfrist erfolgte Widerspruch des Betriebsrats weist in seiner Begründung auf eine Auswahlrichtlinie zum Sozialplan und einer dort geregelten „Vergleichsgruppenbildung“ für die Sozialauswahl hin. Danach richtet sich die Vergleichbarkeit/Austauschbarkeit nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und liegt dann vor, wenn dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfallen soll, auf derselben Ebene der Betriebshierarchie die Funktion eines anderen vergleichbaren Arbeitnehmers kraft Direktionsrechts zugewiesen werden könne. Vor diesem Hintergrund sei die Vergleichsgruppe der Teamassistenten so gestaltet, dass die Antragstellerin mit 110 Punkten als sozial Schwächste die verbleibende Assistentenstelle habe erhalten müssen.

Der Widerspruch des Betriebsrats bezieht sich demgemäß auf § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG und ist – substantiell – begründet worden (BAG vom 09.07.2003 – 5 AZR 305/02 – NZA 2003, 1191). Er ist damit ordnungsgemäß im Sinne von § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG.

Das Berufungsgericht ist auch davon ausgegangen, dass dieser so dokumentierte Widerspruch auf einem ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrates beruht hat, so dass das diesbezügliche Bestreiten der Antragsgegnerin mit Nichtwissen der getroffenen Feststellung nicht entgegensteht.

Allerdings muss in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in welchem der Arbeitnehmer seinen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG geltend macht, dieser auch vortragen, dass und inwieweit ein ordnungsgemäß getroffener Betriebsratsbeschluss vorliegt (LAG Berlin vom 16.09.2004 – 10 Sa 1763/04 – LAGE Nr. 3 zu § 102 BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dem klagenden bzw. antragstellenden Arbeitnehmer die Darlegung der diesbezüglichen Einzelumstände, etwa die ordnungsgemäße Einladung, die ordnungsgemäße Beschlussfassung, nicht aus eigener Wahrnehmung möglich ist, sie sind ihm in der Regel nicht bekannt. Das Maß der Darlegung und Glaubhaftmachung des Arbeitnehmers muss demgemäß daran gemessen werden, was er aufgrund seiner individuellen Situation wissen und zunächst darlegen kann. Dies gilt insbesondere im einstweiligen Verfügungsverfahren, in welchem die Glaubhaftmachung ausreichen muss und ohnehin nur präsente zeugen vernommen werden könnten, also solche, die den Antragsteller – freiwillig – begleiten würden.

Nach den dargestellten Grundsätzen war angesichts dieser Situation zunächst festzustellen, dass die Antragstellerin das – im Übrigen nicht streitige – Mitteilungsschreiben des Betriebsrats, in welchem dieser seinen Widerspruch gegenüber der Antragsgegnerin kundgetan hat, vorgelegt hat. Dieses Mitteilungsschreiben ist von der Betriebsratsvorsitzenden unterschrieben, es weist in Aufbau und Inhalt ein hohes Maß an Präzision auf. Beispielsweise ist der Eingang des Anhörungsschreibens der Antragsgegnerin exakt vermerkt. Nach Auffassung der Kammer hatte die Antragstellerin mit der Vorlage dieses Schreibens ausreichend glaubhaft gemacht, dass ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss vorliegt. Mehr konnte sie aus eigener Wahrnehmung nicht wissen, im gesamten Verfahren sind keine Umstände bekannt geworden, die Zweifel daran erweckt hätten, dass das Widerspruchsschreiben auf einem ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss beruhte. Die Antragsgegnerin hat ihrerseits ebenfalls keine konkreten Umstände genannt, die Anlass zu Zweifeln an der Ordnungsgemäßheit des Beschlusses hätten wecken können. Nur am Rande ist festzustellen, dass die Kündigung der Antragstellerin in einem größeren Zusammenhang einer umfangreichen Betriebsänderung gestanden hat, hinsichtlich derer Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Vielzahl von Fällen ihre jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten auszuüben hatten.

1.3 Die Antragstellerin hat form- und fristgerecht Klage im Sinne von § 4 KSchG gegen die Kündigung vom 26. Juni 2009 erhoben; dies ist nicht streitig.

1.4 Die Antragstellerin hat gegenüber der Antragsgegnerin ihre Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsrechtsstreits im Sinne von § 102 Abs. 5 BetrVG „verlangt“.

Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer sein Weiterbeschäftigungsverlangen gegenüber dem Arbeitgeber rechtzeitig und ausdrücklich geltend machen muss. Das Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, das am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt, ist dabei als rechtzeitig anzusehen (BAG vom 11.05.2000 – 2 AZR 54/99 – NZA 2000, 1055).

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Unter Beachtung und in Anwendung dieser Grundsätze war davon auszugehen, dass das mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 geltend gemachte Weiterbeschäftigungsbegehren der Antragstellerin noch „rechtzeitig“ im Sinne des § 102 Abs. 5 BetrVG erfolgt ist. Die Kündigungsfrist lief (erst) am 31. Januar 2010 aus, so dass sich die Antragstellerin mit der Geltendmachung an diesem Tage noch (weit) vor Ablauf der Kündigungsfrist befunden hat.

1.5 Die Weiterbeschäftigung der Antragstellerin ist der Antragsgegnerin weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich.

Allerdings ist im Grundsatz davon auszugehen, dass ein Arbeitgeber nicht zu einer Beschäftigung verurteilt werden darf, die ihm tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist; der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers entfällt, wenn dem Arbeitgeber die tatsächliche Entgegennahme der Arbeitsleistung nicht möglich ist (BAG vom 27.02.2002 – 9 AZR 562/00 – NZA 2002, 1099 m. w. N.).

Diese Voraussetzung liegt im Streitfall jedoch nicht vor. Zwar ist es zwischen den Parteien unstreitig, dass die zuvor organisatorisch abgegrenzte konkrete Stelle der Antragstellerin als solche nicht mehr vorhanden ist. Jedoch ist ebenso unstreitig, dass im Berliner Betrieb der Beklagten weiterhin die Stelle der Assistentin des Niederlassungsleiters vorhanden ist. Der Widerspruch des Betriebsrats gegenüber der dem hiesigen Rechtsstreit zugrunde liegenden Kündigung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2009 bezieht sich gerade darauf, dass nach der von ihm eingenommenen Rechtsauffassung aufgrund geltender Kollektivregelungen diese Stelle der Antragstellerin hätte angeboten werden müssen. Der Betriebsrat geht mithin davon aus, dass die Antragstellerin grundsätzlich „vergleichbar“ mit der dortigen Stelleninhaberin gewesen ist, und dass der Antragstellerin im Hinblick auf ihre Sozialpunkte die Stelle habe angeboten werden müssen.

Im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren auf Weiterbeschäftigung kann nicht die Richtigkeit dieser Auffassung des Betriebsrats bejaht oder verneint werden. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist in dieser Situation davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin nicht auf eine „Unmöglichkeit“ der Weiterbeschäftigung der Antragstellerin berufen kann, weil deren ursprünglich innegehabte Stelle entfallen sei. Denn die kündigungsrechtlich relevante Vorschrift des § 1 Abs. 3 KSchG verweist gerade darauf, dass dann, wenn aufgrund unternehmerischer Entscheidung eine Stelle oder mehrere Stellen entfallen, die verbleibenden Stellen an die sozial Schwächsten vergeben werden müssen. Wenn aber der Antragstellerin – die Richtigkeit der Auffassung des Betriebsrats einmal unterstellt – die verbliebene Stelle hätte übertragen werden müssen, kann im Rahmen des Weiterbeschäftigungsverlangens nach § 102 Abs. 5 BetrVG nicht unterstellt werden, die Weiterbeschäftigung der Betroffenen sei „unmöglich“. Mindestens jedoch stünde dieser Annahme der Rechtsgedanke des § 162 BGB entgegen.

Eine andere Entscheidung würde zu dem Ergebnis führen, dass Sozialauswahlfehler im Grundsatz nicht zu einem hierauf gestützten Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG führen würden, weil die verbliebenen Stellen – wenn auch nicht mit den sozial schwächsten Arbeitnehmern – besetzt wären. Dies wäre aber mit dem Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG nicht vereinbar.

2. Der Darlegung eines Verfügungsgrundes bedurfte es nicht. Der Verfügungsgrund ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG schon in der gesetzlichen Wertung zu sehen, dass das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers im Regelfall überwiegen soll. Im Hinblick auf den drohenden (endgültigen) Rechtsverlust bei der Weiterbeschäftigung bedarf es einer gesonderten Glaubhaftmachung von Tatsachen zum Verfügungsgrund nicht (LAG Berlin vom 16.09.2004 – 10 Sa 1763/04 – LAGE Nr. 3 zu § 102 BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht).

Dem Vorliegen des Verfügungsgrundes stand nicht entgegen, dass die Antragstellerin ihren Anspruch nicht im Kündigungsschutzverfahrens selbst oder anderweitig im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens anhängig gemacht hatte. Denn im Hinblick auf die obigen Grundsätze zu 1.4 ist sie materiellrechtlich berechtigt, den Anspruch später als erstmöglich geltend zu machen; dem darf das Prozessrecht nicht entgegenstehen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

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